VwGH vom 26.11.2008, 2006/08/0208
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Müller und die Hofräte Dr. Strohmayer, Dr. Moritz, Dr. Lehofer und Dr. Doblinger als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Marzi, über die Beschwerde des Dipl.- Ing. Dr. WL in W, vertreten durch Dr. Christian Barmüller, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Löwelstraße 8, gegen den auf Grund eines Beschlusses des Ausschusses für Leistungsangelegenheiten ausgefertigten Bescheid der Landesgeschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Wien vom , Zl. LGSW/Abt. 3- AlV/1218/56/2006-42, betreffend Verlust des Anspruchs auf erweiterte Überbrückungshilfe, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund (Bundesminister für Wirtschaft und Arbeit) hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 991,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit Bescheid der regionalen Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Wien Esteplatz vom wurde ausgesprochen, dass der Beschwerdeführer gemäß § 2 Abs. 1 Überbrückungshilfegesetz 1963 (ÜHG) in Verbindung mit § 10 Arbeitslosenversicherungsgesetz 1977 (AlVG) für die Zeit vom bis keine Überbrückungshilfe erhalte. Begründend wurde nach Darlegung der Rechtsgrundlagen ausgeführt, das Ermittlungsverfahren habe ergeben, dass der Beschwerdeführer eine zumutbare, vom Arbeitsmarktservice zugewiesene Beschäftigung bei einem näher bezeichneten Unternehmen nicht angenommen habe.
Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer Berufung, in der er unter anderem auf Betreuungspflichten gegenüber seiner lebensbedrohlich erkrankten Mutter hinwies. Er habe den Mitarbeiter des Arbeitsmarktservice in einer Besprechung am darauf hingewiesen, dass er seine Mutter während ihres Spitalsaufenthalts laufend besucht und sie danach in Graz gepflegt habe. Im Hinblick auf die ihm vom Arbeitsmarktservice am zugewiesene Beschäftigung, deren Nichtannahme dem erstinstanzlichen Bescheid zu Grunde gelegt wurde, führte der Beschwerdeführer aus, dass er sich mit diesem Unternehmen sofort nach der Beendigung der Betreuung seiner Mutter in Verbindung gesetzt habe. Er habe dieses Unternehmen am vergeblich zu erreichen versucht und in der Folge nach einem telefonischen Kontakt mit dem Geschäftsführer am am ein persönliches Vorstellungsgespräch geführt.
Mit dem angefochtenen Bescheid hat die belangte Behörde auf Grund der Berufung des Beschwerdeführers den erstinstanzlichen Bescheid gemäß § 66 Abs. 2 AVG behoben und die Rechtssache zur Erlassung eines neues Bescheides an die Behörde erster Instanz zurückverwiesen. In der Begründung des angefochtenen Bescheides stellte die belangte Behörde fest, dass dem Beschwerdeführer vom Arbeitsmarktservice am eine Beschäftigung als Bauingenieur bei der Firma S. mit einer Entlohnung von brutto EUR 3.200,-- angeboten worden sei. Der Beschwerdeführer habe sich am dort persönlich beworben, wobei das Bewerbungsgespräch Mitte Dezember vereinbart worden sei. Laut Angaben des Beschwerdeführers sei es zu keiner früheren Bewerbung gekommen, da er in der Zeit vom bis praktisch rund um die Uhr mit der Pflege seiner erkrankten Mutter beschäftigt gewesen sei und ihm mit Ausnahme des Besuches eines CAD-Kurses, an dessen erfolgreichem Abschluss er aus beruflichen Gründen interessiert gewesen sei, keinerlei Zeit verblieben sei. Die Pflege seiner Mutter habe oberste Priorität gehabt. Anlässlich seiner Vorsprache am bei der Firma S. sei ihm mitgeteilt worden, dass diese Stelle bereits vergeben sei, er aber für "innovative Weiterentwicklungen" vorgemerkt würde. Dies sei auch auf der Vorstellkarte vermerkt worden. Die Entscheidung für einen anderen Bewerber sei laut Auskunft des Geschäftsführers der Firma S. gegenüber der belangten Behörde bereits Mitte Oktober gefallen und der Beschwerdeführer wäre für diese Stelle nicht in Frage gekommen.
In rechtlicher Hinsicht führte die belangte Behörde aus, dass der Beschwerdeführer nach den vorliegenden Beweisergebnissen die Annahme der Stelle weder verweigert noch seine verspätete Bewerbung im konkreten Fall Einfluss auf das Nichtzustandekommen des Dienstverhältnisses gehabt habe, da die Stelle im Zeitpunkt der Zuweisung durch das Arbeitsmarktservice bereits vergeben gewesen sei. Eine Sanktion nach § 10 AlVG komme daher nicht in Betracht.
Allerdings stehe nach den eigenen Ausführungen des Beschwerdeführers seine Verfügbarkeit im Zeitraum Oktober bis Dezember 2005 in Zweifel, da er nach eigenen Angaben bis zu 24 Stunden am Tag mit der Pflege seiner erkrankten Mutter beschäftigt gewesen sei und dieser Aufgabe oberste Priorität beigemessen habe. Die erstinstanzliche Behörde werde daher zu prüfen haben, ob die Anspruchsvoraussetzung der Verfügbarkeit nach § 7 AlVG gegeben gewesen sei, und gegebenenfalls mittels Bescheides darüber abzusprechen haben.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die Rechtswidrigkeit seines Inhaltes sowie Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend machende Beschwerde mit dem Antrag, ihn kostenpflichtig aufzuheben.
Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift mit dem Antrag auf kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
1. Der angefochtene Bescheid stützt sich auf § 66 Abs. 2 AVG. Ein auf dieser Bestimmung gegründeter letztinstanzlicher Bescheid ist ein verfahrensrechtlicher Bescheid, der durch Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof angefochten werden kann. Eine Verletzung von Rechten des Beschwerdeführers durch einen solchen aufhebenden Bescheid kann unter anderem darin gelegen sein, dass die Berufungsbehörde von dieser Regelung mangels Vorliegens der gesetzlichen Voraussetzungen zu Unrecht Gebrauch gemacht und keine Sachentscheidung im Sinne des § 66 Abs. 4 AVG erlassen hat (vgl. das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2000/08/0200).
§ 66 AVG lautet:
"§ 66. (1) Notwendige Ergänzungen des Ermittlungsverfahrens hat die Berufungsbehörde durch eine im Instanzenzug untergeordnete Behörde durchführen zu lassen oder selbst vorzunehmen.
(2) Ist der der Berufungsbehörde vorliegende Sachverhalt so mangelhaft, daß die Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung unvermeidlich erscheint, so kann die Berufungsbehörde den angefochtenen Bescheid beheben und die Angelegenheit zur neuerlichen Verhandlung und Erlassung eines neuen Bescheides an eine im Instanzenzug untergeordnete Behörde zurückverweisen.
(3) Die Berufungsbehörde kann jedoch die mündliche Verhandlung und unmittelbare Beweisaufnahme auch selbst durchführen, wenn hiemit eine Ersparnis an Zeit und Kosten verbunden ist.
(4) Außer dem in Abs. 2 erwähnten Fall hat die Berufungsbehörde, sofern die Berufung nicht als unzulässig oder verspätet zurückzuweisen ist, immer in der Sache selbst zu entscheiden. Sie ist berechtigt, sowohl im Spruch als auch hinsichtlich der Begründung (§ 60) ihre Anschauung an die Stelle jener der Unterbehörde zu setzen und demgemäß den angefochtenen Bescheid nach jeder Richtung abzuändern."
2. Im Beschwerdefall hatte die erstinstanzliche Behörde ausgesprochen, dass der Beschwerdeführer gemäß § 2 ÜHG in Verbindung mit § 10 AlVG im Zeitraum vom 21. Oktober bis keine Überbrückungshilfe erhalte. Dies kann in Verbindung mit der Begründung des Bescheides sowie unter Berücksichtigung des Umstandes, dass der Beschwerdeführer vor Erlassung dieses Bescheides im laufenden Bezug der Überbrückungshilfe gestanden ist, nicht als Abweisung eines (zu diesem Zeitpunkt auch nicht offenen) Antrages auf Überbrückungshilfe verstanden werden, sondern nur dahin, dass der Beschwerdeführer gemäß den zitierten Gesetzesbestimmungen in diesem Zeitraum seinen Anspruch auf Überbrückungshilfe verloren habe, da er eine ihm zugewiesene Beschäftigung nicht angenommen habe.
Sache des Berufungsverfahrens war daher, ob die erstinstanzliche Behörde zu Recht gemäß § 2 ÜHG in Verbindung mit § 10 AlVG auf den Verlust des Anspruchs des Beschwerdeführers auf Überbrückungshilfe erkannt hat.
Auf Grund des von ihr durchgeführten Ermittlungsverfahrens ist die belangte Behörde zum Ergebnis gekommen, dass die dem Beschwerdeführer im erstinstanzlichen Bescheid vorgeworfene Vereitelungshandlung nicht ursächlich für das Nichtzustandekommen des Beschäftigungsverhältnisses war. Sie ist daher - wie sich aus der Begründung des angefochtenen Bescheides ergibt - zutreffend davon ausgegangen, dass die Verhängung einer Sanktion nach § 2 ÜHG in Verbindung mit § 10 AlVG auf Grund des verfahrensgegenständlichen Sachverhaltes nicht in Betracht kommt.
Da somit der entscheidungswesentliche Sachverhalt geklärt war, hätte die belangte Behörde den erstinstanzlichen Bescheid, mit dem diese Sanktion verhängt wurde, gemäß § 66 Abs. 4 AVG ersatzlos beheben müssen und durfte die Angelegenheit nicht zur neuerlichen Verhandlung und Erlassung eines neuen Bescheides gemäß § 66 Abs. 2 AVG an die erstinstanzliche Behörde zurückverweisen.
Der Beschwerdeführer wurde durch den angefochtenen Bescheid daher in seinem Recht auf eine Sachentscheidung gemäß § 66 Abs. 4 AVG verletzt, wobei diese Sachentscheidung jedoch - entgegen der vom Beschwerdeführer offenbar vertretenen Ansicht - nicht die bescheidmäßige Zuerkennung der Überbrückungshilfe zum Inhalt hätte haben können, sondern - da nur der Verlust des Anspruchs vom 21. Oktober bis Sache des erstinstanzlichen Verfahrens und des Berufungsverfahrens war - die ersatzlose Behebung des erstinstanzlichen Bescheides.
Das Wiederaufleben des Anspruchs auf Überbrückungshilfe wäre vielmehr die unmittelbare Folge des Behebungsbescheides. Jedoch stünde diese ersatzlose Behebung des erstinstanzlichen Bescheides gemäß § 66 Abs. 4 AVG im Übrigen der von der belangten Behörde für notwendig erachteten Prüfung des Vorliegens der für die Gewährung der Überbrückungshilfe erforderlichen Voraussetzung der Verfügbarkeit durch die regionale Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice und einer allfälligen Vorgangsweise nach § 24 Abs. 1 AlVG bei Vorliegen der Voraussetzungen dieser Gesetzesstelle in einem neuen Verfahren nicht entgegen.
Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.
Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG i.V.m. der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003, BGBl. II Nr. 333.
Wien, am
Fundstelle(n):
LAAAE-81918