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VwGH 27.04.2020, Ra 2019/02/0240

VwGH 27.04.2020, Ra 2019/02/0240

Entscheidungsart: Erkenntnis

Rechtssatz


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Normen
AVG §37
KFG 1967 §82 Abs8 idF 2017/I/102
VwGG §42 Abs2 Z1
RS 1
Nach § 82 Abs. 8 erster Satz KFG 1967 ist gegen die darin vorgesehene Vermutung, ein Kraftfahrzeug, das von Personen mit dem Hauptwohnsitz oder Sitz im Inland in das Bundesgebiet eingebracht oder in diesem verwendet wird, habe seinen dauernden Standort im Inland, ausdrücklich der Gegenbeweis zulässig ("bis zum Gegenbeweis"). Damit handelt es sich um eine widerlegliche Rechtsvermutung, die der Person, die das Fahrzeug in das Bundesgebiet eingebracht hat, die Möglichkeit einräumt, den Gegenbeweis zu erbringen, dass das Fahrzeug seinen dauernden Standort tatsächlich nicht im Inland hat. Um diesen Gegenbeweis erbringen zu können, hat diese Person dabei von sich aus initiativ und umfassend darzulegen, aus welchen Gründen das Fahrzeug nicht als ein Fahrzeug mit dauerndem inländischem Standort anzusehen ist, und dafür auch die erforderlichen Beweise anzubieten.
Hinweis auf Stammrechtssatz
GRS wie Ra 2016/02/0151 E RS 5

Entscheidungstext

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Bachler sowie den Hofrat Mag. Dr. Köller und die Hofrätin Mag. Dr. Maurer-Kober als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Friedwagner, über die Revision des DI S in F, vertreten durch die Pichler Rechtsanwalt GmbH in 6850 Dornbirn, Marktstraße 33, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Vorarlberg vom , Zl. LVwG-1-564/2018-R16, betreffend Übertretung des KFG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bezirkshauptmannschaft Bregenz), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1 Mit dem angefochtenen Erkenntnis hat das Verwaltungsgericht den Revisionswerber schuldig erachtet, er habe es als Benutzer eines Fahrzeuges mit einem ausländischen Kennzeichen unterlassen, den Zulassungsschein und die Kennzeichentafeln nach Ablauf eines Monats nach der erstmaligen Einbringung des Fahrzeuges nach Österreich der Behörde in deren Wirkungsbereich sich das Fahrzeug befindet, abzuliefern, obwohl Fahrzeuge mit ausländischem Kennzeichen, die von Personen mit dem Hauptwohnsitz oder Sitz im Inland in das Bundesgebiet eingebracht und in diesem verwendet werden, bis zum Gegenbeweis als Fahrzeug mit dem dauernden Standort im Inland anzusehen seien. Die Verwendung solcher Fahrzeuge ohne Zulassung gemäß § 37 KFG sei nur während eines Monats unmittelbar nach ihrer erstmaligen Einbringung in das Bundesgebiet zulässig. Nach Ablauf dieser Frist seien der Zulassungsschein und die Kennzeichentafeln der Behörde, in deren örtlichen Wirkungsbereich sich das Fahrzeug befinde, abzuliefern. Das Kraftfahrzeug sei am (Zulassungsdatum) erstmalig in Österreich eingebracht worden. Der Standort sei in Österreich in 6900 Bregenz, G Straße 16 (Hauptwohnsitz). Der Revisionswerber habe bis zum die Kennzeichen und den Fahrzeugschein nicht abgeliefert. Der Tatzeitraum erstrecke sich vom bis zum .

2 Der Revisionswerber habe dadurch § 82 Abs. 8 KFG 1967 BGBl. Nr. 267/1967 idF BGBl. I Nr. 102/2017 verletzt, weshalb über ihn gemäß § 134 Abs. 1 KFG 1967 BGBl. Nr. 267/1967 idF BGBl. I Nr. 9/2017 eine vom Verwaltungsgericht auf EUR 90,-- herabgesetzte Geldstrafe (Ersatzfreiheitsstrafe 18 Stunden) samt einem Kostenbeitrag von EUR 10,-- verhängt wurde.

3 In der Begründung stellte das Verwaltungsgericht folgenden Sachverhalt fest:

"Der (Revisionswerber) ist Zulassungsbesitzer des Fahrzeuges mit dem amtlichen Kennzeichen M-....

Der (Revisionswerber) ist Einzelunternehmer und betreibt in München, E.straße 6, ein Ingenieurbüro. Er verbringt ca vier Tage pro Woche in München. In der Mietwohnung an der Adresse München, E.straße 6, hat er seit  einen Hauptwohnsitz in Deutschland gemeldet. Davor war er an der Adresse S.straße 23 in München wohnhaft. Ausgehend von München betreut der (Revisionswerber) seine Kunden, die ihren Sitz in Deutschland haben. Mehrheitlich wird das Service, Winterreifenwechsel ua in München durchgeführt. Der (Revisionswerber) pflegt in Deutschland zudem seine Kontakte zu seinen Freunden sowie seinen Verwandten.

Laut Seite 1 des vorgelegten Leasingvertrages ist der Verwendungszweck des Fahrzeuges die bereits ausgeübte selbständige Tätigkeit des (Revisionswerbers).

Am Wochenende fuhr der (Revisionswerber) regelmäßig nach Österreich zurück, um dieses mit seiner Familie (Ehefrau und Kind) zu verbringen. Jeweils am Sonntagabend führ der (Revisionswerber) wieder nach München. Zu Urlaubszeiten hielt sich der (Revisionswerber) auch länger in Österreich auf.

Der (Revisionswerber) hat seit 2001 durchgehend seinen Hauptwohnsitz in Österreich gemeldet. Er hat gemeinsam mit seiner Familie im Zeitraum vom bis in 6845 Hohenems, K.straße 8, und im Zeitraum von bis in 6900 Bregenz, G.straße 16... in einer Mietwohnung gewohnt.

Er hat das Fahrzeug der Marke Audi mit dem Kennzeichen M-... zumindest ab dem erstmalig in das Bundesgebiet eingebracht und verwendet.

Der (Revisionswerber) hat weder den Zulassungsschein noch die Kennzeichentafeln der Behörde, in deren örtlichen Wirkungsbereich sich das Fahrzeug befindet, bis zum abgegeben."

4 Nach beweiswürdigenden Überlegungen führte das Verwaltungsgericht nach Wiedergabe der einschlägigen Rechtslage in rechtlicher Hinsicht aus, der (Revisionswerber) sei Einzelunternehmer und betreibe am Standort München ein Ingenieurbüro. Er sei Zulassungsbesitzer des in Rede stehenden Fahrzeuges. Nachdem der Zulassungsbesitzer eine physische Person sei, sei das Vorliegen oder Nichtvorliegen des Hauptwohnsitzes in Österreich die maßgebliche Frage im gegenständlichen Fall. Bei einer Gesamtbetrachtung der beruflichen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Lebensbeziehungen, insbesondere im Hinblick auf die zum Tatzeitpunkt aufrechte Ehe und die auch mit seinem Kind bestehende Wohn- und Wirtschaftsgemeinschaft in der Wohnung in Bregenz sei ab alleine die Wohnung in Bregenz ohne Zweifel als Mittelpunkt der Lebensbeziehungen anzunehmen. Davor sei es die Wohnung in Hohenems gewesen. Der Revisionswerber habe seit 2001 durchgehend seinen Hauptwohnsitz in Österreich, wo auch der Mittelpunkt seiner Lebensinteressen sei. Er habe sich lediglich aus beruflichen Gründen und der damit verbundenen Freizeitgestaltung bzw. gesellschaftlichen und freundschaftlichen Kontakte in München aufgehalten und kehre jedes Wochenende an seinen österreichischen Wohnsitz zurück, wo er gemeinsam mit seiner Familie lebe. Zusammengefasst ergebe sich daher, dass das Fahrzeug mit dem ausländischen Kennzeichen zum Tatzeitpunkt als Fahrzeug mit dauerndem Standort im Bundesgebiet anzusehen sei. 5 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes. 6 Die belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht hat keine Revisionsbeantwortung erstattet.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

7 Der Revisionswerber erachtet die Revision für zulässig, weil das Verwaltungsgericht entgegen der Rechtsprechung (Hinweis auf ) ausschließlich auf den Wohnsitz des Revisionswerbers abgestellt habe und das Vorbringen des Revisionswerbers, das Fahrzeug habe seinen dauernden Standort in Deutschland, in Verkennung der Rechtslage unberücksichtigt gelassen habe.

8 Die Revision ist zulässig und aus dem genannten Grund auch berechtigt.

9 § 82 Abs. 8 KFG in der Fassung BGBl. I Nr. 102/2017 lautet:

"Fahrzeuge mit ausländischem Kennzeichen, die von Personen mit dem Hauptwohnsitz oder Sitz im Inland in das Bundesgebiet eingebracht oder in diesem verwendet werden, sind bis zum Gegenbeweis als Fahrzeug mit dem dauernden Standort im Inland anzusehen. Die Verwendung solcher Fahrzeuge ohne Zulassung gemäß § 37 ist nur während eines Monats ab der erstmaligen Einbringung in das Bundesgebiet zulässig. Eine vorübergehende Verbringung aus dem Bundesgebiet unterbricht diese Frist nicht. Nach Ablauf eines Monats ab der erstmaligen Einbringung in das Bundesgebiet sind der Zulassungsschein und die Kennzeichentafeln der Behörde, in deren örtlichem Wirkungsbereich sich das Fahrzeug befindet, abzuliefern. Wenn glaubhaft gemacht wird, dass innerhalb dieses Monats die inländische Zulassung nicht vorgenommen werden konnte, darf das Fahrzeug ein weiteres Monat verwendet werden. Danach sind der Zulassungsschein und die Kennzeichentafeln der Behörde, in deren örtlichem Wirkungsbereich sich das Fahrzeug befindet, abzuliefern. Die Ablieferung begründet keinen Anspruch auf Entschädigung."

10 Der Verwaltungsgerichtshof hat in dem in der Revision zitierten Erkenntnis vom unter anderem ausgeführt:

"Anders (als zur Frage des dauernden Standortes eines Kraftfahrzeuges nach § 40 Abs. 1 KFG bzw. § 43 Abs. 4 lit. b KFG) stellt sich jedoch die hier zu beurteilende Rechtslage dar, zumal nach § 82 Abs. 8 erster Satz KFG gegen die darin vorgesehene Vermutung, ein Kraftfahrzeug, das von Personen mit dem Hauptwohnsitz oder Sitz im Inland in das Bundesgebiet eingebracht oder in diesem verwendet wird, habe seinen dauernden Standort im Inland, ausdrücklich der Gegenbeweis zulässig ist ('bis zum Gegenbeweis'). Damit handelt es sich um eine widerlegliche Rechtsvermutung, die der Person, die das Fahrzeug in das Bundesgebiet eingebracht hat, die Möglichkeit einräumt, den Gegenbeweis zu erbringen, dass das Fahrzeug seinen dauernden Standort tatsächlich nicht im Inland hat. Um diesen Gegenbeweis erbringen zu können, hat diese Person dabei von sich aus initiativ und umfassend darzulegen, aus welchen Gründen das Fahrzeug nicht als ein Fahrzeug mit dauerndem inländischem Standort anzusehen ist, und dafür auch die erforderlichen Beweise anzubieten."

11 Dass der Revisionswerber seinen Hauptwohnsitz in Österreich hat, war im Verfahren unstrittig. Das Verwaltungsgericht hat in seiner rechtlichen Beurteilung der Voraussetzungen des § 82 Abs. 8 KFG trotz der Feststellungen über die Verwendung des Fahrzeuges in Deutschland ausschließlich auf den Hauptwohnsitz des Revisionswerbers abgestellt und sein Vorbringen, das darauf abzielte, den dauernden Standort des Fahrzeuges in Deutschland nachzuweisen, in Verkennung der Rechtslage unberücksichtigt gelassen. Dadurch hat es das angefochtene Erkenntnis mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit belastet.

12 Das angefochtene Erkenntnis war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufzuheben. Im fortgesetzten Verfahren wird sich das Verwaltungsgericht mit dem Vorbringen des Revisionswerbers auseinanderzusetzen und nachvollziehbar darzulegen haben, ob bzw. aus welchen Gründen der dem Revisionswerber obliegende Gegenbeweis (nicht) erbracht wurde. 13 Von der beantragten mündlichen Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 6 VwGG abgesehen werden, weil das Verwaltungsgericht eine mündliche Verhandlung durchgeführt hat, weshalb weder Art. 6 EMRK noch Art. 47 GRC der Abstandnahme von einer mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgerichtshof entgegenstehen (vgl. wiederum das Erkenntnis vom ).

14 Der Ausspruch über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am

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Normen
AVG §37
KFG 1967 §82 Abs8 idF 2017/I/102
VwGG §42 Abs2 Z1
Schlagworte
Besondere Rechtsgebiete
Sachverhalt Sachverhaltsfeststellung Beweislast
ECLI
ECLI:AT:VWGH:2020:RA2019020240.L00
Datenquelle

Fundstelle(n):
HAAAE-81270