VwGH vom 26.05.2014, 2013/08/0127
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Waldstätten und den Hofrat Dr. Strohmayer, die Hofrätinnen Dr. Julcher und Mag. Rossmeisel sowie den Hofrat Dr. Pürgy als Richter und Richterinnen, im Beisein des Schriftführers Mag. Berthou, über die Beschwerde des Dr. T G in Wien, vertreten durch die Dr. Engelhart Partner Rechtsanwälte OG in 1030 Wien, Esteplatz 4, gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Wien vom , Zl. MA 40 - SR 25202/2012, betreffend Wiederaufnahme des Verfahrens in einer Angelegenheit des ASVG (mitbeteiligte Partei:
Pensionsversicherungsanstalt, vertreten durch Dr. Josef Milchram, Dr. Anton Ehm und Mag. Thomas Mödlagl, Rechtsanwälte in 1010 Wien, Singerstraße 12), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhalts aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.
Begründung
Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung des Beschwerdeführers gegen die amtswegig verfügte Wiederaufnahme des mit Bescheid vom rechtskräftig abgeschlossenen Verfahrens betreffend Gewährung einer Korridorpension ab.
In der Begründung bejahte die belangte Behörde das Vorliegen des Wiederaufnahmegrundes des § 69 Abs. 1 Z 2 AVG. Die dreijährige Frist gemäß § 69 Abs. 3 AVG habe erst mit der formellen Rechtskraft des Bescheides vom , somit nach Ablauf der dreimonatigen Klagsfrist, zu laufen begonnen. Der die Wiederaufnahme verfügende erstinstanzliche Bescheid vom sei daher noch innerhalb dieser Frist erlassen worden.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Aktenvorlage durch die belangte Behörde und Erstattung einer Gegenschrift durch die mitbeteiligte Partei erwogen hat:
1. Gemäß § 357 Abs. 1 ASVG (in der Fassung vor der Novelle BGBl. I Nr. 87/2013) gelten für das Verfahren vor den Versicherungsträgern in Leistungssachen und in Verwaltungssachen insbesondere die Bestimmungen der §§ 69 und 70 AVG über die Wiederaufnahme des Verfahrens entsprechend. Bei der Entscheidung über einen Wiederaufnahmeantrag durch einen Sozialversicherungsträger handelt es sich um eine Verwaltungssache im Sinn des § 335 ASVG. Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist der Bescheid eines Sozialversicherungsträgers, mit dem in einer Leistungssache die Wiederaufnahme von Amts wegen verfügt wird, trotz § 70 Abs. 3 zweiter Satz AVG (in der Fassung vor der Novelle BGBl. I Nr. 33/2013) im Verwaltungsweg durch Einspruch an den Landeshauptmann zu bekämpfen (vgl. das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2010/08/0110, mwN).
2. Die Beschwerde wendet sich unter anderem gegen die Annahme der belangten Behörde, die Frist gemäß § 69 Abs. 3 AVG habe erst mit Ablauf der dreimonatigen Klagsfrist gegen den das wiederaufgenommene Verfahren abschließenden Bescheid vom zu laufen begonnen.
Damit ist die Beschwerde im Recht.
Nach dem Wortlaut des § 69 Abs. 3 AVG kann die Wiederaufnahme nach Ablauf von drei Jahren nach Erlassung des Bescheides auch von Amts wegen nur mehr aus den Gründen des Abs. 1 Z 1 (wenn der Bescheid durch Fälschung einer Urkunde, falsches Zeugnis oder eine andere gerichtlich strafbare Handlung herbeigeführt oder sonstwie erschlichen worden ist) stattfinden. Es wird also klar auf die "Erlassung des Bescheides" und nicht etwa auf den Eintritt der formellen Rechtskraft abgestellt. Die vom Verwaltungsgerichtshof im Erkenntnis vom , Zl. 2001/06/0077, vertretene Ansicht, dass die dreijährige Frist für die Stellung des Wiederaufnahmeantrages erst mit dem Eintritt der formellen Rechtskraft zu laufen beginnt, bezog sich auf § 69 Abs. 2 AVG (vgl. ablehnend dazu Hengstschläger/Leeb , AVG § 69 Rz 66). Jedenfalls für die amtswegige Wiederaufnahme nach § 69 Abs. 3 AVG ist der Auslegung der Vorzug zu geben, wonach die dreijährige Frist, innerhalb deren eine Wiederaufnahme nach § 69 Abs. 1 Z 2 oder 3 AVG verfügt werden kann, unabhängig von offenen Rechtsmittelfristen bereits mit der Erlassung des verfahrensbeendenden Bescheides zu laufen beginnt.
Im Beschwerdefall bedeutet dies, dass die Frist nach § 69 Abs. 3 AVG schon mit der Zustellung des Bescheides vom zu laufen begonnen hat, obwohl die Frist für die Erhebung einer Klage offen und daher gegen den Bescheid noch ein Rechtsmittel im Sinn des § 69 AVG zulässig war (vgl. zu den Voraussetzungen der Wiederaufnahme in Fällen sukzessiver Kompetenz das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2007/06/0276, VwSlg. 17.386 A, JBl. 2008, 541, unter Hinweis auf das hg. Erkenntnis vom , Zl. 0821/80). Ausgehend davon, dass der Bescheid vom entsprechend den Angaben in der Beschwerde, die von der mitbeteiligten Sozialversicherungsanstalt in ihrer Gegenschrift nicht bestritten wurden, bereits Anfang Juni 2009 zugestellt wurde (das genaue Zustelldatum ist anhand der vorgelegten Verwaltungsakten nicht nachvollziehbar), war die dreijährige Frist des § 69 Abs. 3 AVG zum Zeitpunkt der Erlassung des die Wiederaufnahme verfügenden erstinstanzlichen Bescheides vom bereits abgelaufen und die Wiederaufnahme aus dem Grund des § 69 Abs. 1 Z 2 AVG daher unzulässig.
3. Der angefochtene Bescheid war somit gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhalts aufzuheben.
Der Kostenzuspruch gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der (auf "Altfälle" gemäß § 3 Z 1 der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014, BGBl. II Nr. 518/2013, idF BGBl. II Nr. 8/2014 weiter anzuwendenden) VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008. Das Mehrbegehren betreffend die Eingabegebühr war im Hinblick auf die sachliche Abgabenfreiheit nach § 110 ASVG abzuweisen.
Wien, am