VwGH vom 16.02.2012, 2008/18/0528
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Pallitsch, den Hofrat Mag. Eder, die Hofrätinnen Mag. Merl und Mag. Dr. Maurer-Kober sowie den Hofrat Mag. Straßegger als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Krawarik, über die Beschwerde des Z L in H, vertreten durch Dr. Elmar Kresbach, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Schottengasse 4/4.St./29, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom , Zl. E1/217.156/2007, betreffend Feststellung gemäß § 51 Abs. 1 FPG, zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Begründung
I.
1. Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid stellte die belangte Behörde gemäß § 51 Abs. 1 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG) fest, dass keine stichhaltigen Gründe für die Annahme bestünden, dass der Beschwerdeführer, ein kroatischer Staatsangehöriger, in Kroatien gemäß § 50 Abs. 1 oder 2 FPG bedroht sei.
Begründend führte die belangte Behörde zusammengefasst aus, der Beschwerdeführer sei in W geboren und aufgewachsen und habe den Beruf des Kellners erlernt. Nach diversen einschlägigen Verurteilungen nach dem Suchtgiftgesetz sei gegen den Beschwerdeführer im Instanzenzug ein unbefristetes Aufenthaltsverbot erlassen und der Beschwerdeführer abgeschoben worden; nach einer darauf erfolgten illegalen Einreise sei er erneut abgeschoben worden. Am habe er einen Antrag auf Aufhebung des gegen ihn erlassenen unbefristeten Aufenthaltsverbots gestellt, dem mit Bescheid der Erstbehörde vom stattgegeben worden sei. Nach Verurteilung durch das Landesgericht für Strafsachen Wien am zu einer unbedingten Freiheitsstrafe im Ausmaß von 5 Jahren wegen schweren Raubes sei erneut gegen ihn ein unbefristetes Aufenthaltsverbot erlassen worden. In einer Niederschrift vom vor der Erstbehörde habe der Beschwerdeführer angegeben, verheiratet zu sein und Sorgepflichten für ein Kind zu haben. Seine Frau habe sich von ihm getrennt und er kenne ihren Aufenthaltsort nicht. Ansonsten lebe seine gesamte Familie in Österreich. Seit Oktober 2005 sei er ohne Beschäftigung und habe Arbeitslosenunterstützung erhalten. Er sei nicht im Besitz von Barmitteln. Sollte er in seine Heimat abgeschoben werden, so habe er weder mit strafrechtlichen noch mit politischen Problemen zu rechnen.
Am habe der Beschwerdeführer einen Antrag gemäß § 51 FPG gestellt, den er damit begründet habe, dass sein Leben im Falle einer Abschiebung sowohl finanziell als auch menschlich bedroht wäre, weil er in seiner früheren Heimat "in keinster Weise mehr Kontakte habe und sohin dort auf Grund (s)einer fehlenden Integration schwersten Nachteilen in jeder Hinsicht ausgesetzt" wäre. Es sei "die politische und wirtschaftliche Situation in (s)einer Exheimat ja amtsbekannt". In seiner Berufung gegen den erstinstanzlichen Bescheid habe der Beschwerdeführer angegeben, dass "das Stützen der Erstbehörde auf ein(e) im Jahr 1996 durchgeführte Vernehmung nicht ausreichend sei", und es jedenfalls amtsbekannt wäre, dass ein kroatischer Staatsbürger seinen militärischen Präsenzdienst ableisten müsse und damit sehr wohl wegen des bisherigen Aufenthalts in Österreich mit einer behördlichen Verfolgung des Beschwerdeführers zu rechnen wäre. Auch sei der Beschwerdeführer aufgrund seines Aufenthaltes in Österreich nicht in Kenntnis allfälliger Straf- oder Behördenverfahren in Kroatien gegen ihn, weshalb die Behörde jedenfalls eine offizielle Anfrage in Kroatien hätte durchführen müssen.
In rechtlicher Hinsicht führte die belangte Behörde aus, dass weder aus dem festgestellten Sachverhalt noch aus der Aussage des Beschwerdeführers vom und seinem weiteren schriftlichen Vorbringen erkennbar sei, dass der Beschwerdeführer im Fall seiner Abschiebung nach Kroatien dort gemäß § 50 Abs. 1 oder Abs. 2 FPG bedroht sei. Seine Ausführungen hätten sich auf allgemeine Floskeln beschränkt. Auch habe er in einer Niederschrift vor der Erstbehörde am noch angegeben, er habe in seiner Heimat weder mit strafrechtlichen noch mit politischen Problemen zu rechnen. Mit den weiteren Angaben des Beschwerdeführers, aufgrund seines Aufenthalts in Österreich nicht in Kenntnis allfälliger Straf- oder Behördenverfahren in Kroatien gegen ihn zu sein, weshalb die Behörde jedenfalls eine offizielle Anfrage in Kroatien hätte durchführen müssen, damit der Beschwerdeführer beruhigt ausreisen könne, verkenne der Beschwerdeführer den Schutzzweck der §§ 50 und 51 FPG.
2. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde mit dem Begehren, ihn wegen Rechtswidrigkeit seines Inhalts und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
3. Die belangte Behörde verwies auf die Vorlage der Akten des Verwaltungsverfahrens zur Beschwerdesache des Beschwerdeführers betreffend Erlassung eines unbefristeten Aufenthaltsverbots (Zl. 2011/23/0261, vormals 2008/18/0520) und erstattete keine Gegenschrift.
II.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
1. Gemäß § 51 Abs. 1 erster Satz FPG in der hier anzuwendenden Stammfassung des BGBl. I Nr. 100/2005 hat die Behörde auf Antrag eines Fremden mit Bescheid festzustellen, ob stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, dass dieser Fremde in einem von ihm bezeichneten Staat gemäß § 50 Abs. 1 oder 2 FPG bedroht ist.
§ 50 FPG (in der hier anzuwendenden Stammfassung) lautet auszugsweise wie folgt:
"§ 50. (1) Die Zurückweisung, die Hinderung an der Einreise, Zurückschiebung oder Abschiebung Fremder in einen Staat ist unzulässig, wenn dadurch Art. 2 oder 3 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK), BGBl. Nr. 210/1958, oder das Protokoll Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten über die Abschaffung der Todesstrafe verletzt würde oder für sie als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konflikts verbunden wäre.
(2) Die Zurückweisung oder Zurückschiebung Fremder in einen Staat oder die Hinderung an der Einreise aus einem Staat ist unzulässig, wenn stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, dass dort ihr Leben oder ihre Freiheit aus Gründen ihrer Rasse, ihrer Religion, ihrer Nationalität, ihrer Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder ihrer politischen Ansichten bedroht wäre (Art. 33 Z 1 der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 55/1955, in der Fassung des Protokolls über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 78/1974), es sei denn, es bestehe eine innerstaatliche Fluchtalternative (§ 11 AsylG 2005)."
Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs zum Feststellungsverfahren nach § 51 Abs. 1 FPG hat der Fremde das Bestehen einer aktuellen, also im Fall der Abschiebung in den von seinem Antrag erfassten Staat dort gegebenen, durch staatliche Stellen zumindest gebilligten oder infolge nicht ausreichenden Funktionierens der Staatsgewalt nicht abwendbaren Bedrohung im Sinn des § 50 Abs. 1 oder 2 FPG glaubhaft zu machen, wobei diese aktuelle Bedrohungssituation mittels konkreter, die Person des Fremden betreffender, durch entsprechende Bescheinigungsmittel untermauerter Angaben darzutun ist. Die Behörde hat - ebenso wie im Asylverfahren - die konkrete Einzelsituation des Fremden in ihrer Gesamtheit, gegebenenfalls vor dem Hintergrund der allgemeinen Verhältnisse, in Form einer Prognose für den gedachten Fall der Abschiebung des Fremden in diesen Staat zu beurteilen; für diese Beurteilung ist nicht unmaßgeblich, ob allenfalls gehäufte Verstöße im Sinn des § 50 Abs. 1 FPG durch den betroffenen Staat bekannt geworden sind (vgl. das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2007/18/0343, mwN).
Einer unmenschlichen Behandlung im Sinn des Art. 3 EMRK kann auch das Fehlen jeglicher Existenzgrundlage gleichkommen; eine Bedrohungssituation in diesem Sinn ist daher - entsprechende Anhaltspunkte vorausgesetzt - in einem Verfahren gemäß § 51 FPG zu prüfen (vgl. das zitierte Erkenntnis vom , Zl. 2007/18/0343, mwN).
Die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) betont in diesem Zusammenhang allerdings die "Exzeptionalität" der Umstände, die vorliegen müssen, um die Außerlandesschaffung eines Fremden im Hinblick auf außerhalb staatlicher Verantwortlichkeit liegende Gegebenheiten im Zielstaat im Widerspruch zu Art. 3 EMRK erscheinen zu lassen (vgl. das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2000/01/0443, mit Hinweisen auf die Judikatur des EGMR).
2. Der Beschwerdeführer brachte in seinem Antrag vom vor, dass sein Leben im Falle einer Abschiebung sowohl finanziell als auch menschlich bedroht wäre, da er in seiner "früheren Heimat" "in keinster Weise mehr Kontakte habe und sohin dort auf Grund seiner fehlenden Integration schwersten Nachteilen in jeder Hinsicht ausgesetzt" wäre. Es sei "die politische und wirtschaftliche Situation in (s)einer Exheimat amtsbekannt". In seiner Berufung gegen den erstinstanzlichen Bescheid gab der Beschwerdeführer an, dass es nicht ausreiche, wenn sich die Erstbehörde auf eine im Jahr 1996 durchgeführte Vernehmung stütze, sowie, dass es jedenfalls amtsbekannt wäre, dass ein kroatischer Staatsbürger seinen militärischen Präsenzdienst ableisten müsse und damit der Beschwerdeführer sehr wohl wegen des bisherigen Aufenthalts in Österreich mit einer behördlichen Verfolgung rechnen müsse. Auch sei er aufgrund seines Aufenthaltes in Österreich nicht in Kenntnis allfälliger Straf- oder Behördenverfahren in Kroatien gegen ihn, weshalb die Behörde jedenfalls eine offizielle Anfrage in Kroatien hätte durchführen müssen.
3. Mit diesen Ausführungen hat der Beschwerdeführer allerdings die ihn im Fall seiner Abschiebung nach Kroatien treffende aktuelle Bedrohungssituation nicht durch konkrete, seine Person betreffende Angaben im Sinn der angeführten Rechtsprechung ausreichend dargetan; das referierte Vorbringen des Beschwerdeführers erschöpft sich weitgehend in der Behauptung allgemeiner politischer und wirtschaftlicher Probleme Kroatiens und folgert aus dem behaupteten Umstand, dass der Beschwerdeführer keine Kontakte in Kroatien habe, wenig überzeugend, dass er sohin dort auf Grund seiner fehlenden Integration schwersten Nachteilen in jeder Hinsicht ausgesetzt wäre.
Diese Darlegungen führen gerade keine stichhaltigen Gründe für die Annahme einer existenziellen Bedrohung des Beschwerdeführers in Kroatien in der durch den EGMR für eine Subsumtion unter Art. 3 EMRK geforderten Exzeptionalität an (vgl. wiederum das bereits zitierte hg. Erkenntnis vom ). In diesem Zusammenhang sei auch auf das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2001/01/0030, verwiesen; in dem dieser Entscheidung zu Grunde liegenden Verwaltungsverfahren war die Behörde - anders als im vorliegenden Fall - mit Anhaltspunkten für eine nicht ausreichende Versorgung eines Fremden in seiner Heimat (Angola) mit Lebensmitteln, Trinkwasser und adäquater medizinischer Betreuung konfrontiert.
Die belangte Behörde ist somit zu Recht davon ausgegangen, dass keine stichhaltigen Gründe für die Annahme bestehen, der Beschwerdeführer sei in Kroatien gemäß § 50 Abs. 1 oder 2 FPG bedroht.
4.1. Die Beschwerde rügt nun wiederum, dass dem Beschwerdeführer im Fall seiner Abschiebung "schwerwiegendste Nacheile" dadurch drohten, dass er - zusammengefasst - wegen seiner Verfestigung in Österreich von kroatischen Staatsangehörigen nicht mehr als Kroate wahrgenommen würde, er die kroatische Schriftsprache nicht ordnungsgemäß beherrsche, keine sozialen Kontakte in Kroatien, sowie "keine unmittelbare Chancen auf eine legale Arbeit" besäße und auch nicht mit staatlicher Unterstützungsleistung rechnen könne. Daher könne er weder für seinen Unterhalt, noch für jenen seiner minderjährigen Tochter aufkommen. Sohin könne er "nur unter schwierigen Verhältnissen Anschluss an den dort vorherrschenden Lebensrhythmus finden".
Im Sinne der oben erwähnten Rechtsprechung des EGMR ist dieses Vorbringen weder geeignet, eine Gefährdungssituation gemäß § 50 Abs. 2 FPG darzulegen, noch ist daraus abzuleiten, dass der - arbeitsfähige und als Kellner ausgebildete - Beschwerdeführer in Kroatien mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit in eine ausweglose Lebenssituation geraten würde; auch im Hinblick auf die allgemeine politische und menschenrechtliche Situation in Kroatien lässt sich ebenso wenig auf eine - den Beschwerdeführer betreffende - Gefährdung im Sinne des § 50 Abs. 1 FPG schließen.
4.2. Der Beschwerdeführer rügt ferner als Verletzung von Verfahrensvorschriften, dass es die belangte Behörde unterlassen habe, festzustellen, ob gegen ihn in Kroatien allfällige Straf- oder Verwaltungsverfahren anhängig seien.
Auch dazu ist auf die eingangs angeführte ständige Rechtsprechung zu verweisen, wonach der Fremde das Bestehen einer aktuellen, also im Fall der Abschiebung in den von seinem Antrag erfassten Staat dort gegebenen, durch staatliche Stellen zumindest gebilligten oder infolge nicht ausreichenden Funktionierens der Staatsgewalt nicht abwendbaren Bedrohung im Sinn des § 50 Abs. 1 oder 2 FPG glaubhaft zu machen hat, wobei diese aktuelle Bedrohungssituation mittels konkreter, die Person des Fremden betreffender, durch entsprechende Bescheinigungsmittel untermauerter Angaben darzutun ist. Der Hinweis auf die bloß abstrakte Möglichkeit (irgend-)eines Straf- oder Verwaltungsverfahrens vermag eine derartige Glaubhaftmachung jedenfalls nicht zu ersetzen.
5. Da sich die Beschwerde somit als unbegründet erweist, war sie gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen.
Wien, am