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VwGH vom 15.05.2013, 2013/08/0069

VwGH vom 15.05.2013, 2013/08/0069

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Waldstätten und die Hofräte Dr. Strohmayer und Dr. Lehofer als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Berthou, über die Beschwerde des M K in I, vertreten durch Mag. Paul Hechenberger, Rechtsanwalt in 6020 Innsbruck, Bozner Platz 7, gegen den auf Grund eines Beschlusses des Ausschusses für Leistungsangelegenheiten ausgefertigten Bescheid der Landesgeschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Tirol vom , Zl. LGSTi/IV/0566/-702/2013-R, betreffend Verlust des Arbeitslosengeldes, zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Begründung

Wie sich aus der Beschwerde und dem mit ihr vorgelegten angefochtenen Bescheid ergibt, hat die regionale Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Innsbruck (AMS) mit Bescheid vom ausgesprochen, dass der Beschwerdeführer gemäß § 10 AlVG seinen Anspruch auf Arbeitslosengeld für den Zeitraum vom bis zum verloren hat. Er habe eine ihm vom AMS zugewiesene zumutbare Beschäftigung bei der K. GmbH nicht angenommen. Gründe für eine Nachsicht der Rechtsfolgen lägen nicht vor.

Die gegen diesen Bescheid erhobene Berufung des Beschwerdeführers hat die belangte Behörde mit dem angefochtenen Bescheid abgewiesen. Der Beschwerdeführer habe nach seiner Haftentlassung auf Grund seines Antrags vom ab dem Arbeitslosengeld in der Höhe von EUR 21,75 täglich bezogen. Bei Antragstellung habe er eine Bestätigung der Haftentlassungshilfe N. vom vorgelegt. Darin habe Dr. J Z bestätigt, dass der Beschwerdeführer im Rahmen der Bewährungshilfe betreut werde.

Am sei dem Beschwerdeführer vom AMS eine Beschäftigung als Produktionsarbeiter bei der K. GmbH mit einer dem Kollektivvertrag entsprechenden Entlohnung zugewiesen worden. Der Beschwerdeführer habe am zu arbeiten begonnen. Allerdings habe er diesen Arbeitsplatz gleich wieder verlassen. Den Angaben der Dienstgeberin zu Folge sei der Beschwerdeführer "nach einer halben Stunde vom Arbeitsplatz verschwunden und nicht mehr aufgetaucht".

Der Beschwerdeführer habe dies am bestritten und angegeben, er hätte laut Dienstvertrag als Staplerfahrer beschäftigt werden sollen. Dies sei aber nach Ansicht der Dienstgeberin nicht möglich gewesen. Er sei sodann an einer Schneidemaschine von einem türkischen Vorarbeiter angeleitet worden. In der Folge sei ihm beim Zuschneiden ein Fehler passiert. Der Vorarbeiter habe angefangen mit ihm zu schreien. Auf Grund seiner Hafterlebnisse habe er darauf den Arbeitsplatz ohne Angabe von Gründen verlassen, um sicher zu gehen "nicht auszuflippen".

Eine Mitarbeiterin der Dienstgeberin - so die belangte Behörde weiter - habe dem AMS mitgeteilt, dass dem Beschwerdeführer eine Stelle als Lagerarbeiter und Staplerfahrer vermittelt worden sei. Da der Beschwerdeführer noch keinen Führerschein besessen habe, sei er bis zu dessen Erlangung als Lagerarbeiter bei der V. GmbH (als Leiharbeiter) eingesetzt worden. Die Zuschneidearbeit sei ein Teilbereich der Lagerarbeit. Für die Tätigkeit an der Schneidemaschine reiche eine kurze Einschulung durch den Vorarbeiter aus. Spezielle Vorkenntnisse seien nicht notwendig. Der Beschwerdeführer habe Papierbögen zuschneiden und dann ins Lager bringen müssen. Er sei zwar zum Arbeitsantritt erschienen, habe jedoch die Arbeit nach ca. einer halben Stunde niedergelegt und den Arbeitsplatz ohne Erklärung verlassen. Ein Dienstverhältnis sei nicht zustande gekommen.

In seiner Berufung - so die belangte Behörde weiter - habe der Beschwerdeführer die Problematik hinsichtlich seiner Aggressionsbereitschaft dargelegt und erklärt, den Arbeitsplatz verlassen zu haben, nachdem ihn der Vorarbeiter auf Grund eines Fehlers angeschrien habe. Das von seinem Bewährungshelfer empfohlene bewusst passive Verhalten bei Auftreten einer Konfliktsituation möge den Beschwerdeführer zwar im Hinblick auf seine Bewährung vor einer weiteren Verurteilung schützen, sei aber im Berufsleben nicht tragbar. Mit dem Auftreten von - zum Teil auch lauten - Auseinandersetzungen und Meinungsverschiedenheiten sei auf jedem Arbeitsplatz immer wieder zu rechnen. Der Beschwerdeführer habe bei seinem unvermittelten Verlassen des Arbeitsplatzes den Vorarbeiter bzw. seine Vorgesetzten ohne jede Erklärung zurückgelassen. Angesichts der Konfliktsituation hätte der Beschwerdeführer zumindest die personalverantwortlichen Personen aufsuchen und auf die Problematik hinsichtlich seiner Aggressionsbereitschaft hinweisen müssen. Er habe durch das wortlose Verlassen des Arbeitsplatzes sein Desinteresse an der Beschäftigung zum Ausdruck gebracht und ein Verhalten gesetzt, welches das Zustandekommen des Beschäftigungsverhältnisses bzw. die Arbeitsaufnahme bei der von der K. GmbH vermittelten Arbeitsstelle bei der V. GmbH vereitelt habe. Der Ausspruch des Verlustes des Arbeitslosengeldes für den angegebenen Zeitraum sei zu Recht erfolgt.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen hat:

Gemäß § 9 Abs. 1 AlVG ist arbeitswillig, wer (unter anderem) bereit ist, eine durch die regionale Geschäftsstelle vermittelte zumutbare Beschäftigung in einem Arbeitsverhältnis als Dienstnehmer im Sinne des § 4 Abs. 2 ASVG anzunehmen oder von einer sonst sich bietenden Arbeitsmöglichkeit Gebrauch zu machen.

Eine Beschäftigung ist gemäß § 9 Abs. 2 AlVG zumutbar, wenn sie den körperlichen Fähigkeiten der arbeitslosen Person angemessen ist, ihre Gesundheit und Sittlichkeit nicht gefährdet, angemessen entlohnt ist, in einem nicht von Streik oder Aussperrung betroffenen Betrieb erfolgen soll, in angemessener Zeit erreichbar ist oder eine entsprechende Unterkunft am Arbeitsort zur Verfügung steht sowie gesetzliche Betreuungsverpflichtungen eingehalten werden können.

Gemäß § 10 Abs. 1 Z 1 AlVG verliert eine arbeitslose Person, wenn sie sich weigert, eine ihr von der regionalen Geschäftsstelle oder einen vom Arbeitsmarktservice beauftragten, die Arbeitsvermittlung im Einklang mit den Vorschriften der §§ 2 bis 7 AMFG durchführenden Dienstleister zugewiesene zumutbare Beschäftigung anzunehmen oder die Annahme einer solchen Beschäftigung vereitelt, für die Dauer der Weigerung, mindestens jedoch für die Dauer der auf die Pflichtverletzung folgenden sechs Wochen, den Anspruch auf Arbeitslosengeld.

Diese Bestimmungen sind Ausdruck des dem gesamten Arbeitslosenversicherungsrecht zu Grunde liegenden Gesetzeszweckes, den arbeitslos gewordenen Versicherten, der trotz Arbeitsfähigkeit und Arbeitswilligkeit nach Beendigung seines Beschäftigungsverhältnisses keine neue Beschäftigung gefunden hat, möglichst wieder durch Vermittlung einer ihm zumutbaren Beschäftigung in den Arbeitsmarkt einzugliedern und ihn so in die Lage zu versetzen, seinen Lebensunterhalt ohne Zuhilfenahme öffentlicher Mittel zu bestreiten. Wer eine Leistung der Versichertengemeinschaft der Arbeitslosenversicherung in Anspruch nimmt, muss sich daher darauf einstellen, eine ihm angebotene zumutbare Beschäftigung auch anzunehmen, d.h. bezogen auf eben diesen Arbeitsplatz arbeitswillig zu sein (vgl. zB das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2009/08/0114).

Um sich in Bezug auf eine von der regionalen Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice vermittelte zumutbare Beschäftigung arbeitswillig zu zeigen, bedarf es grundsätzlich einerseits eines auf die Erlangung dieses Arbeitsplatzes ausgerichteten (und daher unverzüglich zu entfaltenden) aktiven Handelns des Arbeitslosen, andererseits auch der Unterlassung jedes Verhaltens, welches objektiv geeignet ist, das Zustandekommen des konkret angebotenen Beschäftigungsverhältnisses zu verhindern.

Das Nichtzustandekommen eines die Arbeitslosigkeit beendenden zumutbaren Beschäftigungsverhältnisses kann vom Arbeitslosen - abgesehen vom Fall der ausdrücklichen Weigerung, eine angebotene Beschäftigung anzunehmen -, somit auf zwei Wegen verschuldet, die Annahme der Beschäftigung also auf zwei Wegen vereitelt werden:

Nämlich dadurch, dass der Arbeitslose ein auf die Erlangung des Arbeitsplatzes ausgerichtetes Handeln erst gar nicht entfaltet (etwa durch Unterlassung der Vereinbarung eines Vorstellungstermins oder Nichtantritt der Arbeit), oder dadurch, dass er den Erfolg seiner (nach außen zu Tage getretenen) Bemühungen durch ein Verhalten, welches nach allgemeiner Erfahrung geeignet ist, den potenziellen Dienstgeber von der Einstellung des Arbeitslosen abzubringen, zunichte macht (vgl. zB das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2008/08/0151).

Bei der Beurteilung, ob ein bestimmtes Verhalten eines Vermittelten als Vereitelung im Sinne des § 10 Abs. 1 AlVG zu qualifizieren ist, kommt es zunächst darauf an, ob dieses Verhalten für das Nichtzustandekommen des Beschäftigungsverhältnisses ursächlich war. Dabei ist nicht Voraussetzung, dass das Beschäftigungsverhältnis ohne die Vereitelungshandlung in jedem Fall zustande gekommen wäre. Vielmehr ist Kausalität dann gegeben, wenn die Chancen für das Zustandekommen eines Beschäftigungsverhältnisses aufgrund der Vereitelungshandlung jedenfalls verringert wurden. Ist die Kausalität zwischen dem Verhalten des Vermittelten und dem Nichtzustandekommen des Beschäftigungsverhältnisses zu bejahen, dann muss noch geprüft werden, ob der Vermittelte vorsätzlich gehandelt hat, wobei bedingter Vorsatz (dolus eventualis) genügt. Ein bloß fahrlässiges Handeln, also die Außerachtlassung der gehörigen Sorgfalt, reicht zur Verwirklichung des Tatbestandes nicht hin (vgl. das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2008/08/0243).

Die Beschwerde bringt zunächst vor, dass der Beschwerdeführer die ihm zugewiesene Stelle als Produktionsmitarbeiter angenommen und seine Arbeit angetreten habe. Bei diesem Sachverhalt könne schon rein begrifflich nach dem Gesetzeswortlaut des § 10 Abs. 1 Z 1 AlVG keine Sanktionierung stattfinden.

Dem ist zu erwidern, dass nicht jedes Dienstverhältnis bereits mit seinem Antritt die Arbeitslosigkeit beendet und in weiterer Konsequenz die Anwendbarkeit des § 11 AlVG (und nicht des § 10 AlVG) bewirkt. Angesichts der von der belangten Behörde festgestellten und vom Beschwerdeführer nicht bestrittenen Umstände einer Tätigkeit, die lediglich eine halbe Stunde gedauert hat, lag jedenfalls noch kein die Arbeitslosigkeit im Sinn der obigen Ausführungen beendendes Dienstverhältnis vor. Der Beschwerdeführer war folglich weiterhin arbeitslos im Sinne der §§ 9 und 10 AlVG (vgl. die hg. Erkenntnisse vom , Zl. 2002/08/0040 und vom , Zl. 2006/08/0260).

Der Beschwerdeführer macht weiters geltend, er sei wegen früherer Gewaltdelikte vorbestraft und am bedingt aus der Strafhaft entlassen worden. Er bekämpfe sein Problem, in dem er unter anderem ein Antigewalttraining absolviere. Eine vorrangige Direktive bestehe darin, "sich bei allfälligen konfliktträchtigen Situationen möglichst passiv zu verhalten und sich am besten umgehend aus für ihn prekären Situationen zurückzuziehen". Das Antigewalttraining sei noch nicht abgeschlossen gewesen. Die gerichtlich angeordnete Bewährungshilfe sei noch aufrecht. Er habe ernstlich damit rechnen müssen "auszuflippen". Die vom Vorarbeiter (unwissentlich) geschaffene Situation habe für ihn einen "Notstand" dargestellt, den er nicht habe voraussehen können.

Dem ist zu entgegnen, dass es für einen Arbeitslosen in der Situation des Beschwerdeführers keineswegs die einzige Alternative darstellt, den Arbeitsplatz einfach zu verlassen und den Arbeitgeber über die Motive dieses Verhaltens völlig im Unklaren zu lassen. Dass Gründe vorgelegen wären, die es dem Beschwerdeführer unmöglich oder unzumutbar gemacht hätten, sich einerseits der Konfliktsituation mit seinem Vorarbeiter zu entziehen und andererseits mit dem Arbeitgeber (bzw. mit dem Beschäftiger) ein klärendes Gespräch zu suchen, hat er nicht behauptet. Ihm ist klar gewesen, dass sein Verhalten objektiv geeignet ist, die Chancen für die Erlangung des Arbeitsplatzes erheblich zu vermindern. Er hat dies jedoch in Kauf genommen und damit diesbezüglich zumindest bedingt vorsätzlich gehandelt. Damit hat er nach dem Gesagten die Annahme der Beschäftigung im Sinn des § 10 Abs. 1 Z 1 AlVG vereitelt.

Vor diesem Hintergrund liegen auch die in der Beschwerde behaupteten Verletzungen von Verfahrensvorschriften nicht vor, zumal die Beschwerde nicht vorbringt, zu welchem Sachverhalt "der gerichtlich bestellte Bewährungshelfer und der Antigewalttrainer" hätten vernommen werden sollen. Ob dem Beschwerdeführer in Bezug auf die Vereitelung des Beschäftigungsverhältnisses ein Verschulden vorzuwerfen ist, ist eine Rechtsfrage.

Der Beschwerdeführer bringt schließlich vor, die belangte Behörde habe das Vorliegen von berücksichtigungswürdigen Gründen im Sinn des § 10 Abs. 3 AlVG zu Unrecht verneint, weil "der Verlust des Anspruches den Beschwerdeführer nicht nur wirtschaftlich, sondern auch in seinem Bemühen um Wiedereingliederung härter trifft, als dies sonst ganz allgemein der Fall ist".

Ein berücksichtigungswürdiger Fall im Sinn des § 10 Abs. 3 AlVG kann nur dann vorliegen, wenn der Arbeitslose in der Folge entweder selbst ein Verhalten gesetzt hat, welches den potentiellen Schaden, der durch seine Nichteinstellung entstanden ist, ganz oder teilweise wieder beseitigt (also insbesondere durch alsbaldige tatsächliche Aufnahme einer anderen Beschäftigung), oder wenn ihm sein Verhalten ausnahmsweise aus besonderen (jedenfalls nicht auf Dauer vorliegenden und auch die Verfügbarkeit oder die Arbeitsfähigkeit nicht ausschließenden) Gründen im Einzelfall nicht vorgeworfen werden kann. Es kommt dabei aber nicht auf persönliche finanzielle Umstände an; ebenso wenig können auf Grund der Systematik des Gesetzes jene Umstände zur Annahme eines berücksichtigungswürdigen Falles im Sinn des § 10 Abs. 3 AlVG führen, die schon im Zusammenhang mit der Zumutbarkeit der Beschäftigung im Sinn des § 9 Abs. 2 und 3 AlVG von Bedeutung sind und deren Prüfung ergeben hat, dass sie diese Zumutbarkeit nicht ausschließen (vgl. das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2008/08/0018).

Für das Vorliegen der genannten Gründe beim Beschwerdeführer ergaben sich keinerlei Anhaltspunkte. Dem in der Beschwerde erwähnten Bemühen um Wiedereingliederung, das sie durch den Verlust des Arbeitslosengeldes gefährdet sieht, würde nicht die Vereitelung einer Beschäftigung, sondern deren Erlangung und Beibehaltung nützlich sein.

Da somit bereits der Beschwerdeinhalt erkennen lässt, dass die behauptete Rechtsverletzung nicht vorliegt, war die Beschwerde gemäß § 35 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren in nicht öffentlicher Sitzung als unbegründet abzuweisen.

Wien, am