VwGH vom 26.11.2008, 2006/08/0197

VwGH vom 26.11.2008, 2006/08/0197

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Müller und die Hofräte Dr. Strohmayer, Dr. Moritz, Dr. Lehofer und Dr. Doblinger als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Marzi, über die Beschwerde des BW in W, vertreten durch Dr. Dietmar Kinzel, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Seilergasse 17, gegen den auf Grund eines Beschlusses des Ausschusses für Leistungsangelegenheiten ausgefertigten Bescheid der Landesgeschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Wien vom , Zl. LGSW/Abt. 3-AlV/05661/2005-8789, betreffend Abweisung des Antrags auf Notstandshilfe, zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Bund (Bundesminister für Wirtschaft und Arbeit) Aufwendungen in der Höhe von EUR 381,90 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit Bescheid vom wies die regionale Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Wien Schloßhoferstraße den Antrag des Beschwerdeführers vom auf Zuerkennung von Notstandshilfe mit der Begründung ab, dass auf Grund der Weigerung des Beschwerdeführers, die notwendigen Lohnbescheinigungen von Claudia R. vorzulegen, angenommen werde, dass keine Notlage vorliege.

Die vom Beschwerdeführer gegen diesen Bescheid erhobene Berufung, in der er im Wesentlichen ausgeführt hatte, Claudia R. "Unterschlupf" gewährt und in diesem Zusammenhang keine finanziellen Leistungen, weder für Wohnen noch für Essen bekommen zu haben, wurde von der belangten Behörde mit dem angefochtenen Bescheid abgewiesen.

Begründend führte die belangte Behörde aus, der Beschwerdeführer habe im Antrag auf Notstandshilfe vom angegeben, dass in seinem Haushalt auch Claudia R. wohne. In einer Niederschrift vor der erstinstanzlichen Behörde am hätten der Beschwerdeführer sowie Claudia R. angegeben, dass sie keine Lebensgemeinschaft führten. Sie würden seit Februar 2005 gemeinsam in einer 33 m2 Gemeindewohnung wohnen. Jeder sorge für sich selbst und es handle sich um eine reine Zweckgemeinschaft. Claudia R. würde erst in drei Monaten um eine Gemeindewohnung einreichen. Der Beschwerdeführer habe keinen Untermietvertrag vorlegen können, da keiner bestehe.

Mit der Berufung habe der Beschwerdeführer auch eine neue Meldebestätigung von Claudia R. vorgelegt, wonach sie ab nicht mehr in der Wohnung des Beschwerdeführers gemeldet sei, sondern im 16. Bezirk. Im Rahmen des Außendienstes sei von einem Mitarbeiter des Arbeitsmarktservice festgestellt worden, dass der Beschwerdeführer nur eine "begrenzte Augenscheinnahme" seiner Wohnung zugelassen habe. Es sei vom Beschwerdeführer zugegeben worden, dass Claudia R. nach wie vor in seiner Wohnung wohne, aber hiefür nichts bezahlen müsse. Claudia R. stehe in einem aufrechten Dienstverhältnis. Bei der Abmeldung von Claudia R. und Anmeldung an der neuen Adresse handle es sich offensichtlich um eine Gefälligkeit der Zwillingsschwester von Claudia R.

Die belangte Behörde vertrete auch die Ansicht, dass nach wie vor eine Lebensgemeinschaft vorliege. Dies werde auch durch das Erhebungsergebnis unterstrichen, zumal die Ummeldung an die Adresse im 16. Bezirk nur formaler Natur sei. Lohnbescheinigungen von Claudia R. seien nach wie vor nicht erbracht worden, weshalb davon auszugehen sei, dass Notlage nicht gegeben sei.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die Rechtswidrigkeit seines Inhaltes sowie Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend machende Beschwerde mit dem Antrag, ihn kostenpflichtig aufzuheben.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift mit dem Antrag auf kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

1. Gemäß § 33 Abs. 2 AlVG ist Voraussetzung für die Gewährung der Notstandshilfe unter anderem, dass sich der Arbeitslose in Notlage befindet.

Gemäß § 2 Abs. 1 der Notstandshilfeverordnung liegt Notlage vor, wenn das Einkommen des Arbeitslosen und das seines Ehepartners bzw. Lebensgefährten oder seiner Lebensgefährtin zur Befriedigung der notwendigen Lebensbedürfnisse des Arbeitslosen nicht ausreicht. Die Vorgangsweise bei Heranziehen des Einkommens des Ehepartners bzw. des Lebensgefährten oder der Lebensgefährtin für die Beurteilung der Notlage ist näher in § 6 Notstandshilfeverordnung geregelt.

Gemäß § 36c Abs. 1 AlVG haben Personen, deren Einkommen oder Umsatz zur Feststellung des Anspruchs auf Leistungen nach diesem Bundesgesetz heranzuziehen ist, die erforderlichen Erklärungen und Nachweise auf Verlangen der regionalen Geschäftsstelle abzugeben bzw. vorzulegen. Gemäß § 36c Abs. 6 AlVG ist, wenn der Leistungsbezieher oder dessen Angehöriger (Lebensgefährte) keine Einkommens- bzw. Umsatznachweise vorlegt bzw. keine Erklärungen gemäß § 36a Abs. 6 und § 36b Abs. 2 AlVG abgibt, für den Leistungsbezieher kein geringfügiges Einkommen anzunehmen bzw. kein Anspruch des Leistungsbeziehers auf Familienzuschlag und auf Notstandshilfe gegeben.

2. Der Beschwerdeführer macht geltend, dass die belangte Behörde zu Unrecht vom Vorliegen einer Lebensgemeinschaft ausgegangen sei. Die belangte Behörde treffe in der Begründung des angefochtenen Bescheides keine Feststellungen darüber, ob der Beschwerdeführer mit Claudia R. "Tisch und Bett" oder "Aufwände der Lebenshaltung" teile. Bei richtiger rechtlicher Beurteilung wäre die belangte Behörde zum Ergebnis gekommen, dass entsprechend den Erklärungen des Beschwerdeführers und von Claudia R. in der Niederschrift vom Claudia R. und der Beschwerdeführer weder Tisch noch Bett teilten und jeder für sich selbst sorge. Die belangte Behörde hätte daher zum Ergebnis gelangen müssen, dass keine Lebensgemeinschaft vorliege.

Zudem habe es die belangte Behörde unterlassen, den Beschwerdeführer über den Erhebungsbericht vom zu informieren, und dem Beschwerdeführer Gelegenheit zu geben, dazu Stellung zu nehmen, obwohl dieser Bericht das einzige Beweisergebnis sei, auf das sich die belangte Behörde im angefochtenen Bescheid stütze. Hätte die belangte Behörde diesen Erhebungsbericht dem Beschwerdeführer vorgehalten, so hätte sich auf Grund der Stellungnahmen des Beschwerdeführers unter Vorlage der Meldebestätigung von Claudia R. vom sowie eines Mietvertrags, den Claudia R. am unterzeichnet habe, welche mit der Beschwerde vorgelegt wurden, ergeben, dass der Beschwerdeführer und Claudia R. weder "Tisch und Bett", noch die "Aufwendungen für den Lebensunterhalt" geteilt hätten. Claudia R. habe am einen Mietvertrag über eine Wohnung im

2. Bezirk abgeschlossen und wohne dort. Der Erhebungsbericht entspreche in wesentlichen Punkten nicht den Tatsachen, insbesondere darin, dass der Nachbar des Beschwerdeführers erklärt habe, dass die "Freundin" nach wie vor täglich gesehen werde. Tatsächlich habe der Nachbar des Beschwerdeführers diesem auf seine Nachfrage erklärt, dass er dies nicht gesagt habe.

3. Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes besteht das Wesen einer Lebensgemeinschaft in einem eheähnlichen Zustand, der dem typischen Erscheinungsbild des ehelichen Zusammenlebens entspricht. Dazu gehört im Allgemeinen die Geschlechts-, Wohnungs- und (vor allem) Wirtschaftsgemeinschaft, wobei aber - wie auch bei einer Ehe - das eine oder andere Merkmal weniger ausgeprägt sein oder ganz fehlen kann. Jenes Element, um dessentwillen die Lebensgemeinschaft im konkreten Regelungszusammenhang von Bedeutung ist, nämlich das gemeinsame Wirtschaften, ist jedoch unverzichtbar (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2006/08/0124).

Der Grundsatz der freien Beweiswürdigung (§ 45 Abs. 2 AVG) bedeutet nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht, dass der in der Begründung des Bescheides niederzulegende Denkvorgang der verwaltungsgerichtlichen Kontrolle nicht unterliegt. Die Bestimmung des § 45 Abs. 2 AVG hat nur zur Folge, dass - sofern in den besonderen Verwaltungsvorschriften nicht anderes bestimmt ist -

die Würdigung der Beweise keinen gesetzlichen Regeln unterworfen ist. Dies schließt aber eine verwaltungsgerichtliche Kontrolle in der Richtung nicht aus, ob der Sachverhalt genügend erhoben ist und ob die bei der Beweiswürdigung vorgenommenen Erwägungen schlüssig sind, also nicht den Denkgesetzen und dem allgemeinen menschlichen Erfahrungsgut widersprechen. Unter Beachtung dieser Grundsätze hat der Verwaltungsgerichtshof auch zu prüfen, ob die Behörde im Rahmen ihrer Beweiswürdigung alle in Betracht kommenden Umstände vollständig berücksichtigt hat. Hingegen ist der Verwaltungsgerichtshof nicht berechtigt, eine Beweiswürdigung der belangten Behörde, die einer Überprüfung unter den genannten Gesichtspunkten standhält, auf ihre Richtigkeit hin zu beurteilen, d. h. sie mit der Begründung zu verwerfen, dass auch ein anderer Ablauf der Ereignisse bzw. ein anderer Sachverhalt schlüssig begründbar wäre.

4. Unter Beachtung der genannten Grundsätze kann es der belangten Behörde nicht zum Vorwurf gemacht werden, wenn sie im vorliegenden Fall das Bestehen einer Lebensgemeinschaft angenommen hat:

Zwar trifft es zu, dass der im Verwaltungsakt erliegende schriftliche Erhebungsbericht vom dem Beschwerdeführer nicht gemäß § 45 Abs. 3 AVG mit der Gelegenheit zur Stellungnahme zur Kenntnis gebracht wurde. Allerdings hat die belangte Behörde die im Erhebungsbericht enthaltenen Details - insbesondere die Aussage des Nachbarn des Beschwerdeführers, die in der Beschwerde ausdrücklich als unrichtig bezeichnet wird - im angefochtenen Bescheid nicht als Grundlage der Feststellungen herangezogen. Vielmehr stützt die belangte Behörde ihre Annahme der Wirtschaftsgemeinschaft auf den auch vom Beschwerdeführer in der Beschwerde nicht bestrittenen Umstand, dass - entgegen der vorgelegten Abmeldung von Claudia R. von der Wohnung des Beschwerdeführers - im Rahmen einer Erhebung des Außendienstes des Arbeitsmarktservice festgestellt worden sei, dass der Beschwerdeführer nur eine "begrenzte Augenscheinnahme" seiner Wohnung zugelassen und zugegeben habe, dass Claudia R. nach wie vor in seiner Wohnung wohne. Im Hinblick auf die geringe Größe der Wohnung sowie die Angaben des Beschwerdeführers, wonach Claudia R., die unstrittig in Beschäftigung steht, keinen Beitrag zur Wohnung leistet und auch kein Untermietvertrag besteht, kann der belangten Behörde nicht entgegengetreten werden, wenn sie - mangels weiterer Mitwirkung des Beschwerdeführers - zum Ergebnis gelangt, dass eine Lebensgemeinschaft besteht.

Die Beschwerde war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG i.V.m. der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003, BGBl. II Nr. 333.

Wien, am