VwGH vom 03.11.2010, 2008/18/0613
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Sulyok, den Hofrat Dr. Enzenhofer, die Hofrätin Mag. Merl und die Hofräte Dr. Lukasser und Mag. Haunold als Richter, im Beisein des Schriftführers Dr. Schmidl, über die Beschwerde der DP in W, geboren am , vertreten durch Mag. Dr. Ralf Heinrich Höfler, Rechtsanwalt in 1090 Wien, Türkenstraße 25/11, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom , Zl. E1/117.279/2008, betreffend Ausweisung gemäß § 53 FPG, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.326,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
I.
1. Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien (der belangten Behörde) vom wurde die Beschwerdeführerin, eine serbische Staatsangehörige, gemäß § 53 Abs. 1 Fremdenpolizeigesetz 2005 - FPG, BGBl. I Nr. 100, ausgewiesen.
Nach der Aktenlage hat die Beschwerdeführerin am bei der österreichischen Botschaft in Belgrad einen Antrag auf Ausstellung eines Touristenvisums zum Zweck des Besuches von Familienangehörigen gestellt, wobei der Vater der Beschwerdeführerin diese eingeladen und für sie eine "Verpflichtungserklärung" abgegeben habe. Da bereits bei der Antragstellung der Verdacht bestanden habe, dass die Beschwerdeführerin das Bundesgebiet nach Ablauf der Gültigkeit des Visums nicht unaufgefordert verlassen werde, sei gegen sie mit "Schreiben" der österreichischen Botschaft in Belgrad vom , welches persönlich übernommen worden sei, eine Sichtvermerksversagung ausgesprochen worden. Trotz dieser Sichtvermerksversagung sei die Beschwerdeführerin - eigenen Angaben zufolge - im Jänner 2007 nach Österreich eingereist.
Bereits am habe sie jedoch beim Landeshauptmann von Wien einen Antrag auf quotenpflichtige Erstniederlassungsbewilligung für den Aufenthaltszweck "beschränkt, Familiengemeinschaft" gestellt.
Am habe die Beschwerdeführerin einen österreichischen Staatsbürger geheiratet, der nach der Aktenlage der Vater der gemeinsamen, am in Wien geborenen Tochter sei. Die Beschwerdeführerin wohne gemeinsam mit ihrem leiblichen Vater in einer Wohnung in W, wo ihr Ehemann mit Nebenwohnsitz gemeldet sei. Dies habe laut Angaben des Ehemannes der Beschwerdeführerin "versicherungstechnische Gründe", weil er als Schüler bei seiner Mutter seinen Hauptwohnsitz nehmen müsse.
Da die Beschwerdeführerin gegenüber einem erhebenden Beamten einer Wiener Polizeiinspektion am angegeben habe, sie sei zuletzt im Jänner 2007 mit einem Reisebus aus Serbien nach Österreich gekommen und habe seither das Bundesgebiet nicht mehr verlassen, sei sie von der Erstbehörde mit Straferkenntnis (rechtskräftig seit ) wegen ihres unrechtmäßigen Aufenthaltes bestraft worden.
Der Aufenthalt der Beschwerdeführerin sei mangels eines gültigen Einreise- bzw. Aufenthaltstitels trotz eines noch offenen Antrages auf Erteilung eines quotenpflichtigen Aufenthaltstitels, der vor der Eheschließung mit dem österreichischen Staatsbürger gestellt worden sei, unrechtmäßig, weshalb die Voraussetzungen zur Erlassung der Ausweisung - vorbehaltlich der Bestimmungen des § 66 Abs. 1 FPG - im Grunde des § 53 Abs. 1 leg. cit. gegeben seien.
Die Beschwerdeführerin sei nach der unbestrittenen Aktenlage mit einem österreichischen Staatsbürger verheiratet und habe Sorgepflichten für ein gemeinsames Kind. Zuletzt sei - ohne dies entsprechend zu belegen - behauptet worden, dass sie wiederum schwanger sei.
Im Hinblick auf den jedenfalls nahezu eineinhalbjährigen, jedoch zur Gänze unrechtmäßigen inländischen Aufenthalt sei jedenfalls von einem mit der Ausweisung verbundenen Eingriff in das Privat- und Familienleben der Beschwerdeführerin auszugehen. Selbst wenn man der Beschwerdeführerin insofern Glauben schenkte, als sie nunmehr wiederum schwanger sei, wäre dieser Eingriff dennoch zulässig, weil er zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele - hier: zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung auf dem Gebiet des Fremdenwesens - dringend geboten sei. Gerade den die Einreise und den Aufenthalt von Fremden regelnden Vorschriften und deren Befolgung durch den Normadressaten komme aus der Sicht des Schutzes und der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung ein besonders hoher Stellenwert zu. Gegen dieses Interesse verstießen der nicht bloß kurzfristige unrechtmäßige Aufenthalt im Anschluss an eine Sichtvermerksversagung sowie der fortgeführte illegale Aufenthalt trotz einer rechtskräftigen schwerwiegenden Bestrafung im Sinn des § 60 Abs. 2 Z. 2 FPG wegen des unrechtmäßigen Aufenthaltes jedoch gravierend.
Ohne das beim Landeshauptmann von Wien noch anhängige Aufenthaltstitelverfahren präjudizieren zu wollen, sei davon auszugehen, dass die Beschwerdeführerin unter den gegebenen Umständen rechtens nicht in der Lage sei, ihren Aufenthalt in Österreich vom Inland aus zu legalisieren.
Es könne daher kein Zweifel bestehen, dass die Erlassung der Ausweisung dringend geboten und sohin zulässig im Sinn des § 66 Abs. 1 FPG sei.
Wenn die Beschwerdeführerin in diesem Zusammenhang eine jüngst ergangene Entscheidung der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien zitiere und meine, es liege eine "vergleichbare Sachlage" vor, so müsse dieser Rechtsauffassung entschieden entgegengetreten werden. In dieser Entscheidung der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien sei eine gemäß § 53 Abs. 1 FPG erlassene erstinstanzliche Ausweisung vor allem deshalb behoben worden, weil die dortige Berufungswerberin (diese sei ebenso mit einem Österreicher verheiratet und Mutter eines in W geborenen Kindes gewesen) zum Zeitpunkt der Entscheidung bereits nahezu vier Jahre und acht Monate, davon zumindest ein Monat legal, im Bundesgebiet aufhältig gewesen sei. Die durch den Aufenthalt erlangte Integration sei in diesem Fall daher um ein Vielfaches größer gewesen als im gegenständlichen Fall.
Mangels besonderer, zu Gunsten der Beschwerdeführerin sprechender Umstände habe die belangte Behörde keine Veranlassung gesehen, von der Erlassung der Ausweisung im Rahmen des ihr zustehenden Ermessens Abstand zu nehmen.
2. Gegen diesen Bescheid richtet sich die inhaltliche Rechtswidrigkeit sowie Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend machende Beschwerde mit dem Antrag, diesen aufzuheben.
3. Die belangte Behörde legte die Verwaltungsakten vor und erstattete eine Gegenschrift, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt.
II.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
1. Auf dem Boden der Feststellungen im angefochtenen Bescheid, wonach sich die Beschwerdeführerin mangels eines gültigen Einreise- bzw. Aufenthaltstitels unrechtmäßig im Bundesgebiet aufhalte, begegnet die - unbestritten gebliebene - Beurteilung der belangten Behörde, dass die Tatbestandsvoraussetzung des § 53 Abs. 1 FPG erfüllt sei, keinem Einwand.
2.1. Unter Hinweis auf das (Metock), sowie den hg. Beschluss vom , Zl. 2007/21/0090, führt die Beschwerde aus, es bestünden verfassungsrechtliche Bedenken hinsichtlich der Ungleichbehandlung von Familienangehörigen "nicht freizügigkeitsberechtigter" Österreicher mit "freizügigkeitsberechtigten" Unionsbürgern und deren Familienangehörigen, daher sei eine Ausweisung unzulässig.
Hinsichtlich dieser gleichheitsrechtlichen Bedenken ist der Beschwerdeführerin entgegenzuhalten, dass weder aus dem Verwaltungsakt zu entnehmen ist noch in der Beschwerde vorgebracht wird, dass die Beschwerdeführerin über eine Daueraufenthaltskarte gemäß § 54 NAG verfügt. Wie der Verfassungsgerichtshof in seinem Zurückweisungsbeschluss vom , G 125/08-6, ausgesprochen hat, hat die Fremdenpolizeibehörde bei der Beurteilung der Frage, ob die Voraussetzungen zur Erlassung einer Ausweisung gemäß § 53 Abs. 1 FPG vorliegen, ausschließlich zu prüfen, ob die Dokumentation (der in § 54 NAG geregelte Niederlassungsnachweis) des direkt im Gemeinschaftsrecht begründeten Niederlassungsrechts vorliegt. Sie hat hingegen nicht zu prüfen, ob der Fremde gemäß § 54 iVm § 57 NAG tatsächlich zur Niederlassung in Österreich berechtigt ist. Mit Erkenntnis vom , G 244/09 u.a., hat der Verfassungsgerichtshof nochmals den Bedenken wegen einer vermeintlichen Ungleichbehandlung zwischen Angehörigen freizügigkeitsberechtigter Unionsbürger und solcher nicht freizügigkeitsberechtigter Österreicher eine Absage erteilt (vgl. das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2008/18/0377). Die diesbezüglichen Ausführungen in der Beschwerde gehen somit ins Leere.
2.2. Die Beschwerde bekämpft den angefochtenen Bescheid auch im Grunde des § 66 FPG und bringt dazu vor, die Beschwerdeführerin sei im Jänner 2007 hochschwanger in das Bundesgebiet eingereist, weil ihre Mutter sie aus dem Haus geworfen habe. Am habe sie eine Tochter geboren und am den "österreichischen Vater des gemeinsamen Kindes" geheiratet. Am sei dem Ehepaar ein zweites gemeinsames Kind geboren worden. Sowohl der Ehemann als auch die beiden gemeinsamen Kinder der Beschwerdeführerin seien im Besitz der österreichischen Staatsbürgerschaft. Die Beschwerdeführerin lebe in Familiengemeinschaft mit ihrem österreichischen Ehemann und den beiden gemeinsamen österreichischen Kindern. Da keine Rückkehrmöglichkeit bestehe, lägen besonders berücksichtigungswürdige Interessen vor, die zur Folge hätten, dass die privaten die öffentlichen Interessen überwögen.
Dieses Vorbringen verhilft der Beschwerde im Ergebnis zum Erfolg. Bereits in ihrer Berufung gegen den Bescheid erster Instanz hatte die Beschwerdeführerin vorgebracht, dass Grund ihres Aufenthaltes das Zusammenleben mit ihrem österreichischen Ehemann sowie dem gemeinsamen österreichischen Kind sei. Ungeachtet dessen hat sich die belangte Behörde nicht mit den Auswirkungen der aufenthaltsbeendenden Maßnahme auf die Lebenssituation der Familie der Beschwerdeführerin, insbesondere auf deren (österreichische) Tochter im Kleinkindalter (die Geburt des zweiten Kindes erfolgte erst nach Erlassung des angefochtenen Bescheides), auseinandergesetzt.
Dieser Verfahrensmangel ist relevant, könnte doch bei einem Angewiesensein eines Kindes mit österreichischer Staatsbürgerschaft auf die Pflege und Obsorge durch seine Mutter eine aufenthaltsbeendende Maßnahme gegen die Mutter eine Verletzung nach Art. 8 EMRK darstellen, wenn dem Kind eine Ausreise mit der Mutter nicht zumutbar wäre (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2007/18/0592, mwN).
3. Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG aufzuheben.
4. Die Zuerkennung von Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. II Nr. 455/2008. Wien, am
Fundstelle(n):
MAAAE-81721