VwGH vom 20.03.2014, 2013/08/0037

VwGH vom 20.03.2014, 2013/08/0037

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Waldstätten und den Hofrat Dr. Strohmayer als Richter sowie die Hofrätin Dr. Julcher als Richterin, im Beisein des Schriftführers Mag. Berthou, über die Beschwerde der S R in L, vertreten durch Mag. German Bertsch, Rechtsanwalt in 6800 Feldkirch, Saalbaugasse 2, gegen den auf Grund eines Beschlusses des Ausschusses für Leistungsangelegenheiten ausgefertigten Bescheid der Landesgeschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Vorarlberg Landesgeschäftsstelle vom , Zl. LGSV/2/2012-0566-8-102, betreffend Widerruf und Rückforderung der Notstandshilfe,

I. den Beschluss gefasst:

Die Beschwerde wird, soweit sie sich gegen den stattgebenden Teil des angefochtenen Bescheides richtet, zurückgewiesen. II. zu Recht erkannt:

Spruch

Im Übrigen wird die Beschwerde als unbegründet abgewiesen.

Die Beschwerdeführerin hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von EUR 610,60 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit Bescheid vom widerrief die regionale Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Bludenz gegenüber der Beschwerdeführerin den Bezug der Notstandshilfe für die Zeiten , bis , bis und 14. März bis und verpflichtete die Beschwerdeführerin zur Rückzahlung des unberechtigt Empfangenen in der Höhe von insgesamt EUR 2.599,--. Die Beschwerdeführerin habe die Leistung aus der Arbeitslosenversicherung zu Unrecht bezogen, weil sie ein vollversicherungspflichtiges Dienstverhältnis bei der "Firma" Taxi N. gehabt habe.

Gegen diesen Bescheid erhob die Beschwerdeführerin Berufung an die belangte Behörde. Sie führte aus, dass sie bei der "Firma" Taxi N. bis zum immer nur geringfügig beschäftigt gewesen sei und monatlich nie die Geringfügigkeitsgrenze überschritten habe. Sie habe ihrer Anmeldung (als geringfügig beschäftigte Dienstnehmerin) auch monatelang "nachrennen" müssen, weil die "Firma" dies nicht gemeldet habe. Auf den Taxameterkeys seien mehrere Personen gefahren, weshalb nicht der gesamte Umsatz auf sie bezogen werden könne. Vollversichert sei sie bei Taxi N. vom bis zum gewesen, und sie habe alle, auch die geringfügigen Beschäftigungen, dem Arbeitsmarktservice jeweils gemeldet. Die nachträglich, rund zwei Jahre später gemeldeten Zeiten seien völlig aus der Luft gegriffen.

Die belangte Behörde holte bei der Vorarlberger Gebietskrankenkasse Informationen über das Beschäftigungsverhältnis der Beschwerdeführerin ein und teilte ihr das Ergebnis des Ermittlungsverfahrens mit Schreiben vom im Wesentlichen wie folgt mit:

Die von der Gebietskrankenkasse nachverrechnete Beiträge hätten auf Zahlungen an die Beschwerdeführerin beruht, die sich aus Fahraufträgen der Taxi N. GmbH ergeben hätten. Aus den von der Taxi N. GmbH vorgelegten Unterlagen sei ersichtlich, dass die Beschwerdeführerin seit September 2008 in der Lohnverrechnung der Taxi N. GmbH aufgeschienen sei, aber nicht bei der Gebietskrankenkasse gemeldet worden sei, was die Beschwerdeführerin auch mit ihrem Vorbringen bestätigt habe. Aus den sichergestellten Unterlagen sei jedenfalls auch ersichtlich, dass die Beschwerdeführerin am für die Taxi N. GmbH tätig gewesen sei, weiters im Zeitraum vom bis zum . In diesen Zeiträumen habe die Beschwerdeführerin laut festgestellten Lohnzahlungen ein Entgelt erzielt, das die monatliche Geringfügigkeitsgrenze bzw. die aliquote monatliche Geringfügigkeitsgrenze jedenfalls überschreite. In den beiden weiteren Zeiträumen bis und bis habe die Beschwerdeführerin nach den sichergestellten Unterlagen erheblich mehr an Lohnzahlungen erhalten, als von der Taxi N. GmbH offiziell abgerechnet worden sei. Der Verdienst der Beschwerdeführerin habe dabei die Geringfügigkeitsgrenze überschritten.

Das Überschreiten der monatlichen Geringfügigkeitsgrenze in den Zeiträumen bis , bis und bis sei auch für die Beschwerdeführerin erkennbar gewesen bzw. hätte sie dies erkennen müssen. Dennoch habe sie dem Arbeitsmarktservice nur eine geringfügige Beschäftigung gemeldet. Auf Grund dieser unwahren Angaben sei sie zum Rückersatz des unberechtigt empfangenen Notstandshilfebezuges verpflichtet.

Die Beschwerdeführerin habe jedoch die Möglichkeit, bei der Vorarlberger Gebietskrankenkasse einen Antrag auf Feststellung, dass sie nicht der Vollversicherungspflicht unterlegen sei, zu stellen. Das Arbeitsmarktservice sei gemäß § 45 Abs. 1 AlVG weder berechtigt noch verpflichtet, ein Verfahren zur Feststellung zu führen, ob das Beschäftigungsverhältnis der Beschwerdeführerin der Vollversicherung in der Sozialversicherung unterliege.

Die Beschwerdeführerin machte weder von der ihr eingeräumten Möglichkeit zur Stellungnahme Gebrauch, noch stellte sie einen Feststellungsantrag an die Vorarlberger Gebietskrankenkasse.

Die belangte Behörde erließ daraufhin den angefochtenen Bescheid, mit dem sie der Berufung der Beschwerdeführerin insoweit stattgab, als sie nicht zum Rückersatz von EUR 23,-- für den verpflichtet wurde; im Übrigen wurde der Berufung keine Folge gegeben und der erstinstanzliche Bescheid bestätigt.

Begründend stellte die belangte Behörde nach der Darstellung des Verfahrensgangs fest, die Beschwerdeführerin sei am , von bis , von bis und von 14. März bis im Bezug der Notstandshilfe von täglich EUR 23,-- gestanden. Sie habe nach dem Prüfbericht der Vorarlberger Gebietskrankenkasse nachfolgende Lohnzahlungen der Firma Taxi N. erhalten:

Jahr 2009:


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04.09.
EUR 287,
07.11.
EUR 323,40
13.11.
EUR 336,
22.11.
EUR 315,
27.11.
EUR 256,90
30.11.
EUR 39,20
07.12.
EUR 273,
11.12.
EUR 200,20

Jahr 2010:


Tabelle in neuem Fenster öffnen
22.01.
EUR 252,
29.01.
EUR 232,40
06.02.
EUR 291,20
15.02.
EUR 162,40
19.02.
EUR 222,60
01.03.
EUR 233,10
05.03.
EUR 121,10
12.03.
EUR 208,60
18.03.
EUR 43,30
26.03.
EUR 431,20
31.03.
EUR 94,50
02.04.
EUR 207,90
09.04.
EUR 166,60
19.04.
EUR 212,10
26.04.
EUR 168,

Der Verdienst der Beschwerdeführerin habe damit jeweils die monatliche Geringfügigkeitsgrenze überschritten. Sie habe dem Arbeitsmarktservice aber während des laufenden Leistungsbezugs am und am nur gemeldet, dass sie geringfügig bei der Taxi N. GmbH beschäftigt sei. Erst ab habe sie eine vollversicherungspflichtige Beschäftigung gemeldet.

Sie habe die Möglichkeit gehabt, bei der Vorarlberger Gebietskrankenkasse einen Antrag auf Feststellung, dass sie in den strittigen Zeiträumen nicht der Vollversicherung unterlegen sei, einzubringen. Sie habe aber weder diese Möglichkeit genutzt noch eine Stellungnahme zum Ermittlungsergebnis abgegeben.

In rechtlicher Hinsicht führte die belangte Behörde im Wesentlichen aus, dass die Beschwerdeführerin nach dem vorliegenden Sachverhalt am sowie von bis , bis und 14. März bis in einem arbeitslosenversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnis gestanden sei. Gemäß § 12 Abs. 1 Z 1 iVm § 12 Abs. 3 lit. a AlVG gelte sie daher in diesen Zeiträumen nicht als arbeitslos, weshalb ihr Notstandshilfebezug zu widerrufen sei.

Während des laufenden Leistungsbezuges sei die Beschwerdeführerin nach § 50 Abs. 1 AlVG verpflichtet, dem Arbeitsmarktservice zu melden, wenn ihr vom Dienstgeber erhaltenes Entgelt aus einem Beschäftigungsverhältnis die Geringfügigkeitsgrenze überschreite, selbst wenn sie weiterhin zu Unrecht von ihrem Dienstgeber nur als geringfügig Beschäftigte angemeldet worden sei. Es sei der Beschwerdeführerin auch (im Sinn des § 25 Abs. 1 AlVG) vorwerfbar, dass sie trotz Überschreitung der monatlichen Geringfügigkeitsgrenze in den Zeiträumen bis , bis und 14. März bis dem Arbeitsmarktservice nur gemeldet habe, dass sie geringfügig beschäftigt sei. Hingegen habe sie nicht unbedingt erkennen müssen, dass die am erhaltene Lohnzahlung von EUR 287,-- die Geringfügigkeitsgrenze von EUR 357,74 für das Kalenderjahr 2009 überschreite, indem die für einen Beschäftigungstag aliquotierte monatliche Geringfügigkeitsgrenze heranzuziehen sei, die lediglich bei EUR 11,92 liege.

Entsprechend der Verständigung vom Ergebnis des Ermittlungsverfahrens vom , zu dem die Beschwerdeführerin keine Einwendungen vorgebracht habe, entscheide die belangte Behörde auf der Grundlage dieses Ermittlungsergebnisses.

Es sei daher die Rückersatzpflicht in Bezug auf die unberechtigt empfangene Notstandshilfe vom bis , bis und 14. März bis in Höhe von insgesamt EUR 2.576,-- auszusprechen gewesen.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde wegen Rechtswidrigkeit des Inhalts und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften.

Der Verwaltungsgerichtshof hat nach Aktenvorlage und Erstattung einer Gegenschrift durch die belangte Behörde in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

1. Die Beschwerde richtet sich ausdrücklich gegen den angefochtenen Bescheid nach seinem "gesamten Inhalt und Umfang". Durch den stattgebenden Teil des angefochtenen Bescheides konnte die Beschwerdeführerin aber nicht in Rechten verletzt sein. Insoweit war die Beschwerde daher gemäß § 34 Abs. 1 und 3 VwGG als unzulässig zurückzuweisen.

2. In der Sache bringt die Beschwerdeführerin vor, dass sie zu keinem Zeitpunkt unwahre Angaben über ihr Arbeitsverhältnis gemacht habe. Ihr Verdienst habe niemals die Geringfügigkeitsgrenze überschritten. Erst ab dem sei eine Vollzeitbeschäftigung bei der Vorarlberger Gebietskrankenkasse angemeldet worden. Ab diesem Zeitpunkt bis zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses mit habe die Beschwerdeführerin keine Notstandshilfe bezogen.

Unabhängig davon, was die an das Arbeitsmarktservice übermittelten Unterlagen in Bezug auf die im angefochtenen Bescheid angeführten Lohnzahlungen ergeben hätten, könne daraus nicht geschlossen werden, dass die Beschwerdeführerin bezüglich ihrer Einkünfte unwahre Angaben gemacht habe. Sie habe das Entgelt ihres Arbeitgebers stets in bar ausbezahlt erhalten. Welche Angaben die Taxi N. GmbH bei der Vorarlberger Gebietskrankenkasse gemacht habe, entziehe sich der Kenntnis der Beschwerdeführerin. Es könne ihr auch nicht zugemutet werden, dass sie ständig nachkontrolliere, ob ihr Arbeitgeber die vereinbarte Beschäftigung der Gebietskrankenkasse auch so mitgeteilt habe. Vielmehr sei davon auszugehen, dass die Taxi N. GmbH im eigenen Interesse falsche Angaben gemacht und die Beschwerdeführerin selbst darüber nicht informiert habe. Aus den genannten Gründen sei es der Beschwerdeführerin nicht ersichtlich bzw. erkennbar gewesen, dass sie die monatliche Geringfügigkeitsgrenze überschritten hatte, zumal sie ihr Entgelt stets in bar erhalten habe und somit keine Kenntnis über die Anmeldung bei der Gebietskrankenkasse gehabt habe.

Mit diesem Vorbringen zeigt die Beschwerde keine Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides auf. Vor allem ist nicht ersichtlich, warum die Beurteilung der belangten Behörde, die Beschwerdeführerin habe über ihr Arbeitsentgelt unwahre Angaben gemacht, unschlüssig sein sollte. Die belangte Behörde hat sich bei der Feststellung von Entgeltzahlungen über der Geringfügigkeitsgrenze im Wesentlichen auf näher dargestellte Prüfergebnisse der Vorarlberger Gebietskrankenkasse gestützt, die der Beschwerdeführerin im Verwaltungsverfahren vorgehalten und von ihr nicht bestritten wurden. Es ist auch nicht nachvollziehbar, dass die Dienstgeberin ein Eigeninteresse an der Bekanntgabe überhöhter Zahlungen haben könnte. Ebenso wenig ist im Beschwerdefall zu sehen, was sich aus dem Umstand der Barauszahlung für die Feststellung der Lohnhöhe oder die Erkennbarkeit des Überschreitens der Geringfügigkeitsgrenze ergeben sollte.

Was die Divergenz der Versicherungsdatenauszüge vom einerseits und vom andererseits betrifft, auf die die Beschwerde weiters hinweist, so geht sie auf die zwischenzeitig durchgeführte Betriebsprüfung zurück. Für die Beschwerdeführerin ist daraus nichts zu gewinnen.

Wenn die Beschwerde schließlich Personen nennt, die bezeugen könnten, dass die Beschwerdeführerin "niemals vollzeitig beschäftigt war", so genügt es, auf § 41 VwGG hinzuweisen, wonach der Verwaltungsgerichtshof - soweit er nicht Rechtswidrigkeit wegen Unzuständigkeit der belangten Behörde oder wegen Verletzung von Verfahrensvorschriften gegeben findet - den angefochtenen Bescheid auf Grund des von der belangten Behörde angenommenen Sachverhaltes zu überprüfen hat.

Soweit sich die Beschwerde gegen den nicht stattgebenden Teil des angefochtenen Bescheides richtet, erweist sie sich daher als unbegründet und war gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen.

3. Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der (auf "Altfälle" gemäß § 3 Z 1 der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014, BGBl. II Nr. 518/2013, idF BGBl. II Nr. 8/2014 weiter anzuwendenden) VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.

4. Von der nur "in eventu" beantragten mündlichen Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 6 VwGG abgesehen werden. Die Anforderungen von Art. 6 EMRK sind nach der Rechtsprechung des EGMR (vgl. die Entscheidung vom , Zl. 68087/01 - Hofbauer/Österreich) auch bei Unterbleiben einer mündlichen Verhandlung oder überhaupt jeglicher Anhörung (im Originaltext: any hearing at all) erfüllt, wenn das Verfahren ausschließlich rechtliche oder "technische" Fragen betrifft. Der Gerichtshof verwies im erwähnten Zusammenhang auch auf das Bedürfnis der nationalen Behörden nach zweckmäßiger und wirtschaftlicher Vorgangsweise, das angesichts der sonstigen Umstände des Falles zum Absehen von einer mündlichen Verhandlung berechtigte. In der vorliegenden Beschwerde werden keine Rechts- oder Tatfragen von einer solchen Art aufgeworfen, dass deren Lösung eine mündliche Verhandlung erfordert hätte. Art. 6 EMRK steht somit dem Absehen von einer mündlichen Verhandlung nicht entgegen.

Wien, am