Suchen Hilfe
VwGH vom 27.08.2019, Ra 2019/08/0065

VwGH vom 27.08.2019, Ra 2019/08/0065

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Bachler sowie die Hofräte Dr. Strohmayer und Mag. Stickler als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Sinai, über die Revision des C A in Wien, vertreten durch Dr. Ingo Riß, Rechtsanwalt in 1040 Wien, Gußhausstraße 14/Top 7, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom , W198 2209742-1/7E, betreffend Verlust des Anspruchs auf Notstandshilfe (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Arbeitsmarktservice Wien Huttengasse), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1 Mit Bescheid vom sprach das Arbeitsmarktservice Wien Huttengasse (AMS) aus, dass der Revisionswerber gemäß § 38 iVm § 10 AlVG den Anspruch auf Notstandshilfe vom 2. Oktober bis zum verloren habe. Eine Nachsicht werde nicht erteilt.

2 Mit Beschwerdevorentscheidung vom wies das AMS die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde des Revisionswerbers ab. Dem Revisionswerber sei ein Stellenangebot übermittelt worden, in dem er ausdrücklich aufgefordert worden sei, sich im Unternehmen J GmbH persönlich zu bewerben. Der Revisionswerber habe jedoch an den potentiellen Dienstgeber nur mit Email eine Bewerbung übermittelt. Er habe dadurch das Zustandekommen der Beschäftigung vereitelt.

3 Der Revisionswerber stellte einen Vorlageantrag. Er beantragte die Durchführung einer mündlichen Verhandlung und brachte vor, er habe sich nur deshalb nicht persönlich, sondern mit Email beim Unternehmen J GmbH beworben, weil ihm dies vom potentiellen Dienstgeber - wo er unmittelbar nach Erhalt des Stellenangebotes angerufen habe - so vorgeschlagen worden sei. Er habe daher nicht damit rechnen können, dass dieses Verhalten einer erfolgreichen Bewerbung abträglich sein könnte.

4 Mit dem in Revision gezogenen Erkenntnis wies das Bundesverwaltungsgericht die Beschwerde des Revisionswerbers als unbegründet ab und sprach aus, die Revision sei gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

5 Das Bundesverwaltungsgericht stellte fest, im vom AMS dem Revisionswerber übermittelten Stellenangebot sei mitgeteilt worden, dass eine persönliche Vorstellung gefordert werde. Der Revisionswerber habe sich für diese zumutbare Beschäftigung - wie unstrittig sei - jedoch lediglich mit Email beworben. Eine taugliche Bewerbung könne nur in der im Vermittlungsvorschlag geforderten Form erfolgen. Durch dieses Verhalten habe der Revisionswerber das Nichtzustandekommen des Beschäftigungsverhältnisses zumindest in Kauf genommen, sodass von einer Vereitelung im Sinn des § 10 AlVG auszugehen sei. Hinsichtlich des Vorbringens des Revisionswerbers im Vorlageantrag sei somit auf die im Stellenangebot geforderte persönliche Bewerbung zu verweisen. Eine mündliche Verhandlung habe nach § 24 Abs. 4 VwGVG entfallen können. Da der festgestellte Sachverhalt unstrittig sei, seien lediglich Rechtsfragen zu lösen gewesen, sodass Art. 6 EMRK einem Entfall der Verhandlung nicht entgegenstehe.

6 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die außerordentliche Revision. Nach Einleitung des Vorverfahrens hat das AMS eine Revisionsbeantwortung erstattet. Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

7 Zur Zulässigkeit und Begründung der Revision wird zusammengefasst vorgebracht, unter Berücksichtigung des vom Revisionswerber im Beschwerdeverfahren erstatteten Vorbringens sei das Bundesverwaltungsgericht von der - näher genannten - Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abgewichen, wonach im Fall widersprechender prozessrelevanter Behauptungen eine mündliche Verhandlung durchzuführen sei. Im Rahmen der Verhandlung hätte eine Auseinandersetzung mit dem Vorbringen des Revisionswerbers erfolgen müssen. Das Bundesverwaltungsgericht sei im Übrigen von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abgewichen, weil es dem Revisionswerber nicht zum Vorwurf gemacht werden könne, dass er sich - wie vorgebracht - an die ihm vom potentiellen Dienstgeber gemachte Vorgabe, sich mit Email zu bewerben, gehalten habe. Eine Vereitelung liege dem Revisionswerber daher nicht zur Last.

8 Die Revision ist zulässig und berechtigt.

9 Nach § 10 Abs. 1 Z 1 AlVG verliert eine arbeitslose Person, die sich weigert, eine ihr von der regionalen Geschäftsstelle zugewiesene zumutbare Beschäftigung anzunehmen oder die Annahme einer solchen Beschäftigung vereitelt, für die Dauer der Weigerung, jedenfalls aber für die Dauer der auf die Weigerung folgenden sechs Wochen - bzw. unter näher umschriebenen Voraussetzungen acht Wochen - den Anspruch auf Arbeitslosengeld.

Gemäß § 38 AlVG ist die Bestimmungen für die Notstandshilfe sinngemäß anzuwenden.

10 Um sich in Bezug auf eine von der regionalen Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice vermittelte zumutbare Beschäftigung arbeitswillig zu zeigen, bedarf es grundsätzlich einerseits eines auf die Erlangung dieses Arbeitsplatzes ausgerichteten, unverzüglich zu entfaltenden aktiven Handelns des Arbeitslosen und andererseits auch der Unterlassung jedes Verhaltens, welches objektiv geeignet ist, das Zustandekommen des konkret angebotenen Beschäftigungsverhältnisses zu verhindern. Das Nichtzustandekommen eines die Arbeitslosigkeit beendenden zumutbaren Beschäftigungsverhältnisses kann vom Arbeitslosen - abgesehen vom Fall der ausdrücklichen Weigerung, eine angebotene Beschäftigung anzunehmen - somit auf zwei Wegen verschuldet, die Annahme der Beschäftigung also auf zwei Wegen vereitelt werden:

Nämlich dadurch, dass der Arbeitslose ein auf die Erlangung des Arbeitsplatzes ausgerichtetes Handeln erst gar nicht entfaltet (etwa durch Unterlassen der Vereinbarung eines Vorstellungstermins oder Nichtantritt der Arbeit), oder dadurch, dass er den Erfolg seiner (nach außen zu Tage getretenen) Bemühungen durch ein Verhalten, welches nach allgemeiner Erfahrung geeignet ist, den potentiellen Dienstgeber von der Einstellung des Arbeitslosen abzubringen, zunichtemacht (vgl. , mwN).

11 Bei der Beurteilung, ob ein bestimmtes Verhalten eines Vermittelten als Vereitelung im Sinne des § 10 Abs. 1 AlVG zu qualifizieren ist, kommt es zunächst darauf an, ob dieses Verhalten für das Nichtzustandekommen des (zumutbaren) Beschäftigungsverhältnisses ursächlich war. Ist die Kausalität zwischen dem Verhalten des Vermittelten und dem Nichtzustandekommen des Beschäftigungsverhältnisses zu bejahen, dann muss geprüft werden, ob der Vermittelte vorsätzlich gehandelt hat, wobei bedingter Vorsatz (dolus eventualis) genügt. Ein bloß fahrlässiges Handeln, also die Außerachtlassung der gehörigen Sorgfalt, reicht zur Verwirklichung des Tatbestandes nicht hin (vgl. , mwN).

12 Der Verwaltungsgerichtshof hat im Sinn dieser Judikatur eine Vereitelung etwa auch darin erkannt, dass ein Arbeitsloser die im Stellenangebot vom potentiellen Dienstgeber geforderte Form der Bewerbung nicht eingehalten hat (vgl. näher ). Im vorliegenden Fall wurde vom Revisionswerber jedoch vorgebracht, ihm sei vom potentiellen Dienstgeber telefonisch vorgeschlagen worden, - anstelle der zunächst nach dem Stellenangebot vorgesehenen persönlichen Bewerbung - seine Bewerbungsunterlagen mit Email zu übermitteln. Träfe dies zu, könnte nicht - bzw. jedenfalls nicht ohne Weiteres - davon ausgegangen werden, dass die Unterlassung der im Stellenangebot vorgesehenen persönlichen Bewerbung kausal für die Nichteinstellung gewesen sei bzw. dem Revisionswerber eine vorsätzliche Vereitelung seiner Einstellung zur Last liege. 13 Soweit das Bundesverwaltungsgericht daher davon ausgegangen ist, dass es auf das vom Revisionswerber im Beschwerdeverfahren erstattete Vorbringen nicht ankomme, hat es die Rechtslage verkannt.

14 Vor diesem Hintergrund zeigt die Revision auch zu Recht auf, dass eine mündliche Verhandlung durchzuführen gewesen wäre:

15 Gemäß § 24 Abs. 4 VwGVG kann das Verwaltungsgericht ungeachtet eines Parteiantrags von einer Verhandlung absehen, wenn die Akten erkennen lassen, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt, und einem Entfall der Verhandlung weder Art. 6 Abs. 1 EMRK noch Art. 47 Grundrechtecharta entgegenstehen.

16 Es entspricht der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, dass es im Fall widersprechender prozessrelevanter Behauptungen zu den grundlegenden Pflichten des Verwaltungsgerichts gehört, dem auch in § 24 VwGVG verankerten Unmittelbarkeitsprinzip Rechnung zu tragen und sich als Gericht im Rahmen einer - bei der Geltendmachung von "civil rights" (zu denen auch Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung zählen) in der Regel auch von Amts wegen durchzuführenden - mündlichen Verhandlung einen persönlichen Eindruck von der Glaubwürdigkeit von Zeugen bzw. Parteien zu verschaffen und insbesondere darauf seine Beweiswürdigung zu gründen (vgl. etwa , mwN).

17 Im vorliegenden Fall wäre unter Beachtung des vom Revisionswerber im Beschwerdeverfahren erstatteten Vorbringens eine mündliche Verhandlung zur Klärung des Sachverhaltes erforderlich gewesen.

18 Das angefochtene Erkenntnis war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen (vorrangig wahrzunehmender) Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

19 Die Zuerkennung von Aufwandersatz beruht auf den § 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am

Zusatzinformationen


Tabelle in neuem Fenster öffnen
ECLI:
ECLI:AT:VWGH:2019:RA2019080065.L00

Dieses Dokument entstammt dem Rechtsinformationssystem des Bundes.

Fundstelle(n):
RAAAE-81916