VwGH vom 07.05.2020, Ra 2019/03/0091
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Handstanger und den Hofrat Dr. Lehofer als Richter sowie die Hofrätin Mag. Dr. Maurer-Kober als Richterin, unter Mitwirkung des Schriftführers Dr. Zeleny, über die Revision des M S in K, vertreten durch Prof. Dipl.-Ing. Mag. Andreas O. Rippel, Rechtsanwalt in 1130 Wien, Maxingstraße 34, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Niederösterreich vom , Zl. LVwG-AV-810/004-2018, betreffend Waffenverbot (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bezirkshauptmannschaft Korneuburg), zu Recht erkannt:
Spruch
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
1 Zur Vorgeschichte in dieser Rechtssache wird auf das hg. Erkenntnis vom , Ra 2018/03/0131, verwiesen. 2 Mit diesem Erkenntnis hat der Verwaltungsgerichtshof das im ersten Rechtsgang erlassene Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Niederösterreich (Verwaltungsgericht) vom , mit welchem im Instanzenzug gegen den Revisionswerber gemäß § 12 Abs. 1 und 3 des Waffengesetzes 1996 (WaffG) ein Waffenverbot erlassen wurde, wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben. 3 Maßgeblich für die Aufhebung dieses Erkenntnisses war, dass das zur Amtswegigkeit verpflichtete Verwaltungsgericht dem Grundsatz der Unmittelbarkeit der Aufnahme der erforderlichen Beweise nicht entsprochen hatte, weil es (zudem ohne nähere Begründung) von der Einvernahme jener drei Zeugen Abstand genommen hat, auf deren Aussage es - mit seinem Hinweis auf den Akteninhalt und den daraus ersichtlichen Vernehmungen im erstinstanzlichen Verfahren - seine Tatsachenfeststellungen maßgebend gestützt hat. Das Verwaltungsgericht hat sich keinen unmittelbaren Eindruck von diesen Zeugen bzw. deren Glaubwürdigkeit verschafft und konnte den mit seiner Verhandlungspflicht verbundenen Zielsetzungen nicht gerecht werden, weshalb ihm relevante Verfahrensmängel vorzuwerfen waren.
4 Mit dem nunmehr angefochtenen (Ersatz-)Erkenntnis vom hat das Verwaltungsgericht die Beschwerde des Revisionswerbers - ohne Durchführung einer ergänzenden mündlichen Verhandlung - neuerlich als unbegründet abgewiesen und damit den erstinstanzlichen Bescheid vom , mit dem gegen den Revisionswerber gemäß § 12 Abs. 1 und 3 WaffG ein Waffenverbot erlassen wurde, bestätigt. Die Revision erklärte das Verwaltungsgericht für nicht zulässig.
5 Begründend führte das Verwaltungsgericht aus, dass zwischenzeitig das Strafverfahren gegen den Revisionswerber wegen § 83 Abs. 1 StGB gemäß § 199 iVm 204 StPO nach erfolgreich durchgeführtem außergerichtlichem Tatausgleich nach Leistung einer Schadensgutmachung in Höhe von EUR 350,-- an den Geschädigten eingestellt worden sei. Der Kontrahent F. sei mit Urteil des Bezirksgerichts K. von dem wider ihn im Strafantrag der Staatsanwaltschaft K. erhobenen Vorwurf, die rechte Hand des Revisionswerbers gepackt und verdreht zu haben, wodurch dieser eine Zerrung im Bereich des rechten Handgelenks sowie der rechten Ellenbeuge erlitten habe und leicht verletzt worden wäre, gemäß § 259 Z 3 StPO freigesprochen worden.
6 Die Feststellung - so das Verwaltungsgericht weiter -, wonach der Revisionswerber mehrmals mit der Faust auf den Hals-, Nacken- und Brustbereich des F. eingeschlagen habe, dieser dadurch eine Nackenprellung erlitten habe und leicht verletzt worden sei, wobei dem körperlichen Angriff eine verbale Auseinandersetzung vorausgegangen sei, leite sich jedenfalls nicht alleine daraus ab, dass der Revisionswerber der Diversion zugestimmt habe, sondern ergebe sich dies im Zusammenhang mit dem Akt der belangten Behörde und den darin befindlichen von der Polizei getätigten Einvernahmen ebenso, wie dem beigeschafften Akt des Bezirksgerichts K., also der Hauptverhandlung gegen F., sowie der vom Revisionswerber erfolgten Schadensgutmachung an F.
7 Abgeleitet davon sei deshalb festzustellen, dass der Revisionswerber bei von ihm subjektiv gefühlsbedingt als Verletzung oder Zurücksetzung wahrgenommenen Verhaltensweisen mit körperlichen Angriffen reagiere. Das Verhalten des Revisionswerbers zeige jedenfalls, dass er in für ihn belastenden Stresssituationen durchaus bereit sei, mit Gewalt zu reagieren. Aufgrund einer derartigen offensichtlichen Unbeherrschtheit liege der Schluss nahe, dass er, wäre er nicht mit einem Waffenverbot belegt, unter Umständen auch zu seinen Waffen greifen und diese in derartigen Situationen verwenden könnte. Der durchaus massive körperliche Angriff des Revisionswerbers, welcher faktisch auf einer Nichtigkeit beruhe, weil ihm F. zwar den Schlüssel nicht habe geben wollen, ihm aber angeboten hätte, die Tür aufzusperren, der Revisionswerber ihn aber trotzdem mehrfach mit der Faust geschlagen habe, stelle jedenfalls eine konkrete Tatsache im Sinne des § 12 Abs. 1 WaffG dar, die ein für die Beurteilung der Voraussetzung eines Waffenverbots relevantes Bild von der Persönlichkeit des Revisionswerbers zu vermitteln in der Lage sei und wegen des damit zu Tage getretenen Aggressionspotentials das von der belangten Behörde verhängte Waffenverbot rechtfertige. 8 Gegen dieses Erkenntnis wendet sich die vorliegende außerordentliche Revision mit dem Antrag, der Verwaltungsgerichthof möge das angefochtene Erkenntnis wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufheben. Zur Zulässigkeit der Revision wird ausgeführt, das Verwaltungsgericht habe das hg. Erkenntnis vom , Ra 2018/03/0131, schlichtweg missachtet, indem es erneut auf die vor der Polizei durchgeführten Aussagen zurückgegriffen, jedoch keine Einvernahme der beteiligten Personen vorgenommen habe. Eine Einvernahme wäre aber notwendig gewesen, wenn das Verwaltungsgericht inhaltlich den Aussagen dieser Personen folge. Mit den Widersprüchen in den Aussagen habe sich das Verwaltungsgericht nicht auseinandergesetzt. Es sei ständige Rechtsprechung, dass die Annahme der Diversion kein Schuldeingeständnis sei.
9 Die vor dem Verwaltungsgericht belangte Behörde erstattete eine Revisionsbeantwortung, in welcher sie den Ausführungen der Revision entgegentrat und die kostenpflichtige Abweisung der Revision beantragte.
10 Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:
11 Die Revision ist - im Hinblick auf die im Verfahren unterlaufenen relevanten Verfahrensmängel, auf die die Revision hinweist, - zulässig und berechtigt.
12 Gemäß § 63 Abs. 1 VwGG sind, wenn der Verwaltungsgerichtshof einer Revision stattgegeben hat, die Verwaltungsgerichte und die Verwaltungsbehörden verpflichtet, in der betreffenden Rechtssache mit den ihnen zu Gebote stehenden rechtlichen Mitteln unverzüglich den der Rechtsanschauung des Verwaltungsgerichtshofes entsprechenden Rechtszustand herzustellen.
13 Erfolgt die Aufhebung eines Erkenntnisses wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften, weil es das Verwaltungsgericht unterlassen hat, die für die Beurteilung des Rechtsfalls wesentlichen Sachverhaltsermittlungen zu treffen, so besteht die Herstellung des der Rechtsanschauung des Verwaltungsgerichtshofes entsprechenden Rechtszustands im Sinn des § 63 VwGG darin, dass das Verwaltungsgericht nunmehr jene Ergänzungen des Ermittlungsverfahrens durchführt, die eine erschöpfende Beurteilung des maßgebenden Sachverhalts ermöglichen (vgl. zur insoweit übertragbaren Rechtslage vor der Verwaltungsgerichtsbarkeits-Novelle 2012, , sowie , beide mwN). 14 Entgegen dem klaren Gesetzeswortlaut und der dazu ergangenen unmissverständlichen Rechtsprechung hat das Verwaltungsgericht nicht jene Ergänzungen des Ermittlungsverfahrens durchgeführt, deren Unterlassen im ersten Rechtsgang zur Aufhebung des Erkenntnisses geführt hat. 15 Der Verwaltungsgerichtshof hat in seinem Vorerkenntnis vom , Ra 2018/03/0131, ausgesprochen, dass es gerade im Fall widersprechender prozessrelevanter Behauptungen zu den grundlegenden Pflichten des Verwaltungsgerichts gehört, dem in § 24 VwGVG verankerten Unmittelbarkeitsprinzip Rechnung zu tragen und sich als Gericht einen persönlichen Eindruck von der Glaubwürdigkeit der Zeugen bzw. Parteien zu verschaffen und insbesondere darauf seine Beweiswürdigung zu gründen. Steht der Aufnahme eines unmittelbaren Beweises kein tatsächliches Hindernis entgegen, darf sich das Verwaltungsgericht nicht mit einem mittelbaren Beweis zufrieden geben. Die Unmittelbarkeit in Hinblick auf die Aussage eines Zeugen verlangt damit dessen Einvernahme vor dem erkennenden Verwaltungsgericht. 16 Diesem Grundsatz der Unmittelbarkeit der Aufnahme der erforderlichen Beweise hat das Verwaltungsgericht mit dem nunmehr erlassenen (Ersatz-)Erkenntnis nicht entsprochen, weil es seine Tatsachenfeststellung, wonach der Revisionswerber mehrmals mit der Faust auf den Hals-, Nacken- und Brustbereich des F. eingeschlagen habe, wodurch dieser eine Nackenprellung erlitten habe und leicht verletzt worden sei, erneut tragend auf den Akteninhalt - nämlich die Vernehmungen im erstinstanzlichen Verfahren und der Hauptverhandlung gegen F. B. beim Bezirksgericht K. - gestützt hat. Eine Einvernahme jener drei Zeugen, auf deren Aussagen sich die Feststellung des Verwaltungsgerichts stützt und welche das Verwaltungsgericht als glaubhaft erachtete, erfolgte hingegen nicht.
17 Darüber hinaus findet sich im angefochtenen Erkenntnis keinerlei Begründung dahingehend, weshalb das Verwaltungsgericht letztlich den Angaben der (von ihm nicht einvernommenen) Zeugen Glauben schenkte, jenen des Revisionswerbers, welche diesen widersprechen, hingegen nicht. Damit entzieht sich die Begründung des Verwaltungsgerichts jedoch einer nachprüfenden Kontrolle des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. zum Erfordernis und zu den Voraussetzungen einer ordnungsgemäßen Begründung erneut , Rn. 12, mwN).
18 Indem das Verwaltungsgericht seine Sachverhaltsfeststellunge n somit erneut maßgebend auf die im Akt erliegenden Protokolle und Unterlagen gestützt und sich dadurch mit einem bloß mittelbaren Beweis zufrieden gegeben hat, ohne sich einen unmittelbaren Eindruck von den Zeugen bzw. deren Glaubwürdigkeit zu verschaffen, hat das Verwaltungsgericht den sich aus dem hg. Erkenntnis vom , Ra 2018/03/0131, ergebenden Anforderungen nicht entsprochen.
19 Soweit sich das Verwaltungsgericht in seiner Begründung ergänzend auf die vom Revisionswerber erfolgte Zustimmung zur Diversion stützt, ist darauf hinzuweisen, dass aus dem Umstand, dass der Revisionswerber - aus welchem Grund auch immer - die Diversion als Mittel der Erledigung des gegen ihn geführten Strafverfahrens hingenommen hat, nicht ohne Weiteres auf die Richtigkeit des gegen ihn erhobenen Tatvorwurfs geschlossen werden kann (vgl. ; , 2009/03/0049).
20 Für die Beurteilung, ob die Voraussetzungen für die Erlassung eines Waffenverbots nach § 12 Abs. 1 WaffG vorliegen, ist nicht entscheidend, ob die Strafverfolgungsbehörde wegen des strittigen Vorfalls von einer Verfolgung - allenfalls nach diversionellem Vorgehen - Abstand genommen hat, weil diese Entscheidung für die Waffenbehörde und das Verwaltungsgericht keine Bindungswirkung entfaltet. Nichts anderes kann gelten, wenn - wie hier - nicht die Staatsanwaltschaft nach § 198 StPO von der Verfolgung zurücktritt, sondern gemäß § 199 StPO das Gericht unter sinngemäßer Anwendung der für die Staatsanwaltschaft geltenden Bestimmungen der § 198 und 200 bis 209b StPO die Diversion beschließt (vgl. erneut , mwN). 21 Davon ausgehend kann - entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichts - aber auch aus der erfolgten Schadensgutmachung des Revisionswerbers an F., welche im Zuge des außergerichtlichen Tatausgleichs geleistet wurde, nicht ohne Weiteres abgeleitet werden, dass der Revisionswerber die strittige Tat tatsächlich begangen hat und diese als erwiesen anzusehen wäre. So hat der Verwaltungsgerichtshof bereits festgehalten, dass der Umstand, dass der Revisionswerber den eingetretenen Schaden dem Geschädigten ersetzt hat, für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit des verhängten Waffenverbots ohne Bedeutung ist (vgl. ).
22 Vielmehr haben die Waffenbehörden und das Verwaltungsgericht auch im Falle der Diversion oder im Falle eines Freispruchs von einem Tatvorwurf eigenständig zu beurteilen, ob ein Sachverhalt vorliegt, der nach den vom Waffengesetz vorgegebenen Kriterien die Erlassung eines Waffenverbots rechtfertigt (vgl. ; , Ra 2017/03/0031, mwN). Diese Beurteilung setzt jedoch ein mängelfreies Ermittlungsverfahren (und damit eine vollständige Beweiserhebung) voraus, aufgrund dessen in einer ausreichend begründeten Entscheidung festgestellt wird, dass die betreffende Person die ihr zur Last gelegten Taten, auf die das Waffenverbot gestützt werden soll, auch tatsächlich begangen hat (vgl. ; , Ra 2017/03/0031; , Ro 2014/03/0033).
23 Diesen Anforderungen an ein ordnungsgemäßes Ermittlungsverfahren sowie an eine nachvollziehbare und nachprüfbare Begründung hat das Verwaltungsgericht nicht entsprochen.
24 Das angefochtene Erkenntnis war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
25 Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die § 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014. Wien, am
Zusatzinformationen
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ECLI: | ECLI:AT:VWGH:2020:RA2019030091.L00 |
Schlagworte: | Beweismittel Zeugen Parteiengehör Unmittelbarkeit Teilnahme an Beweisaufnahmen Sachverhalt Sachverhaltsfeststellung Sachverhalt Sachverhaltsfeststellung Verfahrensmangel |
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