VwGH vom 21.11.2011, 2008/18/0549
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Pallitsch, den Hofrat Mag. Eder, die Hofrätinnen Mag. Merl und Mag. Dr. Maurer-Kober sowie den Hofrat Mag. Straßegger als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Krawarik, über die Beschwerde des A C in W, vertreten durch Mag. Dr. Helmut Blum, Rechtsanwalt in 4020 Linz, Mozartstraße 11/6, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom , Zl. E1/148.574/2008, betreffend Ausweisung gemäß § 54 FPG, zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von EUR 610,60 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
I.
1. Mit dem im Instanzenzug ergangenen, angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde den Beschwerdeführer, einen türkischen Staatsangehörigen, gemäß § 54 Abs. 1 Z. 2 Fremdenpolizeigesetz 2005 - FPG aus dem Bundesgebiet aus.
Dieser Maßnahme legte sie im Wesentlichen zugrunde, dass der Beschwerdeführer seit über Aufenthaltstitel zum Zweck der Ausbildung oder des Studiums verfüge. Er habe zunächst vier Semester lang den "Vorstudienlehrgang zur Absolvierung der deutschen Sprache" abgelegt und sich danach trotz eines Zulassungsbescheids der TU Wien zum Bachelorstudium - Informatik in einer Fachhochschule für Elektronik eingeschrieben, ohne dort jemals eine Prüfung abgelegt zu haben. Seit dem Sommersemester 2007 sei er erneut an der TU Wien inskribiert und habe bislang keine einzige Prüfung abgelegt. Der tatsächliche Aufenthaltszweck des Beschwerdeführers sei daher ein anderer als zur Absolvierung des Studiums, das lediglich als Vorwand für seine Beschäftigung als Geschäftsführer einer KG diene. Damit gefährde er das maßgebliche öffentliche Interesse an der Wahrung eines geordneten Fremdenwesens im Hinblick auf die strenge Zweckbindung der erteilten Aufenthaltstitel, weshalb der in § 11 Abs. 2 Z. 1 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz - NAG normierte Versagungsgrund verwirklicht sei und die Voraussetzungen zur Erlassung der Ausweisung im Grund des § 54 Abs. 1 FPG vorlägen.
Die Ausweisung des ledigen Beschwerdeführers, der keine Sorgepflichten habe und familiäre Bindungen zu den im gemeinsamen Haushalt lebenden Eltern aufweise, sei zulässig, weil sie zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele - hier: zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung auf dem Gebiete des Fremdenwesens - dringend geboten sei. Die aus der Aufenthaltsdauer ableitbaren persönlichen Interessen würden in ihrem Gewicht durch den völlig unzureichenden Studienerfolg gemindert. Seine Beziehung zu den Eltern werde insofern relativiert, als der Beschwerdeführer längst volljährig sei. Seine berufliche Tätigkeit könne den privaten Interessen im gegebenen Zusammenhang kein entscheidendes Gewicht verleihen. Die Auswirkung der Ausweisung auf die Lebenssituation des Beschwerdeführers wöge keinesfalls schwerer als das in seinem Fehlverhalten gegründete hohe öffentliche Interesse an seinem Verlassen des Bundesgebietes.
Besondere Gründe für eine Ermessensentscheidung zugunsten des Beschwerdeführers seien nicht ersichtlich.
2. Gegen diesen Bescheid richtet sich die Beschwerde mit dem Begehren, ihn wegen Rechtswidrigkeit seines Inhalts und wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
3. Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift mit dem Antrag auf Abweisung der Beschwerde. Zur Gegenäußerung des Beschwerdeführers verfasste sie eine zweite Gegenschrift.
II.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
1. Aus dem vorgelegten Verwaltungsakt (AS 17) ergibt sich, dass der Beschwerdeführer mit Bescheid des Rektors der Technischen Universität Wien vom ab dem Sommersemester 2003 bzw. ab dem Wintersemester 2003/2004 unter der Voraussetzung der Ablegung der Ergänzungsprüfung für den Nachweis der deutschen Sprache zum ordentlichen Studium der Studienrichtung Informatik - Bakkalaureatsstudien an der Technischen Universität Wien zugelassen wurde. Der Beschwerdeführer selbst räumt ein, bislang nur über jährlich verlängerte Aufenthaltstitel als Student verfügt zu haben und von der Behörde anlässlich seines zuletzt am gestellten Verlängerungsantrages von der Absicht, mangels eines Nachweises des Studienerfolgs und ausreichender Unterhaltsmittel ein Verfahren zur Aufenthaltsbeendigung einzuleiten, in Kenntnis gesetzt worden zu sein. Er bestreitet auch nicht die im angefochtenen Bescheid getroffenen Feststellungen über die Absolvierung lediglich eines Deutschkurses und das Fehlen jeglichen Prüfungserfolgs für das Bachelorstudium - Informatik. Im Hinblick darauf begegnet die Auffassung der belangten Behörde, dass der wahre Zweck des Aufenthaltes des Beschwerdeführers nicht im Betreiben eines Studiums liege und sohin eine Beeinträchtigung des großen öffentlichen Interesses an der Aufrechterhaltung eines geordneten Fremdenwesens gegeben und der Tatbestand des § 11 Abs. 2 Z. 1 NAG erfüllt sei, weshalb auch die Voraussetzungen des § 54 Abs. 1 Z. 2 FPG verwirklicht seien (vgl. dazu etwa das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2008/18/0555, mwN), keinen Bedenken.
2.1. In Bezug auf die Interessenabwägung nach § 66 FPG bringt die Beschwerde vor, die belangte Behörde hätte einzelfallbezogen prüfen müssen, dass seine Beziehung zu den Eltern von einer Intensität geprägt sei, die der Beziehung von Minderjährigen und ihren Eltern gleichkomme, weil er nicht nur bei ihnen wohne, sondern diese auch für seinen Lebensunterhalt sorgten. Seine Freunde seien ihm Stütze und Hilfe in wesentlichen Lebenslagen und schätzten ihn als exzellenten Techniker. Das so gebildete Netzwerk könne für ihn zum Grundstein seiner beruflichen Karriere werden. Ebenso baue er durch seine berufliche Tätigkeit, die mit seinem Studium eng verwandt sei, bereits für seine Zukunft vor. Diese Anknüpfungspunkte fehlten ihm in der Türkei, weil er sich entschieden habe, diese in Österreich zu schließen. Auch sei zu berücksichtigen, dass er sich in Österreich immer wohlverhalten habe und den Gebietskörperschaften nicht zur Last falle.
2.2. Mit diesem Vorbringen zeigt die Beschwerde keine Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides auf.
Im Rahmen der Interessenabwägung nach § 66 FPG berücksichtigte die belangte Behörde zugunsten des Beschwerdeführers dessen Beziehungen zu seinen Eltern, mit denen er im gemeinsamen Haushalt lebt, und den Umstand, dass der Beschwerdeführer längst volljährig ist. Dass die Eltern für den Lebensunterhalt des Beschwerdeführers aufkommen, wird durch die Ausweisung nicht entscheidungswesentlich beeinträchtigt, weil eine derartige Alimentierung - soweit sie über die gemeinsame Haushaltsführung hinausgeht - auch in das Ausland möglich ist. Eine große Bedeutung des Freundeskreises als Stütze und Hilfe in wesentlichen Lebenslagen und ein dadurch gebildetes Netzwerk als Grundstein der beruflichen Karriere des Beschwerdeführers wurden im Verwaltungsverfahren nicht vorgebracht und stellen daher im verwaltungsgerichtlichen Verfahren eine unzulässige Neuerung dar (§ 41 Abs. 1 VwGG). Das Gleiche gilt für den behaupteten Konnex der Berufstätigkeit zu seinem Studium und eine daraus resultierende Vorsorge für seine Zukunft. Der Ansicht der belangten Behörde, dass die aus der Aufenthaltsdauer des Beschwerdeführers ableitbaren persönlichen Interessen in ihrem Gewicht entscheidend dadurch gemindert werden, dass er bisher ausschließlich zum vorübergehenden Zweck des Studiums aufenthaltsberechtigt war, aber nur einen völlig unzureichenden Studienerfolg aufzuweisen hat, und der Aufenthaltszweck ein anderer war, kann nicht entgegengetreten werden. Daher vermag auch das pauschal vorgetragene Fehlen von Anknüpfungspunkten des Beschwerdeführers in der Türkei nicht die Interessenabwägung zu seinen Gunsten zu führen, zumal nicht ersichtlich ist, warum es ihm nicht möglich wäre, in seinem Heimatstaat Kontakte neu zu knüpfen. Den somit eher gering zu gewichtenden persönlichen Interessen steht die Gefährdung der öffentlichen Ordnung auf dem Gebiet des Fremdenwesens gegenüber. Bei Abwägung dieser Interessen begegnet die Ansicht der belangten Behörde, dass die Ausweisung zur Erreichung von im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Zielen dringend geboten sei und die Auswirkungen dieser Maßnahme auf die Lebenssituation des Beschwerdeführers nicht schwerer wögen als die nachteiligen Folgen der Abstandnahme von ihrer Erlassung, keinen Bedenken. Die von der belangten Behörde vorgenommene Interessenabwägung erfolgte entgegen seinem Vorbringen nicht bloß formelhaft und unter Verwendung von Textbausteinen.
3. Eine Verletzung des Art. 6 EMRK kommt - entgegen der in der Beschwerde vertretenen Auffassung - schon deshalb nicht in Betracht, weil fremdenpolizeiliche Maßnahmen nicht dem Anwendungsbereich des Art. 6 EMRK unterliegen. Die belangte Behörde war auch nicht verpflichtet, den Beschwerdeführer persönlich zu befragen (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2010/18/0251, mwN).
4. Der Beschwerdeführer beantragte in der Berufung gegen den erstinstanzlichen Bescheid die Vernehmung seiner Eltern zum Beweis des Vorbringens seiner Integration, seines Verhältnisses zu den Eltern und zum Freundeskreis. Das in der Beschwerde gerügte Unterbleiben der Anhörung seiner Eltern zur Frage, dass für ihn sein Studium tatsächlich oberste Priorität hätte, kann der belangten Behörde daher schon mangels eines dahingehenden Beweisantrags im Verwaltungsverfahren nicht als Verstoß gegen die Verfahrensvorschriften angelastet werden. Das darüber hinaus gerügte Unterbleiben der Befragung der Eltern über sein Verhältnis zu ihnen geht ins Leere, weil die belangte Behörde diese Feststellungen traf und davon keine inhaltliche Abweichung, sondern nicht erhebliche (vgl. oben II.2.2.) Ergänzungen releviert werden.
5. Angesichts der vom Beschwerdeführer übergangenen Ausführungen im erstinstanzlichen Bescheid (dort Seite 2 Abs. 3 und 6), wonach er auf Grund seines Engagements betreffend Unternehmensgründung vordringlich die Sicherung seiner Lebensgrundlage beabsichtige und der Aufenthaltszweck des Studiums klar in den Hintergrund trete, sowie über die mangelnde Ernsthaftigkeit betreffend Erreichung des angegebenen Studienziels in ökonomisch kürzester Zeit, kann der Beschwerdeführer von der Auffassung der belangten Behörde, dass sein tatsächlicher Aufenthaltszweck ein anderer sei als derjenige der Absolvierung des Studiums, nicht überrascht worden sein, entsprechen diese Formulierungen doch der bereits an den Beschwerdeführer gerichteten Mitteilung gemäß § 25 Abs. 1 NAG vom (Aktenseite 204 verso). Der Beschwerdeführer hatte also mehrfach die Gelegenheit, sich dazu Gehör zu verschaffen. Eine zusätzliche Beweisaufnahme zu diesem Thema wurde von der belangten Behörde nicht vorgenommen, sodass sich eine Anhörung des Beschwerdeführers zu diesem Thema erübrigte.
6. Die Beschwerde war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.
7. Von der Durchführung der beantragten Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z. 6 VwGG abgesehen werden.
8. Der Spruch über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.
Wien, am
Fundstelle(n):
PAAAE-81571