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VwGH vom 15.12.2011, 2010/21/0292

VwGH vom 15.12.2011, 2010/21/0292

Beachte

Serie (erledigt im gleichen Sinn):

2010/21/0162 E

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Novak und die Hofräte Dr. Pelant, Dr. Sulzbacher und Dr. Pfiel sowie die Hofrätin Dr. Julcher als Richter, im Beisein des Schriftführers MMag. Stelzl, über die Beschwerde des T, vertreten durch die Kocher Bucher Rechtsanwälte GmbH in 8010 Graz, Friedrichgasse 31, gegen den Bescheid des Unabhängiger Verwaltungssenates im Land Niederösterreich vom , Zl. Senat-FR-10-0037, betreffend Schubhaft (weitere Partei: Bundesministerin für Inneres), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.326,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, ein nigerianischer Staatsangehöriger, reiste seinen eigenen Angaben zufolge am in Österreich ein. Am selben Tag stellte er in der Erstaufnahmestelle Traiskirchen einen Antrag auf internationalen Schutz. Nach der Erstbefragung wurde er der Bezirkshauptmannschaft Baden vorgeführt, die über ihn mit Bescheid vom gemäß § 76 Abs. 2 Z 4 Fremdenpolizeigesetz 2005 - FPG die Schubhaft zur Sicherung des Verfahrens zur Erlassung einer Ausweisung und der Abschiebung verhängte. Dieser Bescheid wurde sofort in Vollzug gesetzt und der Beschwerdeführer in das Polizeianhaltezentrum Wien - Hernalser Gürtel überstellt.

Der dagegen erhobenen Schubhaftbeschwerde vom gab die belangte Behörde mit Bescheid vom gemäß § 83 FPG statt, indem sie die Festnahme, den Schubhaftbescheid und die Anhaltung des Beschwerdeführers ab dem für rechtswidrig erklärte. Zugleich stellte sie gemäß § 83 Abs. 4 FPG fest, dass die Voraussetzungen für die weitere Anhaltung des Beschwerdeführers in Schubhaft nicht vorlägen. Dieser Bescheid wurde der Bezirkshauptmannschaft Baden am um 9:56 Uhr per Telefax zugestellt.

In der Folge wurde der Beschwerdeführer - entsprechend der mit der Aktenlage übereinstimmenden Darstellung sowohl im angefochtenen Bescheid als auch in der Beschwerde - nicht enthaftet, sondern der Bezirkshauptmannschaft Baden vorgeführt. Erst um 14:25 Uhr wurde er aus der Haft entlassen, um 14:30 Uhr wurde ihm der Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Baden vom ausgefolgt, mit dem seine Anhaltung in Schubhaft nunmehr gemäß § 76a Abs. 2a Z 1 FPG angeordnet wurde. Begründend wurde in diesem Bescheid ausgeführt, dass gegen den Beschwerdeführer vom Bundesasylamt mit Bescheid vom eine mit einer zurückweisenden Entscheidung gemäß § 5 AsylG 2005 verbundene durchsetzbare Ausweisung erlassen worden sei. Da sich der Beschwerdeführer seinem Asylverfahren in Deutschland und seiner Abschiebung aus der Schweiz nach Deutschland entzogen habe, bestehe erhöhter Sicherungsbedarf. Der Beschwerdeführer sei nun auf Grund der Entscheidung der Asylbehörde in Kenntnis, dass er ehestens abgeschoben werde. Nach eingehender Prüfung, ob besondere Umstände in seiner Person einer Verhängung der Schubhaft entgegenstünden, sei die Behörde zum Schluss gekommen, dass "dem Willen des Gesetzgebers, über Sie die Schubhaft anzuordnen, höheres Gewicht beizumessen" sei als den "im Zuge der getätigten Erhebungen gewonnene(n) Erkenntnisse(n)" in Bezug auf die Person des Beschwerdeführers, die einer Verhängung der Schubhaft entgegenstehen würden.

Auf Grund dieses Bescheides wurde der Beschwerdeführer festgenommen, abermals in das Polizeianhaltezentrum Wien - Hernals überstellt und dort wieder in Schubhaft angehalten.

Noch am selben Tag richtete der Beschwerdeführer eine Beschwerde an die belangte Behörde, mit der er die Haft, die "seit und trotz" der die Voraussetzungen für eine weitere Anhaltung in Schubhaft verneinenden Entscheidung der belangten Behörde vom weiterbestehe, bekämpfte. Der genannte Bescheid sei dem Rechtsvertreter des Beschwerdeführer bereits um 9:30 Uhr zugestellt worden, eine Nachfrage beim Polizeianhaltezentrum um 17 Uhr habe aber ergeben, dass der Beschwerdeführer nach wie vor angehalten werde.

Am wurde diese Beschwerde dahingehend präzisiert, dass die Anhaltung in Haft am in der Zeit von 9:56 Uhr bis 14:30 Uhr bekämpft werde.

Am brachte der Beschwerdeführer eine weitere Schubhaftbeschwerde ein, die sich gegen den Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Baden vom sowie die Festnahme und Anhaltung des Beschwerdeführers in Schubhaft (ab , 14:30 Uhr) richtete.

Mit dem angefochtenen Bescheid vom wies die belangte Behörde den "Antrag auf Rechtswidrigerklärung" der Anhaltung in Haft am in der Zeit von 9:56 Uhr bis 14:30 Uhr wegen entschiedener Sache zurück. "Im Übrigen" wurde die Beschwerde gemäß § 83 FPG abgewiesen und festgestellt, dass die Festnahme am um 14:35 Uhr, der Schubhaftbescheid vom und die Anhaltung des Beschwerdeführers seit dem , 14:30 Uhr "bis dato" nicht rechtswidrig gewesen seien. Gemäß § 83 Abs. 4 FPG wurde überdies festgestellt, dass die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorlägen. Der Antrag des Beschwerdeführers auf Kostenersatz wurde abgewiesen.

Begründend führte die belangte Behörde zum zurückweisenden Ausspruch im Wesentlichen aus, hinsichtlich des Zeitraumes von 9:56 Uhr bis 14:25 Uhr des , in dem die Anhaltung auf Grund des Bescheides der Bezirkshauptmannschaft Baden vom erfolgt sei, sei von der belangten Behörde bereits (im Bescheid vom ) ausgesprochen worden, dass die Festnahme, der Schubhaftbescheid und die Anhaltung rechtswidrig gewesen seien, und es sei festgestellt worden, dass die Voraussetzungen für die weitere Anhaltung des Beschwerdeführers in Schubhaft nicht vorlägen. Somit sei hinsichtlich des genannten Zeitraumes bereits ein dem Rechtsbestand angehörender Ausspruch der belangten Behörde über die "Rechtmäßigkeit bzw. Unrechtmäßigkeit der Schubhaft (weitere Anhaltung in Schubhaft)" gegeben. Mit dieser Entscheidung sei bezüglich der damals auf den Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Baden vom gestützten Schubhaft hinreichend klargestellt, dass ab dem Zeitpunkt der Zustellung dieser Entscheidung, somit ab 9:56 Uhr des , die Voraussetzungen für die weitere Anhaltung in Schubhaft als nicht vorliegend festgestellt worden seien. Es liege eine Entscheidung über die gegenständliche Schubhaft für den Zeitraum von der Festnahme am bis zur Entlassung aus der Schubhaft am um 14:25 Uhr vor. Dieser Bescheid der belangten Behörde stehe der beantragten neuerlichen Entscheidung hinsichtlich des Zeitraumes von 9:56 Uhr bis 14:25 Uhr des entgegen, weil insoweit entschiedene Sache vorliege.

Hinsichtlich des Schubhaftbescheides vom und der darauf gegründeten Festnahme und Anhaltung in Schubhaft führte die belangte Behörde im Wesentlichen aus, dass sich der Schubhaftbescheid auf § 76 Abs. 2a FPG gestützt habe. Die Erlassung eines Schubhaftbescheides auf dieser Rechtsgrundlage wäre schon seit dem (Erlassung des Zurückweisungsbescheides des Bundesasylamtes gemäß § 5 AslG 2005 in Verbindung mit einer durchsetzbaren Ausweisung nach Deutschland) zulässig gewesen. Nach § 76a Abs. 2 FPG habe die Fremdenpolizeibehörde die Schubhaft nur dann nicht anzuordnen, wenn besondere Umstände in der Person des Asylwerbers gelegen seien, die der Schubhaft entgegenstünden. Solche besonderen Umstände seien weder in der Schubhaftbeschwerde auch nur ansatzweise vorgebracht worden noch aus dem übrigen Akteninhalt zu entnehmen oder im Verfahren hervorgekommen. Eine Verhältnismäßigkeitsprüfung habe bei der Anordnung der Schubhaft nach § 76 Abs. 2a FPG nicht zu erfolgen. Die Festnahme, der Schubhaftbescheid und die Anhaltung des Beschwerdeführers in Schubhaft seien daher rechtmäßig, und die für die Fortsetzung der Anhaltung in Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen lägen vor.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Aktenvorlage und Erstattung einer Gegenschrift durch die belangte Behörde erwogen hat:

1. Die belangte Behörde geht davon aus, dass hinsichtlich der bekämpften Anhaltung in Haft am in der Zeit von 9:56 Uhr bis 14:30 Uhr entschiedene Sache auf Grund des um 9:56 Uhr zugestellten Bescheides vom , mit dem festgestellt worden war, dass die weiteren Voraussetzungen für die Anhaltung des Beschwerdeführers in Schubhaft nicht vorlägen, gegeben sei. Das trifft aber nicht zu, weil die nach Erlassung dieses Bescheides aufrechterhaltene - titellose - Haft als solche noch keiner Beurteilung hinsichtlich der behaupteten Rechtswidrigkeit unterzogen worden ist, sodass schon aus diesem Grund nicht von derselben Sache ausgegangen werden konnte, über die der unabhängige Verwaltungssenat bereits entschieden hatte. Der Erhebung einer neuerlichen Beschwerde nach § 82 FPG steht in einem solchen Fall nicht das Prozesshindernis der entschiedenen Sache entgegen.

Die Zurückweisung der Administrativbeschwerde gegen die Anhaltung am in der Zeit von 9:56 Uhr bis 14:30 Uhr erweist sich daher als rechtswidrig.

2. Hinsichtlich der Administrativbeschwerde gegen den Schubhaftbescheid vom sowie die auf Grund dieses Bescheides erfolgte Festnahme und Anhaltung des Beschwerdeführers (ab 14:30 Uhr) ist zunächst klarzustellen, dass sie einen von der Anhaltung vor der Erlassung des genannten Bescheides (in der Zeit von 9:56 Uhr bis ca. 14:30 Uhr) zu unterscheidenden eigenen Beschwerdegegenstand zum Inhalt hat. Insoweit liegt, anders als die belangte Behörde meint, nicht bloß eine Ergänzung der Administrativbeschwerde vom vor.

In der Sache hat die belangte Behörde verkannt, dass der neuerlichen Schubhaftverhängung die Rechtskraft ihres Bescheides vom entgegenstand, weil dieser, wie dargestellt, den Ausspruch enthielt, die Voraussetzungen für die weitere Anhaltung des Beschwerdeführers in Schubhaft lägen nicht vor. Da die Voraussetzungen für die weitere Anhaltung in Schubhaft sich von jenen für die Verhängung der Schubhaft grundsätzlich nicht unterscheiden, ist die Schubhaftbehörde an einen solchen Ausspruch insoweit gebunden, als sie ohne maßgebliche Änderung der Sach- oder Rechtslage keinen neuen Schubhaftbescheid erlassen darf.

Die belangte Behörde hält dem in der Gegenschrift entgegen, dass der zweite Schubhaftbescheid auf eine andere Rechtsgrundlage (§ 76 Abs. 2a Z 1 FPG) gestützt worden sei als der erste, auf Grund des § 76 Abs. 2 Z 4 FPG ergangene Bescheid vom . Dabei übersieht sie aber, dass der unabhängige Verwaltungssenat im Rahmen seines Ausspruchs gemäß § 83 Abs. 4 FPG nicht an die im Schubhaftbescheid herangezogenen Rechtsgrundlagen gebunden ist, sondern die Zulässigkeit der Fortsetzung der Schubhaft nach allen Richtungen zu prüfen hat; anders als die belangte Behörde in der Gegenschrift meint, ist der unabhängige Verwaltungssenat auch nicht nur "ermächtigt", einen "weiteren bzw. neuen Anhaltegrund für die Fortsetzung der Schubhaft zu schaffen", sondern bei Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen im Rahmen des ihm eingeräumten Ermessens zu einem positiven und (nur) bei deren Fehlen zu einem negativen Fortsetzungsausspruch verpflichtet. Verneint er daher das Vorliegen der Voraussetzungen für die weitere Anhaltung in Schubhaft, so bedeutet dieser Ausspruch von Gesetzes wegen die Unzulässigkeit der (Fortsetzung der) Schubhaft auf Grund jeglichen zum Bescheiderlassungszeitpunkt geltenden Schubhafttatbestandes, unabhängig davon, ob der unabhängige Verwaltungssenat dessen Voraussetzungen (erkennbar) geprüft und dies seiner Entscheidung zugrunde gelegt hat.

Da eine für die Zulässigkeit der Schubhaft wesentliche Sachverhaltsänderung (oder Änderung der Rechtslage) zwischen der Erlassung des einen negativen Fortsetzungsausspruch enthaltenden Bescheides der belangten Behörde am um 9:56 Uhr und der Erlassung des Schubhaftbescheides um 14:30 Uhr des selben Tages nicht ersichtlich ist, war somit auch die Abweisung der Administrativbeschwerde gegen diesen Schubhaftbescheid sowie die auf seiner Grundlage erfolgte Festnahme und Anhaltung des Beschwerdeführers rechtswidrig.

Aber auch der mit dem angefochtenen Bescheid getroffene Fortsetzungsausspruch erweist sich als rechtswidrig. Zum einen wurden auch bezogen auf den Zeitpunkt seiner Erlassung - am - keine maßgeblichen Änderungen der Sachlage (oder Rechtslage) seit Erlassung des negativen Fortsetzungsausspruches am festgestellt, zum anderen trifft es entgegen der Ansicht der belangten Behörde nicht zu, dass bei der Anordnung der Schubhaft nach § 76 Abs. 2a FPG keine Verhältnismäßigkeitsprüfung zu erfolgen hat (vgl. das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2010/21/0234, insbesondere Punkt 3.2. der Entscheidungsgründe).

3. Der angefochtene Bescheid war nach dem Gesagten zur Gänze gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.

Wien, am