VwGH vom 16.02.2012, 2008/18/0755
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Pallitsch, den Hofrat Mag. Eder, die Hofrätinnen Mag. Merl und Mag. Dr. Maurer-Kober sowie den Hofrat Mag. Straßegger als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Krawarik, über die Beschwerde des DD in W, vertreten durch Mag. Franz Karl Juraczka, Rechtsanwalt in 1090 Wien, Alser Straße 32/15, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom , Zl. E1/225487/2008, betreffend Erlassung eines unbefristeten Aufenthaltsverbotes, zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von EUR 610,60 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
I.
Mit dem angefochtenen, im Instanzenzug ergangenen Bescheid erließ die belangte Behörde gegen den Beschwerdeführer, einen serbischen Staatsangehörigen, ein auf § 60 Abs. 1 und Abs. 2 Z 1 FPG gestütztes unbefristetes Aufenthaltsverbot.
In ihrer Begründung führte die belangte Behörde aus, der Beschwerdeführer lebe seit dem elften Lebensjahr ständig in Österreich und verfüge über einen unbefristet gültigen Aufenthaltstitel. Nach seinem Vorbringen hätte er bis einschließlich dem Jahr 2006 über Beschäftigungsverhältnisse verfügt. Dem vorliegenden Versicherungsdatenauszug zufolge habe er allerdings in der Zeit von 2002 bis insgesamt nur für neun Monate "in gemeldeten Arbeitsverhältnissen" gestanden. In Österreich lebten seine Stiefmutter und eine Schwester. In seinem Heimatland habe "er angeblich keine Familienangehörigen mehr".
Am sei der Beschwerdeführer wegen des Verbrechens des Einbruchsdiebstahls sowie der Vergehen der Körperverletzung und der Gefährdung der körperlichen Sicherheit zu einer bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe von einem Jahr rechtskräftig verurteilt worden. Dem sei zugrunde gelegen, dass er am die Geldlade eines Spielautomaten gewaltsam geöffnet und einen Bargeldbetrag von EUR 180,-- gestohlen habe. Im Jänner 2002 habe er einer Frau etwa EUR 171,-- gestohlen, weiters habe er am eine andere Frau durch einen Faustschlag im Gesicht vorsätzlich verletzt sowie am einen Mann durch Faustschläge und Fußtritte im Gesicht und am Körper verletzt. Am habe sich der Beschwerdeführer in der T in W als Lenker eines PKW, ohne über eine Lenkberechtigung zu verfügen und in alkoholisiertem Zustand, an einem "Autorennen" beteiligt und dadurch fahrlässig andere Verkehrsteilnehmer gefährdet.
Am habe das Landesgerichts für Strafsachen Wien den Beschwerdeführer wegen der Verbrechen des Raubes und des gewerbsmäßigen Einbruchsdiebstahles rechtskräftig zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt, wobei es sich um eine Zusatzstrafe zur zuvor genannten Verurteilung gehandelt habe. Diesem Urteil sei zugrunde gelegen, dass der Beschwerdeführer am in W maskiert und mit einem einer Pistole täuschend ähnlich aussehenden Feuerzeug einen Mann beraubt habe, wobei die erbeutete Geldsumme EUR 2.910,-- betragen habe. Am und am sei er gemeinsam mit anderen Tätern in einen Lagerplatz in W eingebrochen und habe Kupferkabel im Wert von über EUR 1.000,-- gestohlen. Schließlich habe er sich am mit einem widerrechtlich erlangten Schlüssel Zutritt in ein Lokal verschafft, dort die Geldladen von Spielautomaten aufgebrochen und auf diese Weise EUR 120,-- erbeutet.
In ihrer rechtlichen Beurteilung führte die belangte Behörde aus, bei der Erstellung der für jedes Aufenthaltsverbot zu treffenden Gefährlichkeitsprognose sei das Gesamtverhalten des Fremden in Betracht zu ziehen und auf Grund konkreter Feststellungen eine Beurteilung dahin vorzunehmen, ob und im Hinblick auf welche Umstände die Annahme gerechtfertigt sei, vom Beschwerdeführer gehe eine maßgebliche Gefahr aus. Im vorliegenden Fall könne kein Zweifel bestehen, dass die Voraussetzungen zur Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gegen den Beschwerdeführer vorlägen. Das den Verurteilungen zugrunde liegende Verhalten lasse die Annahme als gerechtfertigt erscheinen, dass der weitere Aufenthalt des Beschwerdeführers im Bundesgebiet die öffentliche Ordnung, Ruhe und Sicherheit gefährde und überdies anderen im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten öffentlichen Interessen, vor allem dem Schutz der körperlichen Integrität anderer, der Verteidigung der Ordnung und des Eigentums anderer sowie der Verhinderung von strafbaren Handlungen, zuwiderlaufe. Sein persönliches Verhalten stelle sogar unzweifelhaft eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr dar, die ein Grundinteresse der Gesellschaft, nämlich jenes an der Hintanhaltung der "Raubeigentums- und sonstigen Gewaltkriminalität" berühre. Unter "Rücksichtnahme" auf § 56 Abs. 2 Z 1 FPG - der Beschwerdeführer habe Verbrechen begangen - sei eine Abstandnahme von der Erlassung des Aufenthaltsverbotes im Rahmen der Ermessensübung nicht möglich.
Zur Beurteilung nach § 66 FPG führte die belangte Behörde aus, der Beschwerdeführer weise familiäre, aber "wenig berufliche" Bindungen in Österreich auf. Unter Bedachtnahme darauf und unter Berücksichtigung der langen Aufenthaltsdauer in Österreich sei von einem mit Aufenthaltsverbot verbundenen "starken Eingriff" in das Privat- und Familienleben des Beschwerdeführers auszugehen. Dennoch sei die Zulässigkeit der aufenthaltsbeendenden Maßnahme zu bejahen. Die Erlassung des Aufenthaltsverbotes sei zum Erreichen von im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Zielen, hier konkret: zur Verhinderung weiterer strafbarer Handlungen sowie zum Schutz der körperlichen Integrität und des Eigentums anderer - auch im Hinblick auf die besondere Gefährlichkeit und Allgemeinschädlichkeit "der Raub- und Eigentumskriminalität" -, als dringend geboten anzusehen. Der Beschwerdeführer habe in vielen Angriffen und über Jahre hinweg strafbare Handlungen begangen. Dies verdeutliche augenfällig seine Gefährlichkeit für das Eigentum und die Gesundheit im Bundesgebiet aufhältiger Menschen sowie sein Unvermögen oder seinen Unwillen, sich an die Rechtsvorschriften zu halten. Einer aus dem bisherigen Aufenthalt sowie der familiären und beruflichen Bindungen des Beschwerdeführers ableitbaren Integration komme insofern kein entscheidendes Gewicht (mehr) zu, als die für jegliche Integration erforderliche soziale Komponente durch das "schwere strafbare Verhalten" des Beschwerdeführers erheblich beeinträchtigt worden sei. Es hätten daher die persönlichen Interessen des Beschwerdeführers an einem Verbleib im Bundesgebiet gegenüber den als hoch zu veranschlagenden öffentlichen Interessen an der Verhinderung weiterer strafbarer Handlungen in den Hintergrund zu treten.
II.
Der Verwaltungsgerichtshof hat über die gegen diesen Bescheid gerichtete Beschwerde nach Vorlage der Verwaltungsakten und Erstattung einer Gegenschrift durch die belangte Behörde erwogen:
Der Beschwerdeführer spricht zunächst mit seinem Vorbringen, die gegen ihn verhängte Strafe sei bedingt erlassen worden und er habe sich seitdem wohlverhalten, die von der belangten Behörde vorgenommene Gefährdungsprognose an. Dies gilt ebenso für seine Ausführungen, wonach die belangte Behörde ergänzende Ermittlungen zu den vom Beschwerdeführer begangenen Taten hätte vornehmen müssen.
Dem ist entgegenzuhalten, dass die belangte Behörde im Einklang mit den Verwaltungsakten festgestellt hat, dass gegen den Beschwerdeführer (auch) rechtskräftig eine unbedingte (Zusatz )Freiheitsstrafe von zwei Jahren verhängt wurde. Es ist aber auch - mit Blick darauf, dass der Beschwerdeführer mit seinem Vorbringen möglicherweise auf seine bedingte Entlassung aus der Strafhaft abzielt - festzuhalten, dass nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes die Fremdenpolizeibehörde das Fehlverhalten eines Fremden eigenständig aus dem Blickwinkel des Fremdenrechts und unabhängig von den strafgerichtlichen Erwägungen zur Strafbemessung oder zur bedingten Entlassung aus dem Strafvollzug zu beurteilen hat (vgl. das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2009/18/0405, sowie das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2007/21/0200, jeweils mwN).
Soweit der Beschwerdeführer vorbringt, die belangte Behörde hätte zu seinen Straftaten ergänzende Ermittlungen vornehmen müssen, stellt er nicht dar, zu welchen weitergehenden Feststellungen die belangte Behörde im Falle derartiger Ermittlungen hätte kommen können. Insoweit wird die Relevanz des behaupteten Verfahrensfehlers nicht dargetan.
Wenn der Beschwerdeführer bemängelt, die belangte Behörde habe sich von ihm keinen persönlichen Eindruck verschafft, ist darauf hinzuweisen, dass im Verwaltungsverfahren zur Erlassung eines Aufenthaltsverbotes vor der Sicherheitsdirektion kein Unmittelbarkeitsgrundsatz gilt. Ebenso besteht weder ein Recht auf eine mündliche Berufungsverhandlung noch darauf, von der Sicherheitsdirektion mündlich gehört zu werden (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2010/21/0095, mwN).
Anders als der Beschwerdeführer meint, kann im vorliegenden Fall aber auch nicht davon ausgegangen werden, die belangte Behörde hätte das strafbare Verhalten, das sie ihrer Gefährdungsprognose zugrunde gelegt hat, nicht ausreichend festgestellt.
Am Boden der getroffenen Feststellungen begegnet es keinem Einwand, wenn die belangte Behörde davon ausgeht, es liege eine maßgebliche Gefahr, die die Erlassung eines Aufenthaltsverbots rechtfertige, vor. Ungeachtet dessen, dass im vorliegenden Fall kein Umstand vorhanden ist, wonach - entgegen der Ansicht der Beschwerdeführers - der im § 86 Abs. 1 FPG festgelegte Gefährdungsmaßstab zur Anwendung zu bringen gewesen wäre, wird er durch die Beurteilung der belangten Behörde, die dort genannten Voraussetzungen des § 86 Abs. 1 erster und zweiter Satz FPG seien erfüllt, nicht in Rechten verletzt, zumal fallbezogen zur Erlassung des Aufenthaltsverbotes die Bejahung des in § 56 Abs. 1 FPG enthaltenen Gefährdungsmaßstabes ausreichend war. Daran, dass die im § 56 Abs. 1 FPG ausgedrückte Gefährdung zu bejahen war, hegt der Verwaltungsgerichtshof angesichts des Verhaltens des Beschwerdeführers keine Zweifel. Er hat über mehrere Jahre hinweg gravierende strafbare Handlungen gesetzt, die sich in ihrer Intensität auch noch gesteigert haben. Ein allfälliges seit der Verurteilung vergangenes Wohlverhalten ist bei weitem zu kurz, um verlässlich vom Wegfall oder von einer maßgeblichen Minderung der vom Beschwerdeführer herrührenden Gefahr ausgehen zu können.
Der Beschwerdeführer wendet sich weiters gegen die von der belangten Behörde nach § 66 FPG vorgenommene Interessenabwägung. Dazu bringt er - wie schon zur Gefährdungsprognose - vor, die belangte Behörde habe unzureichende Feststellungen getroffen und keine mündliche Verhandlung durchgeführt. Auch insoweit ist der Beschwerdeführer aber auf das oben Gesagte, wonach er vor der Sicherheitsdirektion über keinen Anspruch auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung verfügte, hinzuweisen. Es legt der Beschwerdeführer aber auch hier nicht dar, welche ergänzenden Feststellungen die belangte Behörde im Falle ergänzender Ermittlungen hätte treffen können. Die familiären Beziehungen zu seiner Schwester und der Stiefmutter hat die belangte Behörde ohnedies bei ihrer Interessenabwägung berücksichtigt; ebenso die bisherige lange Dauer seines Aufenthalts in Österreich. Es ist aber im Hinblick auf die zahlreichen und gravierenden Straftaten des Beschwerdeführers nicht zu beanstanden, wenn die belangte Behörde letztlich davon ausgeht, der Beschwerdeführer habe die Trennung von seinen Familienangehörigen im öffentlichen Interesse in Kauf zu nehmen. Ebenso hat er aus demselben Grund allfällige Schwierigkeiten bei der Wiedereingliederung in sein Heimatland hinzunehmen.
Wenn der Beschwerdeführer abschließend noch rügt, die Ermessensentscheidung und die Festlegung der Dauer des Aufenthaltsverbotes sei ohne Auseinandersetzung mit seinem Fall erfolgt, ist ihm entgegenzuhalten, dass in der Beschwerde überhaupt nicht dargelegt wird, welche Gründe im Rahmen der Ermessensübung zu seinen Gunsten zu berücksichtigen gewesen wären. Dies gilt auch für die Frage der Bemessung der Dauer des Aufenthaltsverbotes. Insbesondere ist der Beschwerdeführer noch darauf hinzuweisen, dass die belangte Behörde im Einklang mit der Rechtsprechung davon ausgegangen ist, dass im vorliegenden Fall eine Abstandnahme von der Erlassung des Aufenthaltsverbotes im Rahmen der Ermessensübung im Hinblick auf die Begehung von Verbrechen durch den Beschwerdeführer offenkundig nicht im Sinn des Gesetzes gelegen ist (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2010/21/0454, mwN).
Da sohin die behauptete Rechtsverletzung nicht vorliegt, war die Beschwerde gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.
Wien, am
Fundstelle(n):
AAAAE-82052