VwGH vom 24.01.2012, 2008/18/0710
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Pallitsch, den Hofrat Mag. Eder, die Hofrätinnen Mag. Merl und Mag. Dr. Maurer-Kober sowie den Hofrat Mag. Straßegger, im Beisein der Schriftführerin Mag. Krawarik, über die Beschwerde der NY in W, vertreten durch Dr. Wolfgang Blaschitz, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Walfischgasse 11/10, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom , Zl. E1/247367/2008, betreffend Erlassung eines unbefristeten Aufenthaltsverbotes, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.326,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
I.
Mit dem angefochtenen, im Instanzenzug ergangenen Bescheid erließ die belangte Behörde gegen den Beschwerdeführer, einen türkischen Staatsangehörigen, ein auf § 60 Abs. 1 und Abs. 2 Z 1 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG) gestütztes unbefristetes Aufenthaltsverbot.
In ihrer Begründung - soweit hier wesentlich - führte die belangte Behörde aus, der Beschwerdeführer lebe seit dem Jahr 1986 ständig in Österreich und verfüge über einen unbefristeten Aufenthaltstitel. Er habe hier familiäre Bindungen, weil seine vier Kinder in Österreich lebten. Diese seien österreichische Staatsbürger. Vor seiner Inhaftierung sei der Beschwerdeführer weder beschäftigt noch sozialversichert gewesen. Er verfüge "angeblich" über keine Barmittel.
Im Weiteren führte die belangte Behörde die Verurteilungen des Beschwerdeführers sowie hinsichtlich zwei dieser Verurteilungen auch das diesen zu Grunde liegende Verhalten an. Sie erachtete in Anbetracht dessen die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes nach § 60 FPG als gerechtfertigt und auch aus dem Blickwinkel des § 66 FPG als zulässig.
Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer zunächst Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, der deren Behandlung mit Beschluss vom , B 1419/08-3, ablehnte und die Beschwerde dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abtrat.
II.
Der Verwaltungsgerichtshof hat über die - im verwaltungsgerichtlichen Verfahren ergänzte - Beschwerde nach Vorlage der Verwaltungsakten und Erstattung einer Gegenschrift durch die belangte Behörde erwogen:
Der Beschwerdeführer wendet sich sowohl gegen die Zuständigkeit der belangten Behörde zur Entscheidung über seine Berufung als auch gegen das Nichtanwenden des § 86 Abs. 1 FPG mit dem Vorbringen, es komme ihm eine Rechtsstellung nach Art. 6 ARB 1/80 zu.
Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes haben über Berufungen gegen Entscheidungen nach dem FPG, wenn es sich bei dem Fremden um einen türkischen Staatsangehörigen, dem die Rechtsstellung nach Art. 6 oder Art. 7 ARB zukommt, die unabhängigen Verwaltungssenate zu entscheiden (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2007/18/0262).
Für die Frage, ob die belangte Behörde zur Entscheidung über die vom Beschwerdeführer erhobene Berufung zuständig war, ist es daher wesentlich, ob ihm die Rechtsstellung gemäß Art. 6 oder Art. 7 ARB 1/80 zugestanden ist. Die belangte Behörde stellte im angefochtenen Bescheid fest, dass der Beschwerdeführer seit dem Jahr 1986 ständig in Österreich gelebt und über einen unbefristeten Aufenthaltstitel verfügt habe. Ausreichende Feststellungen, die die Beurteilung ermöglicht hätten, ob dem Beschwerdeführer eine Rechtsstellung - was ausgehend vom Akteninhalt fallbezogen in Betracht zu ziehen war - nach Art. 6 ARB 1/80 zugekommen ist, tätigte die belangte Behörde, weil sie offenkundig in Verkennung der Rechtslage davon ausging, dies sei nicht erforderlich, nicht. Angesichts der in den Verwaltungsakten dokumentierten Beschäftigungsverhältnisse des Beschwerdeführers, zu denen die belangte Behörde im Berufungsverfahren sogar - wenn auch nur kursorisch - Erhebungen tätigte, wäre es aber unabdingbar gewesen, nähere Feststellungen dazu zu treffen. Erst dann wäre es auch möglich gewesen zu beurteilen, ob der belangten Behörde die Zuständigkeit für die Erledigung der vom Beschwerdeführer erhobenen Berufung zukam.
Soweit die belangte Behörde in ihrer im verwaltungsgerichtlichen Verfahren erstatteten Gegenschrift vorbringt, der Beschwerdeführer habe sich in der Zeit von 2005 bis 2007 in seinem Heimatland aufgehalten, ist sie darauf hinzuweisen, dass dies im Widerspruch zu ihren Feststellungen im angefochtenen Bescheid, wonach der Beschwerdeführer seit 1986 ständig in Österreich aufhältig sei, steht und es sich sohin bei diesem sachverhaltsbezogenen Vorbringen um eine im verwaltungsgerichtlichen Verfahren unbeachtliche Neuerung handelt (§ 41 Abs. 1 VwGG). Selbst bei Zutreffen dieses Umstandes wären dazu aber ebenfalls ergänzende Feststellungen notwendig gewesen, um beurteilen zu können, ob der Beschwerdeführer - so wie die belangte Behörde in ihrer Gegenschrift behauptet - den österreichischen Arbeitsmarkt endgültig verlassen hätte und so seiner Berechtigung nach Art. 6 ARB 1/80 verlustig gegangen wäre, zumal - wie die belangte Behörde (was aus ihren Ausführungen in der Gegenschrift hervorgeht) selbst erkannt hat - nicht jede Abwesenheit vom Arbeitsmarkt zum Verlust der genannten Berechtigung führt (vgl. auch Akyürek, Das Assoziationsabkommen EWG-Türkei, 125 ff).
Sohin war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen - vorrangig wahrzunehmender - Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.
Wien, am
Fundstelle(n):
LAAAE-81931