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VwGH vom 01.07.2020, Ra 2019/08/0149

VwGH vom 01.07.2020, Ra 2019/08/0149

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Bachler sowie die Hofräte Dr. Strohmayer und Mag. Stickler als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Klima, LL.M., über die Revisionen 1. des Mag. J M und 2. der Mag. U H, beide in G, beide vertreten durch Dr. Bernd Illichmann, Dr. Andreas Pfeiffer, Mag. Dr. Ferdinand Bachinger und Mag. Andreas Hertl, Rechtsanwälte in 5020 Salzburg, Eberhard-Fugger-Straße 5, gegen die Erkenntnisse des Bundesverwaltungsgerichts vom , L503 2222587-1/2E, betreffend Pflichtversicherung nach dem ASVG und dem AlVG und vom , L503 2004736-1/7E, betreffend Nachverrechnung von Beiträgen nach dem ASVG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht jeweils: Salzburger Gebietskrankenkasse, nunmehr Österreichische Gesundheitskasse; mitbeteiligte Parteien: 1. S A in W, und 64 weitere; weitere Parteien: Bundesminister für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz, Bundesministerin für Arbeit, Familie und Jugend), zu Recht erkannt:

Spruch

Die angefochtenen Erkenntnisse werden wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Die Österreichische Gesundheitskasse hat den revisionswerbenden Parteien Aufwendungen in der Höhe von € 2.212,80 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

1Mit Bescheid vom sprach die Salzburger Gebietskrankenkasse (SGKK) aus, dass die Mitbeteiligten aufgrund ihrer Tätigkeiten für die revisionswerbenden Parteien in näher bezeichneten Zeiträumen in den Jahren 2007 bis 2011 gemäß § 4 Abs. 1 Z 1 iVm. Abs. 2 ASVG und § 1 Abs. 1 lit. a AlVG der Pflichtversicherung in der Kranken-, Unfall- und Pensionsversicherung sowie der Arbeitslosenversicherungspflicht bzw. der Teilversicherungspflicht in der Unfallversicherung gemäß § 4 Abs. 1 Z 1 iVm. Abs. 2 und § 5 Abs. 1 Z 2 iVm. § 7 Z 3 lit. a ASVG unterlegen seien.

2Begründend führte die SGKK aus, von den revisionswerbenden Parteien sei eine Snowboardschule mit mehreren Standorten betrieben worden, in der zwei Mitbeteiligte als „Store-Manager“ und die übrigen Mitbeteiligten als Snowboardlehrer tätig gewesen seien. In Hinblick auf die näher festgestellten Umstände der Tätigkeiten ergebe sich, dass die Merkmale von Beschäftigungsverhältnissen nach § 4 Abs. 2 ASVG vorgelegen seien.

3Mit weiterem Bescheid vom verpflichtete die SGKK die revisionswerbenden Parteien, Beiträge zur Sozialversicherung samt Verzugszinsen in der Höhe von insgesamt € 33.782,49 nachzuentrichten. Die Höhe der Beiträge gründe sich auf die näher aufgeschlüsselte Beitragsvorschreibung vom unter Gegenverrechnung der für die als freie Dienstnehmer gemeldeten Snowboardlehrer geleisteten Beiträge.

4Gegen diese Bescheide erhoben die revisionswerbenden Parteien - mit Ablauf des als Beschwerden zu behandelnde - Einsprüche. Sie beantragten jeweils die Durchführung einer mündlichen Verhandlung und die Einvernahme von Zeugen und brachten vor, entgegen den Annahmen der SGKK seien die Merkmale von Beschäftigungsverhältnissen nicht vorgelegen. Die Mitbeteiligten seien bei ihrer Tätigkeit insbesondere nicht an Arbeitszeiten oder Arbeitsorte gebunden und hinsichtlich des persönlichen Verhaltens bei der Verrichtung ihrer Arbeiten keinen Weisungen oder Kontrollen unterworfen gewesen. Bei den von ihnen übernommenen einzelnen Kursen hätten sich die Snowboardlehrer nach eigenem Gutdünken von jeder qualifizierten Person vertreten lassen können. Die Snowboardlehrer seien daher - entsprechend ihrer Anmeldung - freie Dienstnehmer gewesen. Die beiden als „Store-Manager“ tätigen Mitbeteiligten, die ihre Tätigkeit gänzlich unabhängig und auf eigene Rechnung verrichtet hätten, seien Selbstständige gewesen. Auch die Berechnung der Höhe der Beiträge sei unrichtig. Insbesondere habe die SGKK der Bemessung der Beiträge zu Unrecht zugrunde gelegt, dass die Mitbeteiligten „geprüfte Snowboardlehrer“ gewesen seien, obwohl es sich um Berufsanwärter gehandelt habe. Auch stünden Sonderzahlungen nach dem anzuwendenden Kollektivvertrag erst nach einer Beschäftigung von 52 Kalendertagen in der Saison zu; dieses Ausmaß einer Tätigkeit sei von den Snowboardlehrern nicht erreicht worden.

5Mit dem angefochtenem Erkenntnis vom wies das Bundesverwaltungsgericht die Beschwerde der revisionswerbenden Parteien betreffend die Feststellung der Pflichtversicherung der Mitbeteiligten nach dem ASVG als unbegründet ab. Mit dem angefochtenen Erkenntnis vom gab das Bundesverwaltungsgericht der Beschwerde der revisionswerbenden Parteien hinsichtlich der Beitragsnachverrechnung teilweise Folge und sprach aus, dass die revisionswerbenden Parteien zur Nachentrichtung von Sozialversicherungsbeiträgen in der Höhe von insgesamt € 33.086,85 an die SGKK verpflichtet seien. Revisionen erklärte das Bundesverwaltungsgericht jeweils für nicht zulässig.

6Das Bundesverwaltungsgericht traf Feststellungen zur Tätigkeit der Mitbeteiligten für die revisionswerbenden Parteien, die es beweiswürdigend auf den Akteninhalt gründete. Daraus folgerte es in rechtlicher Hinsicht, dass die Merkmale von Beschäftigungsverhältnissen nach § 4 Abs. 2 ASVG vorgelegen seien. Hinsichtlich der Beitragsnachverrechnung sei von den Mitbeteiligten zu Recht eingewandt worden, dass einzelnen Snowboardlehrern keine Sonderzahlungen zugestanden seien, sodass die Höhe der Beiträge insofern zu korrigieren sei. Im Übrigen seien die Einwände jedoch nicht berechtigt. Eine mündliche Verhandlung habe entfallen können, weil aufgrund des Akteninhaltes der maßgebliche Sachverhalt feststehe.

7Gegen diese Erkenntnisse richten sich die außerordentlichen Revisionen, die der Verwaltungsgerichtshof wegen ihres sachlichen und persönlichen Zusammenhangs zur gemeinsamen Entscheidung verbunden hat. In ihren Revisionsbeantwortungen beantragte die SGKK, die Revisionen zurückzuweisen, in eventu abzuweisen. Die Mitbeteiligten erstatteten keine Revisionsbeantwortungen.

8Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

9Zur Zulässigkeit der Revisionen machen die revisionswerbenden Parteien jeweils geltend, von ihnen seien die wesentlichen Tatsachenannahmen der SGKK, die das Bundesverwaltungsgericht nunmehr auch seiner Entscheidung zu Grunde gelegt habe, bestritten und die Einvernahme von Zeugen sowie ausdrücklich die Durchführung einer mündlichen Verhandlung beantragt worden. Indem das Bundesverwaltungsgericht keine Verhandlung durchgeführt habe, sei es daher von näher genannter Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abgewichen.

10Die Revisionen sind aus dem genannten Grund zulässig und berechtigt.

11Die revisionswerbenden Parteien haben die Durchführung mündlicher Verhandlungen beantragt. Nach § 24 Abs. 4 VwGVG durfte das Verwaltungsgericht von der Verhandlung daher nur dann absehen, wenn die Akten erkennen hätten lassen, dass durch die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht zu erwarten war, und einem Entfall der Verhandlung weder Art. 6 Abs. 1 EMRK noch Art. 47 GRC entgegenstanden.

12Es gibt im vorliegenden Fall, in dem „civil rights“ zu beurteilen sind und die revisionswerbenden Parteien die Annahmen, die der Beurteilung einer Beschäftigung der Mitbeteiligten in persönliche Abhängigkeit im Sinn des § 4 Abs. 2 ASVG und der Festlegung der Höhe der Beitragsnachverrechnung zu Grunde gelegt worden sind, konkret bestritten haben, keinen Hinweis darauf, dass von vornherein angenommen werden könnte, die Durchführung der beantragten mündlichen Verhandlungen werde nichts zur Klärung der Rechtssache beitragen. Es gehört gerade im Fall zu klärender bzw. widersprechender prozessrelevanter Behauptungen nämlich zu den grundlegenden Pflichten des Verwaltungsgerichtes, dem auch im § 25 VwGVG verankerten Unmittelbarkeitsprinzip Rechnung zu tragen, um sich als Gericht einen persönlichen Eindruck von der Glaubwürdigkeit von Zeugen bzw. Parteien zu verschaffen und insbesondere darauf seine Beweiswürdigung zu gründen. Ist eine Verhandlung nach Art. 6 EMRK geboten, dann ist eine Prüfung der Relevanz des Verfahrensmangels der Unterlassung einer solchen Verhandlung nicht durchzuführen (vgl. , mwN).

13Da die Unterlassung der Durchführung mündlicher Verhandlungen auf einer Verkennung der Vorgaben des § 24 VwGVG beruhte, waren die angefochtene Erkenntnisse wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. c VwGG aufzuheben.

14Die Kostenentscheidung gründet sich auf die § 47 ff VwGG iVm. der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014. Zuzuerkennen war der von den revisionswerbenden Parteien begehrte Ersatz des Aufwandes für die Einbringung der beiden Revisionen. Der beantragte Ersatz der Eingabengebühr war wegen der sachlichen Abgabenfreiheit (vgl. § 110 ASVG) nicht zuzusprechen.

Wien, am

Zusatzinformationen


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ECLI:
ECLI:AT:VWGH:2020:RA2019080149.L00

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