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VwGH vom 15.09.2010, 2008/18/0467

VwGH vom 15.09.2010, 2008/18/0467

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Sulyok sowie den Hofrat Dr. Enzenhofer, die Hofrätin Mag. Merl und die Hofräte Dr. Lukasser und Mag. Haunold als Richter, im Beisein des Schriftführers Dr. Schmidl, über die Beschwerde der MM in W, vertreten durch Dr. Wolfgang Zatlasch, Rechtsanwalt in 1060 Wien, Mariahilfer Straße 49, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom , Zl. E1/71.118/2008, betreffend Ausweisung gemäß § 53 FPG, zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Die Beschwerdeführerin hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von EUR 610,60 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

I.

1. Mit dem angefochtenen, im Instanzenzug ergangenen Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien (der belangten Behörde) vom wurde die Beschwerdeführerin, eine serbische Staatsangehörige, gemäß § 53 Abs. 1 des Fremdenpolizeigesetzes 2005 - FPG, BGBl. I Nr. 100, ausgewiesen.

Die belangte Behörde legte ihrer Entscheidung im Wesentlichen die Feststellungen zugrunde, dass die Beschwerdeführerin laut Aktenlage am illegal nach Österreich eingereist sei und am beim Bundesasylamt einen Asylantrag gestellt habe. Das Asylverfahren sei am gemäß § 7 und § 8 Asylgesetz (AsylG) in zweiter Instanz rechtskräftig negativ abgeschlossen worden. Gemäß § 8 AsylG sei festgestellt worden, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung der Beschwerdeführerin nach Serbien zulässig sei.

Die Beschwerdeführerin sei seit im Bundesgebiet mit Hauptwohnsitz gemeldet. Am habe sie beim "Magistrat der Stadt Wien, Magistratsabteilung 35 (MA 35)", einen "Erstantrag mit dem Aufenthaltszweck Familienangehörige" eingebracht.

Mit Verständigung vom Ergebnis der Beweisaufnahme vom sei der Beschwerdeführerin die beabsichtigte Erlassung einer Ausweisung zur Kenntnis gebracht worden. In einer folgenden Stellungnahme habe die Beschwerdeführerin unter anderem angegeben, sie befinde sich seit dem Jahr 2004 in Österreich und habe keine formelle Schulausbildung absolviert. Die nächsten Angehörigen in Österreich seien ihr Ehemann, welcher über eine Aufenthaltsberechtigung verfüge, und ihre drei Kinder. Die Beschwerdeführerin selbst sei Hausfrau und sorge für die Kinder, ihr Gatte bestreite den finanziellen Aufwand. Unter Hinweis auf die Asylgründe habe die Beschwerdeführerin angeführt, sie wolle weiter in Österreich verbleiben.

Mit Bescheid der Behörde erster Instanz vom sei die Beschwerdeführerin ausgewiesen worden. Die Ausweisung sei am zuhanden ihres Rechtsfreundes zugestellt worden, und die Beschwerdeführerin habe fristgerecht Berufung erhoben. Der erstinstanzliche Bescheid sei zur Gänze angefochten worden. Die Beschwerdeführerin habe unter anderem darauf verwiesen, dass sie "bei der MA 35" einen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels für den Zweck "Familienangehöriger" gestellt habe und dieses Verfahren noch anhängig sei. Wenn die erstinstanzliche Behörde vermeine, dass ein solches Verfahren nicht erfolgreich abgeschlossen werden könne, so fehle der erstinstanzlichen Behörde die Entscheidungskompetenz, weil die "Zuständigkeit der MA 35" gegeben sei. Zudem übersehe die erstinstanzliche Behörde, dass gemäß §§ 72 ff NAG Aufenthaltsbewilligungen auch aus humanitären Gründen erteilt werden könnten. Die Voraussetzungen dafür erschienen im gegenständlichen Fall gegeben, weil es sich bei der Familie der Beschwerdeführerin um eine intakte Familie handle, die seit über vier Jahren in Österreich zusammenwohne. Die Trennung der Familie und die Verbringung der Mutter in das Ausland würden somit gröblichst gegen die Bestimmungen des § 66 FPG verstoßen, vor allem aber gegen Art. 8 Abs. 1 EMRK. Der bloße Sachverhalt einer Antragstellung vom Inland aus zur Erteilung eines Aufenthaltstitels als Familienangehöriger könne wohl nicht, wie dies offenbar die Behörde erster Instanz vermeine, zum Anlass genommen werden, nun sofort mit einer Ausweisung vorzugehen. Überdies könne dem Bescheid auch nicht entnommen werden, dass die angeblichen öffentlichen Interessen unverhältnismäßig schwerer wögen als die Trennung der Beschwerdeführerin von ihrer Familie. Eine Ausweisung erscheine daher rechtswidrig.

Dazu hat die belangte Behörde unter Hinweis auf § 53 Abs. 1 FPG ausgeführt: Die Beschwerdeführerin verfüge über keinen Aufenthaltstitel. Wenn sie vorbringe, sie habe einen Erstantrag als Familienangehörige "bei der MA 35" eingebracht, so müsse dem entgegnet werden, dass die bloße Stellung von Anträgen auf Erteilung einer (humanitären) Aufenthalts- bzw. Niederlassungsbewilligung dem Fremden weder ein durchsetzbares - und vor dem Verwaltungsgerichtshof geltend zu machendes - Recht auf Inlandsantragstellung einräume, noch dies den Aufenthalt des Fremden zu legalisieren vermöge. Ein solcher Antrag bzw. ein insoweit offenes Verfahren stehe daher einer Ausweisung gemäß § 53 FPG nicht entgegen. Die Voraussetzungen zur Erlassung einer Ausweisung lägen daher vor.

Die Behörde habe bei ihrer Ermessensentscheidung gemäß § 53 Abs. 1 FPG in Erwägung zu ziehen, ob und - wenn ja - welche bestimmten Umstände im Einzelfall vor dem Hintergrund der gesamten Rechtsordnung für und gegen eine Ausweisung der Beschwerdeführerin sprächen, und sich dabei insbesondere von den Vorschriften des FPG leiten zu lassen.

Die Beschwerdeführerin lebe im Haushalt ihres Ehemannes zusammen mit ihren drei Kindern. Natürlich müsse angesichts des mehrjährigen Aufenthaltes der Beschwerdeführerin seit August 2003 und der familiären Bindungen von einem mit der aufenthaltsbeendenden Maßnahme einhergehenden Eingriff in das Privat- und Familienleben der Beschwerdeführerin ausgegangen werden. Allerdings wirke die Tatsache, dass sich die Beschwerdeführerin seit rechtskräftigem Abschluss ihres Asylverfahrens () unrechtmäßig in Österreich aufgehalten habe, interessenmindernd. Die aus der Aufenthaltsdauer allfällig ableitbare Integration werde in ihrem Gewicht auch dadurch deutlich gemindert, dass der Aufenthalt der Beschwerdeführerin nur bis November 2007 - und dies nur auf Grund eines nicht erfolgreichen Asylantrages - berechtigt gewesen sei. Durchaus erheblich seien die familiären Bindungen zum Ehemann und zu den Kindern. Die aus der Ehe bzw. dem gemeinsamen Aufenthalt der Beschwerdeführerin mit ihrer Familie ableitbaren familiären Interessen würden in ihrem Gewicht aber dadurch gemindert, dass der Aufenthalt der Beschwerdeführerin bereits ab illegaler Einreise nach Österreich lediglich nach den Bestimmungen des Asylgesetzes "geduldet" worden sei. Die Beschwerdeführerin habe ab Begründung des Wohnsitzes mit ihrem bereits in Österreich aufhältigen Ehemann (laut ihren Angaben im Asylverfahren hätten sich zum Zeitpunkt der Einreise der Beschwerdeführerin ihr Mann und ihre Tochter bereits in Österreich befunden) nicht damit rechnen dürfen, auf Dauer in Österreich bleiben zu können. Es sei wohl davon auszugehen, dass die Beschwerdeführerin bewusst nicht den (legalen) Weg der Auslandsantragstellung zum Zwecke einer allfälligen Familienzusammenführung gewählt habe, sondern durch ihre illegale Einreise und die Vortäuschung von Asylgründen ihren ("geduldeten") Aufenthalt in Österreich sofort zu erzwingen versucht habe. Weitere, für die Intensität der privaten und familiären Interessen am Verbleib im Bundesgebiet maßgebliche Umstände, insbesondere eine Integration am Arbeitsmarkt, seien nicht vorgebracht worden.

Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes komme der Befolgung der den Aufenthalt von Fremden regelnden Vorschriften durch den Normadressaten aus der Sicht des Schutzes und der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und der geordneten Abwicklung des Fremdenwesens (Art. 8 Abs. 2 EMRK) ein sehr hoher Stellenwert zu. Diese Regelungen seien von der Beschwerdeführerin angesichts der Tatsache, dass sie sich bereits über einen erheblichen Zeitraum unrechtmäßig im Bundesgebiet aufhalte und längst ausreisen hätte müssen, in äußerst gravierender Weise missachtet worden. Die Beeinträchtigung des hoch zu veranschlagenden maßgeblichen öffentlichen Interesses an der Wahrung eines geordneten Fremdenwesens sei von solchem Gewicht, dass die vorhandenen gegenläufigen privaten Interessen jedenfalls nicht höher zu bewerten seien als das Interesse der Allgemeinheit an der Ausreise der Beschwerdeführerin aus dem Bundesgebiet. Der mit der Ausweisung verbundene Eingriff in das Privat- und Familienleben der Beschwerdeführerin (ein Eingriff in berufliche Interessen liege nicht vor) werde in seinem Gewicht durch die Dauer und die Beharrlichkeit des illegalen Aufenthalts bei weitem aufgewogen. Dem genannten öffentlichen Interesse laufe es grob zuwider, wenn ein Fremder bloß auf Grund von Tatsachen, die von ihm geschaffen worden seien (Nichtausreise trotz fehlendem Aufenthaltstitel), den tatsächlichen Aufenthalt im Bundesgebiet auf Dauer erzwingen könne. Eine entsprechende Interessenabwägung ergebe daher kein Überwiegen der persönlichen Interessen an der Beendigung des Aufenthaltes der Beschwerdeführerin. Es könne somit kein Zweifel bestehen, dass die Erlassung der Ausweisung dringend geboten und auch zulässig im Sinn des § 66 Abs. 1 FPG sei. Letztendlich werde darauf hingewiesen, dass mit einer Ausweisung nicht darüber abgesprochen werde, dass die Beschwerdeführerin in ein bestimmtes Land auszureisen habe oder (allenfalls) abgeschoben werde.

Besondere Umstände, die eine Ermessensübung zuließen und über die oben erwähnten Aspekte hinausgingen, seien weder vorgebracht worden, noch hätten solche erkannt werden können.

2. Gegen diesen Bescheid richtet sich die Beschwerde mit dem Begehren, ihn wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

3. Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und beantragt in ihrer Gegenschrift die Abweisung der Beschwerde.

II.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

1. Die Beschwerde bestreitet nicht, dass sich die Beschwerdeführerin seit der rechtskräftigen Abweisung ihres Asylantrages im November 2007 unrechtmäßig im Bundesgebiet aufhält. Im Hinblick darauf begegnet die - unbekämpfte - Auffassung der belangten Behörde, dass der Tatbestand des § 53 Abs. 1 FPG erfüllt sei, keinen Bedenken.

Das Vorbringen in der Beschwerde, dass die Beschwerdeführerin einen "Visumsantrag mit dem Aufenthaltszweck Familienangehörige" gestellt habe, vermag daran nichts zu ändern, weil nach ständiger hg. Rechtsprechung die Anhängigkeit eines Verfahrens über einen Erstantrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels zu keiner Einschränkung der behördlichen Ermächtigung zur Erlassung einer Ausweisung führt (vgl. dazu etwa das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2009/18/0492, mwN).

2. Die Beschwerde bekämpft den angefochtenen Bescheid unter dem Blickwinkel des Art. 8 EMRK bzw. des § 66 FPG und bringt dazu vor, die belangte Behörde habe keine Interessenabwägung vorgenommen und nur festgestellt, dass die geordnete Abwicklung des Fremdenwesens einen hohen Stellenwert habe. Außerdem habe das Asylverfahren der Beschwerdeführerin über vier Jahre angedauert, weshalb ein Verstoß gegen Art. 6 EMRK vorliege und man diesen Zeitraum bei der Beurteilung der Integration der Beschwerdeführerin berücksichtigen müsse. Eine Ausweisung der Beschwerdeführerin erscheine nicht geboten und vor allem nicht dringlich, weil die Beschwerdeführerin weder mit den Gesetzen in ihrem Heimatland noch mit den Gesetzen im Aufenthaltsstaat je in Konflikt geraten sei. Die Ausweisung würde aus rein formalen Gründen erfolgen, wobei eine inhaltliche Interessenabwägung im Sinne des Art. 8 EMRK tatsächlich nicht vorgenommen worden sei.

Mit diesem Vorbringen zeigt die Beschwerde keine Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides auf.

Bei der Prüfung der Zulässigkeit der Ausweisung im Grunde des § 66 FPG und des Art. 8 Abs. 2 EMRK hat die belangte Behörde die Dauer des inländischen Aufenthaltes der Beschwerdeführerin und ihre familiären Bindungen zu ihrem Gatten und den drei Kindern berücksichtigt und ist zutreffend von einem mit der Ausweisung verbundenen Eingriff in das Privat- und Familienleben der Beschwerdeführerin ausgegangen. Die daraus ableitbare Integration der Beschwerdeführerin wird in ihrem Gewicht jedoch dadurch entscheidend gemindert, dass ihr Aufenthalt nach ihrer illegalen Einreise im September 2003 nur auf Grund des von ihr gestellten Asylantrages vorläufig berechtigt war und seit der rechtskräftigen negativen Beendigung des Asylverfahrens unberechtigt ist (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2009/18/0420, mwN). Der Beschwerdeführerin musste somit die Unsicherheit ihres Aufenthaltsstatus bewusst sein. Sonstige integrationsbegründende Umstände, wie etwa eine berufliche Integration, wurden nicht geltend gemacht.

Den persönlichen Interessen der Beschwerdeführerin an einem weiteren Aufenthalt im Bundesgebiet steht gegenüber, dass sie durch ihren unrechtmäßigen Aufenthalt in Österreich das große öffentliche Interesse an der Einhaltung der die Einreise und den Aufenthalt von Fremden regelnden Vorschriften, dem aus der Sicht des Schutzes und der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung (Art. 8 Abs. 2 EMRK) ein hoher Stellenwert zukommt, erheblich beeinträchtigt hat. In Anbetracht dessen begegnet die Ansicht der belangten Behörde, dass die Ausweisung zur Erreichung der im Art. 8 EMRK genannten Ziele dringend geboten und somit unter dem Gesichtspunkt des § 66 Abs. 1 FPG zulässig sei, auch unter Berücksichtigung der strafgerichtlichen Unbescholtenheit der Beschwerdeführerin keinem Einwand.

Aufgrund des Gesagten geht auch die diesbezüglich erhobene Verfahrensrüge, die belangte Behörde habe keine nachvollziehbare Interessenabwägung durchgeführt, ins Leere. Entgegen der Beschwerdeansicht hat die belangte Behörde auch nicht geprüft, inwiefern die Niederlassungsbehörden unter Anwendung der §§ 72 bis 74 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz eine Aufenthaltserlaubnis zu erteilen hätten, sondern - zutreffend - den Schutz des Privat- und Familienlebens der Beschwerdeführerin unter dem Blickwinkel des § 66 FPG beurteilt.

3. Wenn sich die Beschwerdeführerin auf Grund der Dauer des Asylverfahrens in Art. 6 EMRK verletzt erachtet, ist sie darauf zu verweisen, dass die Prüfung der Rechtmäßigkeit des Asylverfahrens nicht Gegenstand dieses Verfahrens ist (vgl. dazu etwa das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2007/18/0765).

4. Die Beschwerde erweist sich daher als unbegründet, weshalb sie gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen war.

5. Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. II Nr. 455/2008.

Wien, am

Fundstelle(n):
LAAAE-81354