VwGH vom 18.03.2010, 2010/22/0013

VwGH vom 18.03.2010, 2010/22/0013

Beachte

Miterledigung (miterledigt bzw zur gemeinsamen Entscheidung

verbunden):

2010/22/0014

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Mag. Heinzl, die Hofräte Dr. Robl und Mag. Eder, die Hofrätin Mag. Merl und den Hofrat Dr. Lukasser als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Perauer, über die Beschwerde

1. des Ne, 2. des Nu, 3. der G, 4. der Z 5. des A, und 6. des S, alle in S und vertreten durch die Weh Rechtsanwalt GmbH in 6900 Bregenz, Wolfeggstraße 1, gegen die Bescheide der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Tirol je vom , Zl. E1/20307/09 (hinsichtlich des Erstbeschwerdeführers) und Zl. E1/19764/09 (hinsichtlich der übrigen Beschwerdeführer), jeweils betreffend Ausweisung, zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Begründung

Mit den zitierten, im Instanzenzug ergangenen Bescheiden wies die belangte Behörde die Beschwerdeführer, alle türkische Staatsangehörige (Zweit- bis Sechstbeschwerdeführer sind ein Ehepaar und deren Kinder, der Erstbeschwerdeführer ist der Bruder des Zweitbeschwerdeführers), aus dem Bundesgebiet aus.

Zur Begründung führte sie im Wesentlichen aus, dass der Erstbeschwerdeführer im Jahr 2002 eingereist sei und am einen Asylantrag gestellt habe. Der Zweitbeschwerdeführer sei bereits am eingereist und habe eine Beschäftigungsbewilligung als Saisonarbeiter und in der Folge eine Aufenthaltserlaubnis erhalten. Am sei er bei "Schwarzarbeiten" angetroffen worden und habe ein auf drei Jahre befristetes Aufenthaltsverbot erhalten. Nach Verhängung der Schubhaft habe er einen Asylantrag gestellt. Im Jahr 2007 sei er nochmals bei "Schwarzarbeiten" angetroffen worden. Die Drittbeschwerdeführerin und die in der Türkei geborene Viertbeschwerdeführerin hielten sich seit Asylantragstellung am in Österreich auf. Für die in Österreich geborenen Fünft- und Sechstbeschwerdeführer seien Asylanträge gestellt worden.

Sämtliche Asylverfahren seien mit "rechtskräftig negativ" entschieden worden.

Der Erstbeschwerdeführer sei ledig und für niemanden sorgepflichtig. Sein Lebensunterhalt werde durch die Sozialhilfe finanziert; am Arbeitsmarkt sei er nicht integriert. Seine Eltern lebten in der Türkei. Da er bis zu seinem 31. Lebensjahr in der Türkei gelebt habe, könne er sich mit den dortigen Gegebenheiten wieder zurechtfinden.

Der Zweitbeschwerdeführer gehe keiner (legalen) Beschäftigung nach; die gesamte Familie sei nicht selbsterhaltungsfähig. Der Fünftbeschwerdeführer gehe in den Kindergarten, die Viertbeschwerdeführerin in die Volksschule.

In beiden Bescheiden wies die belangte Behörde darauf hin, dass sich alle Beschwerdeführer unrechtmäßig in Österreich aufhielten und dass die Ausweisung zur Erreichung des in Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Zieles des Schutzes der öffentlichen Ordnung auf dem Gebiet des Fremden- und Einwanderungsrechts dringend geboten sei. Das Privatinteresse "der Familie E am Verbleib im Bundesgebiet wiege höchstens gleich schwer wie die nachteiligen Folgen der Abstandnahme von der Erlassung einer Ausweisung". Der Zweitbeschwerdeführer habe das Asylverfahren missbraucht, zumal er seit seiner Einreise nach Österreich hinlänglich Zeit gehabt hätte, einen Asylantrag zu stellen. Dieser sei erst nach Ablauf des Visums und Verhängung der Schubhaft eingebracht worden. Die Beschwerdeführer seien im Bundesgebiet der Dauer und Art des Aufenthalts entsprechend integriert. Eine Integration am Arbeitsmarkt habe aber nicht stattgefunden. In das Familienleben der Beschwerdeführer werde nicht eingegriffen, weil sie gemeinsam ausgewiesen würden. Ihr Privatleben sei zu einer Zeit entstanden, in der sie entweder rechtswidrig im Bundesgebiet gewesen seien oder sich ihres unsicheren Aufenthaltsstatus hätten bewusst sein müssen.

Zu bedenken sei auch, dass Erstanträge auf Erteilung von Aufenthaltstiteln gemäß § 21 Abs. 1 NAG vor der Einreise in das Bundesgebiet bei der örtlich zuständigen Berufsvertretungsbehörde im Ausland einzubringen seien und die Entscheidung im Ausland abzuwarten sei. Da die Beschwerdeführer nicht unter einen der Ausnahmetatbestände des § 21 NAG fielen, müssten sie schon aus diesem Grund das Bundesgebiet verlassen.

Der Verwaltungsgerichtshof hat über die gegen diese Bescheide gemeinsam erhobene Beschwerde erwogen:

In Verbindung mit dem neuerlichen Antrag auf Bewilligung der Verfahrenshilfe bringen die Beschwerdeführer vor, dass die Erhöhung der Beschwerdegebühr gegenüber der Rechtslage im Jahr 1995 um das mehr als Sechsfache dem Verschlechterungsverbot des Art. 41 des Zusatzprotokolls zum Assoziationsabkommen EWG/Türkei widerspreche. Diese Bestimmung besagt, dass die Vertragsparteien untereinander keine neuen Beschränkungen der Niederlassungsfreiheit und des freien Dienstleistungsverkehrs einführen werden. Die Beschwerde verweist dabei auf das Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom , Rs. C-242/06, "T. Sahin". Dieser Vergleich ist schon im Ansatz verfehlt, war doch Gegenstand des Verfahrens die Erhöhung einer Gebühr für die Aufenthaltserlaubnis selbst. Die Beschwerdegebühr kann jedoch keine Beschränkung der Niederlassungsfreiheit bewirken, hat doch die im verwaltungsgerichtlichen Verfahren obsiegende Partei einen Anspruch auf Ersatz dieser Gebühr und steht einer mittellosen Partei die Möglichkeit der Verfahrenshilfe zur Verfügung.

In der Sache bestreiten die Beschwerdeführer nicht, dass sie sich nach Abschluss der Asylverfahren unrechtmäßig in Österreich aufhalten. Sohin hegt der Gerichtshof keine Bedenken gegen die behördliche Heranziehung des Ausweisungstatbestandes des § 53 Abs. 1 FPG.

§ 66 FPG in der Fassung der Novelle BGBl. I Nr. 29/2009 lautet auszugsweise:

"§ 66. (1) Würde durch eine Ausweisung in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist die Ausweisung zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2-EMRK genannten Ziele dringend geboten ist.

(2) Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK sind insbesondere zu berücksichtigen:

1. die Art und Dauer des bisherigen Aufenthalts und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war;


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2.
das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens;
3.
die Schutzwürdigkeit des Privatlebens;
4.
der Grad der Integration;
5.
die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden;
6.
die strafgerichtliche Unbescholtenheit;
7.
Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts;
8.
die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren.
(3)…"
Die Beschwerde bekämpft das Ergebnis der behördlichen Interessenabwägung nach § 66 FPG. Diesbezüglich wird vorgebracht, dass der Erst- und Zweitbeschwerdeführer "seit 2001 bzw. 2002 in Österreich (leben würden); ursprünglich in der Erwartung, als Konventionsflüchtling anerkannt zu werden". Dieses Argument ist hinsichtlich des Zweitbeschwerdeführers schon vom Ansatz her verfehlt, hat doch dieser erst nach einer Betretung bei einer "Schwarzarbeit" und Verhängung der Schubhaft den Asylantrag gestellt.
Ebenso verfehlt ist die Grundaussage der Beschwerde, dass die Ausweisung von Kindern grundsätzlich unzulässig wäre (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom , 2006/18/0387, in dem die - alleinige - Ausweisung eines Kleinkindes nicht von vornherein für unzulässig erkannt, sondern der Behörde eine Verhältnismäßigkeitsprüfung aufgetragen wurde).
Der belangten Behörde ist unter Bedachtnahme auf das Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) vom , "Slivenko gegen Lettland", NL 2003, 263, auch darin zuzustimmen, dass durch die gemeinsame Ausweisung nicht in das Familienleben (wohl aber in das Privatleben) der Beschwerdeführer eingegriffen wird.
Entgegen der Beschwerdeansicht sind die Interessen der Beschwerdeführer an einem Verbleib in Österreich keinesfalls auch nur gleich hoch anzusetzen wie das gegenläufige öffentliche Interesse, dass abgelehnte Asylwerber nach Abschluss des Asylverfahrens durch ihre Ausreise den rechtmäßigen Zustand herstellen. Diese grundsätzliche Verpflichtung ist ein wesentlicher Bestandteil der öffentlichen Ordnung im Bereich des Fremdenwesens.
Im vorliegenden Fall sind die erwachsenen Beschwerdeführer beruflich nicht integriert. Die Familie des Zweitbeschwerdeführers hält sich erst seit kurzer Zeit im Inland auf. Von daher gesehen ist es nicht zu beanstanden, dass die belangte Behörde die Fortsetzung des Familienlebens im Heimatland als zumutbar gewertet hat. An diesem Ergebnis ändert der Umstand nichts, dass die Beschwerdeführer nicht straffällig geworden sind. Der Aussage in der Beschwerde, dass es sich bei einer von Sozialhilfe lebenden (österreichischen oder ausländischen) Familie um "unauffällige, gut angepasste Zeitgenossen" handle, vermag sich der Gerichtshof nicht anzuschließen, weil auch die Selbsterhaltungsfähigkeit eine nicht unbedeutende Komponente einer inländischen Integration bildet.
Entgegen der Beschwerdeansicht besteht im Sinn der Rechtsprechung des EGMR (vgl. das Urteil vom , "Darren Omoregie u.a. gg. Norwegen", NL 2008, 229) durchaus ein "soziales Bedürfnis" zur Ausweisung unrechtmäßig aufhältiger Fremder, das vorliegend im Sinn einer Verhältnismäßigkeitsprüfung und in Gesamtbetrachtung der konkreten Umstände über das gegenläufige Interesse der Beschwerdeführer zu stellen ist.
Da somit bereits der Inhalt der Beschwerde erkennen lässt, dass die behauptete Rechtsverletzung nicht vorliegt, war die Beschwerde gemäß § 35 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren in nicht öffentlicher Sitzung als unbegründet abzuweisen.
Wien, am