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VwGH vom 11.05.2021, Ra 2019/08/0128

VwGH vom 11.05.2021, Ra 2019/08/0128

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Büsser und die Hofrätin Dr. Julcher als Richterinnen sowie die Hofräte Mag. Stickler, Mag. Tolar und Dr. Bodis als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Klima, LL.M., über die Revision der Ärztekammer für Steiermark, vertreten durch die Kodolitsch-Nopp-Kodolitsch Rechtsanwälte GmbH in 8010 Graz, Kaiserfeldgasse 1/II/1, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom , W255 2204163-1/7E, betreffend Zurückweisung eines gemäß § 345 ASVG gestellten Antrags (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Landesschiedskommission für das Land Steiermark; mitbeteiligte Partei: Steiermärkische Gebietskrankenkasse, nunmehr Österreichische Gesundheitskasse in 8010 Graz, Josef-Pongratz-Platz 1), zu Recht erkannt:

Spruch

Die Revision wird als unbegründet abgewiesen.

Begründung

1Die revisionswerbende Ärztekammer für Steiermark stellte am bei der Landesschiedskommission für das Land Steiermark gestützt auf § 345 Abs. 2 Z 1 ASVG den Antrag, die Steiermärkische Gebietskrankenkasse (StGKK) schuldig zu erkennen, den Abschluss von Einzelverträgen mit Ambulatorien für Kinder- und Jugendpsychiatrie sowie die Honorierung diesbezüglicher Leistungen wie auch die finanzielle Mittelzuführung durch den Gesundheitsfonds Steiermark so lange zu unterlassen, bis Planstellen für niedergelassene Ärzte für Kinder- und Jugendpsychiatrie in der Steiermark gesamtvertraglich ebenso vereinbart seien, wie ein diesbezüglicher Leistungskatalog.

2Dazu brachte die Ärztekammer für Steiermark vor, sie sei Vertragspartnerin des mit dem Hauptverband der österreichischen Sozialversicherungsträger unter anderem mit Wirkung für die StGKK abgeschlossenen Ärzte-Gesamtvertrages (in der Folge: Ärzte-Gesamtvertrag). Nach ihr zugegangenen Informationen beabsichtige die StGKK, mit Ambulatorien für Kinder- und Jugendpsychiatrie Einzelverträge abzuschließen und die von diesen Ambulatorien erbrachten Leistungen zu honorieren sowie diese Einrichtungen mit Mitteln aus dem Gesundheitsfonds Steiermark zu fördern. Die StGKK weigere sich jedoch, gleichzeitig auch Planstellen für niedergelassene Fachärzte für Kinder- und Jugendpsychiatrie zu schaffen. Da die Leistungen daher nicht durch Vertragsärzte erbracht werden könnten, werde es durch die Vorgehensweise der StGKK zu einer Verlagerung der Erbringung ärztlicher Leistungen von freiberuflich tätigen zu in Ambulatorien angestellten Ärzten kommen. Das stehe im Widerspruch zu § 338 Abs. 2 zweiter Satz ASVG und zu § 135 Abs. 2 ASVG, der das Prinzip der freien Arztwahl festlege.

3Die StGKK beantragte, den Antrag wegen Unzuständigkeit der Landesschiedskommission zurückzuweisen. Es treffe zu, dass in dem zwischen dem Hauptverband der österreichischen Sozialversicherungsträger und der Ärztekammer für Steiermark abgeschlossenen Gesamtvertrag keine Planstellen für Fachärzte für Kinder- und Jugendpsychiatrie vorgesehen seien. Nach § 345 Abs. 2 Z 1 ASVG bestehe eine Zuständigkeit der Landesschiedskommission nur für Streitigkeiten über die Auslegung und Anwendung eines bestehenden Gesamtvertrages. Dagegen bestehe keine Kompetenz der Landesschiedskommission, eine Festsetzung oder Abänderung eines Gesamtvertrages vorzunehmen.

4Mit Äußerung vom führte die Ärztekammer für Steiermark zusammengefasst aus, nach § 1 des Ärzte-Gesamtvertrages sei dieser gemäß § 338, 341 und 342 ASVG sowie gemäß § 38 Abs. 2 Z 8 Ärztegesetz zum Zweck der Bereitstellung und Sicherstellung der ausreichenden ärztlichen Versorgung abgeschlossen worden. Im Sinn der § 342 Abs. 1 Z 1 und 338 Abs. 2 ASVG sei im Ärzte-Gesamtvertrag eine ausreichende ärztliche Versorgung sicherzustellen. In diesem Zusammenhang sei zu beachten, dass nach § 135 Abs. 2 ASVG, soweit bei einem Versicherungsträger sonstige Vertragseinrichtungen für die Gewährung der ärztlichen Hilfe bestünden, die Wahl der Behandlung bei diesen Einrichtungen und einem oder mehreren Vertragsärzten sichergestellt werden müsse. Nach § 3 Abs. 2 des Ärzte-Gesamtvertrages sei bei der örtlichen Verteilung der Vertragsärzte die Möglichkeit der Inanspruchnahme der Behandlung zu sichern. Gemäß § 34 Abs. 1 des Ärzte-Gesamtvertrages seien die Vertragsparteien bei dessen Durchführung zur gegenseitigen Unterstützung verpflichtet. Mit der im einleitenden Antrag dargestellten Vorgehensweise verstoße die StGKK daher sowohl gegen den Ärzte-Gesamtvertrag - insbesondere dessen § 1, 3 und 34 - als auch gegen die genannten gesetzlichen Bestimmungen. Der Antrag ziele darauf ab, diese Gesetzesverstöße und Verletzungen des Ärzte-Gesamtvertrages festzustellen und die StGKK zur Unterlassung zu verpflichten. Dafür sei die Landesschiedskommission nach § 345 Abs. 2 Z 1 ASVG und § 37 des Ärzte-Gesamtvertrages zuständig. Es werde daher die Erlassung folgenden „Schiedsspruches/Bescheides“ begehrt:

„1. Es wird festgestellt, dass die Antragsgegnerin [die StGKK] durch den Abschluss von Einzelverträgen mit Ambulatorien für Kinder- und Jugendpsychiatrie sowie Honorierung der diesbezüglichen Leistungen derselben wie auch finanziellen Mittelzuführung an diese über den Gesundheitsfonds Steiermark gegen die Bestimmungen des zwischen der Antragstellerin [der Ärztekammer für Steiermark] und dem Hauptverband der österreichischen Sozialversicherungsträger für die Antragsgegnerin abgeschlossenen Gesamtvertrages in der geltenden Fassung verstößt und ist die Antragsgegnerin schuldig, den Abschluss von Einzelverträgen mit Ambulatorien für Kinder- und Jugendpsychiatrie sowie die Honorierung der diesbezüglichen Leistungen derselben wie auch die finanzielle Mittelzuführung an diese über den Gesundheitsfonds Steiermark zu unterlassen, solange keine Planstellen für niedergelassene Ärzte für Kinder- und Jugendpsychiatrie in der Steiermark gesamtvertraglich ebenso vereinbart sind, wie ein diesbezüglicher Leistungskatalog.

in eventu

2. Es wird festgestellt, dass die Antragsgegnerin durch den Abschluss von Einzelverträgen mit Ambulatorien für Kinder- und Jugendpsychiatrie sowie Honorierung der diesbezüglichen Leistungen derselben wie auch der finanziellen Mittelzuführung an diese über den Gesundheitsfonds Steiermark gegen die Bestimmungen des zwischen der Antragstellerin und dem Hauptverband der österreichischen Sozialversicherungsträger für die Antragsgegnerin abgeschlossenen Gesamtvertrages in der geltenden Fassung verstößt und ist die Antragsgegnerin schuldig, den Abschluss von Einzelverträgen mit Ambulatorien für Kinder- und Jugendpsychiatrie sowie Honorierung diesbezüglicher Leistungen derselben wie auch die finanzielle Mittelzuführung durch die Antragsgegnerin über den Gesundheitsfonds Steiermark an diese zu unterlassen.“

5Mit Bescheid vom wies die Landesschiedskommission für das Land Steiermark den Antrag der Revisionswerberin wegen Unzuständigkeit zurück.

6Das Bundesverwaltungsgericht wies mit dem in Revision gezogenen Erkenntnis die dagegen gerichtete Beschwerde der Revisionswerberin als unbegründet ab und sprach aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.

7Begründend führte das Bundesverwaltungsgericht nach Wiedergabe des Verfahrensganges aus, im Ärzte-Gesamtvertrag bzw. im Stellenplan, der zwischen dem Hauptverband und der Ärztekammer für Steiermark unter anderem mit Zustimmung und Wirkung für die StGKK abgeschlossen worden sei, seien unstrittig keine Stellen für Fachärzte für Kinder- und Jugendpsychiatrie vorgesehen. Nach § 345 Abs. 2 Z 1 ASVG bestehe eine Zuständigkeit der Landesschiedskommission nur hinsichtlich der Auslegung oder Anwendung eines bestehenden Gesamtvertrages. Wie sich aus der Judikatur des Verfassungsgerichtshofes ergebe, sei die Landesschiedskommission daher nicht dafür zuständig, eine Änderung oder Ergänzung eines Gesamtvertrages vorzunehmen. Auch der Verwaltungsgerichtshof (Hinweis auf ) habe bereits festgehalten, dass eine vom Gesamtvertrag unabhängige Festlegung eines Stellenplans durch die Landesschiedskommission durch das Gesetz nicht gedeckt sei. Mit einer inhaltlichen Entscheidung über den im vorliegenden Fall gestellten Antrag hätte die Landesschiedskommission somit ihre gesetzliche Kompetenz überschritten.

8Der Verwaltungsgerichtshof hat nach Durchführung des Vorverfahrens, in dem keine Revisionsbeantwortung erstattet wurde, über die dagegen erhobene Revision erwogen:

9Zur Zulässigkeit der Revision wird vorgebracht, entgegen den Annahmen des Bundesverwaltungsgerichtes sei keine Änderung oder Ergänzung des Ärzte-Gesamtvertrages begehrt worden. Der Antrag sei vielmehr auf die Feststellung der durch die StGKK erfolgten Verletzung des Ärzte-Gesamtvertrages bzw. der „ausdrücklich von diesem zu seinem Inhalt erklärten Bestimmungen des ASVG“ und die Verpflichtung zur Unterlassung der Verstöße gerichtet gewesen. Dafür sei die Landesschiedskommission zuständig. Dem stehe auch die vom Bundesverwaltungsgericht zitierte Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes nicht entgegen. Eine Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes dazu, ob insoweit die Zuständigkeit der Landesschiedskommission gegeben sei, liege nicht vor.

10Die Revision ist hinsichtlich der damit aufgeworfenen Frage der Zuständigkeit der Landesschiedskommission zulässig, weil Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes dazu fehlt (im , hat sich der Verwaltungsgerichtshof ausgehend von einer anderen Deutung des verfahrenseinleitenden Antrags nicht tragend mit dieser Frage auseinandergesetzt). Die Revision ist jedoch nicht berechtigt.

11Die § 1 Abs. 1 u. 2, 2, 3 Abs. 1 u. 2, 34 Abs. 1 und 37 des genannten Ärzte-Gesamtvertrages lauten auszugsweise samt Überschriften:

„§ 1 Grundlagen

(1) Dieser Gesamtvertrag wird gemäß § 338, 341 und 342 des Allgemeinen Sozialversicherungsgesetzes (ASVG) sowie gemäß § 38 Abs. 2 Z 8 Ärztegesetz (ÄG) in der jeweils geltenden Fassung zum Zwecke der Bereitstellung und Sicherstellung der ausreichenden ärztlichen Versorgung der bei den im § 2 angeführten Krankenversicherungsträgern Versicherten und ihrer anspruchsberechtigten Angehörigen (im Folgenden unter der Bezeichnung ‚Anspruchsberechtigte‘ zusammengefasst) abgeschlossen.

(2) Vertragsparteien im Sinne dieses Gesamtvertrages sind die Kammer einerseits und die im § 2 angeführten Krankenversicherungsträger andererseits.“

„§ 2 Geltungsbereich

Dieser Gesamtvertrag wird vom Hauptverband der österreichischen Sozialversicherungsträger für folgende Krankenversicherungsträger mit deren Zustimmung und mit Wirkung für diese abgeschlossen:

1.Steiermärkische Gebietskrankenkasse

[...]“

„§ 3 Festsetzung der Zahl und Verteilung der Vertragsärzte

(1) Die Zahl der Vertragsärzte und ihre örtliche Verteilung wird unter Berücksichtigung der Zahl der Versicherten im Einvernehmen zwischen den Vertragsparteien im Anhang 1 zu diesem Gesamtvertrag festgesetzt.

(2) Bei der örtlichen Verteilung der Vertragsärzte ist zu beachten, dass unter Berücksichtigung der örtlichen - und Verkehrsverhältnisse sowie einer allfälligen Verschiedenheit von Wohn- und Beschäftigungsort die Möglichkeit der Inanspruchnahme der Behandlung gesichert sein muss. In der Regel soll die Auswahl zwischen mindestens zwei in angemessener Zeit erreichbaren Vertragsärzten freigestellt sein.“

„§ 34 Gegenseitige Unterstützungspflicht

(1) Die Vertragsparteien verpflichten sich zur gegenseitigen Unterstützung bei der Durchführung des Gesamtvertrages. Die gleiche Verpflichtung übernehmen die Parteien des Einzelvertrages.“

„§ 37 Verfahren bei Streitigkeiten

Streitigkeiten, die sich aus diesem Gesamtvertrag oder aus einem aufgrund dieses Gesamtvertrages abgeschlossenen Einzelvertrag zwischen den Vertragsparteien dieser Verträge ergeben, unterliegen - unbeschadet der Bestimmungen des § 36 - dem in den § 344 bis 348 ASVG geregelten Verfahren.“

12Die § 338 Abs. 1 u. 2, 341 Abs. 1 bis 3, 342 Abs. 1 und 345 ASVG in der hier anzuwendenden Fassung vor dem Sozialversicherungs-Organisationsgesetz, BGBl. I Nr. 100/2018, haben samt Überschriften auszugsweise folgenden Wortlaut:

„Regelung durch Verträge

§ 338.

(1) Die Beziehungen der Träger der Sozialversicherung (des Hauptverbandes) zu den freiberuflich tätigen Ärztinnen/Ärzten und Zahnärztinnen/Zahnärzten, Dentistinnen/Dentisten, Primärversorgungseinheiten, Gruppenpraxen, Hebammen, Apothekerinnen/Apothekern, den Erbringerinnen/Erbringern von nach § 135 der ärztlichen Hilfe gleichgestellten Leistungen, Pflegepersonen, die medizinische Hauskrankenpflege nach § 151 erbringen, und anderen Vertragspartnerinnen/Vertragspartnern werden durch privatrechtliche Verträge nach Maßgabe der folgenden Bestimmungen geregelt. [...]

(2) Durch die Verträge nach Abs. 1 ist die ausreichende Versorgung der Versicherten und ihrer anspruchsberechtigten Angehörigen mit den gesetzlich und satzungsmäßig vorgesehenen Leistungen sicherzustellen. Eigene Einrichtungen der Versicherungsträger dürfen für die Versorgung mit diesen Leistungen nur nach Maßgabe der hiefür geltenden gesetzlichen Vorschriften herangezogen werden.“

„Gesamtverträge

§ 341.

(1) Die Beziehungen zwischen den Trägern der Krankenversicherung und den freiberuflich tätigen Ärzten sowie den Gruppenpraxen werden jeweils durch Gesamtverträge geregelt. Diese sind für die Träger der Krankenversicherung durch den Hauptverband mit den örtlich zuständigen Ärztekammern abzuschließen. Die Gesamtverträge bedürfen der Zustimmung des Trägers der Krankenversicherung, für den der Gesamtvertrag abgeschlossen wird. Die Österreichische Ärztekammer kann mit Zustimmung der beteiligten Ärztekammer den Gesamtvertrag mit Wirkung für diese abschließen.

(2) Aufgehoben

(3) Der Inhalt des Gesamtvertrages ist auch Inhalt des zwischen dem Träger der Krankenversicherung und dem Arzt oder der Gruppenpraxis abzuschließenden Einzelvertrages. Vereinbarungen zwischen dem Träger der Krankenversicherung und dem Arzt oder der Gruppenpraxis im Einzelvertrag sind rechtsunwirksam, insoweit sie gegen den Inhalt eines für den Niederlassungsort des Arztes oder für den Sitz der Gruppenpraxis geltenden Gesamtvertrages verstoßen.“

„Inhalt der Gesamtverträge

§ 342.

(1) Die zwischen dem Hauptverband und den Ärztekammern abzuschließenden Gesamtverträge haben nach Maßgabe der nachfolgenden Bestimmungen insbesondere folgende Gegenstände zu regeln:

1.die Festsetzung der Zahl und der örtlichen Verteilung der Vertragsärztinnen und -ärzte (Vertrags-Gruppenpraxen) unter Bedachtnahme auf die regionalen Strukturpläne Gesundheit (RSG) mit dem Ziel, dass unter Berücksichtigung sämtlicher ambulanter Versorgungsstrukturen, der örtlichen Verhältnisse und der Verkehrsverhältnisse, der Veränderung der Morbidität sowie der Bevölkerungsdichte und -struktur (dynamische Stellenplanung) eine ausreichende ärztliche Versorgung im Sinne des § 338 Abs. 2 erster Satz der in der gesetzlichen Krankenversicherung Versicherten und deren Angehörigen gesichert ist; in der Regel soll die Auswahl zwischen mindestens zwei in angemessener Zeit erreichbaren Vertragsärzten oder einem Vertragsarzt und einer Vertrags-Gruppenpraxis freigestellt sein;

1a.[...]

2.die Auswahl der Vertragsärzte und Vertrags-Gruppenpraxen, Abschluß und Lösung der mit diesen zu treffenden Abmachungen (Einzelverträge);

3.die Rechte und Pflichten der Vertragsärzte/Vertragsärztinnen und Vertrags-Gruppenpraxen, insbesondere auch ihre Ansprüche auf Vergütung der ärztlichen Leistung [...]

4. bis 10. [...]“

„Landesschiedskommission

§ 345.

(1) [...]

(2) Die Landesschiedskommission ist zuständig:

1.zur Schlichtung und Entscheidung von Streitigkeiten zwischen den Parteien eines Gesamtvertrages über die Auslegung oder die Anwendung eines bestehenden Gesamtvertrages;

2. und 3. [...]“

13Der Gesamtvertrag beruht nicht auf der Privatautonomie der vertragschließenden Parteien, sondern auf der gesetzlichen Ermächtigung. Er kann nur in Angelegenheiten, die das Gesetz bestimmt, abgeschlossen werden und ist insoweit, als sein zulässiger Regelungsgegenstand durch Gesetz und Verordnung inhaltlich determiniert ist, an diese Vorgaben gebunden (vgl. , VfSlg. 19.858). Der Verwaltungsgerichtshof hat festgehalten, dass den Gesamtverträgen nach dem Willen des Gesetzgebers ein Einigungscharakter zukommt, der ihnen auch die Vermutung der Richtigkeit verschafft. Der Gesetzgeber bringt das „freie Spiel der Kräfte“ zum Einsatz, von dem er sich einen gerechten Interessenausgleich erhofft, für dessen Versagen er aber in Gestalt der § 131a und 131b sowie 348 ASVG Vorsorge trifft. Um das Kräftegleichgewicht nicht zu beeinträchtigen, ist im Gesetz weder ein Abschlusszwang noch eine dauerhafte Zwangsschlichtung vorgesehen (vgl. ).

14Der Wortlaut des § 345 Abs. 2 Z 1 ASVG geht zurück auf die 33. Novelle zum ASVG, BGBl. Nr. 684/1978. In den Erläuterungen zur Regierungsvorlage (1084 BlgNR 14. GP 50) wurde ausgeführt, in der Vergangenheit sei von den Landesschiedskommissionen nicht bloß über die Anwendung eines geltenden Gesamtvertrages, sondern auch über sonstige Streitigkeiten - insbesondere die Erweiterung eines Stellenplanes - meritorisch entschieden worden. Die nunmehrige Formulierung solle „solche vom Gesetzgeber nicht beabsichtigte Konsequenzen künftig auszuschließen“.

15Der Verfassungsgerichtshof hat zu § 345 Abs. 2 Z 1 ASVG festgehalten, aus dem gesetzlichen Erfordernis des Bestehens von „Streitigkeiten zwischen den Parteien eines Gesamtvertrages“ sei abzuleiten, dass rein theoretische Auslegungsfragen des Gesamtvertrages nicht in die Kompetenz der Landesschiedskommission fielen. Die Entscheidung einer Auslegungsstreitigkeit über den Inhalt des Gesamtvertrages setze demnach das Bestehen eines bestimmten Sachverhaltes voraus, dessen anhand des Gesamtvertrages vorzunehmende rechtliche Beurteilung zwischen den Parteien des Gesamtvertrages strittig sei, mit der Folge, dass diese Auffassungsdivergenz über die Auslegung des Gesamtvertrages zu einer „Gefährdung der Rechtssphäre“ der antragstellenden Partei führe. Der hinsichtlich der rechtlichen Beurteilung strittige Sachverhalt, der Anlass zur Antragstellung gebe, sei daher vom antragstellenden Vertragspartner konkret darzulegen und bestimme in der Folge den Verfahrensgegenstand (vgl. , VfSlg. 18.943; vgl. idS auch zum inhaltsgleichen § 19 PRIKRAF-G ).

16Hinsichtlich der Grenzen der Entscheidungsbefugnis der Landesschiedskommission hat der Verfassungsgerichtshof - in Anknüpfung an die dargestellten Erläuterungen zur Regierungsvorlage zur 33. Novelle zum ASVG - festgehalten, dass der Landesschiedskommission keine Zuständigkeit zukomme, eine Änderung oder Ergänzung des Gesamtvertrages vorzunehmen. Eine solche Zuständigkeit könne im Sinn des § 6 Abs. 2 AVG auch durch den Gesamtvertrag nicht begründet werden. Entscheide eine Landesschiedskommission daher etwa über eine Erweiterung des Stellenplanes oder substituiere sie durch ihre Entscheidung einen im Gesamtvertrag fehlenden Stellenplan, indem sie eine Sozialversicherungsanstalt verpflichte, mit bestimmten Ärzten Einzelverträge abzuschließen, nehme die Landesschiedskommission Kompetenzen in Anspruch, die der gesetzlichen Grundlage entbehrten. Auf solche Entscheidungen gerichtete verfahrenseinleitende Anträge seien daher zurückzuweisen (vgl. , VfSlg. 15.906; unter Hinweis auf , VfSlg. 8.692). Da die Landesschiedskommission nur zur Schlichtung und Entscheidung von Streitigkeiten zwischen den Parteien eines Gesamtvertrages „über die Auslegung und Anwendung eines bestehenden Gesamtvertrages“ zuständig sei, sei sie nicht zuständig, über Gültigkeit und Bestand sonstiger Verträge zu entscheiden, die kein Gesamtvertrag im Sinne des § 341 ASVG seien (vgl. , VfSlg. 19.167).

17Der Verwaltungsgerichtshof schließt sich diesen Ausführungen des Verfassungsgerichtshofes an. Allgemein ist die Kompetenz der Landesschiedskommission nach § 345 Abs. 2 Z 1 ASVG auf die Auslegung eines bestehenden Gesamtvertrags bzw. die sich aus der Interpretation ergebende Anwendung des Gesamtvertrages beschränkt (vgl. idS Frank in SV-Komm, § 345 ASVG Rz 11). Streitigkeiten der Parteien des Gesamtvertrages über Angelegenheiten, die keinen Regelungsgegenstand des Gesamtvertrages betreffen, fallen daher jedenfalls nicht in die Kompetenz der Landesschiedskommission. Ebenso ist die Landesschiedskommission nicht dafür zuständig, Änderungen oder Ergänzungen des Gesamtvertrages vorzunehmen. Den Parteien des Gesamtvertrages steht es nicht offen, durch Vereinbarung eine Kompetenz der Landesschiedskommission über die gesetzlich vorgesehene Zuständigkeit hinaus zu begründen (§ 6 Abs. 2 AVG).

18Gegenstand des vorliegenden Antrages der revisionswerbenden Ärztekammer ist der Abschluss von Einzelverträgen durch die StGKK mit Ambulatorien für Kinder- und Jugendpsychiatrie sowie die Honorierung der dort erbrachten Leistungen und die Zuführung von Finanzmitteln an diese Ambulatorien. Dabei handelt es sich - wie die Revision selbst erkennt - jedoch um keinen Regelungsgegenstand des Ärzte-Gesamtvertrages.

19Entgegen der Revision kann daraus, dass der Ärzte-Gesamtvertrag nach seinem § 1 gemäß § 338, 341 und 342 ASVG sowie gemäß § 38 Abs. 2 Z 8 Ärztegesetz 1984 (vgl. insoweit nunmehr § 66a Abs. 1 Z 1 Ärztegesetz 1998) abgeschlossen wurde, nicht geschlossen werden, dass diese Bestimmungen von den vertragschließenden Parteien zu einem Teil des Gesamtvertrages gemacht worden wären. Aus § 1 des Ärzte-Gesamtvertrag ist vielmehr nur abzuleiten, dass die Parteien des Gesamtvertrages sich auf die ihnen durch die genannten Bestimmungen übertragene Regelungsmacht berufen. Den Parteien des Gesamtvertrages stünde es vor dem Hintergrund der dargestellten gesetzlichen Beschränkung der Kompetenz der Landesschiedskommission nach § 345 Abs. 2 Z 1 ASVG ohnehin aber auch nicht offen, durch Vereinbarung die Gebarung eines Krankenversicherungsträgers außerhalb der Gegenstände, die im Gesamtvertrag geregelt sind, der Überprüfung durch die Landesschiedskommission zu unterwerfen.

20Der Landesschiedskommission obliegt daher nicht die Beurteilung, ob die Erbringung ärztlicher Hilfe durch eigene Einrichtungen oder Vertragseinrichtungen der StGKK den gesetzlichen Vorgaben (insbesondere § 135, 338 Abs. 2 ASVG; vgl. zur Errichtung von Ambulatorien § 339 ASVG und § 3a KAKuG) entspricht. Ebenso ist die Landesschiedskommission nicht dafür zuständig darüber zu entscheiden, ob eine Änderung des einen Bestandteil des Gesamtvertrages bildenden Stellenplanes durch Schaffung von Planstellen für Vertragsärzte für Kinder- und Jugendpsychiatrie erforderlich geworden ist, um eine ausreichende Versorgung mit ärztlichen Leistungen sicherzustellen.

21Das BVwG ist somit zutreffend davon ausgegangen, dass der Antrag der revisionswerbenden Ärztekammer nicht meritorisch zu behandeln, sondern aufgrund der Unzuständigkeit der Landesschiedskommission zurückzuweisen war.

22Die Revision war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

Wien, am

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ECLI:
ECLI:AT:VWGH:2021:RA2019080128.L00

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