VwGH vom 20.10.2011, 2010/21/0453
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Novak und die Hofräte Dr. Pelant, Dr. Sulzbacher, Dr. Pfiel und Mag. Eder als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Senft, über die Beschwerde des C, vertreten durch Mag. Ernst Lehenbauer, Rechtsanwalt in 4470 Enns, Hauptplatz 21, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Oberösterreich vom , Zl. St 19/08, betreffend Erlassung eines unbefristeten Aufenthaltsverbotes, zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von EUR 57,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der 1989 geborene Beschwerdeführer ist türkischer Staatsangehöriger und reiste im Rahmen der gewährten Familienzusammenführung auf Grundlage eines ihm von der Österreichischen Botschaft Ankara ausgestellten Visums im November 2002 nach Österreich ein. Seinem nach der Aktenlage zumindest seit 1994 in Österreich aufhältigen und hier beschäftigten Vater war mit Wirkung vom die österreichische Staatsbürgerschaft zuerkannt worden. Angesichts dessen wurden dem Beschwerdeführer als Sohn eines Österreichers mit Gültigkeit ab Februar 2003 bis zuletzt entsprechende Aufenthaltstitel erteilt.
Mit rechtskräftigem Urteil des Landesgerichtes Linz vom wurde der Beschwerdeführer wegen des Verbrechens der absichtlichen schweren Körperverletzung nach § 87 Abs. 1 StGB sowie wegen des Vergehens der gefährlichen Drohung nach § 107 Abs. 1 und 2 StGB zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von acht Monaten verurteilt, wobei ein Teil der Freiheitsstrafe im Ausmaß von sechs Monaten für eine Probezeit von drei Jahren - unter Anordnung der Bewährungshilfe - bedingt nachgesehen wurde. Dem lag nach dem gerichtlichen Schuldspruch zugrunde, der Beschwerdeführer habe
"I.) … am in Linz dadurch, dass er S.T. mit einem Taschenmesser einen Stich in den linken Mittelbauch versetzte, wodurch dieser eine 15 cm tiefe Stichwunde mit einer 3 cm langen Perforation der Bauchdecke erlitt, die eine Operation nach sich zog, somit eine an sich schwere Körperverletzung absichtlich zugefügt;
II.) … am in Linz dadurch, dass er A.E. ein Messer gegen dessen Hals hielt und dabei sinngemäß äußerte, ob er das Messer schmecken wolle, somit den Genannten gefährlich mit dem Tode bedroht, um ihn in Furcht und Unruhe zu versetzen."
Ein weiteres Strafurteil erging am ; über den Beschwerdeführer wurde wegen des Vergehens der Körperverletzung nach § 83 Abs. 1 StGB (begangen am ) sowie wegen des Vergehens des Betruges nach § 146 StGB (begangen im Oktober 2006) eine Geldstrafe im Ausmaß von 100 Tagessätzen verhängt.
Schließlich wurde der Beschwerdeführer vom Landesgericht Linz am wegen des Verbrechens des teils versuchten, teils vollendeten Raubes nach den §§ 142 Abs. 1 und 15 StGB sowie wegen des Vergehens der Körperverletzung nach § 83 Abs. 1 StGB rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr verurteilt. Der Beschwerdeführer habe - so das Strafurteil -
"1.) … am in bewusstem und gewolltem Zusammenwirken (mit zwei Mittätern) mit Gewalt gegen eine Person sowie durch Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben (§ 89) D.K. fremde bewegliche Sachen, nämlich Bargeld in Höhe von zumindest EUR 60,-- sowie ein Handy unbekannten Werts, weggenommen bzw. wegzunehmen versucht, indem (der Beschwerdeführer und die beiden Mittäter) gemeinsam auch unter Festhalten auf ihn einschlugen und eintraten und äußerten 'Du hast 10 Sekunden Zeit, sonst bringen wir dich um';
2.) am C.A. durch das Versetzen eines Faustschlages in Form einer Nasenbeinfraktur mit Nasenbluten vorsätzlich am Körper verletzt …"
Im Hinblick auf die dargestellten Verurteilungen und die diesen zugrunde liegenden Straftaten erließ die Sicherheitsdirektion für das Bundesland Oberösterreich (die belangte Behörde) mit im Instanzenzug ergangenem Bescheid vom gegen den Beschwerdeführer gemäß § 60 Abs. 1 und 2 Z 1 sowie §§ 63 und 66 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG) ein unbefristetes Aufenthaltsverbot.
Über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof nach Aktenvorlage durch die belangte Behörde erwogen:
Der Beschwerdeführer hatte bei Erlassung des bekämpften Bescheides das 18. Lebensjahr bereits vollendet. Er war daher nicht mehr Familienangehöriger im Sinn des § 2 Abs. 4 Z 12 FPG (in der hier anzuwendenden Stammfassung), weshalb § 87 FPG - und damit der begünstigte Gefährdungsmaßstab nach § 86 Abs. 1 FPG - auf ihn nicht zur Anwendung gelangte. Den verfassungsrechtlichen Bedenken des Verwaltungsgerichtshofes betreffend die Beschränkung des von § 87 FPG erfassten Adressatenkreises auf Ehegatten und unverheiratete minderjährige Kinder von Österreichern ist der Verfassungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom , G 284/09 ua., nicht gefolgt.
Der Beschwerdeführer beruft sich zwar - sodass gegebenenfalls auf diesem Weg auf die Prognose nach § 86 Abs. 1 FPG abzustellen gewesen wäre - darauf, dass ihm die Rechtsstellung nach Art. 6 des Beschlusses des durch das Abkommen zur Gründung einer Assoziation zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Türkei errichteten Assoziationsrates vom , Nr. 1/80, über die Entwicklung der Assoziation (ARB) zukomme. Die im bekämpften Bescheid getroffene Feststellung, dass er bislang in Österreich erst 26 Tage ordnungsgemäß beschäftigt gewesen sei, lässt er allerdings unbestritten, sodass von einer Erlangung der besagten Rechtsstellung keine Rede sein kann. Der Vollständigkeit halber sei ergänzend hinzugefügt, dass im vorliegenden Fall auch Art. 7 ARB nicht zum Tragen kommen kann, weil zum Zeitpunkt des Zuzugs des Beschwerdeführers nach Österreich im November 2002 sein Vater bereits die österreichische Staatsbürgerschaft innehatte.
Im Ergebnis ist damit festzuhalten, dass die belangte Behörde zur Beurteilung, ob gegen den Beschwerdeführer ein Aufenthaltsverbot erlassen werden darf, zutreffend den im § 60 Abs. 1 FPG (in der hier maßgeblichen Fassung vor dem FrÄG 2011) festgelegten Gefährdungsmaßstab herangezogen hat.
Gemäß der eben genannten Bestimmung kann gegen einen Fremden ein Aufenthaltsverbot erlassen werden, wenn auf Grund bestimmter Tatsachen die Annahme gerechtfertigt ist, dass sein Aufenthalt die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährdet (Z 1) oder anderen im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten öffentlichen Interessen zuwiderläuft (Z 2). Als bestimmte Tatsache im Sinn des Abs. 1 hat gemäß § 60 Abs. 2 Z 1 FPG insbesondere zu gelten, wenn ein Fremder von einem inländischen Gericht zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von mehr als drei Monaten, zu einer teilbedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe, zu einer bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe von mehr als sechs Monaten oder mehr als einmal wegen auf der gleichen schädlichen Neigung beruhender strafbarer Handlungen rechtskräftig verurteilt worden ist.
Angesichts der vom Beschwerdeführer nicht in Abrede gestellten strafgerichtlichen Verurteilungen hat er den Aufenthaltsverbotstatbestand des § 60 Abs. 2 Z 1 FPG - in Gestalt der 1., 2. und 4. Alternative - erfüllt. Ausgehend von dem den Verurteilungen zugrunde liegenden Fehlverhalten kann aber auch kein Zweifel bestehen, dass vom Beschwerdeführer - wie von der belangten Behörde angenommen - für den Fall seines weiteren Aufenthalts in Österreich eine maßgebliche Gefährdung im Sinn des § 60 Abs. 1 FPG ausgehe. Dabei kann es genügen, einerseits auf den raschen einschlägigen Rückfall trotz zunächst bedingter Nachsicht eines Teils der Strafe und Anordnung von Bewährungshilfe und andererseits auf die oben dargestellten Tathandlungen, die besondere Brutalität und die Neigung des Beschwerdeführers zu Gewalttaten zum Ausdruck bringen, zu verweisen. Wenn der Beschwerdeführer vorbringt, es sei zu beachten, dass alle Verfehlungen "innerhalb eines Jahres" erfolgt seien, so ist ihm zu entgegnen, dass dieser Umstand in Anbetracht der bei Bescheiderlassung (im März 2008) rezenten Delinquenz (Begehung des versuchten Raubes am ) im besonderen Maße die Aktualität der von ihm ausgehenden Gefährdung belegt.
Aus den vorangeführten Umständen erweist sich das Aufenthaltsverbot aber auch im Grunde des § 66 Abs. 1 und Abs. 2 FPG (in der hier noch anzuwendenden Fassung vor der Novelle BGBl. I Nr. 29/2009) als zulässig. Angesichts des großen Ausmaßes der vom Beschwerdeführer ausgehenden Gefährlichkeit müssen seine persönlichen Interessen am Verbleib im Bundesgebiet (die Beschwerde führt den bisherigen Aufenthalt und den Schulbesuch in Österreich sowie weiters ins Treffen, dass der Vater des Beschwerdeführers österreichischer Staatsbürger sei, alle seine Verwandten hier lebten und er seit drei Jahren mit einer Freundin "liiert" sei) nämlich, wie von der belangten Behörde richtig beurteilt, hinter das öffentliche Interesse an einer Aufenthaltsbeendigung zurücktreten. Der damit einhergehende Eingriff in das Privat- und Familienleben des Beschwerdeführers muss angesichts dieser öffentlichen Interessen, insbesondere angesichts des Interesses an der Hintanhaltung von strafbaren Handlungen der vom Beschwerdeführer begangenen Art, ebenso wie Schwierigkeiten bei der Wiedereingliederung in den Herkunftsstaat hingenommen werden. Unter dem letztgenannten Gesichtspunkt ist überdies darauf hinzuweisen, dass der Beschwerdeführer bis zu seinem 14. Lebensjahr in der Türkei gelebt hat, was eine Rückkehr dorthin - schon angesichts zu unterstellender Sprachkenntnisse und ungeachtet der in der Beschwerde behaupteten "Verwurzelung in Österreich" - nicht als unzumutbar erscheinen lässt.
Anders als der Beschwerdeführer meint, sind auch keine ausreichenden Gründe dafür vorhanden, dass im Rahmen der Ermessensübung von der Erlassung des Aufenthaltsverbots hätte Abstand genommen werden müssen. Zur Durchführung einer mündlichen Verhandlung schließlich war die belangte Behörde in einer Konstellation wie der vorliegenden nicht verpflichtet (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2009/21/0204).
Die Beschwerde war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.
Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.
Wien, am
Fundstelle(n):
WAAAE-81680