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VwGH vom 21.11.2011, 2008/18/0677

VwGH vom 21.11.2011, 2008/18/0677

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Pallitsch, den Hofrat Mag. Eder, die Hofrätinnen Mag. Merl und Mag. Dr. Maurer-Kober sowie den Hofrat Mag. Straßegger als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Krawarik, über die Beschwerde des TS in W, vertreten durch Dr. Rudolf Mayer, Rechtsanwalt in 1090 Wien, Universitätsstraße 8/2, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom , Zl. E1/200475/2008, betreffend Erlassung eines befristeten Aufenthaltsverbotes, zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von EUR 610,60 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

I.

Mit dem angefochtenen, im Instanzenzug ergangenen Bescheid erließ die belangte Behörde gegen den Beschwerdeführer, einen türkischen Staatsangehörigen, ein auf § 60 Abs. 1 und Abs. 2 Z 1 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG) gestütztes, auf die Dauer von zehn Jahren befristetes Aufenthaltsverbot.

Begründend führte die belangte Behörde aus, der Beschwerdeführer habe am (nach dem damals geltenden Fremdengesetz 1997 - FrG) erstmals die Erteilung einer Niederlassungsbewilligung für den Aufenthaltszweck "begünstigter Drittsta. - Ö., § 49 Abs. 1 FrG" beantragt. Dieser Antrag sowie später eingebrachte Verlängerungsanträge seien bewilligt worden. Der Beschwerdeführer halte sich daher rechtmäßig im Bundesgebiet auf. Sein Vater sei österreichischer Staatsbürger.

Mit Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom sei der Beschwerdeführer rechtskräftig wegen des Verbrechens des teils vollendeten, teils versuchten gewerbsmäßigen Einbruchsdiebstahls zu einer Freiheitsstrafe von 18 Monaten, davon zwölf Monate bedingt nachgesehen, verurteilt worden. Dem Urteil zufolge sei der Beschwerdeführer im Jahr 2006 ohne Beschäftigung gewesen und habe über kein Einkommen verfügt. Daher habe er beschlossen, sich durch die wiederkehrende Begehung von Einbruchsdiebstählen eine fortlaufende Einkommensquelle zu verschaffen. Im Februar 2006 sei der Beschwerdeführer in ein Gastlokal und am in ein Postamt eingebrochen. Aus Letzterem habe er nach "teilweiser Verwüstung der Lokalität" vier Handys gestohlen. Am sei der Beschwerdeführer wieder in ein (anderes) Postamt eingebrochen. Neben den dort erbeuteten Gegenständen habe er auch noch versucht, den im Postamt aufgestellten Bankomat aufzubrechen, was ihm allerdings nicht gelungen sei. Am habe der Beschwerdeführer versucht, in ein Gasthaus einzubrechen. Jedoch habe er durch die zu enge Fensteröffnung nicht einsteigen können. Vom Strafgericht sei dem Beschwerdeführer bei der Strafbemessung strafmildernd zugutegehalten worden, dass er zwar nicht zurechnungsunfähig gewesen sei, bei ihm aber keine besondere intellektuelle und gemütsmäßige Differenzierung vorliege.

Der Beschwerdeführer sei vom der Behörde zur Verfügung stehenden medizinischen Amtssachverständigen Dr. L einer ärztlichen Untersuchung unterzogen worden. Demzufolge stehe der Beschwerdeführer weder in medizinischer Behandlung noch nehme er Medikamente. Im Zeitpunkt der Untersuchung habe er in einem Arbeitsverhältnis gestanden. Während des Strafvollzuges sei es zu einem "Raptus-ähnlichen Zustand" gekommen. Es sei deswegen ein achtwöchiger Aufenthalt im Otto-Wagner-Spital ("Baumgartner Höhe") notwendig gewesen. Dem Gutachten des ärztlichen Sachverständigen zufolge bestehe eine leichte intellektuelle Minderbegabung, ansonsten aber ein relativ guter Allgemeinzustand. Der Beschwerdeführer komme seiner Arbeit nach und sei in der Lage, ein eigenständiges Leben samt den dafür notwendigen Verrichtungen zu führen.

Der Beschwerdeführer sei ledig und ohne Sorgepflichten. Er sei nur wochen- oder monatelang beschäftigt gewesen und "offensichtlich in einer prekären finanziellen Situation". Zuletzt sei er seinen eigenen Ausführungen zufolge wieder arbeitslos. In Österreich lebten die Eltern und Geschwister des Beschwerdeführers.

In ihrer rechtlichen Beurteilung gelangte die belangte Behörde zum Ergebnis, die Verurteilung des Beschwerdeführers erfülle den in § 60 Abs. 2 Z 1 FPG genannten Tatbestand. Bei der nach § 60 Abs. 1 FPG zu erstellenden Gefährlichkeitsprognose und dem dabei zu berücksichtigenden Gesamtverhalten des Beschwerdeführers sei zum Ergebnis zu kommen, dass sein weiterer Aufenthalt im Bundesgebiet die öffentliche Ordnung, Ruhe und Sicherheit gefährde und überdies auch anderen im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten öffentlichen Interessen, hier: der Verteidigung der Ordnung, dem Schutz des Eigentums anderer sowie der Verhinderung von strafbaren Handlungen, zuwiderlaufe. Darüber hinaus stelle sein persönliches Verhalten nicht zuletzt auf Grund der über viele Monate verteilten Tathandlungen ebenso unzweifelhaft eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr dar, die ein Grundinteresse der Gesellschaft, nämlich an der Hintanhaltung von Einbruchskriminalität, berühre. Eine positive Verhaltensprognose sei im Hinblick auf die Schwere der Tathandlungen, den mehreren über fast ein Jahr verteilten Angriffen auf fremdes Eigentum und den den konkreten Taten innewohnenden erheblichen Unrechtsgehalt nicht möglich. Zwar weise der Beschwerdeführer eine leichte intellektuelle Minderbegabung auf, jedoch müsse er aktuell weder Medikamente einnehmen noch stehe er sonst in medizinischer Behandlung. Die in der Berufung angesprochene Krankengeschichte des Otto Wagner Spitals habe der Beschwerdeführer nicht vorgelegt. Es sei aber auch nicht erkennbar, weshalb der Amtssachverständige bei Einsichtnahme in diese Krankengeschichte zu einem anderen "Befund/Gutachten" hätte kommen können. Das vom Amtssachverständigen erstattete Gutachten sei als schlüssig und von seinem Inhalt her unbedenklich einzustufen. Darüber hinaus werde darauf hingewiesen, dass der Amtssachverständige Dr. L der Behörde bereits jahrzehntelang als medizinischer Sachverständiger zur Verfügung stehe und als ausreichend qualifiziert anzusehen sei, in Fällen, wie dem vorliegenden, medizinische Gutachten zu erstatten.

Auch aus dem Blickwinkel des § 66 FPG sei die Zulässigkeit der Erlassung des Aufenthaltsverbotes zu bejahen. Der Beschwerdeführer weise zwar starke familiäre, aber nur schwache berufliche Bindungen in Österreich auf. Letztere seien durch bloß kurze Beschäftigungsverhältnisse bei diversen Arbeitgebern und demgegenüber längere Zeiten der Beschäftigungslosigkeit gekennzeichnet. Der Beschwerdeführer weise trotz mehrjährigen Aufenthalts in Österreich schlechte Deutschkenntnisse auf, was auf ein "gewisses Integrationsdefizit" hindeute. Auf Grund der in Österreich lebenden Eltern und Geschwister des Beschwerdeführers sei zwar von einem mit dem Aufenthaltsverbot verbundenen beachtlichen Eingriff in sein Privat- und Familienleben auszugehen, jedoch sei dieser Eingriff im Hinblick auf die Taten des Beschwerdeführers und der von ihm ausgehenden Gefahr zur Erreichung von im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Zielen als dringend geboten zu erachten. Seiner aus dem bisherigen (etwa viereinhalbjährigen) Aufenthalt im Bundesgebiet ableitbaren Integration komme letztlich insofern kein ausschlaggebendes Gewicht (mehr) zu, als die für jegliche Integration erforderliche soziale Komponente durch das strafbare Verhalten des Beschwerdeführers erheblich beeinträchtigt worden sei. Es hätten sohin seine persönlichen Interessen am Verbleib im Bundesgebiet gegenüber den hoch zu veranschlagenden öffentlichen Interessen an der Hintanhaltung von strafbaren Handlungen, wie der hier in Rede stehenden, in den Hintergrund zu treten. Hinsichtlich der vom Beschwerdeführer geltend gemachten Krankheit sei darauf hinzuweisen, dass der Beschwerdeführer keine Medikamente einnehme. Hinsichtlich "der Pflegenotwendigkeit durch die Familie" habe der Amtssachverständige "schließlich ein eindeutiges Gutachten abgegeben". Bezogen auf den Zeitpunkt der behördlichen Entscheidung sei auf Grund des Gutachtens davon auszugehen, dass sich der Beschwerdeführer in einem solchen Zustand befinde, wonach er "aus der gebotenen humanitären Sichtweise" der Pflege und Obsorge seiner in Österreich lebenden Familienmitglieder nicht bedürfe.

II.

Der Verwaltungsgerichtshof hat über die gegen diesen Bescheid gerichtete Beschwerde nach Vorlage der Verwaltungsakten und Erstattung einer Gegenschrift durch die belangte Behörde erwogen:

Die Beschwerde wendet sich sowohl gegen die von der belangten Behörde vorgenommene Gefährdungsprognose als auch die Interessenabwägung nach § 66 FPG ausschließlich mit dem Hinweis auf den nunmehr vorliegenden medizinisch-psychiatrischen Befundbericht vom . Bei dem darauf Bezug nehmenden Vorbringen handelt es sich allerdings schon mit Blick auf das Datum der Erstellung dieses Berichts um eine im verwaltungsgerichtlichen Verfahren unbeachtliche Neuerung (§ 41 Abs. 1 VwGG).

Soweit der Beschwerdeführer vorbringt, ein derartiges Gutachten hätte bereits im Verwaltungsverfahren beigeschafft werden müssen, vermag er die Relevanz für den Verfahrensausgang nicht darzulegen. Es ist der Beschwerdeführer nämlich auf die Bestimmung des § 60 Abs. 4 FPG hinzuweisen, wonach einer Verurteilung im Sinn des § 60 Abs. 2 Z 1 FPG eine vom einem Gericht veranlasste Unterbringung in eine Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher gleichzuhalten ist, wenn die Tat unter Einfluss eines die Zurechnungsfähigkeit ausschließenden Zustandes begangen wurde, der auf einer geistigen oder seelischen Abartigkeit von höherem Grad beruht. Sohin steht der Prognose einer vom Beschwerdeführer ausgehenden Gefahr auch nicht entgegen, dass diese unter Umständen - worauf der Beschwerdeführer abzielt - auf eine Krankheit zurückzuführen wäre (vgl. zur gegenständlichen Problematik auch die hg. Erkenntnisse vom , Zl. 2008/22/0579, und vom , Zl. 2008/21/0042). Dass aber eine vom Beschwerdeführer ausgehende Gefährdung gerade wegen seiner Krankheit auszuschließen wäre, kann auch dem vom Beschwerdeführer im verwaltungsgerichtlichen Verfahren vorgelegten Befundbericht nicht entnommen werden.

Vor diesem Hintergrund und auf dem Boden der Feststellungen der belangten Behörde zum vom Beschwerdeführer gesetzten Verhalten begegnet die von der belangten Behörde nach § 60 Abs. 1 FPG vorgenommene Beurteilung keinen Bedenken.

Soweit der Beschwerdeführer im Rahmen der Beurteilung nach § 66 FPG mit dem von ihm vorgelegten Befundbericht argumentiert, ist - abgesehen davon, dass der Berücksichtigung desselben auch hier das Neuerungsverbot entgegensteht - darauf hinzuweisen, dass sich anhand des Inhaltes dieses Berichtes keine konkreten Gründe ergeben, wonach es geboten gewesen wäre, im Rahmen der Interessenabwägung von der Erlassung des Aufenthaltsverbotes Abstand nehmen zu müssen. Dass die weitere psychiatrische Behandlung des Beschwerdeführers nur in Österreich stattfinden könnte, geht aus dem Bericht nicht hervor. Dieser enthält lediglich die Empfehlung, "eine Überführung" des Beschwerdeführers in die Türkei zwecks Fortsetzung der psychiatrischen Behandlung um sechs Monate auszusetzen. Konkrete Hinweise, weshalb das vom Amtssachverständigen erstattete Gutachten unrichtig sein soll, sind demgegenüber aber auch dem medizinisch-psychiatrischen Befundbericht nicht zu entnehmen. Somit zeigt der Beschwerdeführer auch hier mit seinem Vorbringen, das mit der Beschwerde vorgelegte Gutachten hätte von der belangten Behörde bereits im Verwaltungsverfahren beigeschafft werden müssen, die Relevanz des behaupteten Verfahrensfehlers für den Verfahrensausgang nicht auf. Dass die Beurteilung der belangten Behörde nach § 66 FPG sonst nicht dem Gesetz entsprochen hätte, ist nicht erkennbar.

Da sohin dem angefochtenen Bescheid die behauptete Rechtswidrigkeit nicht anhaftet, war die Beschwerde gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.

Wien, am