VwGH 22.09.2011, 2008/18/0635
Entscheidungsart: Erkenntnis
Rechtssatz
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Normen | |
RS 1 | Das Vorliegen einer (rechtskräftigen) Entscheidung über einen Wiedereinsetzungsantrag infolge Versäumung der Berufungsfrist vor Zurückweisung der Berufung als verspätet ist keinesfalls geboten (Hinweis E vom , 97/17/0162, mwH). Wäre die belangte Behörde aber nicht einmal gehalten gewesen, mit der Zurückweisung der Berufung bis zur rechtskräftigen Erledigung des Wiedereinsetzungsantrages zuzuwarten, so ist umso mehr die Frage zu verneinen, ob vor Zurückweisung der Berufung ein Beschwerdeverfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof über den die Wiedereinsetzung im Instanzenzug versagenden Bescheid der belangten Behörde abzuwarten gewesen wäre. Im - gedachten (vgl. jedoch das hg. Erkenntnis vom heutigen Tag zur Zl. 2009/12/0031) - Fall einer Stattgebung des Wiedereinsetzungsantrages in einem weiteren Rechtsgang als Folge der Aufhebung des diesbezüglichen Bescheides würde gemäß § 14 Abs. 2 iVm § 15 DVG 1984 der neue (in der Sache ergehende) Berufungsbescheid an die Stelle des früheren (zurückweisenden) Berufungsbescheides treten. Dieser Bescheid würde diesfalls ohnehin obsolet. |
Hinweis auf Stammrechtssatz | GRS wie 2009/12/0030 E RS 1
(hier nur der zweite Satz) |
Entscheidungstext
Beachte
Miterledigung (miterledigt bzw zur gemeinsamen Entscheidung
verbunden):
2008/18/0636
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Pallitsch, den Hofrat Mag. Eder, die Hofrätin Mag. Merl und die Hofräte Mag. Haunold und Mag. Straßegger als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Krawarik, über die Beschwerden des A J in W, zu 1. vertreten durch Dr. Christof Dunst, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Rathausstraße 19, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom , Zl. E1/180.015/2008 (hg. Zl. 2008/18/0635), betreffend Zurückweisung einer Berufung in Angelegenheiten eines Aufenthaltsverbotes und zu 2. vertreten durch Dr. Herbert Pochieser, Rechtsanwalt in 1070 Wien, Schottenfeldgasse 2-4/II/23, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom , Zl. E1/177.137/2008 (hg. Zl. 2008/18/0636), betreffend Wiedereinsetzung in den vorigen Stand in Angelegenheiten eines Aufenthaltsverbotes, zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschwerden werden als unbegründet abgewiesen.
Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in Höhe von EUR 610,60 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
I.
1. Mit den im Instanzenzug ergangenen, angefochtenen Bescheiden wurde die Berufung des Beschwerdeführers, eines serbischen Staatsangehörigen, gegen die Erlassung eines unbefristeten Aufenthaltsverbotes wegen Verspätung zurückgewiesen und dem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsfrist nicht stattgegeben.
Die belangte Behörde legte ihren Entscheidungen im Wesentlichen die Feststellungen zugrunde, dass dem Beschwerdeführer der erstinstanzliche Bescheid über die Erlassung eines unbefristeten Aufenthaltsverbotes am durch persönliche Übernahme zugestellt worden sei. Erst mit Schreiben vom habe der Beschwerdeführer einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 71 AVG gestellt und diesen mit einer gleichzeitig eingebrachten Berufung verbunden.
Rechtlich folgerte die belangte Behörde, der Beschwerdeführer habe die zweiwöchige Berufungsfrist gemäß § 63 Abs. 5 AVG nicht eingehalten, weshalb dieses Rechtsmittel wegen Verspätung zurückzuweisen gewesen sei.
Das Vorbringen des Beschwerdeführers zur Wiedereinsetzung in den vorigen Stand sei nicht geeignet, ein "unvorhersehbares" oder unabwendbares Ereignis anzunehmen, das ihn an der Einhaltung der Frist zur Erhebung einer Berufung gehindert hätte, oder dass ihn allenfalls daran nur ein minderer Grad des Versehens treffe. Es erscheine nicht nachvollziehbar, dass der Beschwerdeführer zur Erhebung eines Rechtsmittels seiner kranken Mutter bedürfe oder es ihm nicht möglich gewesen wäre, ein Blatt Papier zu fordern und eine, wenn auch nur rudimentäre, eventuell verbesserungsbedürftige Berufung zu schreiben. Selbst einem völligen juristischen Laien sei es ohne weiteres zuzumuten, den Begriff "unbefristetes Aufenthaltsverbot" entsprechend zu deuten und innerhalb der Rechtsmittelfrist darauf zu reagieren. Der Beschwerdeführer hätte auch problemlos mit einem Rechtsanwalt telefonisch Kontakt aufnehmen können. Daran sei er durch den Vollzug der Strafhaft nicht gehindert worden, was sich aus den entsprechenden Bestimmungen des Strafvollzugsgesetzes ergebe. Mangels eines gegenteiligen Vorbringens sei weder von einer Einschränkung der Dispositionsfähigkeit des Beschwerdeführers auszugehen, noch, dass seine Mutter "Vormund" sei. Die Voraussetzungen des § 71 Abs. 1 AVG lägen daher nicht vor.
2. Gegen diese Bescheide richten sich die Beschwerden mit dem Begehren, jene wegen Rechtswidrigkeit ihres Inhaltes, in eventu wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
3. Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete zur Beschwerde betreffend Wiedereinsetzung in den vorigen Stand eine Gegenschrift mit dem Antrag auf Abweisung.
II.
Der Verwaltungsgerichtshof hat die Beschwerden wegen ihres persönlichen und sachlichen Zusammenhangs zur gemeinsamen Beratung und Beschlussfassung verbunden und darüber erwogen:
1. Die Beschwerden bestreiten nicht den Zeitpunkt der Zustellung des Bescheides über die Erlassung eines unbefristeten Aufenthaltsverbotes am sowie die Stellung eines Antrages auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand verbunden mit der Erhebung einer Berufung am . Damit hielt der Beschwerdeführer die zweiwöchige Berufungsfrist gemäß § 63 Abs. 5 AVG nicht ein, sodass es an der Rechtzeitigkeit dieses Rechtsmittels mangelt.
2. Der Beschwerdeführer macht geltend, die belangte Behörde hätte mit ihrer Entscheidung über die Berufung bis zur Erledigung der Beschwerde vor dem Verwaltungsgerichtshof im Wiedereinsetzungsverfahren zuwarten können.
Damit zeigt der Beschwerdeführer keine Rechtswidrigkeit des Bescheides über die Zurückweisung der Berufung auf. Nach herrschender Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes ist die Zurückweisung als verspätet selbst bei einem anhängigen aber noch nicht bejahend entschiedenen Wiedereinsetzungsantrag zulässig (vgl. dazu das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2008/18/0133). Wäre die belangte Behörde aber nicht einmal gehalten gewesen, mit der Zurückweisung der Berufung bis zur rechtskräftigen Erledigung des Wiedereinsetzungsantrages zuzuwarten, so ist umso mehr die Frage zu verneinen, ob vor Zurückweisung der Berufung ein Beschwerdeverfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof über den die Wiedereinsetzung im Instanzenzug versagenden Bescheid der belangten Behörde abzuwarten gewesen wäre (vgl. dazu das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2009/12/0030). Bereits damit war es aber auch - entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers - nicht erforderlich, weitere Ermittlungen vorzunehmen und Feststellungen zu dem ursprünglich bekämpften Aufenthaltsverbot zu treffen.
3. Den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsfrist begründete der Beschwerdeführer damit, Insasse der Justizanstalt Korneuburg zu sein und mit den ihm zur Verfügung stehenden Möglichkeiten versucht zu haben, mit seiner Mutter Kontakt aufzunehmen, um die Situation mit ihr besprechen zu können, insbesondere um die Beiziehung eines Rechtsanwalts zwecks "Erfassung" der Berufung zu veranlassen. Er könne nur im Rahmen der in der Justizanstalt üblichen Zeiten telefonieren oder Briefe an Familienangehörige weiterleiten, was nicht innerhalb der Rechtsmittelfrist habe erfolgen können, sodass er mit seiner Mutter habe telefonieren müssen. Diese habe ihn sodann besucht und sei erst nach Ablauf der Rechtsmittelfrist neuerlich zu ihm gekommen, um die Vollmacht an die einschreitende Rechtsanwältin unterfertigen zu lassen. Auf Grund dieser erschwerten Kommunikationsmöglichkeiten habe der Beschwerdeführer die Frist zur "Ergreifung" der Berufung nicht wahren können.
Die Beschwerde wendet sich nun gegen die Auffassung der belangten Behörde, eine Einschränkung der Dispositionsfähigkeit des Beschwerdeführers sei nicht vorgebracht worden. Aus dem gesamten Vorbringen der Schilderung der Haftsituation sowie der Angabe, seit dem 15. Lebensjahr an einer Suchterkrankung zu leiden und sich eine Therapie zu wünschen, sei auch ohne expliziten Hinweis die psychische Verfassung des Beschwerdeführers zu erschließen.
Dieses Vorbringen ist nicht geeignet, eine Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides über die Wiedereinsetzung zu begründen.
Gemäß § 71 Abs. 1 AVG ist gegen die Versäumung einer Frist oder einer mündlichen Verhandlung auf Antrag der Partei, die durch die Versäumung einen Rechtsnachteil erleidet, die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen, wenn:
1. die Partei glaubhaft macht, dass sie durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis verhindert war, die Frist einzuhalten oder zur Verhandlung zu erscheinen und sie kein Verschulden oder nur ein minderer Grad des Versehens trifft, oder
2. die Partei die Rechtsmittelfrist versäumt hat, weil der Bescheid keine Rechtsmittelbelehrung, keine Rechtsmittelfrist oder fälschlich die Angabe enthält, dass kein Rechtsmittel zulässig sei.
Gemäß Abs. 2 leg. cit. muss der Antrag auf Wiedereinsetzung binnen zwei Wochen nach dem Wegfall des Hindernisses oder nach dem Zeitpunkt, in dem die Partei von der Zulässigkeit der Berufung Kenntnis erlangt hat, gestellt werden.
Nach der ständigen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes ergibt sich aus § 71 AVG, dass der Wiedereinsetzungsantrag ein Vorbringen über seine Rechtzeitigkeit zu enthalten hat und dass anzugeben ist, aus welchem Grund der Antragsteller den Tatbestand des § 71 Abs. 1 AVG als erfüllt ansieht. Dabei trifft den Antragsteller die Obliegenheit, im Antrag konkret jenes unvorhergesehene oder unabwendbare Ereignis zu beschreiben, das ihn an der Einhaltung der Frist gehindert hat, und diesen behaupteten Wiedereinsetzungsgrund glaubhaft zu machen, was aber als Grundlage ein entsprechend begründetes Antragsvorbringen voraussetzt (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2009/07/0082, mwN).
Im Wiedereinsetzungsantrag verwies der Beschwerdeführer lediglich pauschal auf die Haftbedingungen, vor allem nur zu den in der Justizanstalt üblichen Zeiten telefonieren zu können, ohne diese so konkret darzustellen, um daraus ableiten zu können, dass ihm eine frühere Kontaktaufnahme mit der Rechtsanwältin zur Erhebung einer Berufung nicht möglich gewesen wäre. Anhaltspunkte für eine mit einer Suchterkrankung seit dem 15. Lebensjahr und dem Wunsch nach Therapie im Zusammenhang stehende und noch während der Rechtsmittelfrist anhaltende psychische Verfassung des Beschwerdeführers, welche ihn an der rechtzeitigen Erhebung der Berufung gehindert hätte, ergeben sich daraus nicht. Die belangte Behörde war daher auch nicht verhalten, derartige Aspekte zu berücksichtigen. Im Übrigen ist es in Anbetracht der in § 71 Abs. 2 AVG normierten Befristung des Wiedereinsetzungsantrages jedenfalls unzulässig, die nach § 71 AVG erforderlichen Angaben erst nach Ablauf dieser Frist nachzutragen (vgl. neuerlich das schon erwähnte Erkenntnis vom ). Die nun in der Beschwerde erkennbare Behauptung eingeschränkter Dispositionsfähigkeit des Beschwerdeführers vermag somit einen Wiedereinsetzungsantrag jedenfalls nicht mehr zu begründen und stellt darüber hinaus eine im verwaltungsgerichtlichen Verfahren unzulässige Neuerung dar (§ 41 Abs. 1 VwGG).
Auf der Grundlage des Vorbringens des Wiedereinsetzungsantrages ist das Ergebnis des angefochtenen Bescheides nicht zu beanstanden. Nach der hg. Judikatur (vgl. dazu etwa das Erkenntnis vom , Zl. 2007/18/0953, mwN) bildet der Aufenthalt eines - auch unvertretenen - Fremden in Haft allein keinen Grund, der es zuließe, die Unterlassung einer rechtzeitigen Berufungseinbringung als unverschuldet oder als ein über den minderen Grad des Versehens nicht hinausgehendes Verschulden zu werten. Versuche, mit geeigneten Personen (so etwa einem Rechtsbeistand) Kontakt aufzunehmen, sind grundsätzlich auch während der Haft vorzunehmen. Der Wiedereinsetzungswerber hat konkret und in nachvollziehbarer Weise (z.B. durch Nennung des Tages; der Aufsichtsperson) zu behaupten und glaubhaft zu machen, er habe in der Haft den Wunsch geäußert, mit einem Rechtsvertreter in Kontakt zu gelangen, und es sei dieser Wunsch abgelehnt oder ignoriert worden. Ein solches konkretisiertes Vorbringen wurde vom Beschwerdeführer nicht erstattet. Dass es dem Beschwerdeführer möglich war, mit anderen Personen zu telefonieren, zeigt schon sein Vorbringen über die auf diese Art mit seiner Mutter erfolgte Kontaktaufnahme.
Welche weiteren konkreten Sachverhaltselemente eines unabwendbaren oder "unvorhersehbaren" Ereignisses die belangte Behörde zu ermitteln und festzustellen unterlassen habe, stellt die Beschwerde nicht konkret dar, sodass es an der Relevanz des behaupteten Verfahrensmangels fehlt.
Aus diesen Erwägungen waren die Beschwerden gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.
Wien, am
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ECLI | ECLI:AT:VWGH:2011:2008180635.X00 |
Datenquelle |
Fundstelle(n):
CAAAE-81785