VwGH vom 20.03.2012, 2008/18/0737

VwGH vom 20.03.2012, 2008/18/0737

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Pallitsch, den Hofrat Mag. Eder, die Hofrätinnen Mag. Merl und Mag. Dr. Maurer-Kober sowie den Hofrat Mag. Straßegger als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Krawarik, über die Beschwerde der R Ö, vertreten durch Dr. Lennart Binder, LL.M., Rechtsanwalt in 1030 Wien, Rochusgasse 2/12, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom , Zl. E1/406051/2008, betreffend Erlassung eines befristeten Aufenthaltsverbots, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.326,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

I.

Mit dem angefochtenen, im Instanzenzug ergangenen Bescheid erließ die belangte Behörde gegen die Beschwerdeführerin, eine türkische Staatsangehörige, gemäß § 60 Abs. 1 und Abs. 2 Z. 8 Fremdenpolizeigesetz 2005 - FPG ein Aufenthaltsverbot in der Dauer von fünf Jahren.

Begründend führte sie aus, die Beschwerdeführerin habe erstmals am einen Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis für den Aufenthaltszweck "Schüler/Student" eingereicht, nachdem sie zuvor mit Zulassungsbrief der Wirtschaftsuniversität Wien vom unter der Voraussetzung der Erbringung des Nachweises der Kenntnis der deutschen Sprache zum Studium als ordentliche Studierende im Rahmen der Studienrichtung Volkswirtschaft zugelassen worden sei. Die Aufenthaltserlaubnis sei erstmals für den Zeitraum vom bis ausgestellt und in der Folge mehrfach verlängert worden. Mit Schreiben vom sei der Beschwerdeführerin mitgeteilt worden, dass gegen sie wegen mangelnden Studienerfolgs ein aufenthaltsbeendendes Verfahren initiiert werde.

Am sei die Beschwerdeführerin von Beamten des Finanzamts Wien 6/7/15 in einem Lokal betreten worden, als sie dort Geschirr abgespült und Speisen zubereitet habe. Seit sei sie bei der Wiener Gebietskrankenkasse als Dienstnehmerin geringfügig angemeldet gewesen. Die Beschwerdeführerin sei als Kellnerin im Ausmaß von zehn Stunden pro Woche (an fünf Wochentagen je zwei Stunden) beschäftigt gewesen, ohne dass für sie eine Beschäftigungsbewilligung vorgelegen sei. Die Beschwerdeführerin habe sich dahingehend verantwortet, dass sowohl ihre Arbeitgeberin als auch sie selbst Erkundigungen beim AMS eingeholt hätten, ob Studenten arbeiten dürften, und sie hätten telefonisch die Auskunft bekommen, dass bei geringfügiger Beschäftigung nur eine vorangehende Anmeldung beim Sozialversicherungsträger erforderlich sei.

In rechtlicher Hinsicht führte die belangte Behörde aus, die Beschwerdeführerin sei durch die Wahrnehmungen von Organen des Finanzamts Wien bei einer Beschäftigung betreten worden, die sie nach dem Ausländerbeschäftigungsgesetz nicht ausüben hätte dürfen, weil sie nicht über eine Beschäftigungsbewilligung verfügt habe. Auch der in der Richtlinie 2004/114/EG enthaltene Begriff der vorherigen Erlaubnis umfasse die Erteilung von Arbeitserlaubnissen an Studenten, die eine Erwerbstätigkeit ausüben möchten, und Art. 17 leg. cit. erlaube eine Erwerbstätigkeit nur außerhalb der Studienzeiten.

Angesichts der strengen Zweckbindung des Aufenthaltstitels und des angelasteten Fehlverhaltens widerstreite ein weiterer Aufenthalt der Beschwerdeführerin den öffentlichen Interessen in erheblichem Ausmaß und gefährde die öffentliche Ordnung.

Die Beschwerdeführerin habe nicht zu vernachlässigende familiäre Bindungen zu ihrem Bruder im Bundesgebiet, doch sei die Erlassung des Aufenthaltsverbots zulässig, weil sie zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele (etwa der Aufrechterhaltung der Ordnung und eines intakten Fremden- und Beschäftigungswesens) dringend geboten sei und das öffentliche Interesse an der Aufenthaltsbeendigung die persönlichen und privaten Interessen der Beschwerdeführerin am weiteren Aufenthalt in Österreich bei Weitem überwöge. Die aus der Aufenthaltsdauer ableitbaren Interessen der Beschwerdeführerin seien in ihrem Gewicht entscheidend gemindert, weil ihr bisheriger Aufenthalt nur zum vorübergehenden Zweck des Studiums berechtigt gewesen sei, sie aber kaum einen Studienerfolg aufzuweisen habe.

II.

Der Verwaltungsgerichtshof hat über die gegen diesen Bescheid gerichtete Beschwerde nach Vorlage der Verwaltungsakten durch die belangte Behörde erwogen:

Gemäß § 60 Abs. 1 FPG kann gegen einen Fremden ein Aufenthaltsverbot erlassen werden, wenn auf Grund bestimmter Tatsachen Annahmen gerechtfertigt ist, dass sein Aufenthalt die öffentliche Ordnung und Sicherheit gefährdet (Z. 1) oder anderen im Art. 8 EMRK genannten öffentlichen Interessen zuwiderläuft (Z 2). Gemäß § 60 Abs. 2 Z. 8 FPG hat als bestimmte Tatsache im Sinn des Abs. 1 leg. cit. zu gelten, wenn ein Fremder von Organen der Abgabenbehörde nach Maßgabe der Bestimmungen des AVOG, der regionalen Geschäftsstelle oder der Landesgeschäftsstelle des Arbeitsmarktservice bei einer Beschäftigung betreten wird, die er nach dem Ausländerbeschäftigungsgesetz nicht ausüben hätte dürfen.

Die Richtlinie 2004/114/EG des Rates vom über die Bedingungen für die Zulassung von Drittstaatsangehörigen zur Absolvierung eines Studiums oder zur Teilnahme an einem Schüleraustausch, einer unbezahlten Ausbildungsmaßnahme oder einem Freiwilligendienst (in weiterer Folge kurz: Studenten-Richtlinie) lautet in der Präambel unter anderem wie folgt:

"(18) Um den Studenten mit Drittstaatsangehörigkeit zu ermöglichen, einen Teil der Kosten ihres Studiums zu tragen, sollten sie nach Maßgabe der in dieser Richtlinie festgelegten Bedingungen Zugang zum Arbeitsmarkt erhalten. Der Grundsatz des Zugangs zum Arbeitsmarkt zu den Bedingungen dieser Richtlinie sollte zur allgemeinen Regel erhoben werden; allerdings sollten die Mitgliedstaaten bei Vorliegen außergewöhnlicher Umstände die Möglichkeit erhalten, die Lage auf ihrem eigenen Arbeitsmarkt zu berücksichtigen.

(19) Der Begriff der vorherigen Erlaubnis umfasst auch die Erteilung von Arbeitserlaubnissen an Studenten, die eine Erwerbstätigkeit ausüben möchten."

Art. 17 lautet samt Überschrift:

"Erwerbstätigkeit von Studenten

(1) Außerhalb ihrer Studienzeiten sind Studenten vorbehaltlich der Regeln und Bedingungen für die jeweilige Tätigkeit im Aufnahmemitgliedstaat berechtigt, eine Anstellung anzunehmen, und ihnen kann die Berechtigung erteilt werden, einer selbstständigen Erwerbstätigkeit nachzugehen. Dabei kann die Lage auf dem Arbeitsmarkt des betreffenden Mitgliedstaats berücksichtigt werden.

Falls erforderlich erteilen die Mitgliedstaaten den Studenten und/oder Arbeitgebern zuvor eine Erlaubnis gemäß dem nationalen Recht.

(2) Der einzelne Mitgliedstaat legt fest, wie viele Stunden pro Woche oder wie viele Tage bzw. Monate pro Jahr eine solche Tätigkeit maximal ausgeübt werden darf; diese Obergrenze darf 10 Stunden pro Woche oder eine entsprechende Zahl von Tagen bzw. Monaten pro Jahr nicht unterschreiten.

(3) Der Aufnahmemitgliedstaat kann den Zugang zur Erwerbstätigkeit im ersten Jahr des Aufenthalts beschränken.

(4) Die Mitgliedstaaten können verlangen, dass die Studenten die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit einer von den Mitgliedstaaten bestimmten Behörde, sei es im Voraus oder anderweitig, melden. Eine Meldepflicht, im Voraus oder anderweitig, kann auch ihren Arbeitgebern auferlegt werden."

Gemäß § 64 Abs. 2 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz - NAG richtet sich die Ausübung einer Erwerbstätigkeit für Drittstaatsangehörige mit einer Aufenthaltsbewilligung für Studierende nach dem Ausländerbeschäftigungsgesetz. Diese Erwerbstätigkeit darf das Erfordernis des Studiums als ausschließlicher Aufenthaltszweck nicht beeinträchtigen.

§ 3 Abs. 2 Ausländerbeschäftigungsgesetz - AuslBG lautet:

"Ein Ausländer darf, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, eine Beschäftigung nur antreten und ausüben, wenn für ihn eine Beschäftigungsbewilligung, eine Zulassung als Schlüsselkraft oder eine Entsendebewilligung erteilt oder eine Anzeigebestätigung ausgestellt wurde oder wenn er eine für diese Beschäftigung gültige Arbeitserlaubnis oder einen Befreiungsschein oder eine 'Niederlassungsbewilligung - unbeschränkt' oder einen Aufenthaltstitel 'Daueraufenthalt-EG' oder einen Niederlassungsnachweis' besitzt."

Sonderbestimmungen für türkische Staatsangehörige gemäß § 4c AuslBG setzen voraus, dass sie Art. 6, 7 oder 9 des Beschlusses des Assoziationsrates EWG-Türkei-ARB-Nr. 1/1980 erfüllen.

Gemäß § 5 Abs. 5 AuslBG dürfen für Ausländer, die über einen Aufenthaltstitel zum Zweck des Studiums oder einer Schulausbildung verfügen, Beschäftigungsbewilligungen im Rahmen von Kontingenten nur für eine Gesamtdauer von höchstens drei Monaten pro Kalenderjahr erteilt werden.

Die Beschwerdeführerin stützt sich im Wesentlichen auf Art. 17 Studenten-Richtlinie und die erfolgte Meldung ihrer Tätigkeit bei der Gebietskrankenkasse, weshalb die Anwendung von § 60 FPG nicht gerechtfertigt sei.

Das zur Beurteilung der Ausübung einer Erwerbstätigkeit gemäß § 64 Abs. 2 NAG anzuwendende AuslBG verlangt grundsätzlich eine - nach Art. 17 Abs. 4 Studenten-Richtlinie (vgl. auch Erwägungsgrund 19 deren Präambel) zulässige - Beschäftigungsbewilligung (§ 3 Abs. 2 AuslBG). Diesem Erfordernis kam die Beschwerdeführerin unstrittig nicht nach, jedoch rechtfertigte sie sich ihrer - auch im angefochtenen Bescheid zitierten - Stellungnahme zufolge mit einer Erkundigung beim Arbeitsmarktservice und der von dort erhaltenen Antwort, bei geringfügiger Beschäftigung sei nur eine vorangehende Anmeldung beim Sozialversicherungsträger erforderlich. Das wurde von der belangten Behörde nicht weiter geprüft und auch zur sich aus dem vorgelegten Verwaltungsakt ergebenden Anmeldung der Beschwerdeführerin bei der Gebietskrankenkasse traf sie keine Feststellungen. Trifft aber das Vorbringen der Beschwerdeführerin zu einer Nachfrage beim AMS über die Voraussetzungen einer Beschäftigung und eine Offenlegung ihrer Tätigkeit bei der Gebietskrankenkasse zu, könnte vom Bestehen einer Gefährdung des öffentlichen Interesses an der Verhinderung von Schwarzarbeit und zur Wahrung eines geordneten Arbeitsmarktes nicht ohne Weiteres ausgegangen werden.

Da die belangte Behörde dahingehende Ermittlungen nicht durchführte und entsprechende Feststellungen nicht traf, war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. II Nr. 455/2008.

Wien, am