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VwGH vom 21.07.2011, 2008/18/0776

VwGH vom 21.07.2011, 2008/18/0776

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Pallitsch, den Hofrat Mag. Eder, die Hofrätin Mag. Merl und die Hofräte Mag. Haunold und Mag. Straßegger als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Krawarik, über die Beschwerde des M M in W, vertreten durch Dr. Wolfgang Weber, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Wollzeile 12/1/27, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom , Zl. E1/265.536/2008, betreffend Erlassung eines befristeten Aufenthaltsverbotes, zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von EUR 610,60 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

I.

Mit dem angefochtenen, im Instanzenzug ergangenen Bescheid erließ die belangte Behörde gegen den Beschwerdeführer, einen tunesischen Staatsangehörigen, gemäß § 60 Abs. 1 iVm Abs. 2 Z. 1 und 2 Fremdenpolizeigesetz 2005 - FPG ein Aufenthaltsverbot für die Dauer von zehn Jahren.

Eigenen Angaben zufolge sei der Beschwerdeführer seit 1999 ununterbrochen im Bundesgebiet aufhältig. Dem Akteninhalt zufolge scheine er erstmals ab bis dato durchgehend im Bundesgebiet als gemeldet auf. Am habe er B M. geheiratet, am sei die Ehe wieder geschieden worden. Über einen Aufenthaltstitel habe der Beschwerdeführer erst ab verfügt; dieser sei mehrfach, zuletzt bis , verlängert worden. Das Verfahren über einen weiteren Verlängerungsantrag sei anhängig.

Wegen des Lenkens eines Kraftfahrzeuges in alkoholisiertem Zustand (§ 5 Abs. 1 StVO) am und am sei der Beschwerdeführer zweimal jeweils mit einer Geldstrafe bestraft worden. Darüber hinaus weise er insgesamt zehn rechtskräftige Verwaltungsstrafen im Zusammenhang mit dem Lenken bzw. Benützen eines Kraftfahrzeuges auf.

Am sei der Beschwerdeführer vom Landesgericht für Strafsachen Wien wegen des Verbrechens der absichtlichen schweren Körperverletzung gemäß § 87 Abs. 1 StGB zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von zwei Jahren, davon 16 Monate bedingt, verurteilt worden, weil er am in einem Lokal in alkoholisiertem und sehr aggressivem Zustand seinem Streitgegner nach kurzem Wortwechsel einen Faustschlag gegen dessen Nacken versetzt habe, sodass dieser zu Sturz gekommen sei. Nachdem dieser aufgestanden sei, habe der Beschwerdeführer neuerlich auf ihn eingeschlagen und ihm dabei einen Nasenbeinbruch zugefügt. Da der Streitgegner den Beschwerdeführer in der Folge leicht an der Stirn verletzt habe, habe Letzterer ein Messer, nämlich einen Hirschfänger mit einer Klingenlänge von etwa 11 cm, gezogen und dem Opfer einen Stich in der Nackenregion mit Läsion des Wirbelbogens des dritten Halswirbels und der Öffnung des Rückenmarkskanals sowie Lufteintritt in den Rückenmarkskanal, eine weitere Schnittwunde in der linken Halsregion unterhalb des Ohres sowie zwei weitere Schnittwunden im Bereich der linken Achselhöhle und am rechten Unterarm zugefügt. Durch die Faustschläge habe das Opfer neben dem Nasenbeinbruch auch zwei kleine Rissquetschwunden am Nasenrücken und eine Schädelprellung erlitten.

Auf Grund dieser Verurteilung sei der Tatbestand des § 60 Abs. 2 Z. 1 FPG erfüllt. Im Hinblick auf die beiden rechtskräftigen, noch nicht getilgten, schwerwiegenden Verwaltungsübertretungen (der StVO) sei auch der Tatbestand des § 60 Abs. 2 Z. 2 FPG erfüllt. Das dargestellte Gesamt(fehl)verhalten des Beschwerdeführers gefährde die öffentliche Ordnung und Sicherheit in höchstem Maße, sodass sich (auch) die im § 60 Abs. 1 FPG umschriebene Annahme als gerechtfertigt erweise. Eine Verhaltensprognose könne schon in Ansehung der Verwirklichung des unter besonders brutalen Umständen verwirklichten Verbrechenstatbestandes sowie der hinsichtlich der Alkoholdelikte dargelegten Wiederholungsgefahr nicht positiv ausfallen. Aus dem Fehlverhalten des Beschwerdeführers sei ersichtlich, dass es sich bei ihm um einen besonders gewaltbereiten Menschen handle, der sich aus offenbar nichtigen Anlässen unter Anwendung einer Waffe dazu hinreißen lasse, in die körperliche Integrität anderer in massivster Art und Weise einzugreifen. Das bisherige Verhalten des Beschwerdeführers verdeutliche mehr als augenfällig, dass er offenbar nicht in der Lage oder gewillt sei, die österreichischen Rechtsvorschriften einzuhalten. Der seit der Tatbegehung verstrichene Zeitraum sei zu kurz, um daraus eine Minderung der sich aus dem Persönlichkeitsbild des Beschwerdeführers ergebenden Gefährdung der öffentlichen Interessen annehmen zu können. Die Anhaltung in Gerichtshaft könne - nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes - nicht als Zeit des Wohlverhaltens gewertet werden.

Der Beschwerdeführer sei geschieden und eigenen Angaben zufolge für drei Kinder sorgepflichtig. Er lebe mit seiner Lebensgefährtin N.A. und den drei Kindern im gemeinsamen Haushalt. Weitere familiäre Bindungen im Bundesgebiet seien nicht behauptet worden. Einer aktuellen Auskunft "der österreichischen Sozialversicherung" zufolge beziehe der Beschwerdeführer seit bis dato mit Ausnahme von insgesamt acht Wochen Arbeitslosengeld, Notstandshilfe bzw. Krankengeld. Selbst wenn sich der Beschwerdeführer - was auf Grund der Aktenlage nicht belegt sei - seit 1999 im Bundesgebiet aufhalte, könne sein Aufenthalt erst seit als rechtmäßig angesehen werden. Vor diesem Hintergrund und unter Berücksichtigung der familiären Beziehungen sei von einem mit dem Aufenthaltsverbot verbundenen Eingriff in das Privat- und Familienleben des Beschwerdeführers auszugehen. Dessen ungeachtet sei die Zulässigkeit dieser Maßnahme im Grunde des § 66 Abs. 1 FPG zu bejahen und die Erlassung des Aufenthaltsverbotes zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele - hier: zur Verhinderung weiterer strafbarer Handlungen sowie zum Schutz des Lebens und der körperlichen Integrität anderer und zur Aufrechterhaltung eines geordneten Kraftfahrwesens - als dringend geboten zu erachten.

Im Rahmen der Interessenabwägung gemäß § 66 Abs. 2 FPG sei zu berücksichtigen, dass einer allfälligen aus dem bisherigen Aufenthalt des Beschwerdeführers ableitbaren Integration insofern kein entscheidendes Gewicht zukomme, als die für jegliche Integration erforderliche soziale Komponente durch das strafbare Verhalten des Beschwerdeführers erheblich beeinträchtigt werde.

Wenn der Beschwerdeführer vorbringe, seine "Frau" (gemeint wohl: Lebensgefährtin) habe massive psychische Probleme und befinde sich seit in stationärer Behandlung in einem Wiener Krankenhaus, weshalb er gezwungen sei, sich allein um die drei Kinder im Alter von vier, fünf und sechs Jahren zu kümmern, so sei in diesem Zusammenhang nicht ersichtlich und auch nicht vorgebracht worden, weshalb es N.A. nach ihrer bereits am erfolgten Entlassung aus der stationären Behandlung nicht möglich sei, den Beschwerdeführer mit den Kindern ins Ausland zu begleiten oder ihn dort zumindest zu besuchen.

II.

Der Verwaltungsgerichtshof hat über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde nach Vorlage der Verwaltungsakten und Abgabe einer Gegenschrift durch die belangte Behörde erwogen:

Der Beschwerdeführer wendet sich nicht gegen die Annahme der belangten Behörde, infolge seiner Verurteilung sei der Tatbestand des § 60 Abs. 2 Z. 1 FPG und auf Grund der oben genannten wiederholten Bestrafungen wegen Übertretung der Straßenverkehrsordnung sei auch der Tatbestand des § 60 Abs. 2 Z. 2 FPG erfüllt. Diese Auffassung begegnet angesichts der unbestrittenen Verurteilung bzw. Bestrafungen des Beschwerdeführers keinen Bedenken.

Die Beschwerde bringt jedoch - offenbar mit Blick auf § 60 Abs. 1 FPG - vor, bei der Verurteilung des Beschwerdeführers durch das Landesgericht für Strafsachen Wien handle es sich um "die einzige Vorstrafe". Dem ist einerseits entgegenzuhalten, dass der Beschwerdeführer nach den Feststellungen zu den Tathandlungen das Verbrechen der absichtlichen schweren Körperverletzung unter besonders brutalen Umständen verwirklicht hat. Als erschwerend wurden im Urteil "die mehrfachen Schläge und Stiche sowie die Schwere der Nackenverletzung, die mit etwas weniger Glück auch zum Tod des Verletzten hätte führen können", gewertet. Andererseits hat die belangte Behörde ihre Entscheidung auch auf die zweimalige Bestrafung des Beschwerdeführers wegen Übertretung der Straßenverkehrsordnung gestützt. Das sich aus seinen Handlungen ergebende Persönlichkeitsbild wird auch durch die in der Beschwerde nicht bestrittenen insgesamt zehn rechtskräftigen Verwaltungsstrafen im Zusammenhang mit dem Lenken bzw. der Benützung eines Kraftfahrzeuges abgerundet. Das Fehlverhalten des Beschwerdeführers lag bei Erlassung des angefochtenen Bescheides noch nicht so lange zurück, um auf Grund des seither verstrichenen Zeitraumes einen Wegfall oder eine wesentliche Minderung der von ihm ausgehenden Gefahr annehmen zu können, zumal die in Haft zugebrachte Zeit - nach Ausweis der Verwaltungsakten wurde der Beschwerdeführer erst etwa sechs Monate vor Erlassung des angefochtenen Bescheides aus der Haft entlassen - bei der Beurteilung eines allfälligen Wohlverhaltens außer Betracht zu bleiben hat (vgl. dazu etwa das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2007/18/0328, mwN). Die belangte Behörde hatte das Fehlverhalten des Fremden auch eigenständig aus dem Blickwinkel des Fremdenrechts und unabhängig von den gerichtlichen Erwägungen betreffend die Gewährung einer bedingten Strafnachsicht zu beurteilen (vgl. das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2009/18/0118, mwN).

Die von der belangten Behörde auf Grund dieses Gesamt(fehl)verhaltens des Beschwerdeführers vorgenommene Gefährdungsprognose gemäß § 60 Abs. 1 FPG begegnet somit keinen Bedenken.

Im Hinblick auf die gemäß § 66 FPG durchzuführende Interessenabwägung bringt der Beschwerdeführer vor, seine Lebensgefährtin N.A. sei serbische Staatsangehörige und Mutter seiner drei Kinder im Alter von vier, fünf und sechs Jahren. Sie und die drei Kinder verfügten über gültige Aufenthaltsbewilligungen. N.A. sei schwer depressiv, sie leide unter massiven psychischen Problemen und müsse laufend schwere Medikamente einnehmen, um mit ihren Depressionen fertig zu werden. Sie befinde sich auch immer wieder in stationärer Behandlung in einem Wiener Krankenhaus. Sie sei "absolut nicht in der Lage", sich allein um die Kinder zu kümmern.

Damit wird eine Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides nicht aufgezeigt. Die familiären Bindungen des Beschwerdeführers zu seiner Lebensgefährtin und den drei Kindern hat die belangte Behörde bei ihrer Entscheidungsfindung ausreichend berücksichtigt. Weder während des Verwaltungsverfahrens noch im Rahmen der Beschwerde wurde dargelegt oder anhand medizinischer Unterlagen nachgewiesen, aus welchen Gründen N.A. nicht in der Lage sei, die gemeinsamen Kinder zu versorgen. Auf die Ausführungen im angefochtenen Bescheid, wonach keine Gründe ersichtlich bzw. vorgebracht worden seien, weshalb N.A. und die Kinder den Beschwerdeführer nicht ins Ausland begleiten oder den Kontakt zu diesem durch regelmäßige Besuche im Ausland aufrecht erhalten könnten, geht die Beschwerde mit keinem Wort ein. Es wurde auch nicht vorgebracht, dass eine medizinische Behandlung von N.A. im Herkunftsstaat des Beschwerdeführers oder jenem seiner Lebensgefährtin nicht möglich wäre. Der Beschwerdeführer ist zudem - unbestritten - nicht in den österreichischen Arbeitsmarkt integriert.

Das massive Fehlverhalten des Beschwerdeführers stellt eine gravierende Beeinträchtigung des großen öffentlichen Interesses insbesondere an der Verhinderung der Gewaltkriminalität (vgl. dazu etwa das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2011/18/0009, mwN) dar. Im Hinblick darauf ist auch die Ansicht der belangten Behörde, dass das gegen den Beschwerdeführer verhängte Aufenthaltsverbot zur Erreichung von im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Zielen dringend geboten sei und die Erlassung dieser Maßnahme gemäß § 66 Abs. 2 FPG zulässig sei, unbedenklich. Die allfällige Trennung des Beschwerdeführers von seinen Familienangehörigen ist im öffentlichen Interesse hinzunehmen.

Auf die am beim Verwaltungsgerichtshof eingelangte Stellungnahme des Anton Proksch Instituts war gemäß § 41 Abs. 1 VwGG nicht einzugehen.

Die Beschwerde erweist sich daher als unbegründet, weshalb sie gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen war.

Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. II Nr. 455/2008.

Wien, am

Fundstelle(n):
YAAAE-82096