VwGH vom 06.10.2015, 2013/08/0224
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Waldstätten und den Hofrat Dr. Strohmayer als Richter sowie die Hofrätin Mag. Rossmeisel als Richterin, unter Beiziehung der Schriftführerin Mag. Gruber, über die Beschwerde der A K in S, vertreten durch Held Berdnik Astner Partner, Rechtsanwälte in 8010 Graz, Karmeliterplatz 4 (Kaiser-Josef-Platz), gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Steiermark vom , A11-A6126m290/2009-26, betreffend Beitragsnachverrechnung nach dem ASVG (mitbeteiligte Partei:
Steiermärkische Gebietskrankenkasse in 8010 Graz, Josef-Pongratz-Platz 1), zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Begründung
Mit dem im Instanzenzug ergangenen angefochtenen Bescheid sprach die belangte Behörde aus, dass die Beschwerdeführerin wegen der im Zuge einer Beitragsprüfung (über den Prüfzeitraum vom bis ) festgestellten Meldedifferenzen verpflichtet sei, gemäß § 44 Abs. 1, § 49 Abs. 1 und 2 und § 54 Abs. 1 ASVG die in der Beitragsabrechnung vom und im dazugehörigen Prüfbericht angeführten allgemeinen Beiträge, Nebenumlagen, Sonderbeiträge und Zuschläge nach den jeweils angeführten Beitragsgrundlagen und für die jeweils näher bezeichneten Zeiten sowie Verzugszinsen im Betrag von insgesamt EUR 43.965,51 nachzuentrichten. Die Beitragsabrechnung vom und der dazugehörige Prüfbericht der mitbeteiligten Gebietskrankenkasse wurden zum Bestandteil des Bescheides erklärt.
Die Beschwerdeführerin betreibe ein Alten- und Pflegeheim. Im Zeitpunkt der Beitragsprüfung seien 54 Heimbewohner untergebracht gewesen. Die Beschwerdeführerin habe 35 Dienstnehmer beschäftigt, davon seien 19 Personen in der Pflege und 8 Personen in der Reinigung tätig. Die übrigen Dienstnehmer seien im Gasthaus und in der Verwaltung beschäftigt. Im Heim seien keine Ärzte angestellt. Das Personal im Heim sei nach dem Kollektivvertrag des Verbandes der Privatkrankenanstalten Österreichs entlohnt worden. Die Dienstnehmer hätten in den BAGS-KV (Satzung des Kollektivvertrages für die Berufsvereinigung von Arbeitgebern für Gesundheits- und Sozialberufe) nicht optiert. Seitens der Beschwerdeführerin sei im verfahrensrelevanten Zeitraum den Dienstnehmern keine Vergleichsabrechnung zwecks Optierens in den BAGS-KV vorgelegt worden.
In rechtlicher Hinsicht führte die belangte Behörde aus, strittig sei, ob auf die Dienstverhältnisse mit der Beschwerdeführerin der Kollektivvertrag für DienstnehmerInnen der Privatkrankenanstalten Österreichs oder die Satzung des Kollektivvertrages für die Berufsvereinigung von Arbeitgebern für Gesundheits- und Sozialberufe (BAGS-KV) zur Anwendung komme. Die Beschwerdeführerin unterliege nach dem Inhalt der von ihr angebotenen Leistungen (Pflege und Betreuung der Heimbewohner, Beschäftigungsprogramme etc.) als Anbieterin sozialer und gesundheitlicher Dienste präventativer, betreuender oder rehabilitativer Art für Personen, die entsprechender Hilfe oder Betreuung bedürfen, dem fachlichen Geltungsbereich des gesatzten BAGS-KV. Es liege keine Krankenanstalt im herkömmlichen Sinn vor (für die der Kollektivvertrag für DienstnehmerInnen der Privatkrankenanstalten Österreichs gelten könnte).
Nach § 41 des BAGS-KV gelte für bestehende Arbeitsverhältnisse, die vor dem Wirksamkeitsbeginn der Satzung zum begründet worden seien, gemäß Z 2 Folgendes: Jeder Arbeitnehmer habe das Recht, sich innerhalb von sechs Monaten nach Inkrafttreten der Satzung zu entscheiden, ob er in die Bestimmungen des BAGS-KV optiere oder in seinen bisherigen Entgeltbestimmungen verbleibe. Gebe der Arbeitnehmer keine Optierungserklärung ab, so verbleibe er in seinen bisherigen Entgeltbestimmungen. Danach sei ein Wechsel in die Entgeltbestimmungen des BAGS-KV nur im Einvernehmen mit dem Arbeitgeber möglich. Mit der Optierung würden alle bisherigen vertraglichen Vereinbarungen über Entgelte, Zulagen, Zuschläge und Aufwandentschädigungen außer Kraft treten, sofern sie nicht in einer echten Betriebsvereinbarung gemäß § 97 Abs. 1 ArbVG geregelt seien. Nach Inkrafttreten der Satzung könnten günstigere Vereinbarungen weiterhin getroffen werden. Als Grundlage für die Optierungsentscheidungen seien alle ArbeitnehmerInnen fiktiv in die Verwendungsgruppen und Gehaltsstufen nach den Bestimmungen des BAGS-KV - unabhängig von der bestehenden Ist-Entlohnung - einzustufen. Zu Vergleichszwecken der bestehenden Ist-Entgelte mit den im BAGS-KV festgelegten Entgelten sei eine Ist-Vergleichssumme und eine BAGS-KV-Vergleichssumme zu bilden. In diese Vergleichssummen seien all jene betrieblichen, regelmäßigen Entgeltbestandteile einzurechnen, die für Zeiten der Normalarbeitszeit gewährt würden. Der Arbeitgeber sei verpflichtet, den Arbeitnehmern binnen vier Monaten nach Inkrafttreten der Satzung über die fiktive Einstufung, über die Ist-Vergleichssumme und die BAGS-KV-Vergleichssumme eine schriftliche Information auszuhändigen.
Für ArbeitnehmerInnen, die sich für den Übertritt in den BAGS-KV entscheiden, würden folgende Bestimmungen gelten: Liege die Ist-Vergleichssumme über der KV-Vergleichssumme, erfolge die jährliche Gehaltsanpassung entsprechend der vereinbarten Ist-Lohngehaltserhöhung. Liege die Ist-Vergleichssumme unter der KV-Vergleichssumme, so sei der so ermittelte Differenzbetrag als Abzugsbetrag vom jeweiligen KV-Gehalt innerhalb von zehn Jahren (bis zum Jahresende 2014) abzubauen.
Mit der Satzungserklärung vom , wirksam ab , umfasse der gesatzte BAGS-KV auch die Bestimmung des § 41a ("zusätzliche Optierung"). Die ArbeitnehmerInnen hätten danach bis zum Jahr 2014 jährlich die Möglichkeit, bis 30. September einseitig mittels Antrag an den Arbeitgeber in die Entgeltbestimmungen des Kollektivvertrages zu optieren, wobei die Wirksamkeit dieser Optierung mit 1. Jänner des Folgejahres beginne. Liege die Ist-Vergleichssumme unter der KV-Vergleichssumme, so sei der so ermittelte Differenzbetrag als Abzugsbetrag vom jeweiligen KV-Gehalt bis zum Jahresende 2014 abzubauen. Mit der Optierung würden alle bisherigen vertraglichen Vereinbarungen über Entgelte, Zulagen, Zuschläge und Aufwandentschädigungen außer Kraft treten, sofern sie nicht in einer echten Betriebsvereinbarung gemäß § 97 Abs. 1 ArbVG geregelt seien.
Die Beschwerdeführerin habe es unterlassen, die genannten Vergleichsabrechnungen zu legen. Die Beschäftigten hätten nicht in den BAGS-KV optiert.
Die Beschwerdeführerin sei zur Information ihrer DienstnehmerInnen verpflichtet gewesen. Sie hätte diesen binnen vier Monaten nach Inkrafttreten der Satzung eine schriftliche Information über die fiktive Einstufung, über die Ist-Vergleichssumme und die BAGS-KV-Vergleichssumme aushändigen müssen. Die Vergleichsberechnung diene gemäß § 41 des gesatzten BAGS-KV als "Grundlage für die Optierungsentscheidung" des Arbeitnehmers. Der Oberste Gerichtshof gehe im Urteil vom , 9 ObA 70/11a, davon aus, dass der Arbeitgeber die Informationspflicht verletze, wenn er den Arbeitnehmern keine Vergleichsabrechnung aushändige und somit keine Grundlage für die Optierungsentscheidung zur Verfügung gestellt habe. Der gesatzte BAGS-KV enthalte zwar keine besondere Sanktion für den Fall der Verletzung der Informationspflicht, er bringe allerdings auch nicht zum Ausdruck, dass die Pflicht vom Arbeitgeber folgenlos verletzt werden könne. Es handle sich um eine besondere Fürsorgepflicht des Arbeitgebers, weil es um vermögensrechtliche Interessen des Arbeitnehmers gehe. Konkretisiert werde die Fürsorgepflicht durch Normierung einer besonderen Informationspflicht im gesatzten BAGS-KV. Das Verschulden des Arbeitgebers an der Verletzung der Informationspflicht müssten die geschädigten ArbeitnehmerInnen weder behaupten noch beweisen.
Die Beschwerdeführerin habe den DienstnehmerInnen keine Vergleichsberechnung vorgelegt. Von ihr wäre der BAGS-KV anzuwenden gewesen. Im Sinne der Beitragsabrechnung vom und dem dazugehörigen Prüfbericht seien die dort ersichtlichen Beiträge und Verzugszinsen in Höhe von insgesamt EUR 43.965,51 nachzuverrechnen.
Wenn die Beschwerdeführerin Einwendungen gegen die Höhe erhebe, weil von der Kasse die Übergangsregelung im Hinblick auf die schrittweise Anpassung außer Acht gelassen worden sei, so werde dem entgegengehalten, dass die Höhe der Differenzen mit dem Steuerberater der Beschwerdeführerin einvernehmlich ermittelt und festgestellt worden seien. Die Nachverrechnung ergebe sich aus der Beitragsabrechnung samt Prüfbericht vom , in welchem die Beitragszeiträume, Beitragsgrundlagen sowie die Höhe der Beiträge einzeln aufgeschlüsselt seien. Diese Nachverrechnung sei rechnerisch richtig.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Vorlage der Akten durch die belangte Behörde und Erstattung einer Gegenschrift durch die mitbeteiligte Gebietskrankenkasse in einem gemäß § 12 Abs. 2 Z 1 VwGG gebildeten Senat erwogen hat:
1) Die Beschwerde wendet sich nicht gegen die grundsätzliche Anwendbarkeit des BAGS-KV, sondern gegen die rechtliche Beurteilung möglicher Schadenersatzpflichten sowie gegen die Höhe der Beitragsnachverrechnung hinsichtlich der Anwendung der Übergangsbestimmungen.
2) Der Verwaltungsgerichtshof hat sich in seinem Erkenntnis vom , 2013/08/0291, ausführlich mit Fragen der Anwendbarkeit des BAGS-KV, der daraus resultierenden möglichen Schadenersatzpflichten der Dienstgeber und der daraus ableitbaren Folgen im Beitragsnachverrechnungsverfahren auseinandergesetzt.
Der vorliegende Beschwerdefall gleicht in den für seine Entscheidung wesentlichen Gesichtspunkten - sowohl hinsichtlich des Sachverhaltes als auch hinsichtlich der zu beantwortenden Rechtsfragen, namentlich der Anwendung des BAGS-KV und vor allem der Frage der Schadenersatzpflichten, die sich auf die Lohngestaltung beziehen sowie die hypothetische Kausalität des Verhaltens der Dienstnehmer bei Unterlassung der Informationspflichten - jenem, der dem eingangs zitierten Erkenntnis vom , auf das wiederum gemäß § 43Abs. 2 VwGG verwiesen wird, zu Grunde lag.
Hervorzuheben ist, dass auch im vorliegenden Fall die Beschwerdeführerin ihre durch § 41 des gesatzten BAGS-KV konkretisierte Informationspflicht verletzt hat, weil sie den Dienstnehmern keine Vergleichsberechnungen aushändigte und ihnen somit keine Grundlage für die Optierungsentscheidung zur Verfügung gestellt hat. Es wäre nach dem - vorfrageweise einzubeziehenden § 1298 ABGB - an der Beschwerdeführerin gelegen, ihr mangelndes Verschulden an der Verletzung der arbeitsvertraglichen Fürsorgepflicht dazutun. Indem sie dies - im verwaltungsbehördlichen Verfahren - unterlassen hat, ergibt sich ihr Verschulden schon rein aus der Verletzung der in § 41 normierten Informationspflicht.
Die diesbezügliche Beurteilung der belangten Behörde erweist sich daher frei von Rechtsirrtum.
3) Auch die Einwände gegen die Beitragshöhe vermögen der Beschwerde nicht zum Erfolg zu verhelfen, zumal mit dem unsubstantiierten Beschwerdevorbringen, "die belangte Behörde habe ohne Beachtung des Kollektivvertragstextes, der dazu ergangenen Rechtsprechung und der Lehrmeinung keine erforderliche Unterscheidung in eine Nachverrechnung von bestehenden Arbeitsverhältnissen zum (Altarbeitsverhältnisse) und in solche Arbeitsverhältnisse, die nach Inkrafttreten der Satzungserklärung ab (Neudienstverhältniss) begründet wurden, vorgenommen" und "bei Altdienstverhältnissen wäre jedenfalls eine schrittweise Anpassung vorzunehmen gewesen" die Unrichtigkeit der ermittelten konkreten Beitragsschuld nicht aufgezeigt werden kann.
Es trifft zwar zu, dass in § 41 BAGS-KV die Übergangsbestimmungen geregelt sind und darin unterschiedliche Gehaltsanpassungsmodelle - je nach Begründung des Dienstverhältnisses - statuiert sind. Die Beschwerdeführerin unterlässt es jedoch dazulegen, welche Dienstverhältnisse vor bzw. nach dem begründet wurden und demzufolge welche Dienstnehmer dies betroffen hat, um eine konkrete fallbezogene Fehlbeurteilung verifizieren zu können. Eine pauschale Behauptung der Unrichtigkeit führt indes zu keiner Nachprüfung. Im Übrigen wird auf das im verwaltungsgerichtlichen Verfahren geltende Neuerungsverbot verwiesen (§ 41 VwGG).
In diesem Zusammenhang rügt die Beschwerdeführerin auch die Nichteinvernahme der Zeugin M.M. zum Thema "Unrichtigkeit der Höhe nach".
Eine Verletzung von Verfahrensvorschriften führt nur dann zur Aufhebung des angefochtenen Bescheides, wenn die Behörde bei Vermeidung des behaupteten Mangels zu einem anderen Ergebnis kommen konnte. Diese Relevanz des Verfahrensmangels hat ein Beschwerdeführer durch konkretes tatsächliches Vorbringen aufzuzeigen. Das vorliegend weitgehend abstrakte Beschwerdevorbringen unterlässt es, ein auf bestimmte Dienstnehmer bezogenes Tatsachensubstrat vorzutragen, das die belangte Behörde zum Gegenstand weiterer Beweisaufnahmen hätte machen können (vgl. das hg. Erkenntnis vom , 2013/08/0272). Der behauptete Verfahrensmangel liegt daher nicht vor.
4) Von der in der Beschwerde beantragten Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z. 6 VwGG abgesehen werden, weil weder aus dem Vorbringen der Parteien noch aus den Akten des Verfahrens Umstände ersichtlich sind, die eine weitere Klärung der Rechtssache durch eine mündliche Verhandlung erwarten ließen.
Der Unterlassung der Verhandlung steht auch Art. 6 EMRK nicht entgegen, weil das Vorbringen der Beschwerdeführerin angesichts der Beweislage vor dem Gerichtshof in Verbindung mit dem Neuerungsverbot und angesichts der Beschränktheit der zu entscheidenden Fragen nicht geeignet war, irgendeine Tatsachen- oder Rechtsfrage aufzuwerfen, die eine mündliche Verhandlung erforderlich machte. Der Verwaltungsgerichtshof hat in solchen Fällen eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich erachtet, wenn der entscheidungsrelevante Sachverhalt geklärt ist und die Rechtsfragen durch die bisherige Rechtsprechung (vgl. das hg. Erkenntnis vom , 2013/08/0291) beantwortet sind und in der Beschwerde keine Rechts- oder Tatfragen von einer solchen Art aufgeworfen wurden, deren Lösung eine mündliche Verhandlung erfordert hätte (vgl. etwa die hg. Erkenntnisse vom , 2003/16/0079, und vom , 2007/17/0193, mwN). Im Hinblick auf das Erfordernis der Effizienz und Ökonomie konnte die Verhandlung daher entfallen (vgl. die Entscheidung des EGMR vom , Nr. 13.556/07, Efferl/Österreich).
Wien, am