VwGH vom 05.06.2019, Ra 2019/08/0036
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Bachler, den Hofrat Dr. Strohmayer, die Hofrätin Dr. Julcher sowie die Hofräte Mag. Berger und Mag. Stickler als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Sinai, über die Revision des Arbeitsmarktservice Wien Huttengasse, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom , W141 2207830- 1/9E, betreffend Verlust des Anspruchs auf Notstandshilfe (mitbeteiligte Partei: O J in Wien, vertreten durch Dr. Thomas Majoros, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Walfischgasse 12/3), zu Recht erkannt:
Spruch
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufgehoben.
Begründung
1 Mit Bescheid vom sprach das revisionswerbende Arbeitsmarktservice Wien Huttengasse (AMS) gemäß § 38 iVm. § 10 AlVG aus, dass der Mitbeteiligte den Anspruch auf Notstandshilfe vom bis verloren habe. Eine Nachsicht werde nicht erteilt.
2 Die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde des Mitbeteiligten wies das AMS mit Beschwerdevorentscheidung vom ab. Begründend führte das AMS aus, dem Mitbeteiligten sei der Auftrag erteilt worden, ab an der Schulungsmaßnahme "Qualifizierung zum Shop" teilzunehmen. Im Einladungsschreiben sei auf die Rechtsfolgen einer Verweigerung bzw. Vereitelung dieser Maßnahme hingewiesen worden. Aus einer Stellungnahme des Veranstalters der Schulung ergebe sich, dass der Mitbeteiligte wohl zu der Maßnahme erschienen sei, sich aber bei dem zu Beginn der Schulung vorgesehenen Gespräch in der Gruppe der Teilnehmer und "Trainer" lautstark und aggressiv verhalten habe. So habe er sofort mitgeteilt, dass er "acht Vorstrafen wegen Körperverletzung" habe und "diesen Scheiß hier sowieso nicht mitspielen werde". Auch im Folgenden habe er "Kraftausdrücke" verwendet, nochmals auf seine Vorstrafen verwiesen und Aussagen wie, er werde "gleich wieder gehen", er lasse sich "nicht wochenlang die Eier schaukeln" und man könne ihm in diesem Kurs ohnehin "nicht helfen", getätigt. Durch dieses Verhalten des Mitbeteiligten seien die anderen Schulungsteilnehmer beunruhigt bzw. in Angst versetzt worden. Es sei daher erforderlich gewesen, den Mitbeteiligten aus der Gruppe herauszunehmen und ihn vom weiteren Besuch der Schulungsmaßnahme auszuschließen. Im folgenden Vieraugengespräch mit einer Trainerin habe der Mitbeteiligte sich ruhig gezeigt und seine Ausdrucksweise bedauert, weil "der Ton die Musik" mache. Das Verhalten des Mitbeteiligten sei als Vereitelung des Erfolges der Maßnahme zu werten.
3 Der Mitbeteiligte stellte einen Vorlageantrag. Er bestritt die dem Bescheid des AMS zu Grunde gelegte Darstellung der Ereignisse. Seine Wortwahl sei "nicht korrekt" gewesen. Es treffe aber nicht zu, dass sich andere Teilnehmer durch seine Aussagen bedroht gefühlt hätten. Im Zuge eines Gespräches mit einer Trainerin sei ihm mitgeteilt worden, dass die Schulung ohnehin nur für 15 Teilnehmer vorgesehen sei und er "daher nicht aufgenommen" werde.
4 Mit dem nunmehr in Revision gezogenen Erkenntnis gab das Bundesverwaltungsgericht nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung der Beschwerde des Mitbeteiligten Folge und sprach aus, dass der Bescheid des AMS in der Fassung der Beschwerdevorentscheidung vom ersatzlos behoben werde. Die Revision erklärte das Bundesverwaltungsgericht für nicht zulässig.
5 In seiner Begründung gab das Bundesverwaltungsgericht - teilweise unter der Überschrift "Feststellungen (entscheidungswesentlicher Sachverhalt)" - zunächst den Verfahrensgang sowie einzelne Aussagen des Mitbeteiligten bzw. der in der mündlichen Verhandlung vernommenen Zeugen wieder. Unter der Überschrift "Beweiswürdigung" führte das Bundesverwaltungsgericht aus, der Mitbeteiligte sei - wie sich aus Zeugenaussagen ergebe - zu der Maßnahme zugeteilt worden, "um den Staplerschein machen zu können". Hinsichtlich des Verhaltens des Mitbeteiligten sei "anzuführen, dass seine Äußerungen am Infotag nicht angemessen" gewesen seien. Der Mitbeteiligte habe sich jedoch "schnell wieder beruhigt" und entschuldigt. Einer Weiterführung des Kurses sei somit "nichts entgegen" gestanden. Der Ausschluss des Mitbeteiligten aus der Schulung sei eine "übereilte Entscheidung der Trainerinnen" gewesen. Es sei nämlich davon auszugehen, dass Trainer "mit solchen Personen umzugehen vermögen", zumal der Mitbeteiligte "sicher nicht der Erste" gewesen sei, der sich "unangemessen verhalten" habe.
6 In rechtlicher Hinsicht sei auszuführen, dass eine Vereitelung des Erfolges einer Maßnahme auch dadurch geschehen könne, dass vorsätzlich ein Ausschluss von der Maßnahme provoziert werde. Im vorliegenden Fall habe der Mitbeteiligte ein "unangemessenes Verhalten" zu Beginn der Schulung gesetzt, habe jedoch "schnell wieder beruhigt" werden können. Es sei eine "Wiedereingliederung" des Mitbeteiligten möglich gewesen. Da sich die "Ablehnung" des Mitbeteiligten als eine "überstürzte Handlung der Trainerinnen" darstelle, sei sie nicht auf ein vorsätzliches Verhalten des Mitbeteiligten "zurückzuführen".
7 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die Revision des AMS. Der Verwaltungsgerichtshof hat nach Durchführung des Vorverfahrens, in dem der Mitbeteiligte eine Revisionsbeantwortung erstattet hat, erwogen:
8 In der Revision wird zu ihrer Zulässigkeit im Wesentlichen vorgebracht, das angefochtene Erkenntnis werde den in der (näher genannten) Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes dargestellten Anforderungen an die Begründung der Erkenntnisse der Verwaltungsgerichte nicht gerecht. Dem Erkenntnis fehle es insbesondere an einer eindeutigen Feststellung des entscheidungswesentlichen Sachverhalts. Das Bundesverwaltungsgericht habe seine Verpflichtung verletzt, unter Berücksichtigung der Beweisergebnisse zu beurteilen, ob der Mitbeteiligte ein bedrohliches Verhalten gesetzt habe, das zu seinem Ausschluss aus der Maßnahme habe führen müssen, bzw. ob der Mitbeteiligte zum Ausdruck gebracht habe, dass er die Teilnahme an der Maßnahme verweigere.
9 Damit ist die Revision im Recht, weshalb sie sich als zulässig und berechtigt erweist.
10 Es entspricht der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu den Anforderungen an Form und Inhalt eines verwaltungsgerichtlichen Erkenntnisses, dass die Begründung der Entscheidung in einem ersten Schritt die eindeutige, eine Rechtsverfolgung durch die Partei ermöglichende und einer nachprüfenden Kontrolle durch die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts zugängliche konkrete Feststellung des der Entscheidung zugrunde gelegten Sachverhalts, in einem zweiten Schritt die Angabe jener Gründe, welche die Behörde im Falle des Vorliegens widerstreitender Beweisergebnisse in Ausübung der freien Beweiswürdigung dazu bewogen haben, gerade jenen Sachverhalt festzustellen, und in einem dritten Schritt die Darstellung der rechtlichen Erwägungen, deren Ergebnisse zum Spruch des Bescheides geführt haben, erfordert. Die drei logisch aufeinander aufbauenden und formal zu trennenden Elemente einer ordnungsgemäß begründeten verwaltungsgerichtlichen Entscheidung bestehen sohin erstens in einer im Indikativ gehaltenen Tatsachenfeststellung, zweitens in der Beweiswürdigung und drittens in der rechtlichen Beurteilung. Lässt eine Entscheidung die Trennung dieser Begründungselemente in einer Weise vermissen, dass die Rechtsverfolgung durch die Partei oder die nachprüfende Kontrolle durch die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts maßgeblich beeinträchtigt wird, dann führt ein solcher Begründungsmangel zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung schon aus diesem Grund (vgl. etwa , mwN). Die bloße Zitierung von Beweisergebnissen - wie etwa der Aussagen von Zeugen und Parteien - ist dagegen weder erforderlich noch für die Begründung der Entscheidung hinreichend (vgl. etwa ; , Ra 2016/11/0081; jeweils mwN). Das Verwaltungsgericht hat neben der Durchführung aller zur Klarstellung des Sachverhaltes erforderlichen Beweise auch die Pflicht, auf das Parteivorbringen, soweit es für die Feststellung des Sachverhaltes von Bedeutung sein kann, einzugehen. Das Verwaltungsgericht darf sich über erhebliche Behauptungen und Beweisanträge nicht ohne Ermittlungen und ohne Begründung hinwegsetzen (vgl. etwa , mwN).
11 Im vorliegenden Fall wäre das Bundesverwaltungsgericht gehalten gewesen, unter Berücksichtigung des Vorbringens der Parteien die widersprechenden Beweisergebnisse zum Verhalten des Mitbeteiligten zu würdigen, hinreichende Feststellungen zu den dem Mitbeteiligten vorgeworfenen Handlungen bzw. Äußerungen zu treffen und darauf seine rechtliche Beurteilung zu gründen.Das angefochtene Erkenntnis enthält jedoch weder eine konkrete Feststellung des entscheidungswesentlichen Sachverhaltes noch eine Beweiswürdigung. Da sich das Erkenntnis somit einer Kontrolle entzieht, wäre es schon aus diesem Grund aufzuheben. 12 Im Übrigen greift auch die vom Bundesverwaltungsgericht auf Basis seiner unzulänglichen Sachverhaltsfeststellungen zum Ausdruck gebrachte Rechtsansicht zu kurz.
13 Gemäß § 9 Abs. 1 AlVG ist arbeitswillig, wer unter anderem bereit ist, sich zum Zwecke beruflicher Ausbildung nach- oder umschulen zu lassen bzw. an einer Maßnahme zur Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt teilzunehmen. Durch § 10 Abs. 1 Z 2 und 3 AlVG werden die ohne wichtigen Grund erfolgte Weigerung, einem Auftrag zur Nach(Um)schulung zu entsprechen bzw. an einer Maßnahme zur Wiedereingliederung teilzunehmen, sowie die verschuldete Vereitelung des Erfolges der Nach(Um)schulung bzw. der Maßnahme zur Wiedereingliederung durch den Entfall des Anspruches auf Arbeitslosengeld für die Dauer der Weigerung bzw. eine Mindestdauer - im Fall der ersten Pflichtverletzung von sechs Wochen - sanktioniert. Diese Bestimmungen sind auf die Notstandshilfe gemäß § 38 AlVG sinngemäß anzuwenden. 14 Die Bestimmungen des § 9 Abs. 1 und § 10 Abs. 1 AlVG sind Ausdruck des dem gesamten Arbeitslosenversicherungsrecht zu Grunde liegenden Gesetzeszweckes, den arbeitslos gewordenen Versicherten, der trotz Arbeitsfähigkeit und Arbeitswilligkeit nach Beendigung seines Beschäftigungsverhältnisses keinerlei Beschäftigung gefunden hat, möglichst wieder durch Vermittlung in eine ihm zumutbare Beschäftigung einzugliedern und ihn so in die Lage zu versetzen, seinen Lebensunterhalt ohne Zuhilfenahme öffentlicher Mittel zu bestreiten (vgl. etwa ; , Ra 2016/08/0120; jeweils mwN).
15 Voraussetzung dafür, dass die Vereitelung des Erfolges einer (Um-)Schulungs- oder Wiedereingliederungsmaßnahme angenommen werden kann, ist ein Verschulden des Leistungsbeziehers in Form des Vorsatzes (vgl. , mwN). Es entspricht der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, dasseine arbeitslose Person, die einer zur Behebung ihrer Vermittlungsdefizite erforderlichen und zumutbaren Schulungs-, Umschulungs- oder Wiedereingliederungsmaßnahme zugeteilt wurde (vgl. zur Erforderlichkeit und Zumutbarkeit einer Maßnahme etwa ), die Verpflichtung hat, alles zu unterlassen, was den Erfolg der Maßnahme vereiteln könnte, widrigenfalls eine Sperrfrist nach § 10 Abs. 1 AlVG verhängt werden kann. Die Vereitelung des Erfolges der Maßnahme kann durch eine ungerechtfertigte Weigerung bewirkt werden, an der Maßnahme überhaupt teilzunehmen, aber auch durch ein sonstiges vorsätzliches Verhalten, welches objektiv geeignet ist, den Erfolg der Maßnahme zu verhindern (vgl. , mwN).
16 In diesem Sinn können etwa Verspätungen beim Kursbesuch und unentschuldigtes Fernbleiben bei Erreichen einer gewissen Häufigkeit und Intensität als Verweigerung der Teilnahme an der Maßnahme und damit als Vereitelung der Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt gewertet werden (vgl. ). Der Erfolg einer vom Arbeitsmarktservice zugewiesenen Maßnahme kann aber auch etwa dadurch vereitelt werden, dass die arbeitslose Person ein vorsätzliches Verhalten an den Tag legt, welches objektiv geeignet ist, den Ausschluss von der Maßnahme zu provozieren, wenn dieser nämlich z.B. erforderlich ist, um den übrigen Kursteilnehmern ein ungestörtes Arbeiten zu ermöglichen (vgl. ; , 2006/08/0241). 17 Im vorliegenden Fall hätte das Bundesverwaltungsgericht sich daher in diesem Sinn auch damit auseinandersetzen müssen, ob in Hinblick auf die Interessen der anderen Teilnehmer der Maßnahme das Verhalten des Mitbeteiligten bzw. seine Äußerungen - wie vom AMS in Hinblick auf ein dem Mitbeteiligten vorgeworfenes bedrohliches Verhalten angenommen - einen Ausschluss des Mitbeteiligten erforderlich gemacht haben und der Mitbeteiligte durch dieses Verhalten seinen Ausschluss zumindest in Kauf genommen hat.
18 Die Revision weist im Übrigen zutreffend darauf hin, dass die dem Mitbeteiligten durch das AMS vorgeworfenen Aussagen als eine Erklärung der Verweigerung der Teilnahme an der Maßnahme verstanden werden könnten. Auch dazu wären Feststellungen erforderlich gewesen, um - unter Berücksichtigung aller Begleitumstände - die Aussagen des Mitbeteiligten beurteilen zu können.
19 Verweigert ein Arbeitsloser nämlich die Teilnahme an einer erforderlichen und zumutbaren Maßnahme in objektiver bzw. ihm zuzurechnender Kenntnis ihres Inhaltes sowie ihrer Zumutbarkeit und Erforderlichkeit, liegt eine ungerechtfertigte Weigerung vor, die den Verlust des Anspruches auf Arbeitslosengeld bzw. Notstandshilfe nach § 10 Abs. 1 AlVG nach sich zieht (vgl. ).
20 Das angefochtene Erkenntnis war daher wegen (vorrangig wahrzunehmender) inhaltlicher Rechtswidrigkeit gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.
Wien, am
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ECLI: | ECLI:AT:VWGH:2019:RA2019080036.L00 |
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