VwGH vom 26.05.2014, 2013/08/0199

VwGH vom 26.05.2014, 2013/08/0199

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Waldstätten und den Hofrat Dr. Strohmayer, die Hofrätinnen Dr. Julcher und Mag. Rossmeisel sowie den Hofrat Dr. Pürgy als Richter und Richterinnen, im Beisein des Schriftführers Mag. Berthou, über die Beschwerde der DI (FH) U B in Wien, vertreten durch Mag. Franz Schruiff, Rechtsanwalt in 1040 Wien, Gußhausstraße 14/7, gegen den auf Grund eines Beschlusses des Ausschusses für Leistungsangelegenheiten ausgefertigten Bescheid der Landesgeschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Wien vom , Zl. 2013-0566-9- 002084, betreffend Arbeitslosengeld, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhalts aufgehoben.

Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Die Beschwerdeführerin brachte am elektronisch über das eAMS-Konto einen Antrag auf Arbeitslosengeld ein. Sie gab darin eine Beschäftigung als Redakteurin von bis an.

Am sprach sie persönlich bei der zuständigen regionalen Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice (im Folgenden: AMS) vor und unterzeichnete den Antrag. In der Folge erhielt sie laut übereinstimmender Darstellung in der Beschwerde und im angefochtenen Bescheid eine Mitteilung gemäß § 47 Abs. 1 AlVG über ihren Leistungsanspruch (den vorgelegten Verwaltungsakten ist eine solche Mitteilung nicht zu entnehmen).

Die Beschwerdeführerin sprach daraufhin am neuerlich beim AMS vor und erklärte, dass sie den Antrag vom zurückziehen und erst ab eine Leistung beantragen wolle, um so eine günstigere Bemessungsgrundlage (auf Basis des letzten anstelle des vorletzten Kalenderjahres vor Geltendmachung) zu erreichen. Laut einer elektronischen Aufzeichnung des AMS wurde ihr mitgeteilt, dass das rechtlich nicht möglich sei, weil der Antrag bereits ordnungsgemäß eingebracht worden sei. Noch am langte ein Fax der Beschwerdeführerin ein, in dem sie erklärte, dass sie den Antrag auf Gewährung von Arbeitslosengeld zurückziehe.

Am brachte sie laut Beschwerdevorbringen elektronisch über das eAMS-Konto einen neuen Antrag auf Arbeitslosengeld ein. Laut Feststellungen im angefochtenen Bescheid handelte es sich um eine (bloße) Arbeitslosmeldung. In den vorgelegten Verwaltungsakten findet sich ein Bildschirmprint mit dem Kürzel "ANTALM" und dem Hinweis "Arbeitslosmeldung"; der tatsächliche Inhalt der elektronischen Eingabe lässt sich den vorgelegten Verwaltungsakten nicht entnehmen.

Am 2. Juli teilte das AMS der Beschwerdeführerin über das eAMS-Konto mit, dass ihr "Ansuchen auf Rückziehung" des Antrags eingehend geprüft worden sei. Leider könne ihrem Ansuchen nicht entsprochen werden. Laut Auskunft der Bundesgeschäftsstelle des AMS sei es zwar gemäß § 13 Abs. 7 AVG grundsätzlich möglich, Anbringen zurückzuziehen, auf Grund der bereits erfolgten Übermittlung der Mitteilung über den Leistungsanspruch sei aber der verfahrenseinleitende Antrag bereits erledigt und könne nicht mehr zurückgezogen werden. Der Beschwerdeführerin werde in den nächsten Tagen ein Bescheid zugestellt, der ihr das Rechtsmittel der Berufung ermögliche.

Mit Bescheid vom stellte das AMS (regionale Geschäftsstelle) "auf Grund Ihrer Eingabe" fest, dass der Beschwerdeführerin gemäß § 17 iVm §§ 44 und 46 AlVG das Arbeitslosengeld ab dem gebühre.

In der Begründung wurde nach Wiedergabe der maßgeblichen gesetzlichen Bestimmungen ausgeführt, die Beschwerdeführerin habe bereits vor Eintritt der Arbeitslosigkeit am eine elektronische Arbeitslosmeldung übermittelt und fristgerecht innerhalb von zehn Tagen nach Eintritt der Arbeitslosigkeit am persönlich vorgesprochen. Somit habe sie ihren Anspruch auf Arbeitslosengeld am erfolgreich geltend gemacht, was ihr mit Übermittlung der Mitteilung über den Leistungsanspruch vom bestätigt worden sei. Es sei daher spruchgemäß zu entscheiden gewesen.

In der gegen diesen Bescheid erhobenen Berufung wandte sich die Beschwerdeführerin gegen die Rechtsansicht, dass der Antrag auf Arbeitslosengeld nicht wieder zurückgezogen werden könne. Sie beantragte, die belangte Behörde möge den Bescheid vom aufheben und dem Antrag auf Zurückziehung des Antrages auf Arbeitslosengeld Folge geben sowie der Beschwerdeführerin entsprechend dem zweiten Antrag Arbeitslosengeld ab auf Basis der Jahresbeitragsgrundlage des letzten Kalenderjahres zusprechen.

Mit dem angefochtenen Bescheid wurde der Berufung keine Folge gegeben.

Begründend führte die belangte Behörde nach der Darstellung des Verfahrensgangs im Wesentlichen aus, dass die Beschwerdeführerin am elektronisch einen Antrag auf Zuerkennung des Arbeitslosengeldes gestellt habe, welchen sie ordnungsgemäß innerhalb der festgesetzten Frist am unterschrieben beim AMS belassen habe. Auf Grund dieses Antrages habe das AMS ihre Ansprüche noch am selben Tag berechnet und festgestellt, dass sie bis bei der Firma D. beschäftigt gewesen sei und ihre Arbeitslosigkeit somit mit eingetreten sei. Als Bemessung für das Arbeitslosengeld ab sei entsprechend den gesetzlichen Regelungen bei einer Antragstellung im ersten Halbjahr die beim Hauptverband der österreichischen Sozialversicherungsträger gespeicherte Jahresbeitragsgrundlage aus dem Jahr 2011 herangezogen worden. Mit Schreiben vom sei der Arbeitslosengeldanspruch der Beschwerdeführerin seitens des AMS mit einer Mitteilung gemäß § 47 Abs. 1 AlVG anerkannt worden. Demnach sei mit das Verwaltungsverfahren über den Antrag abgeschlossen und eine Zurückziehung des Antrages nicht mehr möglich gewesen.

Die erstinstanzliche Behörde habe daher folgerichtig ausgesprochen, dass der Beschwerdeführerin das Arbeitslosengeld ab gebühre, und daher (implizit) ihrem "Anbringen vom 'Zurückziehung Antrag Arbeitslosengeld' keine Folge gegeben". Andernfalls hätte das zuerkannte Arbeitslosengeld gemäß § 24 Abs. 2 AlVG widerrufen werden müssen, was aber rechtswidrig gewesen wäre.

Ein Parteiengehör habe unterbleiben können, weil die Umstände, die zur Erlassung des gegenständlichen Bescheides geführt hätten, nicht bestritten würden, keine neuen Tatsachen hervorgekommen wären und die Feststellung der Anhängigkeit eines Verwaltungsverfahrens über den Antrag vom zum Zeitpunkt des Einlangens des Anbringens vom lediglich einer rechtlichen Würdigung unterliege.

Der Vollständigkeit halber sei noch darauf verwiesen, so die belangte Behörde weiter, dass am lediglich eine Online-Arbeitslosmeldung der Beschwerdeführerin eingelangt sei; ein entsprechender Antrag auf Zuerkennung des Arbeitslosengeldes ab sei daher von der Beschwerdeführerin nie gestellt worden, sodass darüber auch nicht bescheidmäßig abgesprochen werden könne.

Über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof nach Aktenvorlage und Erstattung einer Gegenschrift durch die belangte Behörde erwogen:

1. Gemäß § 17 Abs. 1 AlVG gebührt das Arbeitslosengeld, wenn sämtliche Voraussetzungen für den Anspruch auf Arbeitslosengeld erfüllt sind und der Anspruch auf Arbeitslosengeld nicht gemäß § 16 ruht, ab dem Tag der Geltendmachung, frühestens ab dem Eintritt der Arbeitslosigkeit. Der Anspruch gilt gemäß § 17 Abs. 1 Z 2 AlVG rückwirkend ab dem Eintritt der Arbeitslosigkeit, wenn die Arbeitslosmeldung bereits vor Eintritt der Arbeitslosigkeit bei der zuständigen regionalen Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice eingelangt ist und die Geltendmachung sowie eine gemäß § 46 Abs. 1 erforderliche persönliche Vorsprache binnen 10 Tagen nach Eintritt der Arbeitslosigkeit erfolgen, soweit das Arbeitsmarktservice nicht hinsichtlich der persönlichen Vorsprache Abweichendes verfügt hat.

§ 46 Abs. 1 AlVG in der Fassung BGBl. I Nr. 63/2010 lautet:

"(1) Der Anspruch auf Arbeitslosengeld ist bei der zuständigen regionalen Geschäftsstelle persönlich geltend zu machen. Für die Geltendmachung des Anspruches ist das bundeseinheitliche Antragsformular zu verwenden. Personen, die über ein sicheres elektronisches Konto beim Arbeitsmarktservice (eAMS-Konto) verfügen, können den Anspruch auf elektronischem Weg über dieses geltend machen, wenn die für die Arbeitsvermittlung erforderlichen Daten dem Arbeitsmarktservice bereits auf Grund einer Arbeitslosmeldung oder Vormerkung zur Arbeitsuche bekannt sind; sie müssen jedoch, soweit vom Arbeitsmarktservice keine längere Frist gesetzt wird, innerhalb von 10 Tagen nach elektronischer Übermittlung des Antrages persönlich bei der regionalen Geschäftsstelle vorsprechen. Das Arbeitsmarktservice kann die eigenhändige Unterzeichnung eines elektronisch eingebrachten Antrages binnen einer gleichzeitig zu setzenden angemessenen Frist verlangen, wenn Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Geltendmachung bestehen. Der Anspruch gilt erst dann als geltend gemacht, wenn die arbeitslose Person bei der regionalen Geschäftsstelle zumindest einmal persönlich vorgesprochen hat und das vollständig ausgefüllte Antragsformular übermittelt hat. Das Arbeitsmarktservice kann vom Erfordernis der persönlichen Vorsprache absehen. Eine persönliche Vorsprache ist insbesondere nicht erforderlich, wenn die arbeitslose Person aus zwingenden Gründen, wie Arbeitsaufnahme oder Krankheit, verhindert ist, den Antrag persönlich abzugeben. Die Abgabe (das Einlangen) des Antrages ist der arbeitslosen Person zu bestätigen. Können die Anspruchsvoraussetzungen auf Grund des eingelangten Antrages nicht ohne weitere persönliche Vorsprache beurteilt werden, so ist die betroffene Person verpflichtet, auf Verlangen bei der regionalen Geschäftsstelle vorzusprechen. Hat die regionale Geschäftsstelle zur Klärung der Anspruchsvoraussetzungen, etwa zur Beibringung des ausgefüllten Antragsformulars oder von sonstigen Unterlagen, eine Frist bis zu einem bestimmten Zeitpunkt gesetzt und wurde diese ohne triftigen Grund versäumt, so gilt der Anspruch erst ab dem Tag als geltend gemacht, ab dem die beizubringenden Unterlagen bei der regionalen Geschäftsstelle eingelangt sind."

Gemäß § 47 Abs. 1 AlVG in der Fassung BGBl. I Nr. 47/1997 ist dem Leistungsbezieher, wenn der Anspruch auf Arbeitslosengeld bzw. Notstandshilfe anerkannt wird, eine Mitteilung auszustellen, aus der insbesondere Beginn, Ende und Höhe des Leistungsanspruches hervorgehen. Wird der Anspruch nicht anerkannt, so ist darüber dem Antragsteller ein Bescheid auszufolgen.

2. Bei der Mitteilung nach § 47 Abs. 1 AlVG handelt es sich um keinen Bescheid (vgl. etwa den hg. Beschluss vom , Zl. 2012/08/0022, mwN). Sie bewirkt zwar in Verbindung mit § 24 AlVG einen Schutz vor dem willkürlichen Widerruf gewährter Geldleistungen, entfaltet aber im Übrigen keine Rechtskraftwirkungen und steht - unter Beachtung der Grenzen des § 24 AlVG - insbesondere einer nachfolgenden bescheidmäßigen Erledigung derselben Sache nicht entgegen. In diesem Sinn hat der Verwaltungsgerichtshof bereits ausgesprochen, dass es dem Leistungsbezieher nach Erhalt einer derartigen Mitteilung - unbefristet - freisteht, einen bescheidmäßigen Abspruch über Beginn, Ende oder Höhe der Leistung zu begehren (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2000/08/0115, mit Hinweis auf das Erkenntnis vom , Zl. 99/08/0023, VwSlg. 15.699 A). Ebenso hat er aber auch die Möglichkeit, den Antrag zurückzuziehen; die Zurückziehung eines Antrags ist gemäß § 13 Abs. 7 AVG generell zulässig, solange er nicht rechtskräftig erledigt ist (vgl. Hengstschläger/Leeb , AVG § 13 Rz 42). Eine bloße Mitteilung nach § 47 Abs. 1 AlVG, durch die der Arbeitslose - möglicherweise (wie im Beschwerdefall) erstmals - über die von der Behörde angenommene Höhe und Dauer des Anspruchs in Kenntnis gesetzt wird, nimmt ihm nicht das Recht, über seinen Antrag zu disponieren.

Die Antragszurückziehung der Beschwerdeführerin vom war somit wirksam. Einer Annahme oder "Stattgebung" der Zurückziehung bedurfte es nicht (vgl. Hengstschläger/Leeb , AVG § 13 Rz 41).

Von einer Geltendmachung des Arbeitslosengeldes mit durfte die belangte Behörde daher nicht ausgehen, jedoch hätte sie den behaupteten Antrag auf Arbeitslosengeld vom auf seine Wirksamkeit prüfen und ihn allenfalls bei ihrem Ausspruch, ob und ab wann der Beschwerdeführerin Arbeitslosengeld gebührt, berücksichtigen müssen.

3. Der angefochtene Bescheid war gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhalts aufzuheben.

Der Kostenzuspruch gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der (auf "Altfälle" gemäß § 3 Z 1 der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014, BGBl. II Nr. 518/2013, idF BGBl. II Nr. 8/2014 weiter anzuwendenden) VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.

Von der in der Beschwerde beantragten Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 4 und 6 VwGG abgesehen werden.

Wien, am