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VwGH vom 08.06.2010, 2008/18/0514

VwGH vom 08.06.2010, 2008/18/0514

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Sulyok, den Hofrat Dr. Enzenhofer, die Hofrätin Mag. Merl und die Hofräte Dr. Lukasser und Mag. Haunold als Richter, im Beisein des Schriftführers Dr. Schmidl, über die Beschwerde der F A in W, geboren am , vertreten durch Dr. Lennart Binder, Rechtsanwalt in 1030 Wien, Rochusgasse 2, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom , Zl. E1/177.220/2008, betreffend Ausweisung gemäß § 53 FPG, zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Die Beschwerdeführerin hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von EUR 57,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

I.

1. Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien (der belangten Behörde) vom wurde die Beschwerdeführerin, eine türkische Staatsangehörige, gemäß § 53 Abs. 1 Fremdenpolizeigesetz 2005 - FPG, BGBl. I Nr. 100, ausgewiesen.

Die Beschwerdeführerin sei am mit einem von der Österreichischen Botschaft Ankara ausgestellten Visum C, gültig bis , in das Bundesgebiet eingereist und habe am letzten Tag der Gültigkeitsdauer dieses Visums einen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels eingebracht, der im Instanzenzug mit Bescheid des Bundesministers für Inneres vom rechtskräftig abgewiesen worden sei. Ein weiterer, am gestellter Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels sei abermals im Instanzenzug mit Bescheid vom abgewiesen worden. Somit stehe fest, dass sich die Beschwerdeführerin seit Ablauf ihres Visums am ohne entsprechenden Aufenthaltstitel - somit unrechtmäßig - im Bundesgebiet aufhalte. Dadurch seien die Voraussetzungen zur Erlassung einer Ausweisung - vorbehaltlich der Bestimmungen des § 66 Abs. 1 FPG - im Grunde des § 53 Abs. 1 leg. cit. gegeben.

Der Vater der Beschwerdeführerin sei österreichischer Staatsbürger. Die Beschwerdeführerin lebe mit ihren Eltern und zwei Geschwistern im gemeinsamen Haushalt. Daher sei von einem Eingriff in das Privat- und Familienleben der Beschwerdeführerin auszugehen. Dieser sei jedoch zulässig, weil er zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele - hier: zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung auf dem Gebiet des Fremdenwesens - dringend geboten sei. Gerade den die Einreise und den Aufenthalt von Fremden regelnden Vorschriften und deren Befolgung durch den Normadressaten komme aus der Sicht des Schutzes und der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung ein besonders hoher Stellenwert zu. Gegen dieses Interesse verstoße der mehrjährige unrechtmäßige Weiterverbleib im Bundesgebiet trotz bereits abgewiesener Anträge auf Erteilung eines Aufenthaltstitels jedoch gravierend.

In der Berufung sei eingewendet worden, das Verfahren bezüglich der "Verlängerung" des Aufenthaltstitels sei noch nicht abgeschlossen, sondern bei den Höchstgerichten anhängig. Der Grund für die Ablehnung (gemeint wohl: Abweisung), das zu geringe Einkommen der Familie, sei bereits weggefallen.

Abgesehen davon - so die belangte Behörde -, dass der Antrag der Beschwerdeführerin im Instanzenzug mit Bescheid vom nicht wegen mangelnder Unterhaltsmittel, sondern vielmehr gemäß § 21 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG) - sohin wegen unzulässiger Inlandsantragstellung - abgewiesen worden sei, führe die Anhängigkeit eines Verfahrens über einen Erstantrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels zu keiner Einschränkung der behördlichen Ermächtigung zur Erlassung einer Ausweisung.

Die bewirkte Beeinträchtigung des hoch zu veranschlagenden maßgeblichen öffentlichen Interesses an der Wahrung eines geordneten Fremdenwesens sei daher von solchem Gewicht, dass die gegenläufigen privaten und familiären Interessen nicht höher zu bewerten seien als das Interesse der Allgemeinheit an der Ausreise der Beschwerdeführerin aus dem Bundesgebiet. Die Erlassung der Ausweisung erweise sich daher als dringend geboten und zulässig im Sinn des § 53 Abs. 1 FPG.

Mangels sonstiger, besonders zu Gunsten der Beschwerdeführerin sprechender Umstände habe die belangte Behörde keine Veranlassung gesehen, von der Erlassung der Ausweisung im Rahmen des ihr zustehenden Ermessens Abstand zu nehmen.

2. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde mit dem Begehren, ihn wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

3. Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor, sah jedoch von der Erstattung einer Gegenschrift ab.

II.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

1. Die Beschwerde stellt nicht in Abrede, dass sich die am mit einem Visum C eingereiste Beschwerdeführerin nach Ablauf dieses Visums weiterhin im Bundesgebiet aufhält, ihre beiden Anträge auf Erteilung von Aufenthaltstiteln abgewiesen wurden und sie sich somit ohne einen Aufenthaltstitel hier aufhält. Im Hinblick darauf begegnet die Auffassung, dass die Tatsachenvoraussetzung des § 53 Abs. 1 FPG erfüllt sei, keinen Bedenken.

Soweit sich die Beschwerde auf die Richtlinie 2004/38/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom über das Recht der Unionsbürger und ihrer Familienangehörigen, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten, bezieht, ist für die Beschwerdeführerin - abgesehen davon, dass dieses Vorbringen gegen das im Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof geltende Neuerungsverbot (§ 41 Abs. 1 VwGG) verstößt - nichts zu gewinnen, weil weder im Lauf des Verwaltungsverfahrens noch in der Beschwerde vorgebracht wurde, dass ihr Vater jemals von seinem Recht auf Freizügigkeit Gebrauch gemacht hätte. Nach ständiger Rechtsprechung des EuGH sind die Vertragsbestimmungen über die Freizügigkeit und die zur Durchführung dieser Bestimmungen erlassenen Maßnahmen nicht auf Tätigkeiten anwendbar, die mit keinem relevanten Element über die Grenzen eines Mitgliedstaates hinausweisen (vgl. das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2008/18/0512, mit Hinweisen auf die Judikatur des EuGH).

2. Die Beschwerde wendet sich auch gegen die Beurteilung der belangten Behörde im Grunde des § 66 Abs. 1 FPG und bringt dazu vor, die Beschwerdeführerin erfülle alle Voraussetzungen, die vom Verfassungsgerichtshof und vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte als "Bleiberecht" definiert worden seien. Sie sei integriert, spreche Deutsch, sei als Minderjährige nach Österreich gekommen und habe nach der damaligen Gesetzeslage einen Aufenthaltstitel vom Inland aus stellen dürfen, habe diverse Kurse absolviert und falle dem österreichischen Staat nicht zur Last. Die Dauer des Aufenthaltes betrage schon mehr als fünf Jahre. In ihrem Herkunftsstaat habe sie keinerlei familiären Rückhalt und keine Existenzmöglichkeit.

Mit diesem Vorbringen zeigt die Beschwerde keine Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides auf.

Bei der Prüfung der Zulässigkeit der Ausweisung im Grunde des § 66 Abs. 1 FPG hat die belangte Behörde den inländischen Aufenthalt der Beschwerdeführerin seit Juli 2002 sowie den gemeinsamen Haushalt mit ihren Eltern und Geschwistern berücksichtigt und zutreffend einen mit der Ausweisung verbundenen relevanten Eingriff in ihr Privat- und Familienleben angenommen. Die aus der Dauer des inländischen Aufenthaltes resultierenden persönlichen Interessen sind jedoch an Gewicht insoweit zu relativieren, als dieser Aufenthalt fast ausschließlich, nämlich seit , unrechtmäßig ist. Entgegen der Beschwerdeansicht war die Beschwerdeführerin auch zum Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides bereits volljährig. Dass die Beschwerdeführerin verheiratet sei oder Sorgepflichten im Bundesgebiet habe, wurde ebenso wenig vorgebracht wie eine allfällige berufliche Integration.

Zu Recht hat die belangte Behörde darauf hingewiesen, dass dem öffentlichen Interesse an der Einhaltung der die Einreise und den Aufenthalt von Fremden regelnden Vorschriften durch den Normadressaten aus der Sicht des Schutzes und der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung (Art. 8 Abs. 2 EMRK) ein hoher Stellenwert zukommt. Dieses maßgebliche öffentliche Interesse hat die Beschwerdeführerin durch ihren unrechtmäßigen Verbleib in Österreich bis zur Erlassung des angefochtenen Bescheides gravierend beeinträchtigt. Hinzu kommt, dass die Beschwerdeführerin bereits mit Abweisung ihres ersten Antrages auf Erteilung eines Aufenthaltstitels mit Bescheid vom , umso mehr noch nach Abweisung ihres zweiten diesbezüglichen Antrages mit Bescheid vom , nicht damit rechnen durfte, ihren Aufenthalt im Bundesgebiet fortsetzen zu können.

Bei dem Vorbringen, die Beschwerdeführerin habe in der Türkei keinerlei familiären Rückhalt und keine Existenzmöglichkeit, handelt es sich um eine im verwaltungsgerichtlichen Verfahren unzulässige Neuerung.

Unter Zugrundelegung dieser Erwägungen begegnet die Ansicht der belangten Behörde, dass die Erlassung der Ausweisung auch unter Bedachtnahme auf die persönlichen Interessen der Beschwerdeführerin im Sinn des § 66 FPG zulässig sei, keinem Einwand.

3. Die Beschwerde war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

4. Die Zuerkennung von Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. II Nr. 455/2008. Wien, am

Fundstelle(n):
PAAAE-81477