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VwGH vom 14.04.2011, 2010/21/0448

VwGH vom 14.04.2011, 2010/21/0448

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Novak und die Hofräte Dr. Pelant, Dr. Sulzbacher und Dr. Pfiel sowie die Hofrätin Dr. Julcher als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Senft, über die Beschwerde des VC, vertreten durch die Hämmerle, Steinrisser, Hämmerle Rechtsanwälte GesbR in 8970 Schladming, Hauptplatz 36, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Steiermark vom , Zl. E1/6298/2010, betreffend Erlassung eines befristeten Aufenthaltsverbotes, zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von EUR 51,50 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem angefochtenen, im Instanzenzug ergangenen Bescheid erließ die belangte Behörde gegen den Beschwerdeführer, einen Staatsangehörigen von Bosnien-Herzegowina, gemäß § 60 Abs. 1 und 2 Z. 1 sowie §§ 60 Abs. 6, 61 und 63 des Fremdenpolizeigesetzes 2005 - FPG ein auf zehn Jahre befristetes Aufenthaltsverbot.

Zur Begründung dieser Maßnahme verwies sie auf folgende rechtskräftige strafgerichtliche Verurteilungen des Beschwerdeführers und - bezüglich der vierten Verurteilung - die diesen zugrundeliegenden Tathandlungen:

1. Landesgericht Salzburg vom wegen des Verbrechens des schweren gewerbsmäßigen Diebstahls gemäß den §§ 127, 128 Abs. 1 Z. 4 und 130 erster Fall StGB zu einer bedingt nachgesehenen 6-monatigen Freiheitsstrafe (der Beschwerdeführer hatte im Zeitraum vom bis zum in Wals in wiederholten Tathandlungen und in der Absicht, sich durch die wiederkehrende Tatbegehung eine fortlaufende Einnahmequelle zu verschaffen, unter widerrechtlicher Verwendung eines Tankschlüssels Dieseltreibstoff im Gesamtwert von EUR 4.183,93 gestohlen).

2. Landesgericht Salzburg vom wegen des Verbrechens des (teils vollendeten, teils versuchten) schweren gewerbsmäßigen Betruges gemäß den §§ 146, 147 Abs. 1 Z. 1 und Abs. 2 sowie 148, erster und zweiter Fall (und § 15) StGB zu einer bedingt nachgesehenen 18-monatigen Freiheitsstrafe als Zusatzstrafe unter Berücksichtigung des vorgenannten Urteils (er hatte mit einem Mittäter am 26. Juni und am Verfügungsberechtigte verschiedener Versicherungen unter Vorlage wahrheitswidriger Unfallberichte zur Auszahlung von Abfindungsbeträgen von EUR 2.000,-- und EUR 3.607,07 verleitet; der Beschwerdeführer allein hatte zudem am 16. Oktober und am versucht, Verfügungsberechtigte verschiedener Versicherungen zur Auszahlung weiterer, ihm jeweils nicht zustehender Leistungen zu veranlassen).

3. Landesgericht Leoben vom wegen des Verbrechens des teils vollendeten, teils versuchten gewerbsmäßigen Diebstahls durch Einbruch gemäß den §§ 127, 129 Z. 1, 130 vierter Fall und 15 StGB zu einer Freiheitsstrafe von 24 Monaten, davon 21 Monate bedingt nachgesehen (der Verurteilung war ein wiederholtes Einsteigen in Firmengelände und der (zum Teil versuchte) Diebstahl von Gasflaschen zugrunde gelegen).

4. Landesgericht Leoben vom wegen des Verbrechens des schweren gewerbsmäßigen Diebstahls durch Einbruch sowie des Vergehens der Urkundenunterdrückung gemäß den §§ 127, 128 Abs. 1 Z. 4, 129 Z. 1 und 2, 130 vierter Fall und 229 Abs. 1 StGB zu einer (unbedingten) 15-monatigen Freiheitsstrafe. Der Beschwerdeführer habe zwischen März und Oktober 2009 gewerbsmäßig verschiedene näher beschriebene Einbruchsdiebstähle mit einer Beute von insgesamt rund EUR 12.300,-- (insbesondere an Flüssiggasflaschen, Baumaterial und Elektrowerkzeugen) begangen. Am habe er eine näher bezeichnete Kfz-Kennzeichentafel, also eine Urkunde, über die er nicht habe verfügen dürfen, mit dem Vorsatz, ihre Verwendung im Rechtsverkehr zu verhindern, unterdrückt.

Aus der (unter Berücksichtigung der Zusatzstrafe) dreimaligen Verurteilung wegen der Begehung gravierender Verbrechen, die auf derselben schädlichen Neigung beruhten, leitete die belangte Behörde die Erfüllung der Voraussetzungen für die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes nach § 60 Abs. 1 und 2 Z. 1 FPG ab. Es bestehe ein großes öffentliches Interesse an der Verhinderung der Eigentumskriminalität und am Schutz des wirtschaftlichen Wohles des Landes. Insbesondere die wiederholten einschlägigen Rückfälle - auch nach dem erstmaligen, am abgeschlossenen Vollzug der erwähnten, am verhängten (zum Teil bedingt nachgesehenen) Freiheitsstrafe - ließen keine positive Verhaltensprognose zu, hätten doch weder strafgerichtliche Verurteilungen noch selbst das Verspüren des Haftübels den Beschwerdeführer davon abhalten können, neuerlich einschlägig straffällig zu werden. Er erweise sich somit als gefährlicher Wiederholungstäter.

Der 1973 in Deutschland geborene Beschwerdeführer sei im Alter von 15 Jahren (1988) gemeinsam mit seiner Mutter in das Bundesgebiet eingereist. Nach der Scheidung der Mutter im Jahr 1984 (bis dahin habe er in Deutschland gelebt), sei er mit ihr in das damalige Jugoslawien gezogen. Als es dort "zu brodeln begonnen habe und weiters absehbar gewesen sei, dass es bald Krieg geben würde", habe er seine Mutter gemeinsam mit seiner Schwester nach Österreich begleitet, um hier zu arbeiten. Während seines darauf folgenden rund 22-jährigen Aufenthaltes in Österreich habe er an verschiedensten Orten gewohnt, zwischendurch habe er für einige Monate in Deutschland sowie in Bosnien gelebt. Weitere Familienangehörige lebten in Deutschland und Kroatien. Seine Schwester sei österreichische Staatsbürgerin.

Der Beschwerdeführer sei geschieden. Sein aus der geschiedenen Ehe stammender Sohn R., geboren am , sei österreichischer Staatsbürger, lebe jedoch nicht gemeinsam mit ihm. Der Beschwerdeführer unterhalte eine Lebensgemeinschaft mit der kroatischen Staatsbürgerin AK., mit der er zwei Kinder (L, geboren 2004, und A, geboren 2006) habe. Auch diese Kinder seien "nicht österreichische" Staatsbürger, das Sorgerecht komme ihrer Mutter zu. Diese habe in Judenburg ein Einfamilienhaus gekauft, das sie teilweise vermiete und wo sie gemeinsam mit dem Beschwerdeführer und ihren Kindern wohne. AK. sei berufstätig und verdiene insgesamt rund EUR 900,-- monatlich. Weiters verfüge sie über Mieteinnahmen von zusammen ebenfalls EUR 900,-- im Monat und Familienbeihilfe von EUR 720,--. Der Beschwerdeführer, der gute Kenntnisse der deutschen Sprache aufweise, sei früher als Kellner tätig gewesen und habe daneben unter anderem Gebrauchtfahrzeuge nach Kroatien und Bosnien exportiert, also einen Kfz-Handel betrieben. Seit 2009 sei er arbeitslos und habe Arbeitslosengeld von EUR 780,-- monatlich bezogen. Im Heimatstaat Bosnien-Herzegowina solle noch ein Onkel des Beschwerdeführers (mütterlicherseits) leben, seine Eltern seien in Deutschland aufhältig, seine Schwester habe zwei Kinder und betreibe in Kufstein eine Pizzeria.

Auf Grund dieser privaten und familiären Situation sowie des langen Aufenthalts sei mit dem Aufenthaltsverbot ein relevanter Eingriff in das in Österreich geführte Privat- und Familienleben des Beschwerdeführers verbunden. Dennoch sei der Eingriff gerechtfertigt, weil er zur Erreichung von im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Zielen, nämlich zur Verhinderung weiterer gleichgelagerter strafbarer Handlungen und zum Schutz fremden Eigentums und Vermögens, dringend geboten sei. Der Beschwerdeführer habe durch die Wiederholung gravierender Verbrechen eindeutig dokumentiert, nicht in der Lage bzw. nicht gewillt zu sein, die zum Schutz maßgeblicher Rechtsgüter aufgestellten Normen einzuhalten. Die seit der zuletzt erfolgten bedingten Entlassung aus dem Strafvollzug (am ) verstrichene Zeit sei bei weitem zu kurz, um einen Wegfall oder eine entscheidende Minderung der von ihm ausgehenden Gefahr annehmen zu können. Auch habe die aus dem langjährigen Aufenthalt sowie den privaten, familiären und beruflichen Beziehungen ableitbare Integration durch die Wiederholung massiver Straftaten eine ganz erhebliche Minderung erfahren. Die Auswirkungen des Aufenthaltsverbotes auf die Lebenssituation des Beschwerdeführers wögen damit keinesfalls schwerer als die gegenläufigen öffentlichen Interessen und die damit verbundenen nachteiligen Folgen einer Abstandnahme von dieser Maßnahme. Die Erlassung des Aufenthaltsverbotes sei auch unter Berücksichtigung der - im Einzelnen dargestellten - Kriterien des § 66 Abs. 2 FPG in der Fassung der Novelle BGBl. I Nr. 29/2009 gerechtfertigt.

Der Beschwerdeführer sei psychisch und physisch gesund und sei bereits in der Vergangenheit mehrfach nach Bosnien und Kroatien ausgereist, insbesondere um dort Geschäfte mit Kraftfahrzeugen, die er in Österreich angekauft habe, abzuwickeln. Er könne sich dort sowie in Kroatien sprachlich verständigen. Kontakte zur Lebensgefährtin und zu seinen Kindern könnten eingeschränkt etwa telefonisch oder durch Besuche aufrechterhalten werden. Ebenso seien Unterhaltszahlungen auch vom Ausland aus möglich.

Insgesamt sei - so argumentierte die belangte Behörde weiter -

die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes erforderlich, weil der Beschwerdeführer Eigentumskriminalität in einem solchen Ausmaß, dass ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt sei, begangen habe. Der Beschwerdeführer befinde sich zwar langjährig im Bundesgebiet, doch lägen zu seinen Gunsten zu berücksichtigende Voraussetzungen nach § 61 FPG nicht vor. Ebenso verfüge er nicht über einen Aufenthaltstitel "Daueraufenthalt-EG".

Der Beschwerdeführer habe sich insgesamt als Wiederholungstäter ohne ansatzweise Bereitschaft zu rechtstreuem Verhalten erwiesen, sodass auch eine Übung des der belangten Behörde eingeräumten Ermessens zu seinen Gunsten nicht in Betracht komme. Die Befristung des Aufenthaltsverbotes auf eine Dauer von zehn Jahren sei im Hinblick auf das massive Fehlverhalten in Verbindung mit der daraus zu erstellenden negativen Zukunftsprognose als gerechtfertigt anzusehen.

Über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof nach Aktenvorlage durch die belangte Behörde erwogen:

In Anbetracht der unbestrittenen Feststellungen zu den gerichtlichen Verurteilungen des Beschwerdeführers begegnet die - unbekämpft gebliebene - Ansicht der belangten Behörde, der Tatbestand des § 60 Abs. 2 Z. 1 (erster bis vierter Fall) FPG sei erfüllt und es sei auch die Annahme iSd § 60 Abs. 1 FPG gerechtfertigt, dass der Aufenthalt des Beschwerdeführers die öffentliche Ordnung und Sicherheit gefährde oder anderen im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten öffentlichen Interessen zuwiderlaufe, keinen Bedenken.

Der Beschwerdeführer argumentiert damit, dass er von klein auf im Inland aufgewachsen und hier langjährig rechtmäßig niedergelassen gewesen sei, sodass über ihn - entgegen der Ansicht der belangten Behörde - gemäß § 61 Z. 4 FPG kein Aufenthaltsverbot hätte verhängt werden dürfen.

Dem ist jedoch zu entgegnen, dass ein Fremder, der erstmals im Alter von 15 Jahren in das Bundesgebiet eingereist ist, keinesfalls als "von klein auf im Inland aufgewachsen" gilt (vgl. dazu etwa die hg. Erkenntnisse vom , Zl. 2008/21/0109, und vom , Zl. 2006/18/0363, mwN).

Gemäß § 60 Abs. 6 iVm § 66 Abs. 1 FPG ist ein Aufenthaltsverbot, würde dadurch in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, nur zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist. Gemäß § 66 Abs. 2 FPG in der Fassung der Novelle BGBl. I Nr. 29/2009 sind bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinn des Art. 8 EMRK insbesondere zu berücksichtigen:

1. die Art und Dauer des bisherigen Aufenthalts und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war;


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2.
das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens;
3.
die Schutzwürdigkeit des Privatlebens;
4.
der Grad der Integration;
5.
die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden;
6.
die strafgerichtliche Unbescholtenheit;
7.
Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts;
8.
die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren.
Der Beurteilung der belangten Behörde, dass das Aufenthaltsverbot nach den eben dargestellten Kriterien zulässig sei, haftet keine Rechtswidrigkeit an. Zwar kann der Beschwerdeführer auf einen langjährigen inländischen Aufenthalt (mit Unterbrechungen seit dem Jahr 1988) und eine berufliche (wenn er zuletzt auch in Strafhaft angehalten wurde bzw. arbeitslos war) und familiäre Integration verweisen. Die Lebensgefährtin des Beschwerdeführers AK. (nach den nunmehrigen Beschwerdebehauptungen seine Ehefrau) und die gemeinsamen (2004 und 2006 geborenen) Kinder sind Staatsangehörige Kroatiens. Der Sohn R., ein österreichischer Staatsbürger, lebt seit vielen Jahren getrennt vom Beschwerdeführer bei seiner Mutter. Das Verhältnis zu den (überdies in Deutschland aufhältigen) Eltern und den Seitenverwandten ist durch die längst eingetretene Volljährigkeit des Beschwerdeführers relativiert.
Auch trifft das Beschwerdeargument nicht zu, der Beschwerdeführer habe keinerlei Bindungen zum Heimatstaat und habe nie dort gelebt. Dabei übersieht der Beschwerdeführer nämlich die - nicht in Zweifel gezogenen - Feststellungen zum gemeinsamen Wohnsitz mit seiner Mutter im damaligen Jugoslawien zwischen 1984 und 1988 sowie über die vorübergehende Unterhaltung eines Wohnsitzes in Bosnien, weiters über die später erfolgten beruflichen Aufenthalte im Heimatstaat und den Wohnsitz eines Onkels in Bosnien.
Soweit der Beschwerdeführer in diesem Zusammenhang ins Treffen führt, er könnte in Bosnien-Herzegowina nur ein monatliches Einkommen von EUR 100,-- bis EUR 200,-- erzielen, und überdies eine "Unterhaltspflicht gegenüber seiner Frau" behauptet, liegen im Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof unzulässige Neuerungen vor.
Entscheidend ist jedoch vor allem, dass den persönlichen Interessen des Beschwerdeführers an einem Verbleib in Österreich das hohe öffentliche Interesse an der Verhinderung der Wiederholung einer derart schweren gewerbsmäßig begangenen Eigentumskriminalität gegenübersteht, wie sie vom Beschwerdeführer jahrelang verübt wurde. Ungeachtet der festgestellten Gesichtspunkte der in Österreich erreichten Integration ist der Eingriff in sein Privat- und Familienleben daher im öffentlichen Interesse in Kauf zu nehmen.
Eine Übung des der belangten Behörde eingeräumten Ermessens zugunsten des Beschwerdeführers wäre auf Grund der dargestellten wiederholten Verurteilungen wegen schwerer Verbrechen und unter Berücksichtigung des raschen Rückfalls selbst nach dem erwähnten Strafvollzug im Dezember 2008 nicht im Sinn des Gesetzes gelegen.
Schließlich rügt die Beschwerde das Unterbleiben ergänzender Erhebungen durch die belangte Behörde als Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften. Insoweit wird jedoch nicht dargestellt, zu welchen weiteren Sachverhaltsfeststellungen (als den bereits erwiesenen Tatsachen) ergänzende Erhebungen konkret geführt hätten, sodass die Darstellung einer Relevanz für den Ausgang des Verfahrens fehlt.
Die Beschwerde erweist sich daher insgesamt als unbegründet, weshalb sie gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen war.
Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich - im Umfang des ziffernmäßigen Begehrens - auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.
Wien, am

Fundstelle(n):
CAAAE-81665