VwGH vom 20.10.2011, 2008/18/0570
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Pallitsch, den Hofrat Mag. Eder, die Hofrätinnen Mag. Merl und Mag. Dr. Maurer-Kober sowie den Hofrat Mag. Straßegger als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Krawarik, über die Beschwerde des D S in W, vertreten durch Mag. Gerald Schefcik, Rechtsanwalt in 1030 Wien, Reisnerstraße 29/7, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom , Zl. E1/529.209/2007, betreffend Zurückweisung einer Berufung in einer Angelegenheit nach dem FPG, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
I.
Die Bundespolizeidirektion Wien, Fremdenpolizeiliches Büro, erließ mit Bescheid vom gegen den Beschwerdeführer, einen indischen Staatsangehörigen, gemäß § 60 Abs. 1 iVm Abs. 2 Z. 7 Fremdenpolizeigesetz 2005 - FPG ein auf die Dauer von fünf Jahren befristetes Aufenthaltsverbot. Dagegen erhob der Flughafen-Sozialdienst namens des Beschwerdeführers eine Berufung und brachte zur behaupteten Bevollmächtigung vor, aus dem Schreiben des Beschwerdeführers vom gehe hervor, der Beschwerdeführer habe den Flughafen-Sozialdienst ermächtigt, ihn in seinen fremden- und asylrechtlichen Angelegenheiten zu vertreten bzw. die nötigen Rechtsmittel zu ergreifen. Das genannte - in englischer Sprache verfasste - Schreiben war der Berufung angeschlossen.
Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung ohne weiteres Verfahren zurück.
In ihrer Begründung führte die belangte Behörde aus, das beigelegte Schreiben des Bescheidadressaten stelle keine Bevollmächtigung zum Einschreiten im fremdenpolizeilichen Verfahren dar. Darin werde - selbst bei großzügigster Betrachtungsweise - der Flughafen-Sozialdienst lediglich zum weiteren Einschreiten gegen einen negativen Asylbescheid ermächtigt, wie sich das aus dem Inhalt des Schreibens und aus dessen Kopf, in dem (nur) "die Aktenzahl des Bundesasylamts Wien" angeführt sei, ergebe. Vom gegenständlichen Aufenthaltsverbotsverfahren sei in diesem Schriftstück keine Rede.
Das Schreiben sei - sofern es überhaupt als Erteilung einer Vertretungsbefugnis interpretierbar sei - soweit eindeutig, dass daraus keine Bevollmächtigung im fremdenpolizeilichen Verfahren ableitbar sei, weshalb keine Zweifel im Sinn des § 10 Abs. 2 AVG vorlägen und auch kein Mängelbehebungsauftrag gemäß § 13 Abs. 3 AVG zu erteilen gewesen sei.
Der Flughafen-Sozialdienst sei daher ohne Vertretungsmacht eingeschritten, sodass der Berufungsantrag zurückzuweisen gewesen sei.
II.
Der Verwaltungsgerichtshof hat über die gegen diesen Bescheid gerichtete Beschwerde nach Vorlage der Verwaltungsakten und Erstattung einer Gegenschrift durch die belangte Behörde erwogen:
Da der Beschwerdeführer behauptet, die Berufung sei in seinem Namen erhoben worden, und weil dieses Rechtsmittel von der belangten Behörde - wie sich aus dem Spruch und der Begründung des angefochtenen Bescheides ergibt - jedoch nicht ihm zugerechnet wurde, kann er in einem subjektivöffentlichen Recht verletzt sein und kommt ihm auch die Beschwerdelegitimation zu (vgl. das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2001/04/0209).
Die Beschwerde bringt vor, die Nichtvorlage einer schriftlichen Vollmacht stelle gemäß § 10 Abs. 2 AVG ein im Sinn des § 13 Abs. 3 AVG behebbares Formgebrechen dar, weshalb ein Mängelbehebungsauftrag zu erteilen gewesen wäre. Dieses Vorbringen führt die Beschwerde zum Erfolg.
Gemäß § 10 Abs. 1 AVG (idF BGBl. I Nr. 158/1998) können sich u. a. die Beteiligten durch eigenberechtigte natürliche Personen, juristische Personen, Personengesellschaften des Handelsrechts oder eingetragene Erwerbsgesellschaften vertreten lassen. Bevollmächtigte haben sich durch eine schriftliche, auf Namen oder Firma lautende Vollmacht auszuweisen.
Gemäß Abs. 2 leg. cit. richten sich Inhalt und Umfang der Vertretungsbefugnis nach den Bestimmungen der Vollmacht; hierüber auftauchende Zweifel sind nach den Vorschriften des bürgerlichen Rechts zu beurteilen. Die Behörde hat die Behebung etwaiger Mängel unter sinngemäßer Anwendung des § 13 Abs. 3 AVG von Amts wegen zu veranlassen.
§ 13 Abs. 3 AVG (idF BGBl. I Nr. 10/2004) sieht vor, dass Mängel schriftlicher Anbringen die Behörde nicht zur Zurückweisung ermächtigen. Die Behörde hat vielmehr von Amts wegen unverzüglich deren Behebung zu veranlassen und kann dem Einschreiter die Behebung des Mangels mit der Wirkung auftragen, dass das Anbringen nach fruchtlosem Ablauf einer gleichzeitig zu bestimmenden, angemessenen Frist zurückgewiesen wird. Wird der Mangel rechtzeitig behoben, so gilt das Anbringen als ursprünglich richtig eingebracht.
Das in englischer Sprache abgefasste in deutscher Sprache nicht vorliegende Schreiben des Beschwerdeführers an den Flughafen-Sozialdienst vom enthält - worauf sich die belangte Behörde vornehmlich stützt - im Kopf bei den Angaben des Beschwerdeführers auch die Aktenzahl eines anhängigen Asylverfahrens des Beschwerdeführers. Im Text verweist er auf die Beendigung seines Aufenthalts in Österreich und schildert die Vorgänge der letzten eineinhalb Monate, wie etwa seine Festnahme vom und die Verhängung der Schubhaft zur Durchsetzung der Aufenthaltsbeendigung. Am Ende des Schreibens bittet er, eine Berufung gegen die negative Entscheidung in seinem Fall und gegen die Haft zu versuchen und eine solche zu erheben, weil er seinen Aufenthalt in Österreich fortsetzen und hier als normaler Mensch leben möchte.
Aus dem Verwaltungsakt ergibt sich, dass die Verhängung der Schubhaft auf den Aufenthaltsverbotstatbestand des § 60 Abs. 2 Z. 7 FPG und die durchsetzbare Ausweisung auf Grund der Entscheidung des Bundesasylamtes mit Nennung der oben genannten Aktenzahl gestützt wurde.
Das vom Beschwerdeführer an den Flughafen-Sozialdienst gerichtete Ersuchen, eine Berufung zu erheben, stellt jedenfalls den Antrag auf Abschluss eines Auftragsvertrages dar, welcher vom Flughafen-Sozialdienst spätestens mit Erfüllung des Auftrags durch Erhebung der Berufung angenommen wurde. Da Auftrag und Vollmacht häufig miteinander verbunden werden, weshalb das ABGB auch beide Institute unter dem Titel "Bevollmächtigungsvertrag" regelt (vgl. Hengstschläger/Leeb , AVG § 10 Rz 6, mwN), und die Erteilung von Vertretungsmacht zur Erfüllung dieses Auftrags auch zu erwarten ist, liegt nach den Vorschriften des bürgerlichen Rechts zumindest eine konkludente Bevollmächtigung (§ 863 ABGB) nahe und ist die Erteilung einer Vertretungsbefugnis keinesfalls auszuschließen. Soweit die belangte Behörde an der Bestellung des Flughafen-Sozialdienstes zum Vertreter des Beschwerdeführers Zweifel hegte, hätte sie von Amts wegen entsprechende Ermittlungen vorzunehmen gehabt (vgl. das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2008/18/0284).
Nicht gefolgt werden kann der belangten Behörde, wenn sie den Inhalt der Erklärung des Beschwerdeführers vom als nur auf das weitere Einschreiten gegen den negativen Asylbescheid beschränkt ansah, weil in diesem Schreiben auch allgemein von der Aufenthaltsbeendigung in Österreich die Rede ist und die Festnahme vom mit Verhängung der Schubhaft genannt wird. Letztere wurde nicht nur auf die Ausweisung durch das Bundesasylamt, sondern auch auf einen Aufenthaltsverbotstatbestand gestützt, sodass der zwei Tage später erlassene und auf § 60 Abs. 2 Z. 7 FPG gestützte Bescheid nicht eindeutig von dem weitere fünf Tage danach verfassten Schreiben des Beschwerdeführers mit der Bitte um Erhebung einer Berufung ausgenommen ist. Die Angabe der das Asylverfahren des Beschwerdeführers betreffenden Aktenzahl im Kopf des Schriftstücks vom kann daher nicht zwingend als Einschränkung der Vollmacht angesehen werden.
Die belangte Behörde ging zu Unrecht von einem zweifelsfreien Fehlen einer Bevollmächtigung im fremdenpolizeilichen Verfahren aus und unterließ auf Verkennung der Rechtslage beruhend die Vornahme von Ermittlungen oder die Erteilung eines Mängelbehebungsauftrags zur Vorlage einer entsprechenden Vollmacht (vgl. Walter/Thienel, Verwaltungsverfahrensgesetze I2 § 10 AVG E 75) und die Feststellung entscheidungserheblicher Sachverhaltselemente.
Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008, BGBl. II Nr. 455.
Wien, am