VwGH vom 19.04.2012, 2010/21/0287
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Novak und die Hofräte Dr. Pelant, Dr. Sulzbacher und Dr. Pfiel sowie die Hofrätin Dr. Julcher als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Pitsch, über die Beschwerde der M, vertreten durch Edward W. Daigneault, Rechtsanwalt in 1160 Wien, Lerchenfelder Gürtel 45/11, gegen den Bescheid der Bundespolizeidirektion Wien vom , Zl. III-1130892/FrB/10, betreffend Ladung in einer Angelegenheit nach dem Fremdenpolizeigesetz 2005 - FPG, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.326,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit dem angefochtenen Ladungsbescheid vom wurde die Beschwerdeführerin, eine nigerianische Staatsangehörige, aufgefordert, am um 11.45 Uhr zum Fremdenpolizeilichen Büro der Bundespolizeidirektion Wien (der belangten Behörde) zu kommen und in der Angelegenheit "Überprüfung der Identität" als Partei mitzuwirken, wobei neben dem Ladungsbescheid und einem amtlichen Lichtbildausweis folgende Unterlagen mitzubringen seien: "Reisepass, alle Identitätsdokumente, sprachkundige Vertrauensperson". Für den Fall der Nichtbefolgung der Ladung ohne Vorliegen eines wichtigen Grundes wurde die Erlassung eines Festnahmeauftrages gemäß § 74 Abs. 2 Z 4 FPG angedroht.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Aktenvorlage durch die belangte Behörde erwogen hat:
Als Rechtsgrundlage für den angefochtenen Ladungsbescheid kommt - auch wenn er sich nicht ausdrücklich darauf gestützt hat - nur § 19 AVG in Betracht.
Gemäß Abs. 1 erster Satz dieser Bestimmung ist die Behörde berechtigt, Personen, die in ihrem Amtsbereich ihren Aufenthalt (Sitz) haben und deren Erscheinen nötig ist, vorzuladen. Abs. 2 bestimmt, dass in der Ladung außer Ort und Zeit der Amtshandlung auch anzugeben ist, was den Gegenstand der Amtshandlung bildet, in welcher Eigenschaft der Geladene vor der Behörde erscheinen soll (als Beteiligter, Zeuge usw.) und welche Behelfe und Beweismittel mitzubringen sind. In der Ladung ist ferner bekanntzugeben, ob der Geladene persönlich zu erscheinen hat oder ob die Entsendung eines Vertreters genügt und welche Folgen an ein Ausbleiben geknüpft sind. Abs. 3 handelt von der Verpflichtung, der Ladung Folge zu leisten, sowie von den zur Durchsetzung dieser Verpflichtung anzuwendenden Zwangsmitteln. Gemäß Abs. 4 ist gegen die Ladung oder die Vorführung kein Rechtsmittel zulässig.
Die Beschwerdeführerin bringt vor, dass gegen sie mit Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom ein auf zehn Jahre befristetes Aufenthaltsverbot wegen Eingehens einer - von ihr bestrittenen - Aufenthaltsehe erlassen worden sei. Einer dagegen erhobenen Beschwerde habe der Verwaltungsgerichtshof nicht die aufschiebende Wirkung zuerkannt. Trotz Vorliegens des rechtskräftigen Aufenthaltsverbotes habe der Landeshauptmann von Wien ihre Niederlassungsbewilligung verlängert. Am sei ihr die bis zum gültige "NAG-Karte" ausgehändigt worden. Daraufhin habe sie die Verwaltungsgerichtshofbeschwerde gegen das Aufenthaltsverbot zurückgezogen. Am habe sie beim Landeshauptmann von Wien die Verlängerung der Niederlassungsbewilligung beantragt. Über diesen Antrag sei noch nicht entschieden worden. Sie sei daher auf Grund der nach Erlassung des Aufenthaltsverbotes erteilten Niederlassungsbewilligung und des unerledigten Verlängerungsantrags zum Aufenthalt in Österreich berechtigt. Eine Überprüfung der Identität - wobei es sich nach Kenntnis des Rechtsvertreters der Beschwerdeführerin um ein Gespräch im Beisein von Vertretern der nigerianischen Botschaft zwecks Ausstellung eines Heimreisezertifikates handle - sei, da sie nicht zur Ausreise verpflichtet sei, nicht notwendig. Außerdem verfüge sie über einen bis gültigen nigerianischen Reisepass.
Diesem Vorbringen ist die belangte Behörde nicht entgegen getreten. Die Erteilung einer vom bis zum gültigen Niederlassungsbewilligung steht im Übrigen auch im Einklang mit der Aktenlage; das offene Verfahren über den am gestellten Verlängerungsantrag wurde dem Verwaltungsgerichtshof auf telefonische Anfrage am durch die zuständige Magistratsabteilung bestätigt. Ausgehend davon trifft es aber zu, dass die Beschwerdeführerin zum Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides nicht zur Ausreise verpflichtet war:
Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes war die Erteilung der Niederlassungsbewilligung an die Beschwerdeführerin - trotz des in diesem Zeitpunkt bestehenden und einen (zwingenden) Versagungsgrund darstellenden Aufenthaltsverbotes - auch wirksam. Denn die Rechtskraft des Aufenthaltsverbotes bewirkte nicht die Unwirksamkeit der (zu Unrecht) erteilten Niederlassungsbewilligung, sondern die in Rechtskraft erwachsene Niederlassungsbewilligung verdrängte als spätere Norm die Rechtswirksamkeit des zuvor erteilten Aufenthaltsverbotes für die Zeit ihrer Geltungsdauer (vgl. das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2008/21/0123). Da die Beschwerdeführerin rechtzeitig vor Ablauf der Gültigkeit der Niederlassungsbewilligung deren Verlängerung begehrte, war dieser Antrag als Verlängerungsantrag im Sinn des § 24 Abs. 1 NAG zu qualifizieren. Demzufolge war sie nach § 24 Abs. 2 letzter Satz NAG bis zur rechtskräftigen Entscheidung über den Antrag weiterhin rechtmäßig niedergelassen. Das durch die rechtswirksame Erteilung des Aufenthaltstitels erlangte Niederlassungsrecht war somit während des Verfahrens über den Verlängerungsantrag perpetuiert und verdrängte auch in diesem Zeitraum das gegen sie mit Bescheid vom erlassene Aufenthaltsverbot.
Der angefochtene Ladungsbescheid erweist sich daher schon deswegen als rechtswidrig, weil sich die Beschwerdeführerin zum Zeitpunkt seiner Erlassung weder rechtswidrig in Österreich aufhielt noch ein Ende ihres Aufenthaltsrechts konkret absehbar war und ausgehend davon die Notwendigkeit der "Überprüfung der Identität" in einem - wie sich aus der Nennung des § 74 Abs. 2 Z 4 FPG ergibt - fremdenpolizeilichen Verfahren nicht zu erkennen ist.
Somit war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben, ohne dass auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen war.
Der Kostenzuspruch gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.
Wien, am