VwGH vom 22.09.2011, 2008/18/0527
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Pallitsch und den Hofrat Mag. Eder, die Hofrätin Mag. Merl sowie die Hofräte Mag. Haunold und Mag. Straßegger als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Krawarik, über die Beschwerde des XX in S, geboren am , gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom , Zl. E1/166.043/2008, betreffend Ausweisung gemäß § 53 FPG, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.286,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
I.
Mit dem angefochtenen, im Instanzenzug ergangenen Bescheid wies die belangte Behörde den - im Zeitpunkt der Bescheiderlassung 16-jährigen - Beschwerdeführer, einen indischen Staatsangehörigen, gemäß § 53 Abs. 1 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG) aus dem Bundesgebiet aus.
Begründend führte die belangte Behörde aus, der Beschwerdeführer sei mit einem von bis gültigen Reisevisum in das Bundesgebiet eingereist. Seit sei er mit Hauptwohnsitz im Bundesgebiet aufrecht gemeldet. Nach Ablauf der Gültigkeit des Visums sei der Beschwerdeführer nicht wieder ausgereist. Bis dato verfüge er nicht über einen Aufenthaltstitel. Er habe sohin seinen Aufenthalt in Österreich unrechtmäßig fortgesetzt. Demnach seien die Voraussetzungen zur Erlassung einer Ausweisung im Grunde des § 53 Abs. 1 FPG gegeben.
Nach Wiedergabe des im Verwaltungsverfahren erstatteten Vorbringens führte die belangte Behörde - ohne Feststellungen zu diesem Vorbringen zu treffen - aus, selbst wenn auf Grund des bisherigen Aufenthalts des Beschwerdeführers im Bundesgebiet mit seiner Ausweisung ein Eingriff in sein Privat- und Familienleben verbunden wäre, sei dieser Eingriff zur Erreichung von im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Zielen, hier: zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung auf dem Gebiet des Fremdenwesens, dringend geboten. Den die Einreise und den Aufenthalt von Fremden regelnden Vorschriften und deren Befolgung durch den Normadressaten komme aus der Sicht des Schutzes und der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung ein besonders hoher Stellenwert zu. Dagegen habe der Beschwerdeführer, der nach Ablauf seines Visums unrechtmäßig im Bundesgebiet geblieben sei, gravierend verstoßen.
II.
Der Verwaltungsgerichtshof hat über die gegen diesen Bescheid gerichtete Beschwerde nach Vorlage der Verwaltungsakten und Erstattung einer Gegenschrift durch die belangte Behörde erwogen:
In der Beschwerde wird nicht behauptet, dass der Beschwerdeführer im Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides über irgendeine Berechtigung zum Aufenthalt im Bundesgebiet verfügt hätte. Vor diesem Hintergrund stellen sich die Ausführungen der belangten Behörde, es seien der Beschwerdeführer unrechtmäßig im Bundesgebiet aufhältig und demgemäß der die Erlassung einer Ausweisung ermöglichende Tatbestand des § 53 Abs. 1 FPG erfüllt, als unbedenklich dar.
Der Beschwerdeführer wendet sich allerdings gegen die von der belangten Behörde nach § 66 FPG vorgenommene Interessenabwägung und führt dazu aus, die belangte Behörde habe jegliche "aktenkundige Tatsache der Integration" des Beschwerdeführers unberücksichtigt gelassen. Sie sei - ebenso wie schon die Behörde erster Instanz - nicht im Geringsten auf seine erheblichen Bindungen im Bundesgebiet eingegangen. Die Beschwerde ist berechtigt.
Der - im Zeitpunkt der Bescheiderlassung minderjährige - Beschwerdeführer machte bereits im Verwaltungsverfahren geltend, sein leiblicher (im Heimatland lebender) Vater sei schwer alkoholkrank und unter Alkoholeinfluss gewalttätig. Seine (ebenfalls im Heimatland lebende) Mutter sei mit dieser Situation völlig überfordert. Sie sei - ohne sich auch noch um den Beschwerdeführer kümmern zu können - bereits damit beschäftigt, sich und die minderjährige Tochter vor dem Vater zu schützen. Der Beschwerdeführer habe große Angst vor seinem Vater und wolle daher lieber bei seinem Onkel, der bereits österreichischer Staatsbürger sei, und seiner Tante in Österreich leben. Am sei auch bereits ein Antrag auf Genehmigung der Adoption des Beschwerdeführers durch diese Personen gestellt worden. Auch die Kinder der in Aussicht genommenen Wahleltern hätten den Beschwerdeführer bereits als Familienmitglied aufgenommen. Über Auftrag des Bezirksgerichts Meidling habe auch der "Verein Eltern für Kinder" einen Bericht erstattet, wonach die Adoption befürwortet werde. Darüber hinaus seien bereits bei der Niederlassungsbehörde Schritte eingeleitet worden, um den Aufenthalt des Beschwerdeführers zu legalisieren.
Dieses Vorbringen erachtete die belangte Behörde bereits mit dem Argument für nicht weiter beachtlich, den öffentlichen Interessen müsse ein derart hohes Gewicht beigemessen werden, sodass sich die Erlassung der gegenständlichen Ausweisung infolge des unrechtmäßigen Aufenthalts des Beschwerdeführers jedenfalls auch nach Art. 8 EMRK als zulässig darstelle.
Im Ergebnis vertritt die belangte Behörde somit die Auffassung, in einer Konstellation, wie sie hier vorliegt, habe allein schon wegen des unrechtmäßigen Aufenthalts die Interessenabwägung nach § 66 FPG immer zu Lasten des Fremden auszugehen. Damit hat die belangte Behörde die Rechtslage verkannt. Entgegen ihrer Ansicht ist das im Verwaltungsverfahren erstattete Vorbringen des - wie nochmals zu betonen ist - minderjährigen Beschwerdeführers nicht von vornherein ungeeignet, Umstände mit ausreichendem Gewicht darzulegen, die dazu führen könnten, dass ihm nach Art. 8 EMRK ein Anspruch auf Erteilung eines Aufenthaltstitels einzuräumen wäre. Dann aber würde sich auch die Erlassung der gegenständlichen Ausweisung als nicht zulässig darstellen.
Der angefochtene Bescheid war sohin wegen - prävalierender - Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.
Wien, am
Fundstelle(n):
GAAAE-81509