VwGH vom 22.03.2011, 2008/18/0618
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Pallitsch, den Hofrat Mag. Eder, die Hofrätin Mag. Merl und die Hofräte Mag. Haunold und Mag. Straßegger als Richter, im Beisein des Schriftführers Dr. Schmidl, über die Beschwerde des S Y in W, vertreten durch Dr. Gerfried Höfferer, Rechtsanwalt in 1020 Wien, Franzensbrückenstraße 20/1. Stock, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom , Zl. E1/228.823/2007, betreffend Erlassung eines befristeten Aufenthaltsverbotes, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.286,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
I.
Mit dem im Instanzenzug ergangenen, angefochtenen Bescheid wurde gegen den Beschwerdeführer, einen türkischen Staatsangehörigen, gemäß § 87 iVm § 86 Abs. 1 und § 63 Abs. 1 des Fremdenpolizeigesetzes 2005 - FPG ein für die Dauer von zehn Jahren befristetes Aufenthaltsverbot erlassen.
Der Beschwerdeführer sei am mit einem bis gültigen Visum C nach Österreich eingereist. Noch vor Ablauf dieses Visums, nämlich am , habe er einen Asylantrag gestellt. Dieser sei im Instanzenzug mit Bescheid des Unabhängigen Bundesasylsenates Wien gemäß § 7 Asylgesetz 1997 abgewiesen worden. Nur etwa fünf Monate später habe der Beschwerdeführer in W eine österreichische Staatsbürgerin geheiratet und am die Erteilung eines Aufenthaltstitels beantragt. Ihm sei zunächst eine quotenfreie Erstniederlassungsbewilligung für den Aufenthaltszweck "begünstigter Drittsta. - Ö, § 49 Abs. 1 FrG", gültig bis , erteilt worden.
Der Beschwerdeführer habe sich am an der Wohnadresse seiner Ehefrau in W mit Hauptwohnsitz angemeldet. Am seien von Beamten des Fremdenpolizeilichen Büros der Bundespolizeidirektion Wien an der angeblichen gemeinsamen Wohnadresse nur die Ehefrau des Beschwerdeführers und deren Mutter angetroffen worden. Die Ehefrau des Beschwerdeführers habe den Beamten nur die Heiratsurkunde aber keinerlei Dokumente des Beschwerdeführers vorweisen können. Sie habe angegeben, dass sie und ihr Ehemann meistens nicht in dieser Wohnung nächtigten, sondern beim Bruder des Beschwerdeführers in W, die genaue Adresse könne sie aber nicht nennen.
Am seien sowohl der Beschwerdeführer als auch dessen Ehefrau bei der Erstbehörde niederschriftlich vernommen worden, wobei einige - im angefochtenen Bescheid näher dargestellte - Widersprüche zu Tage getreten seien.
Anfang Oktober 2005 hätten sich sowohl der Beschwerdeführer als auch seine Ehefrau an der Adresse K-Straße in B. mit Hauptwohnsitz angemeldet. Am sei an dieser Wohnanschrift eine Hauserhebung erfolgt, wo von den Beamten jedoch niemand habe angetroffen werden können.
Am sei die Ehefrau des Beschwerdeführers erneut vernommen worden und habe zugegeben, dass es sich bei der Ehe mit dem Beschwerdeführer um eine Aufenthaltsehe handle. Es sei vereinbart worden, dass sie EUR 5.000,-- sofort nach der Eheschließung am Standesamt erhalte. Dieser Betrag sei ihr auch am übergeben worden, den Rest habe sie in monatlichen Raten von ca. EUR 200,-- bis EUR 300,-- erhalten.
Der Beschwerdeführer habe in der Berufung das Vorliegen einer Aufenthaltsehe bestritten. Bei den vorliegenden monatlichen Zahlungen von EUR 200,-- habe es sich um reine Unterhaltszahlungen gehandelt, weil seine Ehefrau während der Ehe keiner Beschäftigung nachgegangen und er somit verpflichtet gewesen sei, für ihren Unterhalt aufzukommen. Auch die Bewohner des Hauses in der K-Straße hätten seine Ehefrau gekannt und gewusst, dass diese mit ihm verheiratet sei sowie gemeinsam in der Wohnung lebe. Zum Nachweis dieses Vorbringens habe der Beschwerdeführer verschiedene Zeugen angeführt.
In rechtlicher Hinsicht führte die belangte Behörde im Wesentlichen aus, dass der Beschwerdeführer "Familienangehöriger" im Sinn des § 2 Abs. 4 Z. 12 FPG sei, weshalb gemäß § 87 FPG die §§ 85 Abs. 2 und 86 leg. cit. anzuwenden seien. Er sei allerdings kein "begünstigter Drittstaatsangehöriger" nach § 2 Abs. 4 Z. 11 FPG, weil er der Ehemann einer Staatsbürgerin, die ihr Recht auf Freizügigkeit nicht in Anspruch genommen habe, sei. Es lasse sich weder aus dem Akteninhalt noch aus dem Berufungsvorbringen erkennen, dass die Ehefrau des Beschwerdeführers im Einklang mit den gemeinschaftsrechtlichen Bestimmungen von ihrem Recht auf Freizügigkeit Gebrauch gemacht habe.
Der vorliegende Verwaltungsakt sei zunächst dem Unabhängigen Verwaltungssenat Wien (UVS) übermittelt worden. Dieser sei im Zuge durchgeführter Ermittlungen insbesondere auch aufgrund der eindeutigen Zeugenaussagen zu dem Ergebnis gelangt, dass es sich im gegenständlichen Fall tatsächlich um eine Aufenthaltsehe handle, weshalb der Beschwerdeführer auch nicht unter das Assoziationsabkommen falle und eine Zuständigkeit der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien gegeben sei.
Am sei der Beschwerdeführer beim UVS vernommen worden. Dabei habe er sich in zahlreiche Widersprüche verwickelt. So habe er angegeben, seine Frau im Juni 2003 kennengelernt zu haben. Nachdem der Beschwerdeführer darauf hingewiesen worden sei, dass er bei seiner Befragung am angegeben habe, seine Ehefrau im Juni oder Juli 2004 kennengelernt zu haben, habe er sich korrigiert und ausgesagt, sie drei Monate vor der Eheschließung getroffen zu haben. Der Beschwerdeführer habe auch angegeben, dass er seine Ehefrau gefragt habe, ob sie ihn heiraten wolle. Konfrontiert mit dem Vorbringen seiner Ehefrau vom habe er seine Aussage wiederum relativiert. Weitere Widersprüche habe es bei Beantwortung der Fragen, von wann bis wann und an welcher Adresse er mit seiner Ehefrau ein gemeinsames Familienleben geführt habe, gegeben.
Die Ehefrau des Beschwerdeführers habe vor dem UVS angegeben, ihren Mann durch einen Bekannten kennengelernt zu haben. Der Bruder ihres Ehemannes habe ihr EUR 10.000,-- angeboten, wenn sie den Beschwerdeführer heirate. Auf Grund ihrer damaligen Arbeitslosigkeit sei das Angebot für sie verlockend gewesen. EUR 5.000,-- habe sie gleich nach der Eheschließung, den Rest später in kleinen Beträgen erhalten. Sie habe mit dem Beschwerdeführer nie zusammengewohnt.
Für die belangte Behörde bestehe kein Grund, an der Richtigkeit der Zeugenaussage der Ehefrau des Beschwerdeführers zu zweifeln. Diese habe nachvollziehbar dargelegt, wie es zu dieser Ehe gekommen sei. Die aufgezählten widersprüchlichen Angaben seien ein weiterer Hinweis dafür, dass es sich nicht um eine echte Ehe gehandelt habe.
Der Zeuge M N. habe vor dem UVS niederschriftlich vernommen ausgesagt, den Beschwerdeführer seit Sommer 2005 zu kennen und ihm für ein paar Monate seine Wohnung zur Verfügung gestellt zu haben. Er wisse aber nicht, ob der Beschwerdeführer dort alleine gelebt habe. Dass der Beschwerdeführer verheiratet sei, habe er erst durch diese Ladung erfahren. Die Mutter von M N. habe angegeben, einmal beim Beschwerdeführer auf einen Kaffee eingeladen gewesen zu sein, wobei seine Ehefrau anwesend gewesen sei. Sie habe die Ehefrau des Beschwerdeführers aber nur dieses eine Mal gesehen.
In Ausübung der der Behörde zukommenden freien Beweiswürdigung sei diese auf Grund der dargestellten Erhebungs- und Verfahrensergebnisse sowie der sich daraus ergebenden Indizien zum Schluss gekommen, dass eine Aufenthaltsehe vorliege und ein gemeinsames Familienleben im Sinne des Art. 8 EMRK nie geführt worden sei, wobei sich aber der Beschwerdeführer in seinem Antrag auf Erteilung einer Niederlassungsbewilligung ausdrücklich darauf berufen habe.
Nach dem Gesagten könne kein Zweifel daran bestehen, dass das Verhalten des Beschwerdeführers, der eine Aufenthaltsehe zwecks Erlangung aufenthalts- und beschäftigungsrechtlicher Vorteile eingegangen sei, den öffentlichen Interessen zuwiderlaufe und eine grobe Verletzung der öffentlichen Ordnung, insbesondere auf dem Gebiet eines geordneten Ehe- und Fremdenwesens, darstelle, sodass die Erlassung des Aufenthaltsverbotes nicht nur zulässig, sondern dringend geboten sei. Der Beschwerdeführer sei im April 2003 in das Bundesgebiet eingereist. In W lebe ein Bruder, die übrigen Familienangehörigen befänden sich in der Türkei. Er sei seit - abgesehen von kurzen Unterbrechungen - einer Beschäftigung nachgegangen.
Im Rahmen der Interessenabwägung gemäß § 66 FPG gelangte die belangte Behörde zu dem Ergebnis, dass die persönlichen Interessen des Beschwerdeführers an einem Verbleib im Bundesgebiet keinesfalls schwerer wögen als das öffentliche Interesse an der Erlassung dieser Maßnahme.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die Beschwerde mit dem Begehren, ihn wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes, in eventu wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor, sah jedoch von der Erstattung einer Gegenschrift ab.
II.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Die Beschwerde wendet sich gegen die Annahme der belangten Behörde hinsichtlich des Vorliegens einer Aufenthaltsehe und rügt unter anderem als Mangelhaftigkeit des Verwaltungsverfahrens, dass die belangte Behörde die vom Beschwerdeführer beantragten Zeugen nicht vernommen habe. Er habe bereits in seiner Berufung vom zum Beweis dafür, dass er mit seiner Ehefrau in einer gemeinsamen Ehewohnung gelebt und somit eine eheliche Wohn- und Geschlechtsgemeinschaft bestanden habe, die Vernehmung der Zeugen M S., M N. und A N. beantragt. Um nachzuweisen, dass er und seine Ehefrau gerne gemeinsam etwas unternommen hätten, habe er zusätzlich die Vernehmung der Zeugen E G., Y G., M D. und D T. beantragt. Der Beschwerdeführer und seine Frau seien auch hin und wieder gemeinsam essen gegangen und hätten Einkäufe erledigt. Um dies zu beweisen, habe der Beschwerdeführer in seiner Berufung das Restaurant S., den K. Imbiss und I M. genannt, wo er sich mit seiner Ehefrau häufig aufgehalten hätte. Der belangten Behörde sei zur Last zu legen, dass sie weitere Ermittlungstätigkeiten unterlassen und die beantragten Zeugen aus dem Familien- und Bekanntenkreis des Beschwerdeführers trotz wiederholten Vorbringens, dass diese eine eheliche Gemeinschaft bestätigen könnten, nicht vernommen habe. Bei Vernehmung der weiteren Zeugen hätte die belangte Behörde zu dem Ergebnis kommen müssen, dass der Beschwerdeführer seine Ehefrau über seinen Freundeskreis kennen und lieben gelernt hätte, sie gemeinsam etwas unternommen und Dinge des täglichen Lebens verrichtet hätten sowie eine eheliche Wohn- und Geschlechtsgemeinschaft bestanden hätte. Es liege eine vorwegnehmende Beweiswürdigung vor, wenn die Behörde die Auffassung vertrete, die Vernehmung der weiteren vom Beschwerdeführer namhaft gemachten Zeugen sei entbehrlich, weil nicht anzunehmen sei, dass dadurch ein abweichendes Beweisergebnis erbracht werde.
Dieses Vorbringen führt die Beschwerde zum Erfolg.
In der Berufung hat der Beschwerdeführer zum Beweis dafür, dass die Bewohner des Hauses in der K-Straße sowohl den Beschwerdeführer als auch seine Frau gekannt hätten und eine eheliche Wohn- und Geschlechtsgemeinschaft bestanden habe, die Vernehmung der Zeugen M S., M N. und A N. beantragt; zum Beweis dafür, dass der Beschwerdeführer und seine Frau gerne etwas mit gemeinsamen Freunden unternommen hätten, wurden E G., Y G., M D. und D T. als Zeugen namhaft gemacht. Dafür, dass das Ehepaar hin und wieder ausgegangen sei und gemeinsam den Einkauf erledigt habe, wurde neben einem Restaurant und einem Imbiss ohne Bezeichnung einer konkreten Auskunftsperson auch I M. als Zeuge angeführt.
Die belangte Behörde hat im angefochtenen Bescheid jedoch lediglich auf die Ergebnisse der Vernehmungen von M N. und dessen Mutter durch den UVS verwiesen, ist jedoch den Beweisanträgen auf Vernehmung der weiteren Zeugen ohne jegliche Begründung nicht nachgekommen, obwohl die mit den Beweisanträgen verknüpften Beweisthemen für die Beurteilung des Vorliegens einer Aufenthaltsehe und eines gemeinsamen Familienlebens von Bedeutung sind.
Nach ständiger hg. Judikatur dürfen Beweisanträge nur dann abgelehnt werden, wenn die Beweistatsachen als wahr unterstellt werden, es auf sie nicht ankommt oder das Beweismittel - ohne unzulässige Vorwegnahme der Beweiswürdigung - untauglich ist (vgl. dazu etwa das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2009/18/0377, mwN). Indem die belangte Behörde auf den überwiegenden Teil der Anträge auf Zeugenvernehmung - ohne jegliche Begründung - nicht eingegangen ist und diese somit auch in ihre Beurteilung hinsichtlich des Vorliegens einer Aufenthaltsehe nicht einbezogen hat, handelt es sich um eine unzulässige Vorwegnahme der Beweiswürdigung.
Da nicht von vornherein ausgeschlossen werden kann, dass die belangte Behörde bei Vernehmung der namentlich beantragten Zeugen M S., A N., E G., Y G., M D., D T. und I M. zu einer anderen Beurteilung gelangt wäre, war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. II Nr. 455/2008.
Wien, am
Fundstelle(n):
TAAAE-81736