VwGH vom 21.01.2009, 2006/08/0254

VwGH vom 21.01.2009, 2006/08/0254

Beachte

Miterledigung (miterledigt bzw zur gemeinsamen Entscheidung verbunden):

2006/08/0255

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Müller und die Hofräte Dr. Strohmayer, Dr. Moritz, Dr. Lehofer und Dr. Doblinger als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Marzi, über die Beschwerden des F in W, vertreten durch Mag. Herwig Holzer, Rechtsanwalt in 1170 Wien, Geblergasse 95/12, gegen die auf Grund eines Beschlusses des Ausschusses für Leistungsangelegenheiten ausgefertigten Bescheide der Landesgeschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Wien vom , 1. Zl. LGSW/Abt. 3-AlV/05661/2006-9077 (protokolliert zur Zl. 2006/08/0254), betreffend Anspruch auf Notstandshilfe, und 2. Zl. LGSW/Abt. 3-AlV/05661/2006-959 (protokolliert zur Zl. 2006/08/0255), betreffend Widerruf und Rückforderung von Notstandshilfe, zu Recht erkannt:

Spruch

Die angefochtenen Bescheide werden wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 2.212,80 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

I.

1. Der Beschwerdeführer stand - nach dem von ihm vorgelegten Versicherungsdatenauszug - vom bis zum in Bezug von Arbeitslosengeld und seit dem in Bezug von Notstandshilfe, wobei dieser Bezug mehrfach, unter anderem vom bis zum , durch Krankengeldbezug unterbrochen wurde. Mit Bescheiden der regionalen Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Wien Geiselberggasse vom und vom wurde der Bezug der Notstandshilfe des Beschwerdeführers für die Zeiträume vom bis sowie vom bis widerrufen und der Beschwerdeführer zur Rückzahlung des unberechtigt Empfangenen verpflichtet. Die gegen diese Bescheide erhobenen Berufungen wurden von der belangten Behörde mit Bescheiden vom bzw. vom abgewiesen. Diese Bescheide wurden rechtskräftig und vor dem Verwaltungsgerichtshof nicht angefochten.

2. In der Folge widerrief die regionale Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Wien Geiselbergstraße mit Bescheid vom den Bezug der Notstandshilfe für den Zeitraum bis und verpflichtete den Beschwerdeführer zur Rückzahlung des unberechtigt Empfangenen in der Höhe von EUR 3.414,96. Begründend führte die erstinstanzliche Behörde darin an, dass auf Grund "des eingelangten Einkommensteuerbescheides 2004" (gemeint: der Ehegattin des Beschwerdeführers) die Notstandshilfe des Beschwerdeführers neu berechnet worden sei, woraus sich die Rückforderung ergebe.

Der Beschwerdeführer erhob gegen diesen Bescheid Berufung, die mit dem zweitangefochtenen Bescheid der belangten Behörde vom abgewiesen wurde.

Begründend führte die belangte Behörde darin aus, dass bei der Notstandshilfe das Einkommen des Partners Einfluss auf die Höhe des Notstandshilfeanspruchs der arbeitslosen Person habe. Dessen Einkommen sei nach bestimmten gesetzlich vorgeschriebenen Grundsätzen auf den theoretischen Notstandshilfeanspruch anzurechnen, sodass lediglich der danach verbleibende Differenzbetrag "zur Anrechnung" (gemeint wohl: Anweisung) gelangen könne. Nach einer allgemeinen Darlegung der Berechnungsweise der Notstandshilfe führte die belangte Behörde aus, dass die Ehegattin des Beschwerdeführers selbständig sei. Es sei gemäß § 36a Abs. 5 AlVG ihr Einkommen an Hand der Steuerbescheide zu beurteilen, wobei das jährliche Einkommen auf ein monatliches umzurechnen sei. Im Fall des Beschwerdeführers würde dies für das Jahr 2004 ein monatliches Einkommen von EUR 850,07 ergeben, sodass sich unter Berücksichtigung der Freigrenze für die Ehefrau in der Höhe von EUR 441,-- ein anrechenbares Einkommen von EUR 409,-- ergebe bzw. ein täglicher Anrechnungsbetrag von EUR 13,41. Für Jänner 2005 ergebe sich unter Berücksichtigung der Freigrenze für die Ehefrau des Beschwerdeführers in der Höhe von EUR 447,-- ein täglicher Anrechnungsbetrag von EUR 13,25. Der tägliche Notstandshilfeanspruch des Beschwerdeführers ohne Anrechnung betrage EUR 10,54. Da der Anrechnungsbetrag den täglichen Notstandshilfeanspruch des Beschwerdeführers übersteige, sei Notlage nicht gegeben, weshalb die bereits zuerkannte Notstandshilfe zu widerrufen gewesen sei.

Nach Darlegung der vom Beschwerdeführer im beschwerdegegenständlichen Zeitraum bezogenen Notstandshilfe führte die belangte Behörde aus, dass sich der Widerruf auf die Tatsache gründe, dass Notlage nicht vorgelegen sei. Gemäß § 25 Abs. 1 AlVG sei die Notstandshilfe auch zurückzufordern, wenn sich auf Grund nachträglicher Steuerbescheide ergebe, dass die Leistung nicht gebührt habe. Es sei daher die mangels Notlage zu Unrecht bezogene Leistung von EUR 3.414,96 zurückzufordern gewesen.

3. Am stellte der Beschwerdeführer erneut einen Antrag auf Notstandshilfe, der mit Bescheid der regionalen Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Wien Geiselbergstraße vom abgewiesen wurde.

Die vom Beschwerdeführer gegen diesen Bescheid erhobene Berufung wurde von der belangten Behörde mit dem erstangefochtenen Bescheid abgewiesen.

Begründend führte die belangte Behörde in diesem Bescheid aus, dass seit beim Beschwerdeführer auf Grund des Einkommens seiner Ehegattin laut den vorgelegten Steuerbescheiden Notlage nicht vorliege. In rechtlicher Hinsicht führte die belangte Behörde aus, dass Notstandshilfe nur gewährt werden könne, wenn sich der Arbeitslose innerhalb dreier Jahre nach Erschöpfung des Anspruchs auf Arbeitslosengeld oder Karenzgeld um Notstandshilfe bewerbe. Der Beschwerdeführer habe den Antrag auf Notstandshilfe am gestellt. Die Frist zur Beantragung habe am geendet. Nach dem Vorspruch des angefochtenen Bescheides wurde der Antrag auf Notstandshilfe "wegen Verstreichens der 3-Jahres-Frist gemäß § 37 Arbeitslosenversicherungsgesetz 1977" abgewiesen.

4. Gegen diese Bescheide richten sich die Rechtswidrigkeit ihres Inhaltes sowie Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend machenden Beschwerden mit dem Antrag, die angefochtenen Bescheide kostenpflichtig aufzuheben.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete Gegenschriften mit dem Antrag, die Beschwerden kostenpflichtig abzuweisen.

II.

Der Verwaltungsgerichtshof hat über die wegen des persönlichen und sachlichen Zusammenhangs zur gemeinsamen Beratung und Entscheidung verbundenen Beschwerden erwogen:

1. Die §§ 24 und 25 Arbeitslosenversicherungsgesetz (AlVG) lauten auszugsweise wie folgt:

"Einstellung und Berichtigung des Arbeitslosengeldes

§ 24. (1) Wenn eine der Voraussetzungen für den Anspruch auf Arbeitslosengeld wegfällt, ist es einzustellen; wenn sich eine für das Ausmaß des Arbeitslosengeldes maßgebende Voraussetzung ändert, ist es neu zu bemessen. ...

(2) Wenn sich die Zuerkennung oder die Bemessung des Arbeitslosengeldes als gesetzlich nicht begründet herausstellt, ist die Zuerkennung zu widerrufen oder die Bemessung rückwirkend zu berichtigen.

§ 25. (1) Bei Einstellung, Herabsetzung, Widerruf oder Berichtigung einer Leistung ist der Empfänger des Arbeitslosengeldes zum Ersatz des unberechtigt Empfangenen zu verpflichten, wenn er den Bezug durch unwahre Angaben oder durch Verschweigung maßgebender Tatsachen herbeigeführt hat oder wenn er erkennen mußte, daß die Leistung nicht oder nicht in dieser Höhe gebührte. ... Der Empfänger einer Leistung nach diesem Bundesgesetz ist auch dann zum Ersatz des unberechtigt Empfangenen zu verpflichten, wenn sich ohne dessen Verschulden auf Grund eines nachträglich vorgelegten Einkommensteuer- oder Umsatzsteuerbescheides ergibt, daß die Leistung nicht oder nicht in diesem Umfang gebührte; in diesem Fall darf jedoch der Rückforderungsbetrag das erzielte Einkommen nicht übersteigen. ..."

Diese Bestimmungen sind gemäß § 38 AlVG auf die Notstandshilfe sinngemäß anzuwenden.

§ 37 AlVG, in der hier maßgebenden Fassung vor der Novelle BGBl I Nr. 104/2007, bestimmt zum Fortbezug der Notstandshilfe:

"§ 37. Wenn der Arbeitslose den Bezug der Notstandshilfe unterbricht, kann ihm innerhalb von drei Jahren, gerechnet vom Tag des letzten Bezuges der Notstandshilfe, der Fortbezug der Notstandshilfe gewährt werden, sofern er die sonstigen Bedingungen für die Gewährung der Notstandshilfe erfüllt. Die vorstehende Frist verlängert sich darüber hinaus um Zeiträume gemäß § 15 Abs. 3 bis 5."

Das Ausmaß der Notstandshilfe wird im § 36 AlVG sowie in der auf Grund dieser Bestimmung ergangenen Notstandshilfeverordnung (NHV) näher bestimmt, wobei vorgesehen ist, dass das Einkommen des Ehepartners des Arbeitslosen in einer näher festgelegten Weise anzurechnen ist. Gemäß § 6 Abs. 6 NHV ist, wenn der Arbeitslose oder sein Ehepartner das 50. Lebensjahr vollendet hat und einen Grad der Behinderung von mindestens 50 % aufweist, in jedem Fall eine Erhöhung der Einkommensgrenzen zum 50 % vorzunehmen.

2. Der Beschwerdeführer macht im Hinblick auf den zweitangefochtenen Bescheid geltend, dass die belangte Behörde die Erhöhung der Einkommensgrenzen gemäß § 6 Abs. 6 NHV nicht berücksichtigt habe.

Die belangte Behörde räumt in ihrer Gegenschrift ein, dass die Freigrenzen tatsächlich falsch - ohne Zugrundelegung der Bestimmung des § 6 Abs. 6 NHV - berechnet wurden. Sie verweist jedoch darauf, dass der Notstandshilfebezug des Beschwerdeführers vom bis sowie vom bis widerrufen worden sei, sodass im Zeitraum vom bis zum (dem im Hinblick auf den zweitangefochtenen Bescheid verfahrensgegenständlichen Zeitraum) Notstandshilfe infolge Verstreichens der Fortbezugsfrist gemäß § 37 AlVG nicht gebührt habe.

3. Diesem Vorbringen ist entgegenzuhalten, dass im Zuge des Verwaltungsverfahrens ausschließlich der Widerruf und die Rückforderung der Notstandshilfe auf Grund des Nichtvorliegens von Notlage verfahrensgegenständlich war und der Beschwerdeführer weder im erst- noch im zweitinstanzlichen (nun zweitangefochtenen) Bescheid auf die von der belangten Behörde nunmehr in der Gegenschrift vertretene Rechtsansicht hingewiesen wurde. Dem Beschwerdeführer war es daher auch nicht möglich, Einwendungen im Hinblick auf den nun herangezogenen Rechtsgrund des § 37 AlVG - etwa das Vorliegen von Fristerstreckungsgründen im Sinne des § 37 letzter Satz AlVG - vorzubringen. Der Beschwerdeführer hat mit seiner Beschwerde auch einen Versicherungsdatenauszug vorgelegt, nach dem er im Zeitraum zwischen dem am beendeten Notstandshilfebezug und dem Beginn des im zweitangefochtenen Bescheid relevanten Zeitraums vom bis zum mehrfach Krankengeld bezogen habe, was das Vorliegen des Fristerstreckungsgrundes nach § 15 Abs. 3 Z. 1 i.V.m. § 37 AlVG nahe legt.

Wie der Verwaltungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom , Zl. 96/08/0013, ausgesprochen hat, setzt eine auf § 37 AlVG gestützte Abweisung eines Antrages auf Notstandshilfe - die bis zum Erwerb einer neuen Anwartschaft den vorerst endgültigen Ausschluss von der zeitlich an sich unbegrenzten (wenn auch jeweils für bestimmte Zeiträume zu gewährenden) Notstandshilfe bedeutet - voraus, dass die Frage möglicher Erstreckungsgründe mit der Partei erörtert und der für die Bejahung oder Verneinung dieser Frage - soweit die Wahrung der Fortbezugsfrist davon abhängen kann - maßgebliche Sachverhalt geklärt wird. Dies hat gerade dann, wenn die gesetzliche Dreijahresfrist nur geringfügig überschritten ist, Gegenstand eines sorgfältigen Ermittlungsverfahrens zu sein. Da dies im Beschwerdefall unterblieben ist, war der zweitangefochtene Bescheid wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. c VwGG aufzuheben.

4. Der erstangefochtene Bescheid verweist sowohl im Spruch als auch in der rechtlichen Begründung auf die Dreijahresfrist gemäß § 37 AlVG und stützt die Abweisung des Antrags des Beschwerdeführers ausdrücklich auf das ungenützte Verstreichen dieser Frist. Dennoch hat weder die erstinstanzliche noch die belangte Behörde auch im Hinblick auf die Erlassung dieses Bescheids das nach dem eben zitierten Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom gebotene sorgfältige Ermittlungsverfahren mit der Erörterung möglicher Erstreckungsgründe mit der Partei durchgeführt, sodass auch der erstangefochtene Bescheid wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. c VwGG aufzuheben war.

5. Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG i.V.m. der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008, BGBl. II Nr. 455.

Von der vom Beschwerdeführer in beiden Beschwerden beantragten mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgerichtshof konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z. 6 VwGG Abstand genommen werden.

Wien, am