VwGH vom 29.01.2020, Ra 2019/05/0232
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Bayjones und den Hofrat Dr. Moritz sowie die Hofrätin Mag. Rehak als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Wölfl, über die Revision der J K in B, vertreten durch Dr. Josef Wolfgang Deitzer, Rechtsanwalt in 2320 Schwechat, Wiener Straße 36-38/1/24, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichtes Niederösterreich vom , LVwG-AV-36/001-2018, betreffend Versagung einer Baubewilligung (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Gemeindevorstand der Marktgemeinde H; weitere Partei: Niederösterreichische Landesregier ung), zu Recht erkannt:
Spruch
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Die Marktgemeinde H hat der Revisionswerberin Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
1 Mit Bescheid des Bürgermeisters der Marktgemeinde H. vom wurde das Bauansuchen der Revisionswerberin vom , betreffend eine Uferverbauung auf den Grundstücken Nr. 362/4, 362/9 und 362/14, alle KG V, gemäß § 20 Abs. 3 NÖ Bauordnung 2014 (im Folgenden: BO) in Verbindung mit § 20 Abs. 2 Z 17 und Abs. 4 NÖ Raumordnungsgesetz 2014 (im Folgenden: ROG) abgewiesen.
2 Gegen diesen Bescheid erhob die Revisionswerberin Berufung, welche mit Bescheid des Gemeindevorstandes der Marktgemeinde H. vom als unbegründet abgewiesen wurde. 3 Dagegen erhob die Revisionswerberin Beschwerde an das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich (in der Folge: Verwaltungsgericht). Darin führte sie zunächst aus, sie habe über Anraten der Baubehörde einen Antrag auf nachträgliche Baubewilligung gestellt, da aufgrund einer Anzeige anlässlich einer baurechtlichen Überprüfungsverhandlung der Umstand hervorgekommen sei, dass formell eine Baubewilligung für den Uferverbau, der bereits seit dem Jahr 1980/81 in dieser Form bestehe, nicht vorliege. Weiters legte die Revisionswerberin im Wesentlichen dar, sie beziehungsweise ihr Rechtsvorgänger habe im Jahr 1980 das auf Grundstück Nr. 362/6 errichtete Badehaus vom ehemaligen Grundeigentümer und Errichter der Häuser sowie des Uferverbaues und der Einfriedung, G. K., käuflich erworben. G. K. habe seinerzeit für das gesamte Areal des K.sees um Baubewilligung angesucht, dabei sei auch hinsichtlich der zum Zeitpunkt des Erwerbes bestehenden Uferverbauten offensichtlich anlässlich der Bauverhandlung "abgesprochen" und dem Einreichplan die planliche Darstellung der Uferverbauten beigelegt worden. Zum Zeitpunkt der Errichtung der Einfriedung und des Uferverbaues hätten die gegenständlichen Grundstücksflächen die Nutzung Bauland-Sondergebiet beziehungsweise Gewässer aufgewiesen. Vom Bürgermeister der Marktgemeinde H. sei offensichtlich anlässlich der ursprünglichen Baubewilligung übersehen worden, dass im Bescheid lediglich das Badehaus, nicht jedoch die Uferverbauten baubehördlich genehmigt worden seien. Über den diesbezüglichen Antrag sei bis dato nicht entschieden worden.
4 Im Jahr 1992 sei von der Marktgemeinde H. der Flächenwidmungsplan unter anderem im verfahrensgegenständlichen Teilbereich geändert worden, wobei die Intention der Änderung der Flächenwidmung die Anpassung der Widmung an die in der Natur bestehenden tatsächlichen Nutzungen gewesen sei. Warum daher eine Umwidmung jener Teilfläche, auf welcher sich bereits seit 1980 ein Uferverbau und seit 1981/82 eine Einfriedung befunden hätten, entgegen der Intention der Flächenwidmung, auf die tatsächliche Nutzung Bedacht zu nehmen und die Flächenwidmung entsprechend dieser anzupassen, von damals Gewässer beziehungsweise Bauland-Sondergebiete in private Verkehrsfläche vorgenommen worden sei, sei nicht erfindlich, und es werde die Revisionswerberin dadurch in subjektiven Rechten verletzt.
5 Die Unterlassung der Aufnahme der Uferverbauten, welche anlässlich der Einreichung und Baubewilligung beziehungsweise während des Baubewilligungsverfahrens und vor Erlassung des Baubewilligungsbescheides der belangten Behörde bekannt und Gegenstand des Verfahrens gewesen seien, in die Baubewilligung bedeute eine nur teilweise Erledigung des damals von G.K. gestellten Antrages auf Baubewilligung, sodass die diesbezügliche Unterlassung sowie die in weiterer Folge ohne Rücksichtnahme auf Anrainerrechte erfolgte Umwidmung von Teilflächen der verfahrensgegenständlichen Grundstücke in öffentliche Verkehrsflächen Rechtsverletzungen darstellten.
6 Beantragt werde schließlich die Durchführung einer mündlichen Verhandlung.
7 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wurde die Beschwerde der Revisionswerberin als unbegründet abgewiesen und der angefochtene Bescheid bestätigt (Spruchpunkt 1.). Eine ordentliche Revision wurde für unzulässig erklärt (Spruchpunkt 2.).
8 Begründend führte das Verwaltungsgericht im Wesentlichen aus, es sei um nachträgliche Baubewilligung angesucht worden, und das Vorhaben sei unzweifelhaft bewilligungspflichtig. Das Ansuchen wäre nur dann positiv zu erledigen, wenn der Bau den im Zeitpunkt der Entscheidung über das nunmehrige Ansuchen geltenden Vorschriften entspräche.
9 Im Grünland wäre das Bauvorhaben nur dann und nur in jenem Umfang zulässig, als es für eine land- und forstwirtschaftliche Nutzung erforderlich wäre und eine nachhaltige Bewirtschaftung erfolgte (wird näher ausgeführt). Dass die Uferverbauung für die land- und forstwirtschaftliche Nutzung erforderlich sei oder eine solche überhaupt betrieben werde, habe die Revisionswerberin nicht behauptet. Die Uferverbauung verstoße somit gegen die im Flächenwidmungsplan festgelegte Widmung Grünland-Wasserfläche. Das Bauvorhaben wäre ferner auf Grundstücken, welche als Verkehrsflächen gewidmet seien, nur dann und in jenem Umfang zulässig, als es für eine Nutzung gemäß § 18 Abs. 1 oder 2 ROG 1976 notwendig wäre (wird näher ausgeführt). Da keiner dieser Fälle vorliege, sei die Uferverbauung auch mit der Flächenwidmung private Verkehrsfläche nicht vereinbar. Das Verwaltungsgericht habe keine Bedenken gegen die Gesetzmäßigkeit beziehungsweise die Verfassungsmäßigkeit des sich auf die betroffenen Grundstücke beziehenden Flächenwidmungsplanes. 10 Von einer mündlichen Beschwerdeverhandlung habe gemäß § 24 Abs. 4 VwGVG abgesehen werden können, weil die Akten erkennen ließen, dass eine mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lasse und einem Entfall der Verhandlung weder Art. 6 EMRK noch Art. 47 GRC entgegenstünden. Der entscheidungswesentliche Sachverhalt stehe fest.
11 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende Revision mit dem Antrag, es wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes und wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften kostenpflichtig aufzuheben.
Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:
12 Die Revision ist in Anbetracht der Frage der Rechtmäßigkeit des Unterlassens einer mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht zulässig.
13 § 24 Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz, BGBl. I Nr. 33/2013 (VwGVG) in der Fassung BGBl. I Nr. 138/2017, lautet auszugsweise:
"Verhandlung
§24. (1) Das Verwaltungsgericht hat auf Antrag oder, wenn es dies für erforderlich hält, von Amts wegen eine öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen.
(2) Die Verhandlung kann entfallen, wenn
1. der das vorangegangene Verwaltungsverfahren einleitende Antrag der Partei oder die Beschwerde zurückzuweisen ist oder bereits auf Grund der Aktenlage feststeht, dass der mit Beschwerde angefochtene Bescheid aufzuheben oder die angefochtene Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt für rechtswidrig zu erklären ist oder
die Säumnisbeschwerde zurückzuweisen oder abzuweisen ist;
wenn die Rechtssache durch einen Rechtspfleger erledigt
wird.
(3) Der Beschwerdeführer hat die Durchführung einer Verhandlung in der Beschwerde oder im Vorlageantrag zu beantragen. Den sonstigen Parteien ist Gelegenheit zu geben, binnen angemessener, zwei Wochen nicht übersteigender Frist einen Antrag auf Durchführung einer Verhandlung zu stellen. Ein Antrag auf Durchführung einer Verhandlung kann nur mit Zustimmung der anderen Parteien zurückgezogen werden.
(4) Soweit durch Bundes- oder Landesgesetz nicht anderes bestimmt ist, kann das Verwaltungsgericht ungeachtet eines Parteiantrags von einer Verhandlung absehen, wenn die Akten erkennen lassen, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt, und einem Entfall der Verhandlung weder Art. 6 Abs. 1 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten noch Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union entgegenstehen.
..."
14 In der Revision wird im Wesentlichen ausgeführt, das Verwaltungsgericht habe sich in keiner Weise damit auseinandergesetzt, dass bereits im Jahr 1980 anlässlich der Baubewilligungsverhandlung hinsichtlich des Badehauses ein Einreichplan für den gegenständlichen Uferverbau nachgebracht und dieser auch dem Einreichplan, auf welchen sich die baubehördliche Bewilligung des Badehauses stütze, beigeschlossen worden sei. Im Baubewilligungsbescheid und im Benützungsbewilligungsbescheid sei es jedoch unterlassen worden, auch über die gegenständlichen Uferverbauten abzusprechen und die baubehördliche Bewilligung, welche zum damaligen Zeitpunkt und im Umfang der damaligen Flächenwidmungs- und Bebauungsbestimmungen zulässig gewesen wäre, zu erteilen.
15 Weiters äußere sich das Verwaltungsgericht in keiner Weise zur Frage, ob und in welchem Umfang die Änderungen der Flächenwidmung, die laut den vorgelegten Urkunden lediglich zur Anpassung des Flächenwidmungsplanes auf Grund der tatsächlichen baulichen Gegebenheiten hätte geringfügig geändert werden sollen, den Verordnungen des Gemeindevorstandes der Marktgemeinde H. sowie den geltenden Raumordnungsbestimmungen entsprächen. Die vom Gemeindevorstand beschlossene Anpassung des Flächenwidmungsplanes an die tatsächlichen Verbauungsverhältnisse stehe im Widerspruch zur tatsächlich durchgeführten Änderung der Flächenwidmung. 16 In Bezug auf § 24 Abs. 4 VwGVG hat der Verwaltungsgerichtshof bereits wiederholt festgehalten, dass der Gesetzgeber als Zweck der mündlichen Verhandlung die Klärung des Sachverhaltes und die Einräumung von Parteiengehör sowie darüber hinaus auch die mündliche Erörterung einer nach der Aktenlage strittigen Rechtsfrage zwischen den Parteien und dem Gericht vor Augen gehabt hat. Ferner kommt eine ergänzende Beweiswürdigung durch das Verwaltungsgericht regelmäßig erst nach einer mündlichen Verhandlung in Frage. Bei sachverhaltsbezogenem Vorbringen der beschwerdeführenden Parteien ist ebenfalls eine mündliche Verhandlung durchzuführen, dies sogar dann, wenn kein Antrag auf eine solche gestellt worden ist (vgl. etwa , mwN).
17 Vorliegend war die Frage der Gesetzmäßigkeit des der Abweisung des Bauansuchens zugrunde liegenden Flächenwidmungsplanes strittig. In der Beschwerde war - auch in diesem Zusammenhang sachverhaltsrelevantes - Vorbringen erstattet worden, dass nämlich Planungsziel die Anpassung an tatsächliche Nutzungen gewesen sei und die Uferverbauten bereits vorhanden gewesen seien. Schon angesichts dessen wäre eine mündliche Verhandlung durchzuführen gewesen.
18 Die Entscheidung über den Antrag der Revisionswerberin auf Erteilung einer Baubewilligung betrifft einen zivilrechtlichen Anspruch im Sinn des Art. 6 EMRK ("civil right"), weshalb eine Prüfung der Relevanz der Unterlassung einer mündlichen Verhandlung nicht vorzunehmen ist (vgl. , mwN). 19 Das angefochtene Erkenntnis war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben, wobei es sich erübrigt, auf das weitere Revisionsvorbringen einzugehen. 20 Von der Durchführung der beantragten mündlichen Verhandlung war gemäß § 39 Abs. 2 Z 4 VwGG abzusehen.
21 Die Kostenentscheidung beruht auf den § 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014, BGBl. II Nr. 518/2013, in der Fassung BGBl. II Nr. 8/2014.
Wien, am
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ECLI: | ECLI:AT:VWGH:2020:RA2019050232.L00 |
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