VwGH vom 14.03.2013, 2010/22/0105
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Bernegger, die Hofräte Dr. Robl und Mag. Eder, die Hofrätin Mag. Dr. Maurer-Kober sowie den Hofrat Mag. Straßegger als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Perauer, über die Beschwerde des Ö, vertreten durch Mag. Dr. Helmut Blum, Rechtsanwalt in 4020 Linz, Mozartstraße 11, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Salzburg vom , Zl. E1/6693/2009, betreffend Erlassung eines unbefristeten Aufenthaltsverbotes, zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von EUR 57,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit dem angefochtenen, im Instanzenzug ergangenen Bescheid erließ die belangte Behörde gegen den Beschwerdeführer, einen türkischen Staatsangehörigen, ein auf § 86 Abs. 1 Fremdenpolizeigesetz 2005 - FPG gestütztes unbefristetes Aufenthaltsverbot.
Begründend führte die belangte Behörde aus, der Beschwerdeführer sei erstmals am vom Bezirksgericht S wegen des Vergehens des Diebstahls gemäß § 127 StGB zu einer Geldstrafe von 80 Tagessätzen verurteilt worden, weil er am in einem Restaurant aus der linken Außentasche einer am Sessel des Nebentisches abgelegten Jacke eine Brieftasche gestohlen, sich daraus ca. EUR 30,-- zugeeignet und die Brieftasche samt ihrem restlichen Inhalt in die Toilette hinunterzuspülen versucht habe. Am sei der Beschwerdeführer vom Landesgericht für Strafsachen Wien wegen des Verbrechens des Diebstahls durch Einbruch und der Entfremdung unbarer Zahlungsmittel gemäß §§ 127, 129 Abs. 1 und § 241e Abs. 1 StGB zu einer bedingten Freiheitsstrafe von neun Monaten verurteilt worden. Der Beschwerdeführer habe am in ein Transportmittel eingebrochen und daraus EUR 150,-- Bargeld sowie Gutscheine im Wert von EUR 50,-- gestohlen, sowie mit der bei dieser Gelegenheit entwendeten Bankomatkarte EUR 1.450,-- und mit einer auf dieselbe Art erlangten Kreditkarte EUR 400,-- bei Geldautomaten behoben. Eine weitere Verurteilung des Beschwerdeführers sei am durch das Landesgericht für Strafsachen Wien wegen der Vergehen der gefährlichen Drohung und Nötigung gemäß § 107 Abs. 1, § 15 und § 105 Abs. 1 StGB zu einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten bedingt erfolgt. Diesem Urteil liege zugrunde, dass der Beschwerdeführer am in Wien eine Frau in Furcht und Unruhe versetzt sowie zur Wiederaufnahme der Lebensgemeinschaft zu nötigen versucht habe. Am sei der Beschwerdeführer neuerlich vom Landesgericht für Strafsachen Wien wegen des Vergehens des (versuchten) Diebstahls und des Verbrechens des Diebstahls durch Einbruch gemäß §§ 15, 127 und § 129 Abs. 1 StGB zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von 11 Monaten verurteilt worden. Vom Landesgericht Salzburg sei der Beschwerdeführer am wegen des Verbrechens des Diebstahls durch Einbruch gemäß §§ 127, 129 Z. 1 StGB zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von einem Jahr unbedingt verurteilt worden, weil er anderen am einen Laptop im Wert von ca. EUR 1.500,-- und in der Nacht vom 4. auf den ein Mobiltelefon im Wert von EUR 150,--, jeweils durch Einbruch in einen Pkw weggenommen habe. Zuletzt sei der Beschwerdeführer mit Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom wegen des Verbrechens des Diebstahls durch Einbruch gemäß §§ 127, 129 Z. 1 StGB sowie wegen des Vergehens des unerlaubten Umganges mit Suchtgiften gemäß § 27 Abs. 1 und 2 SMG zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von 15 Monaten verurteilt worden. Der Beschwerdeführer habe am durch Einbruch in einen Pkw zwei Handtaschen gestohlen. Am habe sich der Beschwerdeführer, nachdem er in einem Fahrzeug eine Geldbörse im Ablagefach gesehen habe, zu einem nahegelegenen Baumarkt begeben, um sich ein brauchbares Einbruchswerkzeug zu besorgen. Dort habe der Beschwerdeführer einen Körner (Stahlstift) gestohlen, mit dem er dann einen Einbruch in den zuvor genannten Pkw verübt und daraus eine Geldbörse mit EUR 210,-- gestohlen habe. Am selben Tag habe er am Westbahnhof ausschließlich zum persönlichen Gebrauch Heroin gekauft und dieses auf einer Toilette vor Ort konsumiert.
Rechtlich führte die belangte Behörde dazu aus, ein weiterer Aufenthalt des Beschwerdeführers im Bundesgebiet gefährde aus fremdenpolizeilicher Sicht auf Grund der Vielzahl von überaus gravierenden Straftaten gegen verschiedene Rechtsgüter, vor allem gegen fremdes Eigentum und Vermögen sowie gegen das Suchtmittelgesetz, gemäß § 60 Abs. 1 FPG massiv die öffentliche Ordnung, Ruhe und Sicherheit. Der Beschwerdeführer habe durch sein fortgesetztes und unbelehrbares Fehlverhalten in Österreich gravierend gegen das öffentliche Interesse an der Verhinderung der Eigentums- und Suchtgiftkriminalität verstoßen. Eine günstige "Zukunftsprognose" könne auf Grund seines hohen Schuldgehaltes bei den festgestellten Eigentums-, Gewalt- und Suchtgiftverbrechen nicht erstellt werden. Seine noch in der Berufung geäußerte Hoffnung, "entgegen einer neuerlichen Verbüßung der Strafhaft an einem Therapieprogramm teilnehmen" zu können, habe sich nicht erfüllt, weil er sich seit im Strafvollzug befinde.
Im Rahmen der Interessenabwägung sei zu berücksichtigen, dass der Beschwerdeführer 1972 in Deutschland geboren worden sei, dort die Grund- und Hauptschule absolviert und eine Berufsausbildung zum Farbtechniker und Raumgestalter sowie eine Ausbildung zum Schweißtechniker begonnen, jedoch nicht abgeschlossen habe. Von 1994 bis 1996 habe der Beschwerdeführer den Militärdienst in der Türkei absolviert und sei dann dort geblieben, wo er selbständig erwerbstätig gewesen sei. Im Sommer 2002 habe er eine Österreicherin, die ihren Urlaub in der Türkei verbracht habe, kennengelernt und diese am geheiratet. Am sei der Beschwerdeführer nach Erteilung einer Niederlassungsbewilligung für den Aufenthaltszweck "Familiengemeinschaft" in Österreich eingereist und habe in weiterer Folge mehrere Aufenthaltstitel erhalten. Zuletzt habe der Beschwerdeführer am einen Verlängerungsantrag gestellt. Der Beschwerdeführer habe somit den Großteil seines Lebens außerhalb von Österreich, nämlich in Deutschland und in der Türkei verbracht, sei dort sozialisiert worden, gehöre der "dortigen Ethnie" an und spreche die "dortige Mehrheitssprache" auf muttersprachlichem Niveau. Er habe in Österreich keine Sorgepflichten. Seine Eltern und Verwandten lebten in der Türkei; er verfüge aber auch über familiäre Beziehungen in Deutschland.
Vom bis und vom bis sei der Beschwerdeführer lediglich tage- oder wochenweise einer meldepflichtigen Erwerbstätigkeit bei verschiedenen Arbeitgebern nachgegangen. Die längste Beschäftigung bei ein und demselben Dienstgeber habe neuneinhalb Monate gedauert. Von einer Integration am österreichischen Arbeitsmarkt könne nicht gesprochen werden.
Auf Grund der Ehe des Beschwerdeführers mit einer Österreicherin sei von einem Eingriff in sein Privat- und Familienleben auszugehen, doch sei die soziale Integration des Beschwerdeführers im Bundesgebiet keineswegs ausgeprägt. Angesichts des dargestellten gravierenden Fehlverhaltens sei ein Aufenthaltsverbot gegen den Beschwerdeführer jedenfalls zulässig und zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele, nämlich der Verhinderung von weiteren strafbaren Handlungen, dringend geboten. Das Familienleben des Beschwerdeführers könne durch Besuche seiner Ehefrau im Ausland - wenn auch eingeschränkt -
aufrecht erhalten werden. Jedenfalls sei die Trennung - ebenso wie allfällige Schwierigkeiten bei der Wiedereingliederung im Heimatland - im öffentlichen Interesse in Kauf zu nehmen.
Die verhängte Maßnahme sei auch unter Berücksichtigung der §§ 86 und 87 FPG zulässig, weil das Verhalten des Beschwerdeführers im österreichischen Bundesgebiet, verbunden mit seiner schweren Missachtung der österreichischen Rechtsordnung, eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr darstelle, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berühre.
Das Aufenthaltsverbot sei auf unbestimmte Zeit auszusprechen, weil auf Grund des Verhaltens des Beschwerdeführers derzeit nicht vorhergesehen werden könne, wann die Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit durch den Beschwerdeführer weggefallen sein werde.
Der Verwaltungsgerichtshof hat über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde nach Vorlage der Verwaltungsakten durch die belangte Behörde erwogen:
Eingangs ist festzuhalten, dass sich die Beurteilung des gegenständlichen Falles im Hinblick auf den Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides im März 2010 nach den Bestimmungen des FPG in der Fassung des BGBl. I Nr. 135/2009 richtet.
Der Beschwerdeführer macht zunächst die Unzuständigkeit der belangten Behörde geltend und bringt dazu vor, nach seiner Geburt in Deutschland als Kleinkind in die Türkei gekommen zu sein, wo er bei seiner Großmutter gelebt habe. Im Alter von fünf Jahren sei er im Wege der Familienzusammenführung nach Deutschland zurückgekehrt und habe dort bis zu seinem 22. Lebensjahr gelebt. Das dadurch begründete "assoziationsrechtliche Aufenthaltsrecht" sei durch die Erfüllung seiner Wehrpflicht in der Türkei nicht verloren gegangen. Er sei dann auch - nach Eheschließung mit einer österreichischen Staatsbürgerin - im Wege der Familienzusammenführung in das Bundesgebiet eingereist und teilweise einer geregelten legalen Beschäftigung nachgegangen, weshalb er die Voraussetzungen der Art. 6 und Art. 7 des Beschlusses Nr. 1/80 des Assoziationsrates EWG-Türkei über die Entwicklung der Assoziation vom (im Folgenden: ARB 1/80) erfülle. Über seine Berufung hätte daher nicht die Sicherheitsdirektion für das Bundesland Salzburg entscheiden dürfen, vielmehr wäre der Unabhängige Verwaltungssenat Salzburg zuständig gewesen.
Dem ist entgegenzuhalten, dass einer Anwendung des Art. 6 ARB 1/80 die unbestrittene Feststellung im angefochtenen Bescheid entgegensteht, wonach die längste Beschäftigung des Beschwerdeführers bei ein und demselben Dienstgeber nur neuneinhalb Monate gedauert habe. Ein nach Art. 6 Abs. 1 erster Spiegelstrich ARB 1/80 begründetes Beschäftigungs- und in weiterer Folge daraus abgeleitetes Aufenthaltsrecht türkischer Arbeitnehmer wird jedoch erst nach mindestens einem Jahr ordnungsgemäßer Beschäftigung bei dem gleichen Arbeitgeber begründet (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2007/18/0908, mwN).
Nach einer (allenfalls bewilligten) Familienzusammenführung in Deutschland könnte der Beschwerdeführer gemäß Art. 7 Abs. 1 erster Spiegelstrich ARB 1/80 nach drei Jahren ordnungsgemäßen gemeinsamen Wohnsitz mit einem türkischen Arbeitnehmer Rechte aus dieser Bestimmung in Anspruch nehmen, was allerdings noch kein Beschäftigungs- und Aufenthaltsrecht in Österreich begründet. Nach dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) vom , C-351/95 (Rs. Kadiman, Rn 30) genießen die türkischen Staatsangehörigen nach dem ARB 1/80 keine Freizügigkeit innerhalb der Gemeinschaft, sondern besitzen nur bestimmte Rechte in dem Aufnahmemitgliedstaat, in dessen Hoheitsgebiet sie rechtmäßig eingereist sind und in dem sie eine bestimmte Zeit lang eine ordnungsgemäße Beschäftigung ausgeübt haben oder in dem sie, wenn es sich um Familienangehörige eines türkischen Arbeitnehmers handelt, die Genehmigung erhalten haben, zu dem Arbeitnehmer zu ziehen, und während des in Artikel 7 Satz 1 erster und zweiter Spiegelstrich vorgesehenen Zeitraums ihren ordnungsgemäßen Wohnsitz hatten. Demnach besteht das aus dieser Bestimmung abgeleitete Beschäftigungs- und Aufenthaltsrecht des Familienangehörigen auch nur im Aufnahmemitgliedstaat.
Die vom Beschwerdeführer schließlich noch angesprochene Familienzusammenführung in Österreich erfolgte zu seiner hier lebenden Ehefrau, welche die österreichische Staatsbürgerschaft besitzt und auch schon im Zeitpunkt des Familiennachzuges besessen hat. Art. 7 Satz 1 ARB 1/80, der den Nachzug von Familienangehörigen eines türkischen Arbeitnehmers regelt, kommt daher nicht zur Anwendung (vgl. das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2012/18/0061, mwN).
Da dem Beschwerdeführer Rechte aus dem ARB 1/80 nicht zustanden (und seine österreichische Ehefrau das ihr zustehende Unionsrecht auf Freizügigkeit nicht in Anspruch genommen hat), war die belangte Behörde nach § 9 Abs. 1 Z. 2 FPG zur Entscheidung über die Berufung zuständig.
Der von der belangten Behörde vorgenommenen Gefährdungsprognose hält der Beschwerdeführer entgegen, die strafgerichtlichen Verurteilungen seien nicht so gewichtig, dass die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes erforderlich sei. Er arbeite intensiv daran, die Hauptursache für seine strafrechtliche Delinquenz, seine Suchtgiftabhängigkeit, zu beseitigen.
Vor dem Hintergrund der behördlichen Feststellungen, wonach dem Beschwerdeführer wiederholtes Fehlverhalten trotz strafrechtlicher Verurteilungen in erheblichem Ausmaß anzulasten ist, und er im Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides noch in Strafhaft war und somit ein relevantes Wohlverhalten nicht nachzuweisen vermag, begegnet die Ansicht der belangten Behörde, vom Beschwerdeführer gehe eine maßgebliche Gefahr im Sinne des § 86 Abs. 1 FPG aus, keinem Einwand.
Für die Beurteilung nach § 66 FPG macht der Beschwerdeführer geltend, er spreche fließend Deutsch und habe seine gesamten Schuljahre im deutschsprachigen Raum absolviert. Auch wenn er nicht durchgehend gearbeitet habe, so habe er sich weitgehend um die Haushaltsführung gekümmert bzw. seine Ehefrau im Haushalt unterstützt. Sie besuche ihn auch regelmäßig in der Justizanstalt, doch sei ihr eine Übersiedlung in die Türkei weder möglich noch zumutbar. Darüber hinaus würde der Beschwerdeführer auch von seiner Schwiegermutter getrennt. Seine Ehefrau habe schon durch die Androhung der Abschiebung mit psychischen Problemen zu kämpfen.
Dem ist entgegenzuhalten, dass auch eine Bedachtnahme auf die Deutschkenntnisse des Beschwerdeführers keinen entscheidungswesentlichen Einfluss auf das Ergebnis der Interessenabwägung haben kann. Auf Grund der vom Beschwerdeführer ausgehenden Gefahr hat er die Trennung von seiner in Österreich lebenden Ehefrau und seiner Schwiegermutter im öffentlichen Interesse in Kauf zu nehmen.
Der Beschwerdeführer wendet sich auch gegen die unbefristete Dauer des Aufenthaltsverbotes. Wenn er in dem Zusammenhang verharmlosend auf nicht gravierende Verurteilungen hinweist, vermag er damit nicht aufzuzeigen, welche Gründe die belangte Behörde dazu hätten veranlassen müssen, davon auszugehen, dass die vom Beschwerdeführer herrührende Gefahr als weggefallen anzusehen sei.
Angesichts dieses Ergebnisses ist der belangten Behörde ein relevanter Begründungsmangel nicht anzulasten. Die weitere Mängelrüge lässt eine Darstellung jenes Sachverhaltes vermissen, der nach Auffassung des Beschwerdeführers zusätzlich festzustellen gewesen wäre.
Da somit die behauptete Rechtsverletzung nicht vorliegt, war die Beschwerde gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.
Wien, am
Fundstelle(n):
JAAAE-82088