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VwGH vom 20.03.2012, 2010/21/0438

VwGH vom 20.03.2012, 2010/21/0438

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Novak und die Hofräte Dr. Pelant, Dr. Sulzbacher und Dr. Pfiel sowie die Hofrätin Dr. Julcher als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Dobner, über die Beschwerde der T in S, vertreten durch Dr. Peter Lechenauer und Dr. Margrit Swozil, Rechtsanwälte in 5020 Salzburg, Hubert-Sattler-Gasse 10, gegen den Bescheid der Bundesministerin für Inneres vom , Zl. 317.522/6-III/4/08, betreffend Daueraufenthaltskarte, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von EUR 991,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Die am geborene Beschwerdeführerin, eine serbische Staatsangehörige, reiste auf Grund eines ihr von der österreichischen Botschaft Belgrad erteilten Visums C (mit Gültigkeit vom 6. Jänner bis zum ) am in das Bundesgebiet ein und nahm in der elterlichen Wohnung in Salzburg Unterkunft. Ihre Mutter ist österreichische Staatsbürgerin. Ihr Vater, ein serbischer Staatsangehöriger, verfügt über einen Niederlassungsnachweis.

Am stellte die Beschwerdeführerin den "Antrag auf Dokumentation" in Form einer Daueraufenthaltskarte.

Im Zuge des Verfahrens brachte sie dazu anwaltlich vertreten (auf das Wesentliche zusammengefasst) vor, ihre Mutter, die ihr - obwohl sie bereits das 21. Lebensjahr vollendet habe - laufend Unterhalt gewähre, habe ihr Recht auf Freizügigkeit dadurch in Anspruch genommen, dass sie am in einen näher bezeichneten Ort nach Deutschland gezogen sei, wo sie sich auch polizeilich angemeldet habe. Am habe das Landratsamt Berchtesgadener Land diesen Umstand in einer "Bescheinigung gemäß § 5 FreizügG/EU" beurkundet. Konkret sei ihre Mutter auf Grund eines Streits mit ihrem Ehemann (dem Vater der Beschwerdeführerin) aus der gemeinsamen Salzburger Wohnung ausgezogen und in die genannte Wohnung in Deutschland eingezogen. Sie selbst, die Beschwerdeführerin, habe vom 11. Jänner bis zum bei ihrer Mutter in Deutschland gewohnt. Unbeschadet des (versehentlichen) Unterbleibens einer persönlichen Abmeldung in Österreich hätten sie beide damals ihren Lebensmittelpunkt in Deutschland gehabt. Am seien die Beschwerdeführerin und ihre Mutter (nach deren Versöhnung mit ihrem Vater) zurück nach Österreich übersiedelt und hätten dort die gemeinsame Wohnung in Salzburg weiter benützt. Die Beschwerdeführerin sei daher gemäß § 54 Abs. 1 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz - NAG Angehörige einer "freizügigkeitsberechtigten EWR-Bürgerin", der nach der genannten Bestimmung eine Daueraufenthaltskarte für die Dauer von 10 Jahren auszustellen sei.

Mit dem angefochtenen Bescheid vom wies die im Devolutionsweg zuständig gewordene belangte Behörde den "Antrag auf Ausstellung einer 'Daueraufenthaltskarte' vom " gemäß § 54 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG) ab.

Begründend stellte sie zum (eben wiedergegebenen) Vorbringen der Beschwerdeführerin fest, diese sei seit mit Hauptwohnsitz in Salzburg bei ihren Eltern aufrecht gemeldet. Zusätzlich habe sie sich am in Deutschland angemeldet und am wieder abgemeldet. Sie sei bei ihrer Mutter auf Besuch gewesen. Ihre Mutter habe sich wegen Streitigkeiten mit ihrem Gatten zusätzlich zu ihrem Hauptwohnsitz in Österreich vom bis an dem genannten Ort in Deutschland angemeldet, wofür eine entsprechende Bescheinigung ausgestellt und vorgelegt worden sei. Nachdem sich die Mutter der Beschwerdeführerin mit ihrem Gatten wieder versöhnt habe, sei sie in die eheliche Wohnung in Salzburg zurückgekehrt.

Rechtlich folgerte die belangte Behörde aus diesen Feststellungen, "dass keine echte und tatsächliche Ausübung des Freizügigkeitsrechtes (der Mutter der Beschwerdeführerin) in Deutschland vorliege", weil diese "lediglich für kurze Zeit, auf Grund von Ehestreitigkeiten nach Deutschland gezogen" sei. Darüber hinaus stünden "einer korrekten Ausübung der Freizügigkeit" durchgehende Versicherungszeiten vom bis und eine seit durchgehende Hauptwohnsitzmeldung in Österreich entgegen. Sie sei in Deutschland keiner Beschäftigung nachgegangen, sondern unverändert in Österreich erwerbstätig gewesen. Die Beschwerdeführerin sei somit nicht "Angehörige eines gemeinschaftsrechtlich aufenthaltsberechtigten EWR-Bürgers" und falle daher "nicht unter den § 54 NAG".

Über die gegen diesen Bescheid gerichtete Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof nach Aktenvorlage durch die belangte Behörde erwogen:

Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass im Hinblick auf den Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides (am ) die Rechtslage des NAG idF des FrÄG 2009, BGBl. I Nr. 122, maßgeblich ist. Die §§ 54, 54a und 57 NAG in dieser Fassung lauten auszugsweise:

"Aufenthaltskarten für Angehörige eines EWR-Bürgers

§ 54. (1) Drittstaatsangehörige, die Angehörige von gemeinschaftsrechtlich aufenthaltsberechtigten EWR-Bürgern (§ 51) sind und die in § 52 Abs. 1 Z 1 bis 3 genannten Voraussetzungen erfüllen, sind zum Aufenthalt für mehr als drei Monate berechtigt. Ihnen ist auf Antrag eine Aufenthaltskarte für die Dauer von fünf Jahren oder für die geplante kürzere Aufenthaltsdauer auszustellen. Dieser Antrag ist innerhalb von vier Monaten ab Einreise zu stellen. § 1 Abs. 2 Z 1 gilt nicht.

(2) ...

Daueraufenthaltskarten

§ 54a. (1) Drittstaatsangehörige, die Angehörige von gemeinschaftsrechtlich aufenthaltsberechtigten EWR-Bürgern sind und die in § 52 Abs. 1 Z 1 bis 3 genannten Voraussetzungen erfüllen, erwerben das Daueraufenthaltsrecht, wenn sie sich fünf Jahre ununterbrochen rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten haben.

§ 53a Abs. 2 ist bei der Berechnung der Fünfjahresfrist zu berücksichtigen.

(2) ...

(3) Zum Daueraufenthalt berechtigten Angehörigen gemäß Abs. 1 und 2 ist auf Antrag bei Vorliegen der Voraussetzungen der Abs. 1 und 2 eine Daueraufenthaltskarte für die Dauer von zehn Jahren auszustellen. Dieser Antrag ist vor Ablauf der Gültigkeitsdauer der Aufenthaltskarte zu stellen. § 1 Abs. 2 Z 1 gilt nicht.

Schweizer Bürger und deren Angehörige

sowie Angehörige von Österreichern

§ 57. Die Bestimmungen der §§ 51 bis 56 finden auch auf Schweizer Bürger, die das ihnen auf Grund des Freizügigkeitsabkommens EG-Schweiz zukommende Aufenthaltsrecht von mehr als drei Monaten in Anspruch genommen haben, und deren Angehörige Anwendung. Für Angehörige von Österreichern gelten die Bestimmungen der §§ 52 bis 56 sinngemäß, sofern der Österreicher sein gemeinschaftsrechtliches oder das ihm auf Grund des Freizügigkeitsabkommens EG-Schweiz zukommende Aufenthaltsrecht von mehr als drei Monaten in einem anderen EWR-Mitgliedstaat oder in der Schweiz in Anspruch genommen hat und im Anschluss an diesen Aufenthalt nach Österreich nicht bloß vorübergehend zurückkehrt."

Auf Basis dieser Rechtslage ist einleitend anzumerken, dass im Fall der Beschwerdeführerin nur mehr die Ausstellung einer Aufenthaltskarte in Betracht gekommen wäre.

In der Sache kann das gemäß § 54 Abs. 1 NAG geltend gemachte, von ihrer Mutter abgeleitete unionsrechtliche Aufenthaltsrecht der Beschwerdeführerin nach dem Inhalt des angefochtenen Bescheides aber nicht abschließend beurteilt werden. Die belangte Behörde hat nämlich über den Beginn und die Dauer einer faktischen Wohnungnahme der Mutter der Beschwerdeführerin in Deutschland (die mit einer polizeilichen Meldung nicht gleichgesetzt werden kann) in rechtlicher Verkennung der Notwendigkeit keine Feststellungen getroffen.

Jedenfalls dann, wenn eine tatsächliche, effektive (und nicht bloß - was der Begründung des angefochtenen Bescheides allerdings nicht entnommen werden kann - zum Schein erfolgte) Wohnungnahme in Deutschland von mehr als drei Monaten (laut Vorbringen der Beschwerdeführerin vom bis zum ) hervorgekommen wäre, erschiene dies gemäß § 57 NAG als ausreichende Grundlage für die Dokumentation eines unionsrechtlich begründeten Aufenthaltsrechts der Beschwerdeführerin (vgl. zuletzt das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2010/22/0011).

Eine neben der Begründung eines Wohnsitzes ausgeübte Berufstätigkeit in Deutschland kann dagegen für eine relevante Ausübung der Freizügigkeit nicht gefordert werden. Auch die ohne wirtschaftliche Zweckbindung erfolgende Ausübung der Freizügigkeit nach Art. 21 AEUV samt daraus folgender Inanspruchnahme des unionsrechtlichen Aufenthaltsrechtes ist nämlich von § 57 NAG erfasst. Hat also die Mutter der Beschwerdeführerin als österreichische Staatsbürgerin ihr Recht nach Art. 7 der Richtlinie 2004/38/EG ausgeübt und ist sie im Anschluss daran nicht bloß vorübergehend nach Österreich zurückgekehrt, so ist der Beschwerdeführerin als ihrer Familienangehörigen ebenso das Recht einzuräumen, sich für mehr als drei Monate oder auf Dauer im Bundesgebiet aufzuhalten (vgl. dazu neuerlich das zitierte hg. Erkenntnis vom , mwN).

Diese Umstände hat die belangte Behörde unberücksichtigt gelassen, sodass der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben war.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich - im Umfang des Begehrens - auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.

Wien, am

Fundstelle(n):
RAAAE-81634