VwGH vom 05.07.2012, 2010/21/0450
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Novak und die Hofräte Dr. Pelant, Dr. Sulzbacher und Dr. Pfiel sowie die Hofrätin Dr. Julcher als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Dobner, über die Beschwerde des S in K, vertreten durch Mag. Dr. Helmut Blum, Rechtsanwalt in 4020 Linz, Mozartstraße 11/6, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Oberösterreich vom , Zl. E1/15952/2009, betreffend Ausweisung, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.326,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der Beschwerdeführer, ein 1979 geborener mazedonischer Staatsangehöriger, befindet sich seit 2001 im Bundesgebiet. Er stellte zunächst einen Asylantrag, der jedoch erstinstanzlich abgewiesen wurde.
Am heiratete der Beschwerdeführer eine österreichische Staatsbürgerin. In der Folge zog er einerseits die gegen den erstinstanzlichen Asylbescheid erhobene Berufung zurück und beantragte andererseits die Erteilung eines Aufenthaltstitels. Ein solcher wurde ihm erstmals mit erteilt. Ab 2006 erhielt der Beschwerdeführer dann Aufenthaltstitel "Familienangehöriger" nach § 47 Abs. 2 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz - NAG, zuletzt mit Gültigkeit bis .
Bereits 2006 war es zu einer - vorübergehenden - Trennung des Beschwerdeführers von seiner Ehefrau gekommen. Sein Vertreter teilte dazu der erstinstanzlichen Niederlassungsbehörde mit, dass eine Scheidungsklage anhängig sei. Das Bezirksgericht Kirchdorf an der Krems gab dann dazu auf Anfrage bekannt, "dass die Zurückziehung der Ehescheidungsklage mit Beschluss vom zur Kenntnis genommen" worden sei.
Der ab Mai 2006 wieder - bis November 2008 - bei seiner Ehefrau gemeldete Beschwerdeführer beantragte am die Verlängerung seines Aufenthaltstitels "Familienangehöriger". In einem dazu verfassten Aktenvermerk ist Folgendes festgehalten:
"Auf Grund des neuen Wohnsitzes wurde (Beschwerdeführer) kurz befragt. Er teilt mit, dass dzt. keine Scheidung beabsichtigt ist und er sich mit seiner Gattin wieder versöhnen möchte. Dies wurde uns bei den letzten Verlängerungen auch schon erzählt. Es wird geprüft, ob eventuell eine Zweckänderung auf unbeschränkt gemacht werden muss.
Es soll seine Gattin … vorgeladen werden. …"
Die dann einvernommene Ehefrau des Beschwerdeführers gab u. a. an, seit Juli 2007 von diesem getrennt zu leben; seither bestehe keine Beziehung mehr. Finanziell unterstütze sie der Beschwerdeführer aber immer noch mit monatlich EUR 200,--.
Der Beschwerdeführer bestätigte bei einer niederschriftlichen Einvernahme die Trennung von seiner Ehefrau, diese sei im Jänner 2008 erfolgt.
Mit Bescheid vom wies die Bezirkshauptmannschaft Kirchdorf an der Krems (BH) den Beschwerdeführer schließlich gemäß § 54 Abs. 5 Z 1 Fremdenpolizeigesetz 2005 - FPG aus Österreich aus. Die BH führte begründend an, dass sich der Beschwerdeführer wie bei den vorangehenden Anträgen auch beim letzten Verlängerungsantrag im Sinn des Art. 8 Abs. 2 EMRK auf die Ehe mit einer österreichischen Staatsbürgerin berufen habe. Es sei im Verfahren jedoch zutage getreten, dass ein gemeinsames Familienleben im Sinn dieser Bestimmung nicht mehr vorliege und eine Wiederaufnahme aussichtslos erscheine. Im Hinblick darauf könne - auch bei formellem Fortbestand der Ehe - die Fremdenbehörde, wenn "seit diesem Zeitpunkt" noch keine fünf Jahre vergangen sind, eine Ausweisung verfügen. Das Nichtanführen von maßgeblichen Umständen im Zusammenhang mit einem Verfahren zur Erteilung/Verlängerung eines Aufenthaltstitels sei als Verstoß gegen die öffentliche Ordnung und Sicherheit anzusehen. Der Umstand, dass bereits seit längerer Zeit kein gemeinsames Familienleben mehr vorliege, sei erst im amtlichen Ermittlungsverfahren bekannt geworden. Eine Aufenthaltsbeendigung sei in solchen Fällen - auch im Hinblick auf § 66 FPG - "unter Wahrung der gesetzlichen Fristen" ausdrücklich vom Gesetzgeber vorgesehen und stelle in einer demokratischen Gesellschaft ein zulässiges Mittel dar, um einen Aufenthaltsmissbrauch, welcher als schwere Beeinträchtigung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit anzusehen sei, zu verhindern.
Mit dem nunmehr bekämpften Bescheid vom erkannte die Sicherheitsdirektion für das Bundesland Oberösterreich (die belangte Behörde), dass der gegen den erstinstanzlichen Bescheid erhobenen Berufung des Beschwerdeführers gemäß § 66 Abs. 4 AVG iVm §§ 54 Abs. 1, 55 Abs. 1 und 66 FPG sowie § 11 Abs. 1 Z 2 NAG keine Folge gegeben werde; der erstinstanzliche Bescheid werde bestätigt.
Die belangte Behörde gab zunächst - jeweils auszugsweise - den Inhalt des erstinstanzlichen Bescheides und der dagegen erhobenen Berufung wieder. Daran schließt eine Wiedergabe der §§ 54, 55 und 66 FPG sowie des § 11 NAG, uzw. - ungeachtet des Bescheiddatums - zum Teil in der Fassung vor dem am in Kraft getretenen FrÄG 2009 (§ 54 FPG) bzw. in der Fassung vor der seit geltenden Novelle BGBl. I Nr. 29/2009 (§ 66 FPG und § 11 NAG). Unter der Überschrift "Rechtliche Beurteilung" wird dann ausgeführt, dass sich die Berufungsbehörde den Ausführungen der Erstinstanz vollinhaltlich anschließe und diese zum Inhalt ihres Bescheides erhebe. Es ergebe sich eindeutig, dass die Voraussetzungen des § 54 Abs. 5 Z 1 FPG vorlägen. Der Beschwerdeführer selbst habe nicht bestritten, dass die Familiengemeinschaft bereits nach ca. drei Jahren beendet worden sei. Trotzdem habe er sich noch auf diese Familiengemeinschaft berufen. Zweifelsohne werde ihm eine der Dauer seines Aufenthaltes in Österreich entsprechende Integration zuzubilligen sein; dies auch in beruflicher Hinsicht. Dem sei jedoch gegenüberzustellen, dass der Beschwerdeführer eine funktionierende Familiengemeinschaft vorgegeben habe, obgleich diese nicht bestanden hätte. Dies sei vor dem Hintergrund eines geordneten Fremdenwesens sehr schwer zu gewichten.
Über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof nach Aktenvorlage seitens der belangten Behörde erwogen:
Gemäß § 54 Abs. 5 FPG in der bis gültigen Stammfassung konnten Fremde, die sich auf Grund eines Aufenthaltstitels oder während eines Verlängerungsverfahrens im Bundesgebiet aufhielten, mit Bescheid ausgewiesen werden, wenn ihnen
"1. eine Niederlassungsbewilligung erteilt wurde, um den Familiennachzug zu gewährleisten und die Voraussetzungen hiefür vor Ablauf von fünf Jahren nach Niederlassung des Angehörigen weggefallen sind oder
2. eine Niederlassungsbewilligung erteilt wurde, sie länger als ein Jahr aber kürzer fünf Jahre im Bundesgebiet niedergelassen sind und während der Dauer eines Jahres nahezu ununterbrochen keiner erlaubten Erwerbstätigkeit nachgegangen sind."
Der von der erstinstanzlichen Behörde herangezogene Ausweisungstatbestand des § 54 Abs. 5 Z 1 FPG stand im normativen Zusammenhang mit § 27 NAG. Dessen Abs. 1 hatte bis zum - auszugsweise - folgenden Inhalt:
"Niederlassungs- und Bleiberecht von Familienangehörigen mit Niederlassungsbewilligungen
§ 27. (1) Familienangehörige mit einer Niederlassungsbewilligung haben bis zum Ablauf des fünften Jahres ein vom Zusammenführenden abgeleitetes Niederlassungsrecht. Das Recht, weiterhin niedergelassen zu sein, bleibt Familienangehörigen erhalten, wenn die Voraussetzungen für den Familiennachzug später als fünf Jahre nach Erteilung der Erstniederlassungsbewilligung wegfallen. Mit Verlust der Niederlassungsbewilligung des Zusammenführenden in den ersten fünf Jahren geht das Niederlassungsrecht der Familienangehörigen von Gesetzes wegen unter. "
Mit dem am in Kraft getretenen FrÄG 2009 wurde § 27 NAG neu gefasst. Es wurde nunmehr normiert, dass Familienangehörige mit einer Niederlassungsbewilligung über ein eigenständiges Niederlassungsrecht verfügen und ihnen auch nach Wegfall der Voraussetzungen für den Familiennachzug eine entsprechende Niederlassungsbewilligung auszustellen ist, wenn sie die Voraussetzungen des § 11 Abs. 1 und 2 NAG erfüllen.
Im Hinblick auf die Neufassung des § 27 NAG wurde mit dem FrÄG 2009 auch der Ausweisungstatbestand des § 54 Abs. 5 Z 1 FPG beseitigt. Im Ausschussbericht (387 BlgNR 24. GP 7) heißt es dazu:
"Der bisherige § 54 Abs. 5 Z 1 FPG bezieht sich auf abgeleitete Niederlassungsbewilligungen gemäß § 27 NAG. Da diese Ableitung mit den vorgeschlagenen Änderungen in § 27 NAG nunmehr entfallen soll, hat auch die Z 1 des § 54 Abs. 5 FPG zu entfallen. Der Inhalt der bisherigen Z 2 wird direkt in den Absatz integriert."
Der von der erstinstanzlichen Behörde herangezogene Ausweisungstatbestand (§ 54 Abs. 5 Z 1 FPG) existierte also seit nicht mehr. Dennoch hat die belangte Behörde in ihrem vom Oktober 2010 stammenden Bescheid diesen Ausweisungstatbestand - ungeachtet des Fehlens von Übergangsbestimmungen, die dies vorsehen würden - herangezogen. Im Spruch ihres Bescheides findet sich zwar nur eine Bezugnahme auf die §§ 54 Abs. 1, 55 Abs. 1 und 66 FPG sowie - vor dem Hintergrund des vorliegenden Falles nicht nachvollziehbar - auf § 11 Abs. 1 Z 2 NAG. Aus der Bescheidbegründung geht aber ungeachtet dieser im Spruch genannten Rechtsgrundlagen unzweifelhaft hervor, dass sich die belangte Behörde auf die nicht mehr in Kraft stehende Bestimmung des § 54 Abs. 5 Z 1 FPG stützte, weil sie im Wesentlichen auf den erstinstanzlichen Bescheid verwies und ergänzend ausführte, dass sich aus dem vorliegenden Sachverhalt eindeutig die Erfüllung der Voraussetzungen des § 54 Abs. 5 Z 1 FPG ergäbe. Dass die belangte Behörde bei Wiedergabe der von ihr für maßgeblich erachteten Rechtsvorschriften (mit Ausnahme des § 55 FPG) auf veraltete Fassungen vor dem FrÄG 2009 zurückgriff, steht damit im Einklang.
Indem die belangte Behörde für die Ausweisung des Beschwerdeführers eine nicht mehr existente Rechtsgrundlage heranzog, hat sie ihren Bescheid schon deshalb mit Rechtswidrigkeit seines Inhaltes belastet. Der Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.
Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008. Wien, am