VwGH vom 19.04.2012, 2008/18/0627
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Pallitsch, den Hofrat Mag. Eder, die Hofrätinnen Mag. Merl und Mag. Dr. Maurer-Kober sowie den Hofrat Mag. Straßegger als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Krawarik, über die Beschwerde des X X in W, geboren am , vertreten durch Dr. Georg Uitz, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Doblhoffgasse 5, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom , Zl. E1/268088/2008, betreffend Ausweisung gemäß § 53 FPG, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.326,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
I.
Mit dem angefochtenen, im Instanzenzug ergangenen Bescheid erließ die belangte Behörde gegen den - im Entscheidungszeitpunkt 15-jährigen - Beschwerdeführer, einen serbischen Staatsangehörigen, eine auf § 53 Abs. 1 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG) gestützte Ausweisung.
Begründend führte die belangte Behörde aus, der Beschwerdeführer sei im Mai 2008 unrechtmäßig in das Bundesgebiet eingereist. Er behaupte, kein Reisedokument zu besitzen.
Am sei der Beschwerdeführer in Begleitung seines Vaters "auf einem Autoverkaufsplatz in W angehalten und als ausweisloser Fremder kurzzeitig festgenommen" worden. Zunächst habe sein Vater angegeben, der Beschwerdeführer wäre der Sohn eines Freundes. In der Folge sei der Vater aber in Begleitung seines Rechtsfreundes wieder zu den Polizeibeamten gekommen und habe nunmehr zugestanden, dass der Beschwerdeführer sein Sohn sei, der sich "bis vor kurzem" bei seiner Mutter in Deutschland aufgehalten hätte.
Der Beschwerdeführer habe am bei seiner Vernehmung ausgeführt, im Alter von etwa fünf Jahren zu seiner Mutter, die weiterhin in Deutschland lebe, gezogen zu sein. Seit etwa einer Woche halte er sich in Österreich auf und lebe jetzt bei seinem Vater, gegen den ein (von deutschen Behörden erlassenes) "Aufenthaltsverbot für den Schengenraum" bestehe. In der Berufung sei geltend gemacht worden, dass sein Vater mit einer österreichischen Staatsbürgerin verheiratet und der Beschwerdeführer in Italien geboren wäre, er hätte noch nie in Serbien gelebt, dort hätte er auch keine Verwandten.
In ihren rechtlichen Erwägungen führte die belangte Behörde aus, der Beschwerdeführer dürfe gemäß § 53 Abs. 1 FPG ausgewiesen werden, weil er sich nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalte. Sein Aufenthalt sei seit seiner Einreise unrechtmäßig. Es halte sich aber auch sein Vater unrechtmäßig in Österreich auf, weil "gegen ihn ein Aufenthaltsverbot für den Schengenraum" bestehe. Das noch anhängige Verfahren zur Erteilung eines Aufenthaltstitels könne diesem kein Aufenthaltsrecht für Österreich verschaffen.
Zur Interessenabwägung nach § 66 FPG führte die belangte Behörde aus, der Beschwerdeführer sei erst kurz im Bundesgebiet aufhältig und verfüge hier über keine schulischen oder beruflichen Bindungen. Es müsse somit eine maßgebliche Integration des Beschwerdeführers in Österreich verneint werden. Er habe zwar familiäre Bindungen zu seinem hier aufhältigen Vater, diese müssten in ihrem Gewicht jedoch weit hinter dem öffentlichen Interesse an der Aufenthaltsbeendigung zurücktreten, weil weder der Beschwerdeführer noch sein Vater eine "dauerhafte Aufenthaltsperspektive" hätten. Es komme nämlich der Befolgung der den Aufenthalt von Fremden regelnden Vorschriften durch die Normadressaten aus der Sicht des Schutzes und der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und der geordneten Abwicklung des Fremdenwesens ein hoher Stellenwert zu. Die Beeinträchtigung des hoch zu veranschlagenden maßgeblichen öffentlichen Interesses an der Wahrung eines geordneten Fremden- und Aufenthaltswesens sei unter Berücksichtigung "aller genannten Umstände" von solchem Gewicht, dass die allenfalls vorhandenen gegenläufigen privaten Interessen jedenfalls nicht höher zu bewerten seien, als das Interesse der Allgemeinheit an der Ausreise des Beschwerdeführers aus dem Bundesgebiet. Die Verantwortung für das "weitere aufenthaltsrechtliche Schicksal" des Beschwerdeführers werde nicht die Behörde, sondern den gesetzlichen Vertreter treffen. Dieser habe zum Wohl seines Kindes dafür Sorge zu tragen, ein Land als Aufenthaltsort zu wählen, in dem der Aufenthalt "auch auf eine gesetzmäßige Basis gestellt werden" könne. In Österreich sei dies jedenfalls nicht möglich.
Des Weiteren bestünden keine besonderen Umstände, auf Grund derer das der Behörde zur Verfügung stehende Ermessen zu Gunsten des Beschwerdeführers hätte ausgeübt werden müssen.
II.
Der Verwaltungsgerichtshof hat über die gegen diesen Bescheid gerichtete Beschwerde nach Vorlage der Verwaltungsakten und Erstattung einer Gegenschrift durch die belangte Behörde erwogen:
Der Beschwerdeführer wendet sich gegen die von der belangten Behörde vorgenommene Beurteilung nach § 66 FPG sowie gegen die nicht zu seinen Gunsten erfolgte Ermessensübung. Das darauf bezugnehmende Vorbringen führt die Beschwerde zum Erfolg.
Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass sich die Ausführungen der belangten Behörde, wonach auch der Vater des Beschwerdeführers als einzig hier lebender Verwandter keine "dauerhafte Aufenthaltsperspektive" hätte, als nicht tragfähig erweisen. Feststellungen dahingehend, dass auch der Vater des Beschwerdeführers wegen seines unrechtmäßigen Aufenthalts ausgewiesen worden wäre, finden sich im angefochtenen Bescheid ebenso wenig wie solche, aus denen gefolgert werden könnte, die Voraussetzungen des § 71 Abs. 1 FPG wären erfüllt, sodass gegen den Vater des Beschwerdeführers von Gesetzes wegen eine Ausweisung infolge des von Deutschland erlassenen Aufenthaltsverbotes bestünde. Vor dem Hintergrund der behördlichen Feststellungen, dass der Vater des Beschwerdeführers wegen der Ehe mit einer österreichischen Staatsbürgerin die Erteilung eines Aufenthaltstitels beantragt hat und dieses Verfahren noch nicht rechtskräftig abgeschlossen war, und die belangte Behörde - obwohl sich diesbezüglich in den vorgelegten Verwaltungsakten ein Hinweis findet - nicht einmal festgestellt hat, dass gegen den Vater bereits fremdenpolizeiliche Maßnahmen eingeleitet worden wären, konnte von dem Fehlen einer "dauerhaften Aufenthaltsperspektive" des Vaters auch nicht ohne Weiteres ausgegangen werden, zumal nach der ständigen Rechtsprechung der Ehe eines Fremden mit einem österreichischen Staatsbürger - hier bezogen auf eine den Vater des Beschwerdeführers betreffende Beurteilung nach Art. 8 EMRK - großes Gewicht beizumessen ist (vgl. etwa das das Verfahren zur Erteilung eines Aufenthaltstitels betreffende hg. Erkenntnis vom , Zl. 2008/22/0287, mit näherem Hinweis auf die insoweit schon zum Fremdengesetz 1997 ergangene gleichgelagerte Rechtsprechung).
Des Weiteren hat die belangte Behörde den bisherigen Lebensweg des Beschwerdeführer bei der Interessenabwägung nicht berücksichtigt und zu seinem in der Berufung erstatteten Vorbringen keine ausreichenden Feststellungen getroffen, um den gegenständlichen Fall einer abschließenden Beurteilung zuführen zu können.
Es trifft zwar zu, dass der Verwaltungsgerichtshof in ständiger Rechtsprechung festgehalten hat, dass mit einer Ausweisung nach § 53 Abs. 1 FPG nicht darüber abgesprochen wird, dass der Fremde in ein bestimmtes Land auszureisen habe (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2010/18/0029, mwN). Fallbezogen hat der Beschwerdeführer aber vorgebracht, in Italien geboren zu sein, die meiste Zeit seines Lebens bei seiner Mutter in Deutschland verbracht zu haben und noch nie in Serbien gewesen zu sein. Zur Richtigkeit des Vorbringens des Beschwerdeführers, noch nie in Serbien gewesen zu sein, also dort über keinerlei Bindungen zu verfügen, hat die belangte Behörde keine Feststellungen getroffen. Sollte das Vorbringen des - im Entscheidungszeitpunkt minderjährigen - Beschwerdeführers zutreffen, kann aber nicht ohne Weiteres davon ausgegangen werden, es wäre ihm möglich und zumutbar, dort zu leben. Darüber hinaus hat die belangte Behörde aber auch keine Feststellungen dahingehend getroffen, ob der Beschwerdeführer die Möglichkeit hätte, zu seiner in Deutschland lebenden Mutter zurückzukehren. Hinweise dafür, dass der Beschwerdeführer in sein Geburtsland Italien zurückkehren könnte, und ob und inwieweit der - wie hier neuerlich zu betonen ist: minderjährige - Beschwerdeführer dort Bindungen aufweise, sind dem angefochtenen Bescheid ebenfalls nicht zu entnehmen.
Demgegenüber greifen die Ausführungen der belangten Behörde, sie trage für das weitere aufenthaltsrechtliche Schicksal des Beschwerdeführers keine Verantwortung, sondern es habe allein der Vater des Beschwerdeführers dafür Sorge zu tragen, irgendein Land als Aufenthaltsort für ihn zu wählen, zu kurz. Die oben genannten Umstände können nämlich - anders als es die belangte Behörde vor Augen hat - bei der Interessenabwägung nach § 66 FPG, ungeachtet dessen, dass mit der Erlassung einer Ausweisung nach § 53 Abs. 1 FPG die Anordnung, sich in einen bestimmten anderen Staat zu begeben, nicht verbunden ist, nicht ausgeklammert bleiben.
Der angefochtene Bescheid war sohin wegen - vorrangig wahrzunehmender - Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.
Wien, am