VwGH vom 23.05.2012, 2010/22/0002
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Bernegger und die Hofräte Dr. Robl und Mag. Eder als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Perauer, über die Beschwerde des A, vertreten durch Mag. Josef Phillip Bischof, Rechtsanwalt in 1090 Wien, Währinger Straße 26/1/3, gegen den Bescheid der Bundesministerin für Inneres vom , Zl. 154.031/2-III/4/09, betreffend Niederlassungsbewilligung, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.326,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit dem im Instanzenzug ergangenen, angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde den Antrag des Beschwerdeführers, eines Staatsangehörigen der Ukraine, vom auf Erteilung einer "Niederlassungsbewilligung - Angehöriger" gemäß § 47 Abs. 3 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG) ab.
Zur Begründung führte die belangte Behörde im Wesentlichen aus, dass der Beschwerdeführer die Zusammenführung mit seinem die österreichische Staatsbürgerschaft besitzenden Stiefvater anstrebe. Dieser habe vor der erstinstanzlichen Behörde angegeben, dass er die Mutter des Beschwerdeführers bereits vor zehn Jahren in der Ukraine kennengelernt und dort mit ihr zusammengelebt habe. Im Zuge dieser Befragung sei der Stiefvater darauf aufmerksam gemacht worden, dass eine häusliche Gemeinschaft mit dem Beschwerdeführer und dessen Mutter im Heimatland schriftlich nachgewiesen werden müsse. Da diese Nachweise nicht erbracht worden seien, sei der Antrag abgewiesen worden. Auch der Berufung seien keine entsprechenden Nachweise zu entnehmen. Es werde lediglich angeführt, dass der Stiefvater neben der Mutter für den Unterhalt des Beschwerdeführers aufkommen würde. Die Behauptung allein, dass der Stiefvater Unterhalt geleistet und mit dem Beschwerdeführer in häuslicher Gemeinschaft gelebt hätte, könne nicht als entsprechender Nachweis herangezogen werden.
Der Beschwerdeführer habe u.a. eine schriftliche Erklärung nachgereicht, wonach der Stiefvater im Laufe der vielen Jahre monatlich EUR 100,-- überwiesen habe. Diese Angaben seien nicht ausreichend, weil diese "lediglich Behauptungen sind" und "in keiner Weise mit entsprechenden Nachweisen belegt wurden". In diesem Zusammenhang werde auf § 29 Abs. 1 NAG hingewiesen, demzufolge der Fremde am Verfahren mitzuwirken habe.
Der Beschwerdeführer habe somit nicht nachgewiesen bzw. sei es aus dem Akteninhalt nicht ersichtlich, dass er - wie nach § 47 Abs. 3 Z 3 lit. a und b NAG verlangt - vom Zusammenführenden bereits im Herkunftsstaat Unterhalt bezogen oder mit diesem bereits im Herkunftsstaat in häuslicher Gemeinschaft gelebt und Unterhalt bezogen hätte. Somit könne der beantragte Aufenthaltstitel nicht erteilt werden.
Der Verwaltungsgerichtshof hat über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde nach Aktenvorlage durch die belangte Behörde in einem nach § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:
§ 47 NAG lautet (in der hier maßgeblichen Fassung BGBl. I Nr. 99/2006) auszugsweise:
"§ 47. (1) Zusammenführende im Sinne der Abs. 2 bis 4 sind Österreicher oder EWR-Bürger oder Schweizer Bürger, die in Österreich dauernd wohnhaft sind und denen das Recht auf Freizügigkeit nicht zukommt.
(2) Drittstaatsangehörigen, die Familienangehörige von Zusammenführenden im Sinne des Abs. 1 sind, ist ein Aufenthaltstitel 'Familienangehöriger' zu erteilen, wenn sie die Voraussetzungen des 1. Teiles erfüllen. Dieser Aufenthaltstitel ist bei Vorliegen der Voraussetzungen des 1. Teiles einmal um den Zeitraum von zwölf Monaten, danach jeweils um 24 Monate zu verlängern.
(3) Angehörigen von Zusammenführenden im Sinne des Abs. 1 kann auf Antrag eine quotenfreie 'Niederlassungsbewilligung - Angehöriger' erteilt werden, wenn sie die Voraussetzungen des 1. Teiles erfüllen und
1. Verwandte des Zusammenführenden oder seines Ehegatten in gerader aufsteigender Linie sind, sofern ihnen von diesen tatsächlich Unterhalt geleistet wird;
2. Lebenspartner sind, die das Bestehen einer dauerhaften Beziehung im Herkunftsstaat nachweisen und ihnen tatsächlich Unterhalt geleistet wird; oder
3. sonstige Angehörige des Zusammenführenden sind,
a) die vom Zusammenführenden bereits im Herkunftsstaat Unterhalt bezogen haben;
b) die mit dem Zusammenführenden bereits im Herkunftsstaat in häuslicher Gemeinschaft gelebt haben und Unterhalt bezogen haben oder
c) bei denen schwerwiegende gesundheitliche Gründe die persönliche Pflege durch den Zusammenführenden zwingend erforderlich machen.
Unbeschadet eigener Unterhaltsmittel hat der Zusammenführende jedenfalls auch eine Haftungserklärung abzugeben.
(4) …
…"
Die in der Beschwerde erhobene Mängelrüge ist berechtigt. In der Stellungnahme vom haben die Mutter des Beschwerdeführers und dessen Stiefvater ausgeführt, den Beschwerdeführer regelmäßig in Form von Zuwendungen in bar zu unterstützen, die sie ihm in die Ukraine persönlich überbringen ließen oder bei persönlichen Treffen selbst übergeben hätten. In der Berufung gegen den erstinstanzlichen Bescheid brachte der Beschwerdeführer vor, dass sein Stiefvater neben seiner Mutter tatsächlichen Unterhalt zur Sicherstellung des Lebensbedarfes leiste, damit er seine Grundbedürfnisse abdecken könne. Es handle sich dabei um eine dauerhafte und notwendige Unterstützung durch den Stiefvater.
Der Beschwerdeführer könnte als "sonstiger Angehöriger" des Stiefvaters eine Niederlassungsbewilligung erhalten, wenn er vom Zusammenführenden bereits im Herkunftsstaat Unterhalt bezogen hat (§ 47 Abs. 3 Z 3 lit. a NAG). Die erstinstanzliche Behörde wies diesen Antrag mit der gesetzlich nicht gedeckten Ansicht ab, eine häusliche Gemeinschaft mit dem Stiefvater im Heimatland hätte schriftlich nachgewiesen werden müssen.
Die zweitinstanzliche Behörde meint, dass die behauptete ständige Unterhaltsgewährung durch den Stiefvater "in keiner Weise mit entsprechenden Nachweisen" belegt worden sei. Sie geht dabei anscheinend - offensichtlich ähnlich wie die erstinstanzliche Behörde - davon aus, dass nur schriftliche Beweise geeignet wären, den Unterhaltsbezug nachzuweisen. Dazu hat der Gerichtshof bereits ausgesprochen, dass nicht nur etwa Kontoauszüge eine tatsächliche Unterhaltsleistung nachweisen können, sondern es in solchen Fällen der Behörde auch freisteht, den Zusammenführenden als Zeugen zu befragen oder befragen zu lassen (vgl. das Erkenntnis vom , 2008/22/0281; weiters auch jenes vom heutigen Tag, 2009/22/0328).
Im letztgenannten Erkenntnis hat der Gerichtshof auch ausgesprochen, dass die Behörde gemäß § 39 Abs. 2 erster Satz AVG bei der Durchführung des Ermittlungsverfahrens von Amts wegen vorzugehen hat. Die Behörde hat von sich aus den vollständigen entscheidungsrelevanten Sachverhalt durch Aufnahme aller nötigen Beweise festzustellen und die Erbringung der erforderlichen Beweise anzuordnen. Die Unterhaltsgewährung durch den Zusammenführenden ist kein Beweisthema, von dem sich die Behörde nicht amtswegig Kenntnis verschaffen könnte und sie auf entsprechende Beweisanträge der Partei angewiesen wäre. Sie hätte daher ohne Bindung an Beweisanträge des Beschwerdeführers etwa die Vernehmung dessen Stiefvaters veranlassen können. Bedeutung kommt dabei auch der Behauptung zu, dass der Beschwerdeführer als Student im Heimatland keine Möglichkeit hätte, sich seinen Lebensunterhalt selbst zu verdienen. Sollte dies den Tatsachen entsprechen, läge eine laufende Unterhaltsgewährung durch Mutter und Stiefvater nahe.
Da die belangte Behörde somit ihren Bescheid mit einem relevanten Verfahrensmangel belastet hat, war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG aufzuheben.
Von der beantragten Durchführung einer Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 3 VwGG abgesehen werden.
Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.
Wien, am
Fundstelle(n):
FAAAE-81852