VwGH vom 22.02.2011, 2008/18/0661
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Pallitsch, den Hofrat Mag. Eder, die Hofrätin Mag. Merl und die Hofräte Dr. Lukasser und Mag. Haunold als Richter, im Beisein des Schriftführers Dr. Schmidl, über die Beschwerde der J B in W, geboren am , vertreten durch Mag. Robert Bitsche, Rechtsanwalt in 1050 Wien, Nikolsdorfergasse 7-11/2, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom , Zl. E1/5.138/2007, betreffend Ausweisung gemäß § 54 FPG, zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Die Beschwerdeführerin hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von EUR 610,60 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
I.
1. Mit dem angefochtenen, im Instanzenzug ergangenen Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien (der belangten Behörde) vom wurde die Beschwerdeführerin, eine serbische Staatsangehörige, gemäß § 54 Abs. 1 Z. 2 Fremdenpolizeigesetz 2005 - FPG ausgewiesen.
Die Beschwerdeführerin habe erstmals am eine Niederlassungsbewilligung zum Zweck der Familiengemeinschaft erhalten, weil der Ehemann ihrer Tochter österreichischer Staatsbürger gewesen sei. In dem Verlängerungsverfahren sei nunmehr hervorgetreten, dass der "zusammenführende Schwiegersohn" seit Jahren Notstandshilfebezieher sei und "zum damaligen Zeitpunkt" über kein Einkommen über seinem Existenzminimum verfügt habe, mit dem er den Unterhalt der Beschwerdeführerin finanzieren hätte können. Sie könne sich auch nicht auf die Unterhaltsleistungen ihrer Tochter berufen, weil diese nach der Aktenlage (selbst unter Berücksichtigung allfälliger Gehaltserhöhungen) keinesfalls über ein so hohes Einkommen verfüge, dass sie der Beschwerdeführerin Unterhaltsmittel in der Höhe der Ausgleichszulagenrichtsätze (derzeit EUR 747,--) zur Verfügung stellen könnte. Die Tochter verdiene laut vorgelegter Gehaltsbestätigung vom etwa EUR 1.027,--. Dass sich daran etwas Entscheidungsrelevantes geändert hätte, sei nicht geltend gemacht worden.
Auf Grund dieser Umstände sei der in § 11 Abs. 2 Z. 4 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG) normierte Versagungsgrund verwirklicht, der der Erteilung eines weiteren Aufenthaltstitels jedenfalls entgegenstehe. Die Voraussetzungen zur Erlassung der Ausweisung seien daher - vorbehaltlich der Bestimmungen der §§ 55 und 66 FPG - im Grunde des § 54 Abs. 1 leg. cit. gegeben.
Die Beschwerdeführerin sei nach der Aktenlage verheiratet, der Verbleib ihres Ehemannes sei jedoch unbekannt. Familiäre Bindungen im Bundesgebiet bestünden zu ihrer Tochter. Daher sei von einem mit der Ausweisung verbundenen Eingriff in das Privat- und Familienleben der Beschwerdeführerin auszugehen. Dieser Eingriff sei jedoch zulässig, weil er zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele - hier: zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung auf dem Gebiet des Fremdenwesens - dringend geboten sei. Gerade den die Einreise und den Aufenthalt von Fremden regelnden Vorschriften und deren Befolgung durch den Normadressaten komme aus der Sicht des Schutzes und der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung ein besonders hoher Stellenwert zu. Gegen dieses hohe öffentliche Interesse verstoße der "dargelegte Versagungsgrund" jedoch gravierend. Die dadurch bewirkte Beeinträchtigung der öffentlichen Ordnung sei von solchem Gewicht, dass sich die Erlassung der Ausweisung als dringend geboten und daher zulässig im Sinn des § 66 Abs. 1 FPG habe erweisen müssen.
Die Beschwerdeführerin könne im Rahmen der gemäß § 66 Abs. 2 FPG durchzuführenden Interessenabwägung auf keine gewichtige, aus der Dauer ihres Aufenthaltes ableitbare Integration verweisen. Sie sei einerseits nicht imstande, ihren Unterhalt hinreichend zu finanzieren und habe nach der Aktenlage auch keinen Zugang zum heimischen Arbeitsmarkt. Ihre familiären Bindungen würden dadurch relativiert, dass ihre Tochter längst volljährig sei. Das der Beschwerdeführerin insgesamt zuzusprechende Interesse an einem Weiterverbleib im Bundesgebiet erweise sich daher als keineswegs ausgeprägt. Dem stehe jedoch das hohe öffentliche Interesse an der Wahrung eines geordneten Fremdenwesens gegenüber. Bei Abwägung dieser Interessenlagen sei die belangte Behörde zu der Ansicht gelangt, dass die Auswirkungen der Ausweisung auf die Lebenssituation der Beschwerdeführerin keinesfalls schwerer wögen als das in der Verwirklichung des genannten Versagungsgrundes bewirkte hohe öffentliche Interesse an ihrem "Verlassen des Bundesgebietes". Dabei habe die belangte Behörde auch bedacht, dass die Beschwerdeführerin - wenn auch eingeschränkt - den Kontakt zu ihrer Tochter auch vom Ausland aus aufrecht erhalten könne, eine Einschränkung, die sie im öffentlichen Interesse zu tragen haben werde.
Mangels sonstiger, besonders zu Gunsten der Beschwerdeführerin sprechender Umstände habe die belangte Behörde keine Veranlassung gesehen, von der Erlassung der Ausweisung im Rahmen des ihr zustehenden Ermessens Abstand zu nehmen. Wenn die Beschwerdeführerin geltend mache, sie sei krank und könne in ihrer Heimat "nicht leicht einen Arzt aufsuchen", und vier (Röntgen )Befunde vorlege, die der Beschwerdeführerin spastische Reizzustände sowie ein beginnendes mitralisiertes Linksherz mit Lungenstauung Grad II attestierten, so lege die Beschwerdeführerin weder dar, dass sie deswegen in ständiger notwendiger ärztlicher Behandlung stehe, noch, dass dies ihrer Ausreise unüberwindlich entgegenstehe.
2. Gegen diesen Bescheid richtet sich die Rechtswidrigkeit des Inhalts sowie Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend machende Beschwerde mit dem Antrag, ihn aufzuheben.
3. Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und beantragt in der Gegenschrift die Abweisung der Beschwerde.
II.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
1. Da sich die Beschwerdeführerin während eines Verfahrens zur Erteilung eines weiteren Aufenthaltstitels im Bundesgebiet aufhält, kann sie gemäß § 54 Abs. 1 Z. 2 FPG mit Bescheid ausgewiesen werden, wenn der Erteilung eines weiteren Aufenthaltstitels ein Versagungsgrund entgegensteht. Gemäß § 11 Abs. 2 Z. 4 NAG dürfen Aufenthaltstitel einem Fremden nur erteilt werden, wenn der Aufenthalt des Fremden zu keiner finanziellen Belastung einer Gebietskörperschaft führen könnte. Gemäß § 11 Abs. 5 NAG ist dies dann der Fall, wenn der Fremde feste und regelmäßige eigene Einkünfte hat, die ihm eine Lebensführung ohne Inanspruchnahme von Sozialhilfeleistungen der Gebietskörperschaften ermöglichen und der Höhe nach den Richtsätzen des § 293 ASVG entsprechen.
Der Fremde hat initiativ, untermauert durch Vorlage entsprechender Bescheinigungsmittel nachzuweisen, dass er nicht nur über die Mittel zur kurzfristigen Bestreitung seines Unterhalts verfügt, sondern dass sein Unterhalt für die beabsichtigte Dauer seines Aufenthalts gesichert erscheint. Die Verpflichtung, die Herkunft der für den Unterhalt zur Verfügung stehenden Mittel nachzuweisen, besteht insoweit, als für die Behörde ersichtlich sein muss, dass der Fremde einen Rechtsanspruch darauf hat und die Mittel nicht aus illegalen Quellen stammen. Aufforderungen seitens der Behörde, dieser Darlegungspflicht entsprechend zu handeln, sind demnach ebenso wenig geboten wie die Durchführung diesbezüglicher amtswegiger Ermittlungen (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2008/18/0486, mwN).
2. Die Beschwerdeführerin bestreitet nicht, dass sie keine ausreichenden Unterhaltsmittel im Sinn des § 11 Abs. 5 NAG nachgewiesen hat. Sie bringt jedoch vor, die belangte Behörde hätte sie auffordern müssen, im Entscheidungszeitpunkt aktuelle Lohn- und Gehaltsbestätigungen der Tochter vorzulegen. Abgesehen davon, dass eine solche Verpflichtung grundsätzlich nicht besteht (vgl. etwa das oben angeführte hg. Erkenntnis vom ), enthält auch die Beschwerde keine konkreten Angaben über die der Beschwerdeführerin zur Verfügung stehenden Unterhaltsmittel. Die Ansicht der belangten Behörde, dass die Erteilungsvoraussetzung nach § 11 Abs. 2 Z. 4 NAG fehle und damit der Tatbestand des § 54 Abs. 1 Z. 2 FPG erfüllt sei, begegnet somit keinen Bedenken, zumal selbst unter Zugrundelegung des in der Berufung genannten Einkommens der Tochter keine ausreichenden Unterhaltsmittel vorliegen würden (vgl. zur diesbezüglichen Berechnung das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2008/22/0466, mwN).
3. Die Beschwerdeführerin bekämpft den angefochtenen Bescheid auch im Grunde des § 66 FPG. Bereits in der Berufung habe sie darauf hingewiesen, dass sie sich auf Grund ihres schlechten Gesundheitszustandes in Österreich aufhalte, um hier ärztliche Hilfe in Anspruch zu nehmen; sie sei auf die Unterstützung ihrer Tochter angewiesen. Die belangte Behörde hätte - da sie aus den vorgelegten medizinischen Gutachten kein Erfordernis einer ständigen ärztlichen Behandlung erkannt habe - weitere Ermittlungen anstellen bzw. die Beschwerdeführerin zur Vorlage zusätzlicher Befunde auffordern müssen. Die belangte Behörde habe auch keine Feststellungen zu den Behandlungsmöglichkeiten im Heimatland der Beschwerdeführerin getroffen. Ihr Vorbringen, dass sie gesundheitsbedingt auf ihre Tochter angewiesen sei und zwischen Mutter und Tochter trotz der Volljährigkeit ein enges Verhältnis der gegenseitigen Hilfe und Anteilnahme bestehe, sei von der belangten Behörde schlichtweg ignoriert worden.
Dazu ist zunächst festzuhalten, dass die Beschwerdeführerin in ihrer Berufung nicht vorgebracht hat, auf Grund ihres Gesundheitszustandes auf ihre Tochter angewiesen zu sein. Vielmehr wurde ausgeführt, die Beschwerdeführerin würde gerne arbeiten, dürfe dies jedoch mangels Vorliegen einer Arbeitsbewilligung nicht; sie versuche, im Haushalt mitzuhelfen.
Auch aus den im Verwaltungsverfahren vorgelegten Unterlagen (dem Röntgenbefund vom und den Befundberichten des Facharztes für Radiologie vom ) geht weder hervor, dass eine medizinische Behandlung in Österreich erforderlich sei, noch, dass die Beschwerdeführerin einer besonderen Unterstützung oder Pflege bedürfe. Das - im Übrigen auch in der Beschwerde gänzlich unkonkret gebliebene - Vorbringen, die Beschwerdeführerin sei auf die Unterstützung ihrer Tochter angewiesen, widerspricht somit dem im Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof geltenden Neuerungsverbot (§ 41 Abs. 1 VwGG).
Einer im Inland notwendigen medizinischen Behandlung kann zwar bei der Abwägung der persönlichen Interessen eines Fremden an einem Verbleib im Bundesgebiet mit dem öffentlichen Interesse an der Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme eine maßgebliche Verstärkung des persönlichen Interesses zukommen (vgl. das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2010/18/0167, mwN). Da die Beschwerdeführerin jedoch weder die Notwendigkeit einer medizinischen Behandlung in Österreich nachgewiesen noch in der Beschwerde behauptet hat, dass eine solche in ihrem Heimatstaat grundsätzlich nicht möglich sei, war die belangte Behörde - entgegen der in der Beschwerde vertretenen Ansicht - auch nicht gehalten, weitere Ermittlungen anzustellen. Im Übrigen wurde auch in der Beschwerde weder der behauptete Behandlungsbedarf noch die Unmöglichkeit einer Behandlung in Serbien nachgewiesen; es ist somit nicht ersichtlich, inwiefern dem vermeintlichen Verfahrensmangel Relevanz zukommen soll.
Angesichts der Dauer des bisherigen inländischen Aufenthalts der Beschwerdeführerin seit und ihrer daraus ableitbaren Integration sowie ihrer familiären Bindungen zu ihrer - erwachsenen - Tochter ist mit der Ausweisung ein relevanter Eingriff in deren Privat- und Familienleben verbunden. Diesen persönlichen Interessen der Beschwerdeführerin an einem Verbleib im Bundesgebiet steht die aus der Verwirklichung des Fehlens der Erteilungsvoraussetzung des § 11 Abs. 2 Z. 4 iVm Abs. 5 NAG resultierende Gefährdung öffentlicher Interessen gegenüber. Bei Abwägung dieser gegenläufigen Interessen begegnet die Ansicht der belangten Behörde, dass die Ausweisung zur Erreichung von im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Zielen (Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung auf dem Gebiet des Fremdenwesens) dringend geboten (§ 66 Abs. 1 FPG) und im Rahmen der Interessenabwägung gemäß § 66 Abs. 2 FPG zulässig sei, mit Blick auf den bloß etwa dreijährigen Aufenthalt im Bundesgebiet, keinen Bedenken.
4. Ferner kann auch keine Rede davon sein, dass der angefochtene Bescheid nicht ausreichend begründet sei. Die in der Beschwerde vorgebrachte Anhängigkeit eines Verfahrens über Anregung der Beschwerdeführerin, ihr einen Aufenthaltstitel aus humanitären Gründen zu erteilen, steht der Erlassung einer Ausweisung nicht entgegen.
5. Die Beschwerde war somit gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.
6. Die Zuerkennung von Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. II Nr. 455/2008.
Wien, am
Fundstelle(n):
TAAAE-81830