VwGH vom 21.12.2010, 2010/21/0455
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Novak und die Hofräte Dr. Pelant, Dr. Sulzbacher, Dr. Pfiel und Mag. Eder als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Henk, über die Beschwerde des R, vertreten durch Mag. Dr. Anton Karner Mag. Dr. Michael Mayer, Rechtsanwälte in 8010 Graz, Steyrergasse 103/II, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Steiermark vom , Zl. Fr 502/2004, betreffend Erlassung eines befristeten Aufenthaltsverbotes, zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von EUR 41,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit dem angefochtenen, im Instanzenzug ergangenen Bescheid erließ die belangte Behörde gegen den Beschwerdeführer, einen Staatsangehörigen der Dominikanischen Republik, gemäß §§ 60 Abs. 1 Z 1 und Z 2 iVm Abs. 2 Z 1, 61, 63, 66 und 125 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG) ein auf die Dauer von zehn Jahren befristetes Aufenthaltsverbot.
Begründend führte die belangte Behörde aus, der Beschwerdeführer, der im Zeitpunkt seiner Einreise in das Bundesgebiet 17 Jahre alt gewesen sei, sei seit Herbst 2002 rechtmäßig hier aufhältig. Ihm sei am erstmals zwecks Familienzusammenführung mit seiner die österreichische Staatsbürgerschaft besitzenden Mutter eine für die Dauer von einem Jahr befristete Niederlassungsbewilligung als "begünstigter Drittstaatsangehöriger" (nach dem Fremdengesetz 1997) erteilt worden. Diese Bewilligung sei verlängert worden und infolge dessen bis gültig gewesen.
Den Lebensunterhalt des Beschwerdeführers habe seine Mutter bestritten, weil es dem Beschwerdeführer, der in der Dominikanischen Republik die Grundschule absolviert habe, nicht gelungen sei, in Österreich eine Berufsausbildung zu absolvieren oder eine regelmäßige Beschäftigung zu erlangen.
Im Juli 2003 sei der Beschwerdeführer wegen Körperverletzung zur Anzeige gebracht worden. Es habe der Verdacht bestanden, er habe einen Fahrzeuglenker aus nichtigem Anlass durch Versetzen von Faustschlägen körperlich attackiert und ihn dadurch leicht verletzt.
Am sei der Beschwerdeführer nach den Bestimmungen der Strafprozessordnung festgenommen und in weiterer Folge wegen Verdachts des versuchten Mordes zur Anzeige gebracht und der Justizanstalt Graz-Jakomini überstellt worden. Dem sei zugrunde gelegen, dass der Beschwerdeführer verdächtig gewesen sei, gemeinsam mit einem weiteren Täter - nach einer vorerst wörtlichen Auseinandersetzung - einen österreichischen Staatsbürger massiv angegriffen zu haben. Der Beschwerdeführer und sein "Komplize" hätten vor einem Wohnhaus Lärm erregt, weshalb sie vom Hausbesorger darauf aufmerksam gemacht worden seien, den Lärm angesichts der Nachtzeit zu unterlassen. Anschließend habe sich dieser Hausbesorger vor das Haus begeben, worauf er vom Beschwerdeführer unter Verwendung einer Stichwaffe attackiert worden sei. Im Zuge dieser Attacke habe der Beschwerdeführer mit einem von ihm mitgeführten Küchenmesser dem Hausbesorger einen Stich in den "Oberschenkel" (richtig: in die linke Schulter) versetzt. Dadurch habe der Hausbesorger eine schwere Verletzung erlitten, weil der Stich u.a. den Oberlappen der Lunge getroffen und dadurch eine Verletzung verursacht habe, mit der in der Regel Lebensgefahr verbunden sei. Der Beschwerdeführer sei deswegen am vom Landesgericht für Strafsachen Graz wegen absichtlicher schwerer Körperverletzung nach § 87 StGB zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von 18 Monaten rechtskräftig verurteilt worden.
Bereits zuvor, nämlich während seiner Anhaltung in Untersuchungshaft am sei dem Beschwerdeführer die Einleitung des Aufenthaltsverbotsverfahrens bekannt gemacht und ihm Parteiengehör eingeräumt worden.
Ungeachtet dieser Umstände sei der Beschwerdeführer neuerlich straffällig geworden. Er sei vom Landesgericht für Strafsachen Graz am rechtskräftig wegen (zum Teil schwerer) Körperverletzung, Sachbeschädigung und Widerstand gegen die Staatsgewalt zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von sechs Monaten verurteilt worden. Diese Verurteilung sei erfolgt, weil der Beschwerdeführer am in Graz den B durch Versetzen eines Faustschlages in das Gesicht und die M durch Versetzen einer Ohrfeige vorsätzlich am Körper verletzt sowie diverse (näher bezeichnete) Sachen des B vorsätzlich zu beschädigen versucht habe. Des Weiteren habe er zu dieser Zeit eine Polizeibeamtin mit Gewalt an einer Amtshandlung, nämlich seiner Identitätsfeststellung, zu hindern versucht, indem er ihr mit der Faust ins Gesicht geschlagen und sie am linken Handgelenk gekratzt und sie dadurch während und wegen der Vollziehung ihrer gesetzlichen Aufgaben vorsätzlich am Körper verletzt habe.
Im Hinblick auf die Vorverurteilung sei davon auszugehen, dass es sich beim Beschwerdeführer um einen gewalttätigen und besonders gewaltbereiten Wiederholungstäter handle, den auch eine vorangegangene rechtskräftige Verurteilung nicht davon abhalten habe können, wieder straffällig zu werden und andere Personen vorsätzlich am Körper zu verletzen.
In Anbetracht des zu beurteilenden Gesamtfehlverhaltens sei - so die belangte Behörde in rechtlicher Hinsicht - zum Ergebnis zu kommen, dass ein Sachverhalt im Sinn des § 60 Abs. 1 Z 1 und 2 und Abs. 2 Z 1 FPG vorliege. Es sei eindeutig von einer Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit durch den weiteren Aufenthalt des Beschwerdeführers im Bundesgebiet auszugehen. Durch seine Taten habe der Beschwerdeführer in qualifizierter Form in die körperliche Integrität anderer eingegriffen und somit dem großen öffentlichen Interesse an der Verhinderung von Gewaltkriminalität zuwider gehandelt. Zudem habe er auch ein gegen die Staatsgewalt gerichtetes Fehlverhalten gesetzt und damit auch das an der Verhinderung solcher Delikte bestehende öffentliche Interesse verletzt. Zwar habe der Beschwerdeführer in seiner (am eingebrachten) Berufung vorgebracht, seine damaligen Taten zutiefst zu bedauern, jedoch habe er danach neuerlich zu einer Freiheitsstrafe verurteilt werden müssen. Da er als aggressiver Wiederholungstäter einzustufen sei, gingen seine Ausführungen in der Berufung "ins Leere".
Der Beschwerdeführer - so die belangte Behörde zur Interessenabwägung nach § 66 FPG unter Bezugnahme auf ihre eingangs erwähnten Feststellungen zu den persönlichen Verhältnissen des Beschwerdeführers - weise ein Interesse am Verbleib in Österreich auf. In dieses werde durch das Aufenthaltsverbot eingegriffen. Jedoch sei die gegenständliche fremdenpolizeiliche Maßnahme dringend geboten, weil er durch sein gravierendes Fehlverhalten die im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten öffentlichen Interessen an der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit, an der Verhinderung von (weiteren) strafbaren Handlungen, am Schutz der Rechte und Freiheiten Anderer und am Schutz der Gesundheit massiv beeinträchtigt habe. Die für den Aufenthalt des Beschwerdeführers in Österreich sprechenden persönlichen Interessen könnten das durch das Fehlverhalten nachhaltig beeinträchtigte Allgemeininteresse nicht überwiegen. Die für die Integration in Österreich maßgebliche soziale Komponente habe durch das Fehlverhalten des Beschwerdeführers erheblich gelitten, zumal sein Verhalten sogar eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr darstelle, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berühre. Auch sei im Hinblick darauf, dass die Einreise des Beschwerdeführers in Österreich erst im Alter von 17 Jahren erfolgt sei, nicht nachvollziehbar, dass er in seinem Heimatland nach dem bisherigen Aufenthalt im Inland von fünf Jahren nicht mehr Fuß fassen könne.
Angesichts dessen, dass der Beschwerdeführer ein Wiederholungstäter sei, könne auch das der Behörde zur Verfügung stehende Ermessen nicht zu seinen Gunsten geübt werden.
Der Verwaltungsgerichtshof hat über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde nach Vorlage der Verwaltungsakten durch die belangte Behörde erwogen:
Gemäß § 60 Abs. 1 FPG kann gegen einen Fremden ein Aufenthaltsverbot erlassen werden, wenn auf Grund bestimmter Tatsachen die Annahme gerechtfertigt ist, dass sein Aufenthalt die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährdet (Z 1) oder anderen im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten öffentlichen Interessen zuwiderläuft (Z 2). Als bestimmte Tatsache im Sinn des Abs. 1 hat gemäß § 60 Abs. 2 Z 1 FPG insbesondere zu gelten, wenn ein Fremder von einem inländischen Gericht zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von mehr als drei Monaten, zu einer teilbedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe, zu einer bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe von mehr als sechs Monaten oder mehr als einmal wegen auf der gleichen schädlichen Neigung beruhender strafbarer Handlungen rechtskräftig verurteilt worden ist.
In Anbetracht der vom Beschwerdeführer nicht bestrittenen rechtskräftigen Verurteilungen begegnet die behördliche Ansicht, der Tatbestand des § 60 Abs. 2 Z 1 (erster und vierter Fall) FPG sei verwirklicht, keinen Bedenken. Ebenso begegnet es keinem Einwand, wenn von der belangten Behörde auf Grund der festgestellten Handlungen des Beschwerdeführers die in § 60 Abs. 1 FPG ausgedrückte Gefährdung als gegeben erachtet wird. Das wird vom Beschwerdeführer auch nicht in Abrede gestellt.
Der Beschwerdeführer wendet sich in diesem Zusammenhang lediglich gegen die Annahme der belangten Behörde, die Gefährdungsprognose sei anhand des in § 60 Abs. 1 FPG enthaltenen Maßstabes zu prüfen. Er bringt vor, vielmehr sei in seinem Fall für die Beurteilung der Zulässigkeit der Erlassung eines Aufenthaltsverbotes der Gefährdungsmaßstab des § 86 Abs. 1 FPG maßgeblich.
Dem ist allerdings zu entgegnen, dass der Beschwerdeführer selbst einräumt, dass seine die österreichische Staatsbürgerschaft besitzende Mutter das ihr nach unionsrechtlichen Vorschriften zustehende Recht auf Freizügigkeit nicht in Anspruch genommen hat. Im Hinblick darauf kann der Beschwerdeführer nicht als begünstigter Drittstaatsangehöriger im Sinn des § 2 Abs. 4 Z 11 FPG angesehen werden, zumal es danach, um als solcher zu gelten, Voraussetzung ist, dass jene Person, von der ein Drittstaatsangehöriger die gemeinschaftsrechtliche Begünstigung herleitet, das ihr zustehende Recht auf Freizügigkeit ausgeübt hat. Da dies hier nicht vorliegt, begegnet es auch keinen Bedenken, dass die belangte Behörde ihre Zuständigkeit gemäß der Verfassungsbestimmung des § 9 Abs. 1 Z 2 FPG (weshalb sich diesbezüglich - entgegen der Ansicht der Beschwerdeführers - hier auch keine verfassungsrechtlichen Probleme stellen) bejaht hat.
Aber auch im Weg des § 87 FPG, wonach für Familienangehörige (§ 2 Abs. 4 Z 12 FPG) von "nicht freizügigkeitsberechtigten" Österreichern u.a. die Bestimmungen für begünstigte Drittstaatsangehörige nach § 86 FPG gelten, kommt im gegenständlichen Fall die Anwendbarkeit des § 86 Abs. 1 FPG nicht in Betracht. Der im Jahr 1985 geborene Beschwerdeführer war (auch) im Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides volljährig. Aus diesem Grund ist er nicht als Familienangehöriger im Sinn des § 2 Abs. 4 Z 12 FPG anzusehen, weil nach dieser Bestimmung als solche - neben der fallbezogen hier nicht relevanten Familienzugehörigkeit als Ehegatte - nur unverheiratete minderjährige Kinder (einschließlich Adoptiv- und Stiefkinder) in Betracht kommen. Den in diesem Zusammenhang hervorgekommenen verfassungsrechtlichen Bedenken ist der Verfassungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom , G 284/09 ua., nicht gefolgt.
Letztendlich bringt der Beschwerdeführer aber auch überhaupt nichts vor, was die von der belangten Behörde gemäß § 66 FPG vorgenommene Interessenabwägung in Frage stellen könnte. Hinweise dafür, dass ihre - oben wiedergegebenen - Überlegungen zur Interessenabwägung rechtswidrig wären, ergeben sich weder anhand der im Bescheid getroffenen Feststellungen noch anhand des Inhaltes der vorgelegten Verwaltungsakten.
Da somit dem angefochtenen Bescheid die behauptete Rechtswidrigkeit nicht anhaftet, war die Beschwerde gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.
Die Kostenentscheidung gründet sich - im begehrten Ausmaß - auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.
Wien, am
Fundstelle(n):
FAAAE-81690