VwGH vom 24.01.2012, 2008/18/0649
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Pallitsch, den Hofrat Mag. Eder, die Hofrätinnen Mag. Merl und Mag. Dr. Maurer-Kober sowie den Hofrat Mag. Straßegger als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Krawarik, über die Beschwerde der LS in W, vertreten durch Mag. Sonja Scheed, Rechtsanwalt in 1220 Wien, Brachelligasse 16, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom , Zl. E1/529.156/2007, betreffend Erlassung eines befristeten Aufenthaltsverbotes, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
I.
Mit dem angefochtenen, im Instanzenzug ergangenen Bescheid erließ die belangte Behörde gegen die Beschwerdeführerin, eine russische Staatsangehörige, ein auf § 60 Abs. 1 und Abs. 2 Z 1 Fremdenpolizeigesetz 2005 gestütztes, auf die Dauer von zehn Jahren befristetes Aufenthaltsverbot.
Begründend führte die belangte Behörde aus, die Beschwerdeführerin sei Anfang 2006 in das Bundesgebiet eingereist. Am habe sie in P den österreichischen Staatsbürger S geheiratet. Der von ihr in der Folge eingebrachte Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels zum Zweck der Familiengemeinschaft mit einem Österreicher sei bewilligt worden. Sie habe einen von bis gültigen Aufenthaltstitel "Familienangehöriger" erhalten. Das Verfahren über den von ihr am eingebrachten Verlängerungsantrag sei noch nicht abgeschlossen.
Die Ehe mit dem österreichischen Staatsbürger sei vom Bezirksgericht N seit rechtskräftig geschieden.
Am habe das Landesgericht W die Beschwerdeführerin wegen schwerer Nötigung nach den §§ 105 Abs. 1, 106 Abs. 1 Z 1 StGB zu einer bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe von sieben Monaten verurteilt. Der dagegen erhobenen Berufung sei vom Oberlandesgericht Wien mit Urteil vom keine Folge gegeben worden. Der Verurteilung sei zu Grunde gelegen, dass die Beschwerdeführerin am ihren Schwiegervater durch gefährliche Drohung zum Verlassen einer näher bezeichneten Liegenschaft (dem ehelichen Anwesen der Beschwerdeführerin) genötigt habe, indem sie den vor ihr flüchtenden Schwiegervater mit einer Hacke verfolgt und ihn derart mit dem Tod bedroht habe.
Nach teilweiser Wiedergabe des Berufungsvorbringens der Beschwerdeführerin führte die belangte Behörde unter Hinweis auf die Bestimmungen des § 60 Abs. 1 und Abs. 2 Z 1 FPG aus, es könne kein Zweifel bestehen, dass die Voraussetzungen zur Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gegeben seien. Auf Grund der Verurteilung durch das Landesgericht Wiener Neustadt sei der Tatbestand des § 60 Abs. 2 Z 1 FPG erfüllt. Das dem Urteil zu Grunde liegende Verhalten lasse aber auch die Annahme als gerechtfertigt erscheinen, dass der weitere Aufenthalt der Beschwerdeführerin im Bundesgebiet die öffentliche Ordnung, Ruhe und Sicherheit gefährde und überdies anderen im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten öffentlichen Interessen zuwiderlaufe. Am Maßstab des § 86 Abs. 1 FPG sei die Zulässigkeit der Erlassung des Aufenthaltsverbotes, anders als die Beschwerdeführerin meine, nicht zu prüfen, weil sie von ihrem österreichischen Ehemann bereits rechtskräftig geschieden sei.
Im Rahmen der nach § 66 FPG vorgenommenen Interessenabwägung führte die belangte Behörde aus, die Beschwerdeführerin halte sich seit Anfang 2006 im Bundesgebiet auf. Sie habe ein Kind im Alter von neun Jahren, welches in Österreich zur Schule gehe. Die Beschwerdeführerin sei zeitweise kurzfristig unselbständig erwerbstätig gewesen. Es sei daher von einem mit dem Aufenthaltsverbot verbundenen Eingriff in das Privat- und Familienleben der Beschwerdeführerin auszugehen. Dieser Eingriff erweise sich allerdings als zulässig. Die Beschwerdeführerin habe durch ihre Straftat ihre Gewaltbereitschaft hinlänglich dokumentiert. Wenn die Beschwerdeführerin in einer Stellungnahme und ihrer Berufung die Begehung der Straftat mit dem Kontext ehelicher Streitigkeiten zu relativieren suche und versichere, sich künftig wohlzuverhalten, sei darauf hinzuweisen, dass gegen die Beschwerdeführerin erneut ein "Gerichtsverfahren anhängig" sei. Beim Landesgericht für Strafsachen Wien sei wegen Verdachts der Übertretung der §§ 92, 195 Abs. 1 und 2 StGB die Hauptverhandlung anberaumt worden. Zudem habe sie sich in der Zeit von bis in Untersuchungshaft befunden. Es könne daher schwerlich von Wohlverhalten gesprochen werden. Im Hinblick auf die besondere Gefährlichkeit der Gewaltkriminalität sei die Erlassung des Aufenthaltsverbotes als dringend geboten zu erachten. Das "geschilderte Fehlverhalten" der Beschwerdeführerin verdeutliche ihr Unvermögen oder ihren Unwillen, die Rechtsvorschriften in Österreich einzuhalten. Einer allfälligen aus dem bisherigen Aufenthalt ableitbaren Integration sei insofern kein entscheidendes Gewicht (mehr) beizumessen, als die für jegliche Integration erforderliche soziale Komponente durch das strafbare Verhalten der Beschwerdeführerin erheblich beeinträchtigt worden sei. Ihre Tochter befinde sich im Zeitpunkt der gegenständlichen Entscheidung bereits seit geraumer Zeit in der Obhut des Jugendamtes. Es sei die Übertragung der Obsorge auf das Jugendamt bereits beantragt worden. Dies stehe im Zusammenhang mit dem gegen die Beschwerdeführerin anhängigen Strafverfahren. Sohin sei letztlich bei Abwägung der gegenläufigen Interessenlagen zum Ergebnis zu kommen, dass die Auswirkungen des Aufenthaltsverbotes auf die Lebenssituation der Beschwerdeführerin keinesfalls schwerer wögen als die gegenläufigen öffentlichen Interessen, sodass sich die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes auch aus diesem Blickwinkel als zulässig erweise.
II.
Der Verwaltungsgerichtshof hat über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde nach Vorlage der Verwaltungsakten und Erstattung einer Gegenschrift durch die belangte Behörde erwogen:
Die Beschwerdeführerin wendet sich gegen die von der belangten Behörde vorgenommene Gefährdungsprognose und macht in diesem Zusammenhang geltend, die belangte Behörde habe für die Beurteilung ihres Falles wesentliche Umstände nicht berücksichtigt und auch diesbezüglich relevante Feststellungen nicht getroffen. Dieses Vorbringen führt die Beschwerde zum Erfolg.
Bei der hier zu treffenden Prognosebeurteilung nach § 60 Abs. 1 FPG kommt es in Bezug auf strafgerichtliche Verurteilungen letztlich immer auf das diesen zu Grunde liegende Verhalten an. Es ist nicht auf die bloße Tatsache der Verurteilung bzw. Bestrafung des Fremden, sondern auf die Art und Schwere der zu Grunde liegenden Straftaten auf das sich daraus ergebende Persönlichkeitsbild abzustellen (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2007/18/0117, mwN).
Diesen Anforderungen wird der angefochtene Bescheid nicht gerecht. Zwar stellte die belangte Behörde jenes Tatverhalten fest, das dem Urteilsspruch des Landesgerichts Wiener Neustadt zu entnehmen war, jedoch brachte die Beschwerdeführerin bereits im Verwaltungsverfahren vor, dass damit in ihrem Fall deswegen nicht das Auslangen gefunden werden könnte, weil ihr strafbares Verhalten auf die besondere Situation in ihrer Ehe zurückzuführen gewesen wäre, und vor diesem Hintergrund ihre Handlung bei der Prognose ihrer Gefährlichkeit einer anderen Bewertung hätte zugeführt werden müssen. Ihre Schwiegereltern hätten sie nicht akzeptiert. Dies hätte zur Folge gehabt, dass diese mit ihrem Ehemann in weiterer Folge nicht mehr gesprochen hätten. Auch ihr Ehemann hätte dann großen psychischen Druck auf sie ausgeübt und sie auch geschlagen, insbesondere dann, "wenn er getrunken" habe. Aus diesem Grund wäre gegen ihren Ehemann von Polizeibeamten ein zehntägiges Betretungsverbot ausgesprochen worden. Auch hätte ihr Ehemann immer wieder gedroht, dass er ihr den Aufenthaltstitel "wegnehmen würde" und sie wieder nach Russland zurückkehren müsste. Es hätte sich bei dem ihrer Verurteilung zu Grunde liegenden Verhalten daher um eine einmalige Sache, die vor diesem Hintergrund zu sehen wäre, gehandelt.
Mit diesem - bereits im Verwaltungsverfahren erstatteten - Vorbringen, das nicht von vornherein ungeeignet ist darzulegen, dass die belangte Behörde im Rahmen ihrer Gefährdungsprognose zu einem anderen Ergebnis hätte kommen können, hat sich die belangte Behörde in keiner Weise auseinandergesetzt und dazu auch keine Feststellungen getroffen.
Soweit die belangte Behörde auf ein weiteres gegen die Beschwerdeführerin eingeleitetes Strafverfahren hinweist, ist ihr vorzuwerfen, dass sie überhaupt keine Feststellungen dahingehend getroffen hat, welches strafbare Verhalten der Beschwerdeführerin vorzuwerfen ist. Darüber hinaus hat sie weder dazu noch zu ihren Feststellungen, dass die Tochter der Beschwerdeführerin in der Obhut des Jugendamtes stehe, Parteiengehör eingeräumt, obwohl die Beschwerdeführerin in ihrer Berufung ausdrücklich das Bestehen einer Familiengemeinschaft mit ihrer Tochter geltend gemacht hat.
Vor diesem Hintergrund ist sohin auch das in der Beschwerde erstattete Vorbringen zu sehen, wonach die Beschwerdeführerin vom weiteren gegen sie erhobenen strafrechtlichen Vorwurf rechtskräftig freigesprochen worden sei - ihr also kein strafrechtlich relevantes Fehlverhalten vorzuwerfen sei - und dass dem Antrag des Jugendamtes keine Folge gegeben worden sei.
Ausgehend von diesem Vorbringen der Beschwerdeführerin - das zum Teil sogar von der belangten Behörde im angefochtenen Bescheid wiedergegeben wurde - kann aber nicht gesagt werden, dass dieses für die hier erforderliche Beurteilung nach § 60 Abs. 1 FPG keine Relevanz aufweist. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass die belangte Behörde, hätte sie zu den Behauptungen der Beschwerdeführerin Ermittlungen getätigt und diesbezüglich Feststellungen getroffen, zu einem anderen Bescheid hätte kommen können.
Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.
Wien, am