VwGH vom 20.03.2012, 2008/18/0750
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Pallitsch, den Hofrat Mag. Eder, die Hofrätinnen Mag. Merl und Mag. Dr. Maurer-Kober sowie den Hofrat Mag. Straßegger als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Krawarik, über die Beschwerde des W F in A, vertreten durch Mag. Dr. Siegfried Lohse, Rechtsanwalt in 3300 Amstetten, Schulstraße 20, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Niederösterreich vom , Zl. E1/4413/2008, betreffend Ausstellung eines Fremdenpasses, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106, 40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Kostenmehrbegehren wird abgewiesen.
Begründung
I.
Mit dem angefochtenen, im Instanzenzug ergangenen Bescheid wies die belangte Behörde den Antrag des Beschwerdeführers, eines afghanischen Staatsangehörigen, auf Ausstellung eines Fremdenpasses gemäß § 88 Abs. 1 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG) ab.
Begründend führte die belangte Behörde im Wesentlichen aus, der Beschwerdeführer sei im November 2001 illegal in Österreich eingereist und habe in der Folge einen Asylantrag eingebracht. Dieser sei mit Bescheid des Bundesasylamtes vom abgewiesen worden; gleichzeitig sei festgestellt worden, dass seine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung nach Afghanistan gemäß § 8 Abs. 1 Asylgesetz 1997 nicht zulässig sei und ihm eine befristete Aufenthaltsberechtigung gemäß § 8 Abs. 3 iVm § 15 Abs. 2 Asylgesetz 1997 erteilt worden, welche mehrmals verlängert worden sei. Über die von ihm erhobene Berufung gegen die Abweisung seines Asylantrags sei noch nicht entschieden worden. Der Beschwerdeführer verfüge über eine Karte für subsidiär Schutzberechtigte. Am habe er den gegenständlichen Antrag auf Ausstellung eines Fremdenpasses gestellt und diesen auf das Vorliegen humanitärer Gründe gestützt. Er wolle seine Mutter und eventuell auch seine Schwester und deren Ehemann, die er seit seiner Flucht aus Afghanistan nicht mehr gesehen habe, in Pakistan besuchen. Auf die schriftliche Aufforderung der belangten Behörde vom , durch Vorlage einer Bestätigung der Botschaft der Islamischen Republik Afghanistan zu belegen, dass ihm von der Botschaft seines Heimatstaates ein gültiges Reisedokument nicht ausgestellt werde, sei keine Reaktion erfolgt.
In ihrer rechtlichen Beurteilung stellte die belangte Behörde zwar fest, dass die einleitende, für alle in § 88 Abs. 1 FPG taxativ aufgezählten Fälle gemeinte Einschränkung, wonach im Hinblick auf die Person des Betroffenen die Ausstellung eines Fremdenpasses auch im Interesse der Republik Österreich gelegen sein müsse, nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes hinsichtlich des (hier anzuwendenden) § 88 Abs. 1 Z 6 FPG im Hinblick auf Art. 25 Abs. 2 der Richtlinie 2004/83/EG gemeinschaftsrechtswidrig sei und daher unangewendet zu bleiben habe. Ebenso stellte sie außer Frage, dass der vom Beschwerdeführer vorgebrachte Grund für die begehrte Ausstellung eines Fremdenpasses als" humanitärer Grund" gewertet werden könne. Auch lägen in seinem Fall im Sinn von § 92 FPG keine Hinderungsgründe für die Ausstellung eines Fremdenpasses vor. Dennoch sei ihm die Ausstellung eines Fremdenpasses zu versagen, weil er als subsidiär Schutzberechtigter einen nationalen Pass erhalten könne. Art. 25 Abs. 2 der Richtlinie 2004/83/EG sehe vor, dass die Mitgliedstaaten Personen, denen der Status eines subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt worden sei und die keinen nationalen Pass erhalten könnten, Dokumente ausstellen, mit denen sie reisen könnten, wenn schwerwiegende humanitäre Gründe ihre Anwesenheit in einem anderen Staat erforderten. Da der Beschwerdeführer keine Bestätigung der afghanischen Botschaft vorgelegt habe, dass ihm kein Reisedokument ausgestellt werde, sei davon auszugehen, dass ihm die Botschaft seines Heimatstaates auf Antrag ein Reisedokument ausstellen würde. Aus dem Bescheid des Bundesasylamtes vom ergebe sich, dass ihm in Afghanistan keine Verfolgung drohe und der Hinderungsgrund für seine Abschiebung in der derzeitigen schlechten Versorgungslage in Afghanistan sei. Er sei auch nicht gezwungen, nach Ausstellung eines afghanischen Reisepasses nach Afghanistan zurückzukehren. Seine Wiedereinreise in das Bundesgebiet wäre in Verbindung mit der befristeten Aufenthaltsberechtigung und dem afghanischen Reisepass möglich. Zum Nachweis seiner Identität und seines Aufenthaltsrechtes in Österreich sei ihm eine mit einem Lichtbild versehene Karte für subsidiär Schutzberechtigte ausgestellt worden, daher habe er auch die Möglichkeit, sich im Bundesgebiet auszuweisen.
II.
Der Verwaltungsgerichtshof hat über die gegen diesen Bescheid gerichtete Beschwerde erwogen:
§ 88 Abs. 1 Z 6 FPG in der hier maßgeblichen Stammfassung lautet:
"Fremdenpässe können, sofern dies im Hinblick auf die Person des Betroffenen im Interesse der Republik gelegen ist, auf Antrag ausgestellt werden für
(…)
6. Fremde, denen der Status des subsidiär Schutzberechtigten zukommt, wenn humanitäre Gründe deren Anwesenheit in einem anderen Staat erfordern, es sei denn, dies wäre aus Gründen der öffentlichen Ordnung und Sicherheit nicht geboten."
Die maßgeblichen Bestimmungen zur Frage der Ausstellung von Reisedokumenten für subsidiär Schutzberechtigte der Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom über Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig internationalen Schutz benötigen, und über den Inhalt des zu gewährenden Schutzes lauten:
" Artikel 25
Reisedokumente
(1) Die Mitgliedstaaten stellen Personen, denen die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt worden ist, Reiseausweise - wie im Anhang zur Genfer Flüchtlingskonvention vorgesehen - für Reisen außerhalb ihres Gebietes aus, es sei denn, dass zwingende Gründe der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung dem entgegenstehen.
(2) Die Mitgliedstaaten stellen Personen, denen der subsidiäre Schutzstatus zuerkannt worden ist und die keinen nationalen Pass erhalten können, Dokumente aus, mit denen sie reisen können, zumindest wenn schwerwiegende humanitäre Gründe ihre Anwesenheit in einem anderen Staat erfordern, es sei denn, dass zwingende Gründe der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung dem entgegenstehen.
Artikel 3
Günstigere Normen
Die Mitgliedstaaten können günstigere Normen zur Entscheidung der Frage, wer als Flüchtling oder Person gilt, die Anspruch auf subsidiären Schutz hat, und zur Bestimmung des Inhalts des internationalen Schutzes erlassen oder beibehalten, sofern sie mit dieser Richtlinie vereinbar sind."
Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass die belangte Behörde zutreffend darauf abgestellt hat, dass die einleitende, auch auf die Z 6 zu beziehende Einschränkung des § 88 Abs. 1 FPG, den Fremdenpass nur auszustellen, sofern dies im Hinblick auf die Person des Betroffenen im Interesse der Republik gelegen ist, in Ansehung des hinreichend bestimmten und ein subjektives Recht einräumenden Art. 25 Abs. 2 der Richtlinie 2004/83/EG, der eine derartige Einschränkung nicht vorsieht und bereits bis zum umzusetzen war, gemeinschaftsrechtswidrig (nunmehr: unionsrechtswidrig) war und daher in den Fällen des § 88 Abs. 1 Z 6 FPG unangewendet zu bleiben hatte (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom , 2008/21/0336, mwN).
Ferner ging die belangte Behörde entgegen der Beschwerdeansicht auch davon aus, dass die vom Beschwerdeführer vorgebrachten Umstände - der Besuch seiner (wie in seiner Stellungnahme an die erstinstanzliche Behörde vom präzisiert:) alten, gebrechlichen Mutter - als humanitärer Grund im Sinne des § 88 Abs. 1 Z 6 FPG zu werten seien (vgl. dazu z. B. das hg. Erkenntnis von , Zl. 2009/22/0232, mwH).
Die Versagung der Ausstellung des Fremdenpasses stützte die belangte Behörde unter Verweis auf Art. 25 Abs. 2 der Richtlinie 2004/83/EG allein darauf, dass es dem Beschwerdeführer offen stehe, einen nationalen Pass zu beantragen bzw. zu erhalten.
Die Beschwerde bringt demgegenüber vor, dass dem Beschwerdeführer als subsidiär Schutzberechtigtem nach dem Wortlaut des § 88 Abs. 1 Z 6 FPG ein Fremdenpass unabhängig davon auszustellen sei, ob die Botschaft oder eine sonstige Vertretungsbehörde in Afghanistan ein Reisedokument ausstellt oder nicht. Damit ist sie im Recht.
Wie der Verwaltungsgerichtshof bereits in seinem Erkenntnis vom , Zl. 2008/18/0457, Pkt. II.3., festgestellt hat, kommt es nämlich nach der hier anzuwendenden Bestimmung des § 88 Abs. 1 Z 6 FPG nicht darauf an, ob der Beschwerdeführer die Ausstellung eines Reisepasses durch sein Herkunftsland beantragt hat oder ihm die Ausstellung eines solchen verweigert wurde. Insofern weicht der Wortlaut des § 88 Abs. 1 Z 6 FPG erkennbar von jenem des Art. 25 Abs. 2 Richtlinie 2004/83/EG ab: im Gegensatz zu diesem verlangt § 88 Abs. 1 Z 6 FPG als Voraussetzung für die Ausstellung des Fremdenpasses nicht auch den Umstand, dass der subsidiär Schutzberechtigte keinen nationalen Pass erhalten kann. Aus unionsrechtlicher Sicht erweist sich dies deshalb als unbedenklich, weil der nationale Gesetzgeber gemäß Art. 3 der Richtlinie diese günstigere Norm erlassen durfte.
Aus den Gesetzesmaterialien zum § 88 Abs. 1 FPG lässt sich ferner kein Hinweis darauf entnehmen, dass der - eindeutige - Wortlaut der in Frage stehenden Bestimmung einschränkend zu verstehen sei. Dementsprechend muss davon ausgegangen werden, dass der Gesetzgeber in den Fällen der Z 6 (wie auch der Z 5) - im Gegensatz zu jenen der Z 1 bis 4 - nicht auf die Tatbestandsvoraussetzung abstellt, dass der Betroffene kein nationales Reisedokument besitze bzw. sich ein solches nicht beschaffen könne.
Indem die belangte Behörde im vorliegenden Fall die Erfüllung der Voraussetzungen für die Ausstellung eines Fremdenpasses verneint hat, hat sie somit die Rechtslage verkannt, weshalb der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben war.
Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008, BGBl. II Nr. 455. Das Kostenmehrbegehren im Hinblick auf den Ersatz von Barauslagen (Kopien) war abzuweisen, weil der Ersatz von Barauslagen dieser Art im Pauschalbetrag für den Schriftsatzaufwand enthalten ist (vgl. das hg. Erkenntnis vom , Zl. 97/07/0114).
Wien, am