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VwGH vom 26.02.2013, 2010/22/0104

VwGH vom 26.02.2013, 2010/22/0104

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Bernegger, die Hofräte Dr. Robl und Mag. Eder, die Hofrätin Mag. Dr. Maurer-Kober und den Hofrat Dr. Mayr als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Perauer, über die Beschwerde des S, vertreten durch Mag. Alexander Scheer, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Wollzeile 29, gegen den Bescheid der Bundesministerin für Inneres vom , Zl. 113.785/27- III/4/09, betreffend Daueraufenthaltskarte, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Begründung

Mit dem angefochtenen, im Instanzenzug ergangenen Bescheid wies die belangte Behörde den am eingebrachten Antrag des Beschwerdeführers, eines nigerianischen Staatsangehörigen, auf Ausstellung einer Daueraufenthaltskarte gemäß § 54 iVm § 57 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG) ab.

Begründend führte die belangte Behörde im Wesentlichen aus, der Beschwerdeführer sei am illegal eingereist und habe am einen Asylantrag gestellt, der in zweiter Instanz mit Bescheid vom "gemäß §§ 7 und 8 AsylG rechtskräftig negativ entschieden" worden sei. Am habe er die österreichische Staatsbürgerin DF in Wien geheiratet. Am habe er einen Erstantrag auf Erteilung einer Niederlassungsbewilligung gestellt, welcher im Instanzenzug mit Bescheid "des Bundesministeriums" für Inneres vom gemäß § 21 Abs. 1 NAG abgewiesen worden sei. Der dagegen erhobenen Beschwerde wurde nach Ablehnung ihrer Behandlung und Abtretung durch den Verfassungsgerichtshof an den Verwaltungsgerichtshof durch diesen stattgegeben und der angefochtene Bescheid mit hg. Erkenntnis vom , Zl. 2008/22/0743, wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Parallel zur (damals noch) anhängigen Beschwerde beim Höchstgericht habe der Beschwerdeführer - so die belangte Behörde weiter - im Rahmen der Familienzusammenführung mit seiner Ehefrau erstmals die Erteilung einer Daueraufenthaltskarte beantragt. Es werde somit berücksichtigt, ob aufgrund einer echten und tatsächlichen Ausübung des Freizügigkeitsrechtes in einem anderen Mitgliedstaat durch den Österreicher gemäß § 54 Abs. 1 NAG ein sogenannter "Freizügigkeitssachverhalt" im Sinn der "Unionsbürgerrichtlinie" und der §§ 52 ff NAG vorliege und diese Bestimmungen daher gemäß § 57 NAG auf den Angehörigen eines solchen Österreichers anzuwenden seien.

Laut Melderegister sei der Beschwerdeführer seit durchgehend mit Hauptwohnsitz in Österreich, zuletzt seit an einer näher genannten Adresse in Wien, amtlich gemeldet. Laut "aktuellem Hauptverband" weise er in der Zeit von bis Versicherungszeiten als Asylwerber bei der Gebietskrankenkasse Wien auf. Im Zeitabschnitt von bis würden abwechselnd nahezu monatlich mehrere kurzfristige Beschäftigungsverhältnisse als Arbeiter bei verschiedenen Dienstgebern, anschließend von bis keine Versicherungszeiten und zuletzt durchgehend seit ein Beschäftigungsverhältnis als Arbeiter aufscheinen. Seine Ehegattin sei seit durchgehend mit Hauptwohnsitz in Österreich an der gleichen Adresse wie der Beschwerdeführer in Wien amtlich gemeldet und weise "laut aktuellem Hauptverband" im Zeitraum von bis nahezu durchgehend den Bezug von Notstandshilfe/Überbrückungshilfe auf, unterbrochen im April 2008 durch ein 14tägiges Beschäftigungsverhältnis als geringfügig beschäftigte Arbeiterin. Seit "03. bzw. " würden wieder Beschäftigungsverhältnisse als mehrfach geringfügig beschäftigte Arbeiterin bzw. ein durchgehendes Beschäftigungsverhältnis als Arbeiterin in Wien aufscheinen.

Im Zuge der Antragstellung habe der Beschwerdeführer eine am für ihn ausgestellte "spanische Niederlassungsbewilligung" und eine am auf seine Ehegattin ausgestellte spanische Anmeldebescheinigung vorgelegt, ferner Meldezettel mit dem Anmeldedatum betreffend ihn und seine Ehefrau, ausgestellt von der Stadtverwaltung Leganes.

Art. 7 der Richtlinie 2004/38/EG (im Folgenden: RL) garantiere Unionsbürgern und ihren Familienangehörigen unter bestimmten Voraussetzungen das Recht, sich für einen Zeitraum von über drei Monaten im Hoheitsgebiet frei zu bewegen und aufzuhalten. Zur Stellungnahme über Dauer, Art und Umfang seines Aufenthalts bzw. jenen seiner Frau in Spanien aufgefordert, habe der Beschwerdeführer (nach der Aktenlage aber: seine Ehefrau) in einem Schreiben vom bestätigt, dass er nach Spanien gereist wäre, um eine Niederlassungsbewilligung zu bekommen, weil sein früherer Antrag auf Familienzusammenführung nach dem NAG abgewiesen worden wäre. Zu diesem Zweck hätte er am ohne Mietvertrag eine Wohnung für drei Monate in Spanien gemietet, um sich bei der Meldebehörde anmelden zu können. Einer Arbeit wären er und seine Ehegattin nicht nachgegangen. Nach Erhalt der spanischen Niederlassungsbewilligung und der spanischen Anmeldebescheinigung wäre er wieder nach Österreich zurückgekehrt, wo seine Ehegattin im Mai 2008 wieder ein Beschäftigungsverhältnis aufgenommen hätte. Seine Ehefrau habe - so die belangte Behörde weiter - auch in einer niederschriftlichen Einvernahme durch die erstinstanzliche Aufenthaltsbehörde am angegeben, sie wäre in der Zeit von Februar bis Mai 2008 nicht ständig in Spanien aufhältig gewesen, weil der Beschwerdeführer in Wien verblieben wäre. Sie sei immer wieder von Österreich nach Spanien gefahren, um dem Beschwerdeführer einen Aufenthaltstitel zu verschaffen. Während dieser Zeit sei sie in Österreich arbeitslos gewesen und habe Arbeitslosengeld bezogen. Dieses Geld habe sie bereits wieder zurückgezahlt. In Spanien habe seine Ehefrau nicht gearbeitet.

Im Zuge einer niederschriftlichen Befragung am durch das AMS Wien habe die Ehefrau des Beschwerdeführers angegeben, sie wäre am nach Spanien geflogen und am nächsten Tag zurückgekehrt. Ihre weiteren Aufenthalte in Spanien im Zeitraum von bis , bis , bis , bis , bis und bis hätte sie "per Zug und per Auto absolviert".

Für die belangte Behörde stehe damit fest, dass keine echte und tatsächliche Ausübung des Freizügigkeitsrechts durch seine Ehefrau vorliege, weil ihr Umzug nach Spanien erfolgt sei, nachdem der Beschwerdeführer erfolglos versucht hätte, ein Aufenthaltsrecht nach den innerstaatlichen Bestimmungen zu erlangen, und die Umstände der Aufenthaltsbegründung (Anmieten einer Wohnung für drei Monate ohne Mietvertrag), der tatsächliche und effektive Aufenthalt (lediglich kurze mehrtägige Spanienreisen, hauptsächlicher Verbleib in Österreich) und die Umstände, unter denen seine Ehefrau zurückgekehrt sei (nach "Innehabung der Spanischen Aufenthaltstitel") der Verwirklichung eines "zurechenbaren und qualifizierten 'Freizügigkeitssachverhalt(s)' im Sinne der Unionsbürger-RL" entgegenstünden.

Es stehe daher fest, dass der Beschwerdeführer nicht dargetan habe, dass seine Ehegattin das Recht auf die gemeinschaftsrechtliche Freizügigkeit in Anspruch genommen habe; auch sonst sei weder der Berufung noch dem bekämpften Bescheid noch dem Akteninhalt ein Anhaltspunkt für die Inanspruchnahme dieses Rechts zu entnehmen. Darüber hinaus stünden einer korrekten Ausübung der Freizügigkeit durch die Ehefrau des Beschwerdeführers ihre durchgehenden Versicherungszeiten vom bis und eine seit durchgehende Hauptwohnsitzmeldung in Österreich entgegen. Der Beschwerdeführer sei somit die Ehe mit einer "nicht freizügigkeitsberechtigten" Unionsbürgerin eingegangen und falle daher nicht unter § 54 NAG. Die Ehe mit einer EWR-Bürgerin allein stelle noch kein Aufenthaltsrecht nach dem NAG dar.

Der Verwaltungsgerichtshof hat über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde nach Aktenvorlage und Erstattung einer Gegenschrift durch die belangte Behörde erwogen:

Angesichts der Zustellung des angefochtenen Bescheides am ist der Beschwerdefall nach dem NAG in der Fassung BGBl. I Nr. 135/2009 zu beurteilen.

Die Beschwerde wendet sich im Ergebnis vornehmlich gegen die Annahme der belangten Behörde, die Ehefrau des Beschwerdeführers habe ihr unionsrechtliches Recht auf Freizügigkeit schon deshalb nicht in Anspruch genommen, weil sie sich nicht durchgehend länger als drei Monate in Spanien aufgehalten habe bzw. dort kein Beschäftigungsverhältnis eingegangen wäre.

Die Ehefrau des Beschwerdeführers hat nach der Aktenlage mehrfach, so in ihrer Stellungnahme an die erstinstanzliche Aufenthaltsbehörde vom sowie in ihrer niederschriftlichen Einvernahme durch die Aufenthaltsbehörde am , angegeben, sie habe in Spanien Arbeit gesucht. In der Berufung wurde erneut vorgebracht, die Ehefrau des Beschwerdeführers habe in Spanien einen Arbeitsplatz gesucht, was ihr aber aufgrund der dort vorherrschenden Rezession nicht gelungen sei. Zur Ausübung des Freizügigkeitsrechts nach Art. 7 RL sei eine (tatsächliche) Erwerbstätigkeit aber nicht erforderlich.

Mit dem Beschwerdehinweis auf dieses Vorbringen zeigt der Beschwerdeführer eine Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides auf.

Der Verwaltungsgerichtshof hat im Erkenntnis vom , Zl. 2010/22/0011, auf dessen Entscheidungsgründe gemäß § 43 Abs. 2 zweiter Satz VwGG verwiesen wird, ausführlich dargelegt, dass auch Angehörige eines Mitgliedstaates, die in einem anderen Mitgliedstaat eine Beschäftigung suchen, in den Anwendungsbereich von Art. 39 EG (nunmehr Art. 45 AEUV) fallen, solange der Begünstigte ernsthaft im Aufnahmestaat einen Arbeitsplatz sucht, sich nachhaltig um eine Arbeitsstelle bemüht und sein Bemühen objektiv nicht aussichtslos ist (vgl. dazu auch das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2010/22/0035). Ausgehend von der verfehlten Rechtsansicht, dass eine Beschäftigung über einen Zeitraum von mehr als drei Monaten tatsächlich ausgeübt werden müsse, um von einer Inanspruchnahme der unionsrechtlichen Freizügigkeit sprechen zu können, hat es die belangte Behörde unterlassen, zum Vorbringen des Beschwerdeführers bzw. seiner Ehefrau, wonach diese in Spanien auf Arbeitssuche gewesen wäre, konkrete Feststellungen zu treffen und dazu nähere Erhebungen zu pflegen. Hinzu kommt im vorliegenden Fall auch, dass die von der Ehefrau abgegebene Stellungnahme vom in ganz schlechtem Deutsch erfolgte, was bei der Beweiswürdigung entsprechende Berücksichtigung finden müsste. Auch bei der Einvernahme der Ehefrau vom kann sie kein viel besseres Deutsch verwendet haben. Dies kommt in der Wiedergabe des Protokolls in keiner Weise zum Ausdruck. In einem solchen Fall wäre es auch zielführend, die Einvernahme mit einem Dolmetscher durchzuführen.

Die belangte Behörde hat vor diesem Hintergrund fallbezogen nicht ausreichend begründet, dass die Ehefrau des Beschwerdeführers nicht tatsächlich eine effektive Inanspruchnahme der Freizügigkeit in Spanien beabsichtigt oder vorgenommen hätte. Der bloße Hinweis auf teilweise durchgehende Beschäftigungs- und Meldezeiten in Österreich, sowie auf die vertragslose Anmietung einer Wohnung in Spanien erweist sich jedenfalls nicht als nachvollziehbare und tragfähige Begründung für die Annahme eines missbräuchlichen Verhaltens. Soweit die belangte Behörde schließlich darin ein Indiz für eine nicht effektive Inanspruchnahme der Freizügigkeit erkennen möchte, dass die Ehefrau des Beschwerdeführers nach Ausstellung der genannten spanischen Dokumente wieder nach Österreich zurückgekehrt ist, übersieht sie, dass der Beschwerdeführer dazu in der Berufung vorgebracht hat, die Rückkehr sei deshalb erfolgt, weil sich für seine Ehefrau zu diesem Zeitpunkt in Österreich eine feste Beschäftigungsmöglichkeit aufgetan hätte.

Zur Klarstellung sei angemerkt, dass die Beschwerde nicht im Recht ist, soweit sie für die Inanspruchnahme der Freizügigkeit bereits die Ausstellung der genannten spanischen Dokumente für ausreichend erachtet und diesen Dokumenten nicht bloß Indiz-, sondern eine Bindungswirkung zukommen lassen möchte (vgl. dazu ausführlich die bereits angeführten hg. Erkenntnisse vom sowie vom , auf deren Entscheidungsgründe insoweit gemäß § 43 Abs. 2 zweiter Satz VwGG verwiesen wird).

Wenn die Beschwerde ferner die Meinung vertritt, dass weder Art. 7 RL noch § 57 NAG eine Mindestaufenthaltsdauer normieren, ab der von der korrekten Ausübung des Freizügigkeitsrechts gesprochen werden könne, genügt es ebenfalls auf die ausführliche Begründung des bereits zitierten Erkenntnisses zur Zl. 2010/22/0011 zu verweisen, der zufolge nicht jede auch noch so geringfügige Ausübung des Freizügigkeitsrechts im Rahmen des § 57 NAG Relevanz entfalten kann, sondern die österreichische Ankerperson vielmehr effektiv und tatsächlich, somit mit einer gewissen Nachhaltigkeit von ihrer Freizügigkeit Gebrauch gemacht haben muss (vgl. dazu ausführlich das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2009/21/0386, und insbesondere die Ausführungen unter Pkt. 3.3).

Letztlich gleicht der Beschwerdefall vor dem Hintergrund der Ausführungen des Gerichtshofes der Europäischen Union (EuGH) im Urteil vom , C-256/11, "Dereci u.a.", darin, dass die belangte Behörde in Verkennung der durch den EuGH nunmehr klargestellten Rechtslage nicht anhand des unionsrechtlich vorgegebenen Maßstabes geprüft hat, ob der vorliegende Fall einen solchen Ausnahmefall, wonach es das Unionsrecht gebietet, dem Drittstaatsangehörigen den Aufenthalt zu gewähren, darstellt, jenem Fall, der dem hg. Erkenntnis vom , Zl. 2011/22/0309, zu Grunde lag. Gemäß § 43 Abs. 2 zweiter Satz VwGG wird sohin insoweit auch auf die Entscheidungsgründe dieses Erkenntnisses verwiesen.

Nach dem Gesagten war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen vorrangig wahrzunehmender inhaltlicher Rechtswidrigkeit aufzuheben.

Von der beantragten Durchführung einer Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 4 und 6 VwGG Abstand genommen werden.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.

Wien, am