VwGH vom 14.03.2013, 2013/08/0022
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Präsident Dr. Jabloner und die Hofräte Dr. Strohmayer und Dr. Lehofer als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Peck, über die Beschwerde der LA in Wien, vertreten durch Mag. Johannes Schmidt, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Nibelungengasse 8/1/1-3, gegen den auf Grund eines Beschlusses des Ausschusses für Leistungsangelegenheiten ausgefertigten Bescheid der Landesgeschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Wien vom , Zl. 2012-0566-9-002870, betreffend Widerruf und Rückforderung von Notstandshilfe, zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Begründung
Mit dem im Instanzenzug ergangenen angefochtenen Bescheid hat die belangte Behörde die Zuerkennung der Notstandshilfe an die Beschwerdeführerin vom bis zum gemäß § 24 Abs. 2 AlVG widerrufen und den unberechtigt empfangenen Betrag in Höhe von EUR 11.014,99 gemäß § 25 Abs. 1 iVm § 38 AlVG zurückgefordert.
Die Beschwerdeführerin beziehe seit 2008 mit Unterbrechungen Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung. Sie habe in ihren Zuerkennungsanträgen vom , und jeweils angegeben, dass sie mit ihrem selbständig erwerbstätigen Ehemann und zwei Kindern im gemeinsamen Haushalt lebte. Auf Grund ihrer Angabe, dass ihr Ehemann vom 1. Jänner bis zum EUR 800,-- netto und vom 1. April bis zum EUR 1.000,-- verdient habe, sei ihr ab Notstandshilfe in der Höhe von EUR 31,30 (täglich) sowie ab in Höhe von EUR 24,63 (täglich) zuerkannt und ausbezahlt worden.
In der Folge sei der regionalen Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Wien (AMS) der Einkommensbescheid des Ehemannes der Beschwerdeführerin für das Jahr 2010 zur Kenntnis gelangt. Das Finanzamt Wien habe dem AMS mitgeteilt, dass gegen den Einkommensteuerbescheid keine Berufung erhoben worden sei. Es sei keine Betriebsaufgabebilanz eingebracht oder gegenüber dem Finanzamt erklärt worden. Es sei auch nicht erklärt worden, dass die Einkünfte von EUR 100.000,-- aus einer Geschäftsauflösung stammen würden. Aus dem rechtskräftigen Bescheid sei ersichtlich, dass der Ehemann der Beschwerdeführerin im Jahr 2010 Einkünfte aus Gewerbebetrieb in Höhe von EUR 109.465,34 erzielt habe. Abzüglich der Sonderausgaben in Höhe von EUR 60,-- und der Einkommensteuer in der Höhe von EUR 44.937,67 ergebe sich für 2010 ein durchschnittliches monatliches Nettoeinkommen von EUR 5.372,31.
Der Ehemann der Beschwerdeführerin sei während des gesamten Jahres 2010 als Weinhändler in einem Kiosk selbständig erwerbstätig gewesen. Es sei ihm gesundheitlich schlecht gegangen. Der Stand sei besonders im Winter sehr "zugig" gewesen. Er habe ihn daher um EUR 120.000,-- inkl. MwSt verkauft. Die Übergabe sei am erfolgt. Um den Erlös habe er ein Lokal in einem fixen Gebäude (ab dem ) erworben, um weiter den Weinhandel betreiben zu können. Das neue Lokal habe sich in der Nähe des alten befunden, damit er seine Stammkundschaft nicht verliere. Eine Betriebsaufgabebilanz sei nicht erstellt worden. Er habe im Jahr 2010 einen außergewöhnlichen Veräußerungsgewinn in Höhe von EUR 93.096,05 erzielt, der in den Einkünften aus Gewerbebetrieb enthalten sei. In seiner Einkommensteuererklärung für das Jahr 2010 habe er Erträge/Betriebseinnahmen in Höhe von EUR 118.108,38 angegeben.
In rechtlicher Hinsicht führte die belangte Behörde aus, das laut rechtskräftigem Einkommensteuerbescheid ermittelte monatliche Nettoeinkommen sei jeweils im Folgemonat auf den Notstandshilfeanspruch anzurechnen. Das AMS sei an rechtskräftige Einkommensteuerbescheide gebunden. Unter Einkommen sei nicht der dem Arbeitslosen bzw. seiner Familie zur Verfügung stehende Geldbetrag oder die Entnahmen zu verstehen. Das Nettoeinkommen eines selbständigen Erwerbstätigen setzte sich vielmehr aus dem Gesamtbetrag der Einkünfte nach Ausgleich mit Verlusten sowie Abzug der Sonderausgaben des § 18 EStG 1988, der außergewöhnlichen Belastungen iSd §§ 34 und 35 EStG 1988 und der Freibeträge sowie der Einkommensteuer zusammen. Einkommen iSd AlVG sei das Einkommen gemäß § 2 Abs. 2 Einkommensteuergesetz 1988 zuzüglich der Hinzurechnungen gemäß Abs. 3 und dem Pauschalierungsausgleich gemäß Abs. 4. Einkommensteile, die mit dem festen Satz des § 67 EStG 1988 zu versteuern seien, blieben außer Betracht.
In Anbetracht des durchschnittlichen Einkommens des Ehemannes der Beschwerdeführerin im Jahr 2010 von EUR 5.372,31 sowie den Freigrenzen für ihren Partner und die beiden Kinder ergebe sich für den Zeitraum vom 1. Februar bis ein anrechenbares monatliches Einkommen von EUR 4.382,-- bzw. von EUR 144,07 täglich. Dieser Betrag übersteige den theoretischen Notstandshilfeanspruch in Höhe von EUR 31,30, sodass der Bezug für den genannten Zeitraum zu widerrufen gewesen sei. Für Jänner 2011 ergebe sich (auf Grund geänderter Freigrenzen) ein Anrechnungsbetrag von EUR 143,67 täglich, der ebenfalls den Notstandshilfeanspruch übersteige, sodass auch der Bezug vom 1. Jänner bis zum zu widerrufen gewesen sei. Da sich nach dem Vorliegen des Einkommensteuerbescheides herausgestellt habe, dass die Notstandshilfe nicht gebührt habe, sei die Rückforderung der ausbezahlten Leistungen iHv EUR 11.014,99 gerechtfertigt.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z. 2 VwGG gebildeten Senat erwogen hat:
Gemäß § 24 Abs. 2 AlVG (in der Fassung BGBl. I Nr. 82/2008) ist die Zuerkennung des Arbeitslosengeldes zu widerrufen, wenn die Zuerkennung gesetzlich nicht begründet war. Wenn die Bemessung des Arbeitslosengeldes fehlerhaft war, ist die Bemessung rückwirkend zu berichtigen.
Gemäß § 25 Abs. 1 AlVG (in der Fassung BGBl. I Nr. 104/2007) ist der Empfänger des Arbeitslosengeldes bei Einstellung, Herabsetzung, Widerruf oder Berichtigung einer Leistung zum Ersatz des unberechtigt Empfangenen zu verpflichten, wenn er den Bezug durch unwahre Angaben oder durch Verschweigung maßgebender Tatsachen herbeigeführt hat oder wenn er erkennen musste, dass die Leistung nicht oder nicht in dieser Höhe gebührte. Der Empfänger einer Leistung nach diesem Bundesgesetz ist auch dann zum Ersatz des unberechtigt Empfangenen zu verpflichten, wenn sich ohne dessen Verschulden auf Grund eines nachträglich vorgelegten Einkommensteuer- oder Umsatzsteuerbescheides ergibt, dass die Leistung nicht oder nicht in diesem Umfang gebührte; in diesem Fall darf jedoch der Rückforderungsbetrag das erzielte Einkommen nicht übersteigen.
Gemäß § 38 Abs. 1 AlVG sind auf die Notstandshilfe die oben genannten Bestimmungen über das Arbeitslosengeld sinngemäß anzuwenden.
Nach § 33 Abs. 2 AlVG ist Voraussetzung für die Gewährung der Notstandshilfe u.a., dass sich der Arbeitslose in Notlage befindet. Gemäß § 33 Abs. 3 AlVG liegt Notlage vor, wenn dem Arbeitslosen die Befriedigung der notwendigen Lebensbedürfnisse unmöglich ist.
Gemäß § 36 Abs. 1 AlVG hat der Bundesminister für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz nach Anhörung der gesetzlichen Interessensvertretungen der Arbeitgeber und der Arbeitnehmer Richtlinien über das Vorliegen einer Notlage iSd § 33 Abs. 3 AlVG zu erlassen. Nach § 36 Abs. 2 AlVG sind bei der Beurteilung der Notlage die gesamten wirtschaftlichen Verhältnisse des Arbeitslosen selbst sowie der mit dem Arbeitslosen im gemeinsamen Haushalt lebenden Ehegattin oder Lebensgefährtin zu berücksichtigen.
Nach § 2 Abs. 1 Notstandshilfeverordnung (NH-VO) liegt Notlage vor, wenn das Einkommen des Arbeitslosen und das seines Ehepartners bzw. seiner Lebensgefährtin zur Befriedigung der notwendigen Lebensbedürfnisse des Arbeitslosen nicht ausreicht.
Bei der Beurteilung der Notlage sind gemäß § 2 Abs. 2 NH-VO die gesamten wirtschaftlichen Verhältnisse des (der) Arbeitslosen selbst sowie des mit dem (der) Arbeitslosen im gemeinsamen Haushalt lebenden Ehepartners (Lebensgefährten bzw. der Lebensgefährtin) zu berücksichtigen. Für die Beurteilung der Notlage ist insbesondere das Einkommen des Ehepartners (oder der Lebensgefährtin) des Arbeitslosen heranzuziehen (vgl. § 6 NH-VO).
§ 36a AlVG idF BGBl. I Nr. 128/2003 lautet samt Überschrift auszugsweise:
"Einkommen
§ 36a. (1) Bei der Feststellung des Einkommens für die Beurteilung des Vorliegens von Arbeitslosigkeit (§ 12 Abs. 6 lit. a bis e), des Anspruchs auf Familienzuschlag (§ 20 Abs. 2 und 5), und für die Anrechnung auf die Notstandshilfe ist nach den folgenden Absätzen vorzugehen.
(2) Einkommen im Sinne dieses Bundesgesetzes ist das Einkommen gemäß § 2 Abs. 2 des Einkommensteuergesetzes 1988 (EStG 1988), BGBl. Nr. 400, in der jeweils geltenden Fassung, zuzüglich den Hinzurechnungen gemäß Abs. 3 und dem Pauschalierungsausgleich gemäß Abs. 4. Einkommensteile, die mit dem festen Satz des § 67 des Einkommenssteuergesetzes 1988 zu versteuern sind, bleiben außer Betracht. Die Winterfeiertagsvergütung gemäß § 13j Bauarbeiter-Urlaubs- und Abfertigungsgesetz, BGBl. Nr. 414/1972, in der jeweils geltenden Fassung, bleibt außer Betracht. Bezüge aus einer gesetzlichen Unfallversorgung sowie aus einer Unfallversorgung der Versorgungs- und Unterstützungseinrichtungen der Kammern der selbständig Erwerbstätigen sind nur zur Hälfte zu berücksichtigen.
(3) Dem Einkommen nach § 2 Abs. 2 EStG 1988 sind die folgenden Beträge hinzuzurechnen:
Tabelle in neuem Fenster öffnen
1. | (...) |
2. | |
3. | (...). |
(4) (...)."
Die Beschwerdeführerin bringt vor, der Einkommensteuerbescheid ihres Ehemannes vom für das Jahr 2010 beziffere dessen Einkommen im Jahr 2010 mit EUR 109.405,34. In diesem Betrag sei ein außergewöhnlicher Veräußerungsgewinn von EUR 93.096,05 enthalten, welcher aus dem Verkauf eines Marktstandes im Dezember 2010 resultiere. Dieser Veräußerungsgewinn habe jedoch das Familieneinkommen nicht erhöht, weil ihn ihr Ehemann sogleich in ein neues Geschäftslokal habe investieren müssen, zumal er noch keinen Anspruch auf eine Pension gehabt habe. Die für den Veräußerungsgewinn zu bezahlende Einkommensteuer sowie die das neue Geschäftslokal betreffenden Investitionen würden den Veräußerungserlös dermaßen überschreiten, dass ihr Ehemann sogar zur Aufnahme eines neuen Bankkredites gezwungen gewesen sei. Dass die beim Verkauf von Betriebsvermögen aufgedeckten stillen Reserven einen Teil der Einkünfte aus Gewerbebetrieb darstellten, möge aus einkommensteuerrechtlicher Sicht richtig sein, nicht jedoch aus arbeitslosenversicherungsrechtlicher Sicht, weil der vom Ehemann der Beschwerdeführerin lukrierte und sogleich wieder für die Anschaffung von Betriebsvermögen verwendete Veräußerungsgewinn die Notlage der Beschwerdeführerin nicht gemindert habe.
Die Beschwerde ist nicht berechtigt. Dem Vorbringen, wonach nur tatsächlich der Beschwerdeführerin (über das "Familieneinkommen") zu Gute gekommene Beträge zu berücksichtigen seien und in Folge dessen die belangte Behörde Erhebungen zur Verwendung der Einkünfte hätte machen müssen, ist zu entgegnen, dass die Behörde bei ihrer Entscheidung über den Widerruf und die Rückforderung eines Notstandshilfebezuges und der Ermittlung des Einkommens des im gemeinsamen Haushalt lebenden Ehepartners (§ 36 Abs. 2 AlVG) an den Spruch des Einkommensteuerbescheides gebunden ist, wobei diese Regelung der Erleichterung des praktischen Vollzuges des AlVG in Bezug auf die dort geregelten Geldleistungen dient (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2002/08/0014). In Anbetracht der Bindung an den Spruch der Einkommensteuerbescheide könnte sogar ein reiner Buchgewinn als Einkommen zur Anrechnung herangezogen werden. Das Ergebnis der Veranlagung zur Einkommensteuer kann als Gradmesser dafür dienen, dass ein die Notstandshilfe beziehender Arbeitsloser über eine höhere Wirtschaftskraft verfügt als eine Person ohne anzurechnendes Einkommen (vgl. das hg. Erkenntnis vom vom , Zl. 2008/08/0022, mwN). Die belangte Behörde ist bei der Beurteilung der Notlage der Beschwerdeführerin zutreffend vom rechtskräftigen Einkommensteuerbescheid ihres Ehemannes ausgegangen und hat das anrechenbare Einkommen iSd § 36a Abs. 2 AlVG unter Berücksichtigung der in den Einkünften aus Gewerbebetrieb enthaltenen Veräußerungsgewinne iSd § 24 EStG 1988 ermittelt. Ergänzend sei bemerkt, dass ein gemäß § 12 Abs. 1 EStG 1988 bei Übertragung von stillen Reserven auf ein anderes Wirtschaftsgut abgesetzter Betrag dem Einkommen nach § 2 Abs. 2 EStG 1988 für die Anrechnung auf die Notstandshilfe gemäß § 36a Abs. 3 Z. 2 AlVG hinzuzurechnen gewesen wäre.
Da bereits der Inhalt der Beschwerde erkennen lässt, dass die behauptete Rechtsverletzung nicht vorliegt, war sie gemäß § 35 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung als unbegründet abzuweisen.
Angesichts der Erledigung der Beschwerde erübrigt sich eine Entscheidung über den Antrag, ihr die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen.
Wien, am