VwGH vom 19.06.2020, Ra 2019/06/0060
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Köhler, Hofrat Dr. Moritz, die Hofrätinnen Mag.a Merl und Mag. Rehak sowie Hofrat Mag. Haunold als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Schreiber BA, über die Revision des Vermessungsamtes S in S, gegen den Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom , W134 2213391-1/2E, betreffend eine Angelegenheit des Vermessungswesens (mitbeteiligte Partei: Stadtgemeinde N in N), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Beschluss wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Begründung
1Mit Antrag vom ersuchte die Stadtgemeinde N. um Durchführung eines näher genannten Teilungsplanes nach den Sonderbestimmungen für die Verbücherung von Straßen-, Weg-, Eisenbahn- und Wasserbauanlagen gemäß § 15 Liegenschaftsteilungsgesetz (LiegTeilG).
2Das Vermessungsamt S. (Revisionswerber) wies diesen Antrag mit escheid vom ab, weil in der Beurkundung gemäß § 16 LiegTeilG nach Maßgabe der tatsächlichen Verhältnisse zu bestätigen wäre, dass eine in § 15 LiegTeilG genannte Anlage errichtet beziehungsweise aufgelassen worden sei. Das Ermittlungsverfahren habe jedoch ergeben, dass von der projektierten Straße nur etwa 2/3 errichtet worden seien; für das südliche Drittel sei keine Straßen- oder Weganlage in der Natur ersichtlich, weshalb die beantragte Beurkundung nicht durchgeführt werden könne.
3Mit dem angefochtenen Erkenntnis hob das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) den oben genannten Bescheid auf und verwies die Angelegenheit gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG zur Erlassung eines neuen Bescheides an den Revisionswerber zurück. Eine ordentliche Revision wurde für nicht zulässig erklärt.
In seiner Begründung zitierte das BVwG mehrere Entscheidungen des OGH, wonach das vereinfachte Verfahren gemäß § 15 ff LiegTeilG nur dann zur Anwendung komme, wenn die Besitzänderungen durch eine bereits vollendete, in der Natur vorhandene Straßen-, Weg-, Eisenbahn- oder Wasserbauanlage herbeigeführt worden seien (vgl. ; , 5 Ob 52/92; , 5 Ob 104/95). § 15 LiegTeilG sei - so das BVwG - auf Grundstücke anzuwenden, die auch nur teilweise zur „Herstellung, Umlegung oder Erweiterung und Erhaltung“ einer bestimmten Anlage „verwendet worden sind“, auf Grundstücke (oder Teile davon), die bei der „Herstellung“ einer solchen Anlage „frei geworden sind“, also nicht mehr von der Anlage erfasst würden, sowie auf Grundstücksreste, die durch die Anlage - nach grundbücherlicher Durchführung - von den Stammgrundstücken abgeschnitten würden (Verweis auf Binder in Kodek, Grundbuchsrecht2§ 15 LiegTeilG, Rn. 8). Die Parteien stimmten überein, „dass etwa 66 % des verfahrensgegenständlichen Grundstückes zur Herstellung einer Straßenanlage verwendet worden“ seien. Die Ansicht des Revisionswerbers, dass in einem solchen Fall § 15 ff LiegTeilG nicht anzuwenden seien, widerspreche einerseits dem Wortlaut des § 15 leg. cit., weil darin nicht geregelt werde, „dass das entsprechende Grundstück zur Gänze zur Herstellung der Anlage verwendet worden sein muss“. Laut der zitierten Literaturstelle reiche auch nur eine teilweise Herstellung einer im Gesetz genannten Anlage. Dafür spreche auch die Tatsache, dass das vereinfachte Verfahren gemäß § 15 Z 2 und 3 LiegTeilG auch bei Grundstücksresten und aufgelassenen Straßenkörpern gelten solle; auch hier befinde sich eine im Gesetz genannte Anlage (teilweise) nicht oder nicht mehr auf dem Grundstück.
4Die Zurückverweisung gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG begründete das BVwG damit, dass der Revisionswerber die notwendigen Ermittlungen dahingehend unterlassen habe, ob die Besitzänderung durch den „fertiggestellten“ Bau einer Anlage iSd § 15 Z 1 LiegTeilG herbeigeführt worden sei. Diese Ermittlungen könnten durch den Revisionswerber als insoweit technikbasiert eingerichtete und örtlich nähere Spezialbehörde mit entsprechendem Sachverstand jedenfalls einfacher und kostensparender beziehungsweise rascher durchgeführt werden.
5Dagegen richtet sich die vorliegende Amtsrevision.
6Eine Revisionsbeantwortung wurde nicht erstattet.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
7Die Revision erweist sich angesichts des Vorbringens zur Unzulässigkeit der mit dem angefochtenen Beschluss vorgenommenen Aufhebung und Zurückverweisung nach § 28 Abs. 3 VwGVG als zulässig.
8§§ 15 und 16 Liegenschaftsteilungsgesetz (LiegTeilG), BGBl. Nr. 3/1930 idF BGBl. I Nr. 190/2013, lauten:
„C. Sonderbestimmungen für die Verbücherung von Straßen-, Weg-, Eisenbahn- und Wasserbauanlagen.
§ 15. Die folgenden Bestimmungen sind anzuwenden:
1.auf Grundstücke, die zur Herstellung, Umlegung oder Erweiterung und Erhaltung einer Straßen-, Weg- oder Eisenbahnanlage oder einer Anlage zur Leitung, Benützung, Reinhaltung oder Abwehr eines Gewässers oder zur Abwehr von Lawinen und dergleichen (zum Beispiel Bewässerungs-, Entwässerungs-, Kanalisations-, Wasserleitungsanlage, Schutz- oder Regulierungsbau, Wildbachverbauung) einschließlich der hiezu erforderlichen besonderen Werkanlagen (zum Beispiel Trieb- und Stauwerke), verwendet worden sind;
2.auf Grundstücksreste, die durch eine solche Anlage von den Stammgrundstücken abgeschnitten worden sind, und zwar auch bei Übertragung des Eigentumsrechts;
3.auf aufgelassene Straßenkörper, Wege oder Eisenbahngrundstücke oder das Bett frei gewordener Gewässer.
§ 16. Die Vermessungsbehörde kann den Antrag auf lastenfreie Ab- und Zuschreibung der in § 15 angeführten Grundstücke beurkunden; wenn der Antragsteller gegenüber der Vermessungsbehörde erklärt, dass bestimmte Dienstbarkeiten, die auf diesen Grundstücken lasten, aufrecht bleiben sollen, ist der Antrag auf Mitübertragung dieser Dienstbarkeiten zu beurkunden. Überdies hat die Vermessungsbehörde in der Beurkundung nach Maßgabe der tatsächlichen Verhältnisse zu bestätigen, dass eine der in § 15 angeführten Anlagen errichtet bzw. aufgelassen wurde. Der Rang der Eintragung richtet sich nach dem Zeitpunkt, in dem der Beschluss über die Ab- und Zuschreibung der Einlaufstelle übergeben wird.“
9§ 28 Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (VwGVG), BGBl. I Nr. 33/2013 idF BGBl. I Nr. 138/2017, lautet auszugsweise:
„Erkenntnisse
§ 28. (1) Sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist, hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen.
(2) Über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG hat das Verwaltungsgericht dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn
1.der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder
2.die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.
(3) Liegen die Voraussetzungen des Abs. 2 nicht vor, hat das Verwaltungsgericht im Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG in der Sache selbst zu entscheiden, wenn die Behörde dem nicht bei der Vorlage der Beschwerde unter Bedachtnahme auf die wesentliche Vereinfachung oder Beschleunigung des Verfahrens widerspricht. Hat die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen, so kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen. Die Behörde ist hiebei an die rechtliche Beurteilung gebunden, von welcher das Verwaltungsgericht bei seinem Beschluss ausgegangen ist.
(4) ...“
10Der Revisionswerber bringt zutreffend vor, dass die Frage der Besitzänderung nicht zur Zurückverweisung berechtigt.
Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu § 28 VwGVG (vgl. etwa ) normiert diese Bestimmung einen prinzipiellen Vorrang der meritorischen Entscheidungspflicht der Verwaltungsgerichte. Der Verwaltungsgerichtshof hat ferner hervorgehoben, dass das Verwaltungsgericht insbesondere darzulegen hat, in welcher Weise der entscheidungsrelevante Sachverhalt nicht feststeht und inwiefern allenfalls erforderliche Ergänzungen nicht vom Verwaltungsgericht selbst vorzunehmen wären (vgl. hierzu , Pkt. 5.2., mwN). Selbst Bescheide, die in der Begründung dürftig sind, rechtfertigen für sich allein keine Behebung und Zurückverweisung, wenn brauchbare Ermittlungsergebnisse vorliegen, die im Zusammenhalt mit einer allenfalls durchzuführenden Verhandlung zu vervollständigen sind (vgl. , Pkt. 7.2., mwN).
Diesen Anforderungen entspricht der angefochtene Beschluss nicht. Zur Beantwortung der hier gegenständlichen Frage ist kein „technikbasierter“ Sachverstand einer örtlich näheren Spezialbehörde erforderlich. Sie könnte allenfalls im Rahmen einer Verhandlung behandelt werden. Im Lichte der oben zitierten hg. Rechtsprechung liegen die Voraussetzungen gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG zur Zurückverweisung der Angelegenheit im gegenständlich zu beurteilenden Fall schon aus diesem Grund nicht vor.
11Da das BVwG dies verkannte, war das angefochtene Erkenntnis gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.
12Für das fortzusetzende Verfahren wird zur Frage der Anwendbarkeit der § 15 ff LiegTeilG Folgendes ausgeführt:
Gemäß § 16 leg. cit. hat die Vermessungsbehörde in der Beurkundung nach Maßgabe der tatsächlichen Verhältnisse zu bestätigen, dass eine der in § 15 LiegTeilG angeführten Anlagen errichtet bzw. aufgelassen wurde. Bereits aus dem Wortlaut dieser Bestimmung geht eindeutig hervor, dass nur beurkundet werden soll, was tatsächlich errichtet bzw. aufgelassen wurde und somit in natura vorhanden oder eben nicht mehr existent ist. Der OGH führte zu § 15 LiegTeilG aus, dem ausdrücklichen Wortlaut dieser Bestimmung zufolge sei Voraussetzung für die Durchführung des vereinfachten Verfahrens, dass die zu verbüchernde Besitzänderung durch die Anlage herbeigeführt und in der Natur bereits durchgeführt sei; Veränderungen müssten somit sowohl im rechtlichen als auch im tatsächlichen Bereich vorliegen (vgl. ). Sollte somit, wie im Bescheid vom festgestellt wurde, für das südliche Drittel des Trennstückes 3 keine Straßen- oder Weganlage in der Natur errichtet worden sein, könnte die Vermessungsbehörde das Vorhandensein einer Anlage in diesem Bereich auch nicht beurkunden.
Wien, am
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ECLI: | ECLI:AT:VWGH:2020:RA2019060060.L00 |
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