VwGH vom 08.06.2010, 2008/18/0492
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Sulyok, den Hofrat Dr. Enzenhofer, die Hofrätin Mag. Merl und die Hofräte Dr. Lukasser und Mag. Haunold als Richter, im Beisein des Schriftführers Dr. Schmidl, über die Beschwerde der J M in W, geboren am , vertreten durch Dr. Wolfgang Weber, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Wollzeile 12/1/27, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom , Zl. E1/14.366/2008, betreffend Ausweisung gemäß § 54 FPG, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.286,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.
Begründung
I.
1. Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien (der belangten Behörde) vom wurde die Beschwerdeführerin, eine serbische Staatsangehörige, gemäß § 54 Abs. 1 Z. 2 Fremdenpolizeigesetz 2005 - FPG, BGBl. I Nr. 100, ausgewiesen.
Die Beschwerdeführerin habe bisher über Aufenthaltstitel zur Familienzusammenführung mit ihrer Tochter und ihrer Enkelin verfügt. Zuletzt sei ihr eine Niederlassungsbewilligung mit Gültigkeit bis erteilt worden. Am habe sie einen neuerlichen Verlängerungsantrag eingebracht. Diesmal sei als Zusammenführende die Tochter der Beschwerdeführerin, J Z., der mit die österreichische Staatsbürgerschaft verliehen worden sei, angeführt worden. In den früheren Anträgen sei die Enkelin D Z. als Zusammenführende angeführt gewesen. Einer Gehaltsbestätigung vom zufolge verdiene J Z. monatlich EUR 1.372,65 brutto; eine Verpflichtungserklärung datiere vom .
Nachdem die Niederlassungsbehörde (der Landeshauptmann von Wien) sowohl der Fremdenbehörde erster Instanz (Bundespolizeidirektion Wien) als auch der Beschwerdeführerin eine Mitteilung gemäß § 25 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG) über das Fehlen von Erteilungsvoraussetzungen für die Verlängerung eines Aufenthaltstitels übermittelt habe, sei die Beschwerdeführerin in Kenntnis gesetzt worden, dass die Einleitung eines Verfahrens zur Aufenthaltsbeendigung beabsichtigt sei, weil die Voraussetzungen zur Verlängerung des Aufenthaltstitels fehlten. Dies wurde im Wesentlichen damit begründet, dass die Witwenpension der Beschwerdeführerin weit unter dem Richtsatz gemäß § 293 ASVG von EUR 726,-- netto monatlich liege; die Enkelin der Beschwerdeführerin beziehe kein eigenes Einkommen, daher sei die von ihr abgegebene Haftungserklärung nicht tragfähig; die Tochter der Beschwerdeführerin sei zumindest für ein Kind unterhaltspflichtig; das nicht pfändbare Existenzminimum für die Tochter betrage EUR 1.114,60; für die Beschwerdeführerin wären jedoch weitere Finanzmittel in der Höhe von EUR 726,-- erforderlich; daher sei auch die Haftungserklärung der Tochter der Beschwerdeführerin nicht tragfähig. Zu diesem Ermittlungsergebnis sei der Beschwerdeführerin eine Frist zur Stellungnahme eingeräumt worden.
In der Folge habe die Enkelin der Beschwerdeführerin mitgeteilt, dass sie sehr wohl für ihre Großmutter sorgen könne. Zudem sei darauf hingewiesen worden, dass die Beschwerdeführerin ein Herzleiden habe und man in Wien einen guten Arzt gefunden habe.
In der gegen den erstinstanzlichen Bescheid erhobenen Berufung habe die Beschwerdeführerin u.a. ausgeführt, eine Pension mit Ausgleichszulage in Höhe von EUR 627,71 und zudem Zuwendungen ihrer Tochter in der Höhe von EUR 300,-- pro Monat zu erhalten. Nach Abzug der Aufwendungen für Miete, Gas und Strom verblieben der Beschwerdeführerin sohin EUR 736,11 netto monatlich. Die Beschwerdeführerin lebe gerne in Österreich, werde von ihrer Tochter und ihrer Enkelin liebevoll betreut und wolle nicht nach Serbien zurückkehren.
Mit Verständigung vom Ergebnis der Beweisaufnahme vom sei die Beschwerdeführerin aufgefordert worden, aktuelle Nachweise über Höhe und Anspruchsgrundlage ihrer Witwenpension sowie aktuelle Einkommensnachweise der Tochter und der Enkelin vorzulegen. Mit Schreiben der Versicherungsanstalt für Eisenbahnen und Bergbau vom sei bestätigt worden, dass die Beschwerdeführerin für den Monat Februar 2008 eine Witwenpension in Höhe von EUR 26,74 monatlich erhalten habe. (Weiters teilte die Versicherungsanstalt mit, dass die Ausgleichszulage vorsorglich eingestellt worden sei, weil der Aufenthaltstitel der Beschwerdeführerin bis befristet gewesen sei. Die Beschwerdeführerin habe weiterhin Anspruch auf Ausgleichszulage, sobald die Befristung des Aufenthaltstitels verlängert werde.) Die Tochter der Beschwerdeführerin habe einen Einkommensnachweis für Februar 2008 vorgelegt, demzufolge sie einen Nettolohn von EUR 1.393,05 erhalte; die Enkelin verdiene lediglich EUR 676,80 pro Monat.
In rechtlicher Hinsicht führte die belangte Behörde unter Hinweis auf § 54 Abs. 1 FPG,§ 47 Abs. 1 und 3 NAG,§ 11 Abs. 2 Z. 4 und 5 NAG sowie § 291a Exekutionsordnung (EO) aus, dass die Beschwerdeführerin Angehörige im Sinn des § 47 Abs. 3 NAG sei und eine Haftungserklärung der Zusammenführenden vorliege. Sowohl die Haftungserklärung der Tochter als auch jene der Enkelin der Beschwerdeführerin seien jedoch nicht tragfähig. Die Enkelin habe zum Zeitpunkt der Erlassung des erstinstanzlichen Bescheides kein Einkommen bezogen. Die Tochter der Beschwerdeführerin erziele laut Gehaltsbestätigung vom Februar 2008 ein Einkommen in der Höhe von EUR 1.393,05, sei jedoch für ein minderjähriges Kind unterhaltspflichtig. Eine Unterhaltspflicht gegenüber ihrem Ehemann bestehe nicht, weil dessen Einkommen ausreichend sei.
Das nicht pfändbare Existenzminimum gemäß § 291a EO betrage für die Tochter und das minderjährige Kind nunmehr für 2008 EUR 1.089,60; für die Beschwerdeführerin seien zusätzlich EUR 747,-
- erforderlich. Das Einkommen der Enkelin sei ebenfalls nicht in Ansätzen ausreichend. Die Haftungserklärung der Zusammenführenden sei somit nicht tragfähig.
Die Beschwerdeführerin selbst verfüge aktuell über eine Witwenpension in der Höhe von EUR 26,74 netto pro Monat. Die ins Treffen geführte (vormalig erheblich höhere) Witwenpension sei nur Folge der gesetzlichen Gewährung einer Ausgleichszulage gewesen. Die Höhe einer Pension werde einerseits durch die Bemessungsgrundlage, andererseits durch die Anzahl der im Verlauf des Erwerbslebens erworbenen Versicherungsmonate bestimmt. Eine "echte" Mindestpension sei in der gesetzlichen Pensionsversicherung nicht vorgesehen, wohl aber werde mit dem Instrument der Ausgleichszulage eine bedarfsorientierte, vom sonstigen eigenen bzw. Haushaltseinkommen abhängige "Mindestpension" gewährt. Aus einer Reihe von Gründen komme ein Anspruchsberechtigter, dessen Pension unter dem Richtsatz für Alleinstehende liege, nicht in den Genuss einer Ausgleichszulage. Ausgleichszulagen würden z.B. auf Grund der gesetzlichen Bestimmungen nur an im Inland wohnhafte (sohin legal aufhältige) Pensionsbezieher ausbezahlt. Entscheidend in diesem Kontext sei aber allein, dass der Aufwand für Ausgleichszulagen den Pensionsversicherungsträgern vom Bund ersetzt werde. Gerade in diesem Punkt sei die Schnittstelle zu den entsprechenden Bestimmungen des NAG gegeben, wonach einem Fremden ein Aufenthaltstitel eben nur erteilt werden dürfe, wenn sein Aufenthalt zu keiner finanziellen Belastung einer Gebietskörperschaft führen könnte. Gerade durch den Aufenthalt der Beschwerdeführerin im Bundesgebiet werde eine erhebliche Belastung einer Gebietskörperschaft verursacht, indem ein namhafter Betrag in Form einer Ausgleichszulage an die Beschwerdeführerin zu zahlen sei.
Somit stehe dem von der Beschwerdeführerin begehrten (weiteren) Aufenthaltstitel ein Versagungsgrund entgegen, sodass sie gemäß § 54 Abs. 1 Z. 2 FPG ausgewiesen werden könne.
Angesichts des nunmehr etwa vierjährigen Aufenthalts der Beschwerdeführerin in Österreich und der hier bestehenden familiären Bindungen sei von einem mit der Ausweisung verbundenen Eingriff in ihr Privat- und Familienleben auszugehen. Dieser Eingriff sei jedoch zulässig, weil er zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele (hier: zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung auf dem Gebiet des Fremden- und Sozialwesens) dringend geboten sei. Gerade den die Einreise und den Aufenthalt von Fremden regelnden Vorschriften und deren Einhaltung durch den Normadressaten komme aus der Sicht des Schutzes und der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung ein besonders hoher Stellenwert zu.
Durch die Anwesenheit der Tochter und des Enkelkindes im Bundesland lägen beachtliche persönliche Interessen am Aufenthalt der Beschwerdeführerin in Österreich vor. Sie lebe jedoch weder im gemeinsamen Haushalt mit der Tochter noch mit dem Enkelkind. Die Beschwerdeführerin habe zudem den allergrößten Teil ihres Lebens in ihrer Heimat oder eben nicht in Österreich verbracht. Insofern erfahre die vorgebrachte Bindung zu den Angehörigen und die aus dem Aufenthalt allfällig ableitbare Integration eine gewisse Relativierung. Dem stehe das überaus maßgebliche, einen hohen Stellenwert genießende öffentliche Interesse an der Wahrung eines geordneten Fremdenwesens gegenüber. Die von der Beschwerdeführerin zudem ins Treffen geführte Herzerkrankung sei offenbar nicht von einer derartigen Intensität, dass die Notwendigkeit einer medizinischen Behandlung im Inland gegeben gewesen sei. Ein solches ausdrückliches Vorbringen sei auch nicht erhoben und nicht belegt worden. Insofern sei damit keine entscheidende Verstärkung der Interessen der Beschwerdeführerin am Verbleib im Inland verbunden. Bei Abwägung dieser Interessenlage sei die belangte Behörde zu der Ansicht gelangt, dass die Auswirkungen der Ausweisung auf die Lebenssituation der Beschwerdeführerin nicht schwerer wögen als das in den genannten Versagungsgründen gegründete hohe öffentliche Interesse an ihrem Verlassen des Bundesgebiets und damit der Abwendung der großen Gefahr, dass sie künftig zu einer finanziellen Belastung einer Gebietskörperschaft werden könnte.
Mangels sonstiger, besonders zu Gunsten der Beschwerdeführerin sprechender Umstände habe die belangte Behörde keine Veranlassung gesehen, vom Ausspruch der Ausweisung im Rahmen des ihr zustehenden Ermessens Abstand zu nehmen.
2. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde mit dem Begehren, ihn wegen Rechtswidrigkeit des Inhalts und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
3. Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und beantragte in ihrer Gegenschrift die Abweisung der Beschwerde.
II.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
1. Die Beschwerdeführerin verfügte unstrittig bisher über Aufenthaltstitel zum Zweck der Familiengemeinschaft mit ihrer Enkelin bzw. ihrer Tochter, zuletzt mit einer Gültigkeitsdauer bis . Da sich die Beschwerdeführerin infolge des am gestellten Verlängerungsantrages während eines Verlängerungsverfahrens im Bundesgebiet aufhält, kann sie gemäß § 54 Abs. 1 Z. 2 FPG mit Bescheid ausgewiesen werden, wenn der Erteilung eines weiteren Aufenthaltstitels ein Versagungsgrund entgegensteht.
2. Die Beschwerde wendet sich im Wesentlichen gegen die Beurteilung der belangten Behörde, dass die Ausgleichszulage, die der Beschwerdeführerin bei Erteilung eines Aufenthaltstitels zustünde und zuerkannt würde, nicht zu berücksichtigen sei. Bei der Ausgleichszulage handle es sich zweifellos um einen Einkommensbestandteil. Dieses potentielle Einkommen der Beschwerdeführerin sei bei der Entscheidung entsprechend zu berücksichtigen gewesen.
Dieses Vorbringen verhilft der Beschwerde zum Erfolg.
Die belangte Behörde verkennt die Bedeutung und das Wesen der Ausgleichszulage im Kontext des § 11 Abs. 5 NAG. Die Ausgleichszulage ist nämlich keine "Sozialhilfeleistung der Gebietskörperschaft"; deren Inanspruchnahme stellt somit keine finanzielle Belastung einer Gebietskörperschaft im Sinn des § 11 Abs. 2 Z. 4 NAG dar (vgl. die hg. Erkenntnisse vom , Zl. 2009/21/0383, sowie vom , Zl. 2008/22/0659).
Weiters ist zu berücksichtigen, dass für die Berechnung ausreichender Unterhaltsmittel jenes Pensionseinkommen maßgeblich ist, das dann erzielt wird, wenn der Familiennachzug vollzogen ist (vgl. nochmals das hg. Erkenntnis vom ). Für den vorliegenden Fall bedeutet dies, dass - wie in dem Schreiben der Versicherungsanstalt für Eisenbahnen und Bergbau vom ausdrücklich festgehalten wurde - die Beschwerdeführerin Anspruch auf Ausgleichszulage hat, wenn sie über einen Aufenthaltstitel verfügt.
3. Da die belangte Behörde dies verkannt hat, belastet sie den angefochtenen Bescheid mit Rechtswidrigkeit seines Inhaltes, weshalb er gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben war.
4. Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. II Nr. 455/2008. Das auf Ersatz von Umsatzsteuer gerichtete Mehrbegehren war abzuweisen, weil diese in dem Pauschalsatz bereits enthalten ist.
Wien, am
Fundstelle(n):
RAAAE-81433