VwGH vom 20.02.2020, Ra 2019/02/0181
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Bachler sowie den Hofrat Mag. Straßegger und die Hofrätin Dr. Koprivnikar als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Friedwagner, über die Revision von 1. Ing. B, in S und 2. C GmbH in G, beide vertreten durch Mag. Martin Paar und Mag. Hermann Zwanzger, Rechtsanwälte in 1040 Wien, Wiedner Hauptstraße 46/6, gegen das am mündlich verkündete und am schriftlich ausgefertigte Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes Wien, Zlen. 1. VGW- 002/082/8115/2018-10 und 2. VGW-002/V/082/8116/2018, betreffend Übertretung des Wiener Wettengesetzes (Partei gemäß § 21 Abs. 1 Z 2 VwGG: Magistrat der Stadt Wien), zu Recht erkannt:
Spruch
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Das Land Wien hat den revisionswerbenden Parteien Aufwendungen in der Höhe von insgesamt EUR 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
1 Mit Straferkenntnis des Magistrates der Stadt Wien vom wurde dem Erstrevisionswerber vorgeworfen, er habe als verantwortlicher Beauftragter der zweitrevisionswerbenden Parte i gemäß § 9 Abs. 2 VStG zu verantworten, dass die zweitrevisionswerbende Partei, welche in einer näher bezeichneten Betriebsstätte die Tätigkeit als Wettunternehmerin, nämlich Buchmacherin, ausübe, am um 14.30 Uhr insofern die Verpflichtung des § 20 Abs. 1 Wiener Wettengesetzes nicht eingehalten habe, wonach jede Wettunternehmerin und jeder Wettunternehmer einen Wettschein auszustellen habe, als in der genannten Betriebsstätte bei einer Wette an dem Wettautomaten kein Wettschein ausgestellt worden sei, beziehungsweise der Ausdruck eines Wetttickets nicht zwangsläufig vorgesehen gewesen sei. Er habe dadurch § 20 Abs. 1 Wiener Wettengesetz, LGBl. für Wien Nr. 26/2016 idgF verletzt, weshalb über ihn gemäß § 24 Abs. 1 Z 6 leg. cit. iVm § 9 Abs. 1 VStG eine Geldstrafe von EUR 700,-- (Ersatzfreiheitsstrafe von einem Tag und 8 Stunden) verhängt und er zur Leistung eines Kostenbeitrages von EUR 70,-- verpflichtet wurde. Die zweitrevisionswerbende Partei hafte gemäß § 9 Abs. 7 VStG für die verhängte Geldstrafe und die Verfahrenskosten zur ungeteilten Hand.
2 Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Verwaltungsgericht Wien nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung mit dem angefochtenen Erkenntnis als unbegründet ab und bestätigte die bekämpfte Entscheidung mit der Maßgabe, dass in der Tatumschreibung die erste Verwendung der Abkürzung "leg. cit."
durch "Wr. WettenG" und die Wortfolge "bei einer Wette" durch "nach Abschluss einer Wette" ersetzt werde, der letzte Halbsatz samt vorangehendem Komma zu entfallen habe, in der Strafsanktionsnorm der Verweis in § 24 Abs. 1 Wiener Wettengesetz auf Z 6 mit Z 13 sowie in § 9 VStG auf Abs. 1 mit Abs. 2 richtigzustellen sei und der zitierte § 20 Abs. 1 und § 24 Abs. 1 Z 13 Wiener Wettengesetz jeweils in deren Stammfassung anzuführen seien. Eine ordentliche Revision erklärte das Verwaltungsgericht für nicht zulässig.
3 Beweiswürdigend führte das Verwaltungsgericht - sofern für das gegenständliche Revisionsverfahren relevant - aus, dass der Wettschein dem Kontrollor erst auf ausdrückliches Nachfragen ausgehändigt worden sei. In der mündlichen Verhandlung habe der Zeuge G glaubhaft darlegen können, dass er - im Zuge der Kontrolle - zunächst die Wette am Touchscreen habe auswählen müssen, den Einsatz aber nicht habe speichern lassen können. Die Wette sei auf einem elektronischen Kundenkonto abgespeichert worden. Der Abschluss der Wette sei erst am "Pult des Trafikanten" erfolgt. Dem Zeugen sei kein Wettschein übergeben worden und er habe insistieren müssen, weil für ihn ein Teil seiner Kontrolltätigkeit undokumentiert geblieben gewesen wäre. Die Möglichkeit eines rein elektronischen Wettabschlusses hätten auch die Wettbestimmungen der zweitrevisionswerbenden Partei im Tatzeitpunkt nahe gelegt. Der von den revisionswerbenden Parteien dargelegte zweistufige Vorgang durch zunächst eine Selektion am Gerät und dann durch Abschluss beim Trafikpersonal unter automatischer Herstellung und Übergabe eines Ausdrucks eines Wettscheins beschreibe den Vorgang bei der Nachkontrolle am , welcher aber die Situation im Tatzeitpunkt am nicht glaubwürdig wiedergebe. Der bei der Kontrolle ebenfalls anwesende Zeuge L habe in der mündlichen Verhandlung der Darstellung des Wettvorgangs ohne Übergabe eines Ausdrucks eines Wettscheins durch den Trafikanten nicht überzeugend entgegentreten können. Er habe weder angeben können, ob der Wettschein tatsächlich an den Zeugen G unaufgefordert ausgefolgt worden sei, noch habe er sagen können, ob der Kontrollor einen Wettschein mitgenommen habe.
4 Rechtlich führte das Verwaltungsgericht im Wesentlichen aus, dass das Tatbild der angelasteten Übertretung des § 20 Abs. 1 Wiener Wettengesetz erfüllt sei, weil die zweitrevisionswerbende Partei als Wettunternehmerin (über ihre Vertragspartner am Standort) keinen Wettschein ausgestellt habe (§ 20 Abs. 1 leg. cit.) nachdem ein Wettabschluss zustande gekommen sei (§ 20 Abs. 2 lit. c leg. cit.). Eine Einschränkung dahingehend, dass ein Wettschein nur auf Wunsch oder erst auf ausdrückliches Verlangen auszustellen sei und "der Wettteilnehmerin oder dem Wettteilnehmer" im Original auszuhändigen sei oder, dass insoweit eine elektronische Einsicht in laufende oder abgeschlossene Wetten auf einem über das Internet abrufbaren Wettkonto alternativ in Betracht komme, sehe die gesetzliche Regelung nicht vor.
5 Gegen dieses Erkenntnis erhoben die revisionswerbenden Parteien zunächst Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, welcher mit Beschluss vom , E 1419/2019-7, die Behandlung der Beschwerde ablehnte und diese gemäß Art. 144 Abs. 3 B-VG dem Verwaltungsgerichthof zur Entscheidung abtrat. 6 Mit der nunmehr vorliegenden außerordentlichen Revision machen die revisionswerbenden Parteien Rechtswidrigkeit des Inhaltes sowie Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend. Die belangte Behörde erstattete eine Revisionsbeantwortung, in der sie die Zurückweisung, allenfalls die Abweisung der Revision sowie den Zuspruch von Schriftsatzaufwand beantragte.
7 Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
8 In der Revision wird zur Zulässigkeit unter anderem
vorgebracht, dass das Verwaltungsgericht von näher bezeichneter Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu Beweisanträgen abgewichen sei, als es dem Antrag der revisionswerbenden Parteien auf Vernehmung einer Zeugin zum Beweis dafür, dass aus dem Wettscheindrucker automatisch bei Abschluss der Wette Wettscheine ausgedruckt worden seien und die Trafikmitarbeiter angewiesen gewesen seien, diese dem Kunden zu übergeben, nicht entsprochen habe.
9 Die Revision ist im Hinblick auf dieses Vorbringen zulässig und berechtigt.
10 Gemäß § 20 Abs. 1 Wiener Wettengesetz in der Stammfassung LGBl. für Wien Nr. 26/2016, hat jede Wettunternehmerin und jeder Wettunternehmer einen Wettschein mit dem im Abs. 2 näher umschriebenen Inhalt auszustellen. Nach Abs. 3 leg. cit. ist das Original des Wettscheines der Wettteilnehmerin oder dem Wettteilnehmer auszuhändigen. Ein Duplikat des Wettscheines ist sieben Jahre lang ab dem Abschluss der Wette elektronisch aufzubewahren.
11 Die Materialien dazu (BlgLT 20. GP 3/2016 LG - 02293- 2015/0001 S 8) lauten:
"Vorgesehen ist, dass beim Abschluss jeder einzelnen Wette ein Wettschein auszustellen ist. Es sind Mindestangaben, welche jeder Wettschein aufweisen muss, notwendig. Um den genauen Gegenstand sowie die eingesetzten Summen nachprüfen zu können, erhält die wettende Person das Original des Wettscheines und ist ein Duplikat desselben für ebenfalls sieben Jahre lang elektronisch aufzuheben. Letzteres wurde deshalb vorgesehen, damit die Einhaltung dieser Bestimmung auch überwacht werden kann."
12 Nach dem Wortlaut des § 20 Abs. 1 Wiener Wettengesetz ist nach Abschluss einer Wette stets ein Wettschein auszustellen. Ebenso aus den Erläuterungen ist klar abzuleiten, dass nach jeder abgeschlossenen Wette zwingend ein Wettschein über den Abschluss mit dem nötigen Inhalt nach § 20 Abs. 2 Wiener Wettengesetz auszustellen ist. Dass dazu eine Aufforderung durch den Wettteilnehmer nötig wäre, ist - unabhängig davon, ob die Wette im Zuge einer Kontrolle nur zu Testzwecken (vgl. § 23 Abs. 1 Wiener Wettengesetz) abgeschlossen worden ist - nicht ersichtlich. Dies erschließt sich auch aus dem Umstand, dass nach § 20 Abs. 3 Wiener Wettengesetz das Original des Wettscheines dem Wettteilnehmer auszuhändigen ist. Das Aushändigen des Wettscheines kann hierbei - im Gegensatz zur elektronischen Aufbewahrung des Duplikats - nur als eine tatsächliche faktische Übergabe an den Wettteilnehmer verstanden werden. Daraus folgt, dass die Ausstellung des Wettscheins nach § 20 Abs. 1 Wiener Wettengesetz (auch) in einer physisch greifbaren Form zu erfolgen hat, um nach Abs. 3 einen Wettschein auszuhändigen zu können. Nach dem klaren Wortlaut des § 20 Wiener Wettengesetz kann festgehalten werden, dass das Ausstellen eines Wettscheins (Abs. 1) sowie dessen Übergabe an den Wettteilnehmer (Abs. 3) keiner Aufforderung bedürfen, sondern zwingend ohne das Zutun des Wettteilnehmers oder Kontrollors zu erfolgen hat.
13 Das Verwaltungsgericht begründete die Abweisung des Beweisantrages zunächst damit, dass der Antrag auf die zeugenschaftliche Vernehmung der Zeugin zum Beweis dafür, dass aus dem Wettscheindrucker automatisch bei Abschluss der Wette Wettscheine ausgedruckt würden und die Tabaktrafikmitarbeiter angewiesen wären, diese dem Kunden zu übergeben, erst nach Durchführung der Verhandlung gestellt worden sei. Dem Antrag sei nicht stattzugeben gewesen, weil der Sachverhalt anhand der Ermittlungsergebnisse hinreichend geklärt gewesen und nicht dargelegt worden sei, inwiefern die beantragte Zeugin zum Ablauf der Geschehnisse am Tag der Kontrolle Angaben hätte machen können. 14 Ordnungsgemäße Beweisanträge haben nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes das Beweismittel, das Beweisthema und im Falle von Zeugen auch deren Adresse anzugeben (vgl. , mwN).
15 Nach der hg. Rechtsprechung dürfen Beweisanträge nur dann abgelehnt werden, wenn die Beweistatsachen als wahr unterstellt werden, es auf sie nicht ankommt oder das Beweismittel an sich ungeeignet ist, über den Gegenstand der Beweisaufnahme einen Beweis zu liefern und damit zur Ermittlung des maßgeblichen Sachverhalts beizutragen. Ob eine Beweisaufnahme in diesem Sinn notwendig ist, unterliegt der einzelfallbezogenen Beurteilung des Verwaltungsgerichtes. Eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG liegt nur dann vor, wenn diese Beurteilung grob fehlerhaft erfolgt wäre und zu einem die Rechtssicherheit beeinträchtigenden unvertretbaren Ergebnis geführt hätte (vgl. , mwN). 16 Die Behörde darf einen Beweisantrag nur dann von vornherein ablehnen, wenn er, objektiv gesehen, nicht geeignet ist, über den maßgebenden Sachverhalt einen Beweis zu liefern. Eine Würdigung von Beweisen hinsichtlich ihrer subjektiven Glaubwürdigkeit ist hingegen nur nach Aufnahme der Beweise möglich (vgl. , mwN).
17 Zudem ist es nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht zulässig, ein vermutetes Ergebnis noch nicht aufgenommener Beweise vorwegzunehmen. Das Verwaltungsgericht darf sich über erhebliche Behauptungen und Beweisanträge - ungeachtet der Ergebnisse des bisherigen Beweisverfahrens - nicht ohne Ermittlungen und ohne Begründung hinwegsetzen (vgl. zu allem , mwN). 18 Solange einem Zeugenbeweis die grundsätzliche Eignung, zur Feststellung des maßgebenden Sachverhaltes beizutragen, nicht abgesprochen werden kann, wäre in einer Unterlassung eines beantragten Entlastungszeugen eine unzulässige vorwegnehmende Beweiswürdigung gelegen (vgl. , mwN). 19 Die Ausführungen des Verwaltungsgerichtes zum Unterbleiben der Vernehmung der beantragten Zeugin vermögen nicht zu überzeugen. Dem Verwaltungsgericht kann nicht gefolgt werden, wenn es verlangt, dass die revisionswerbenden Parteien darzulegen gehabt hätten, inwiefern die Zeugin zum Geschehensablauf Angaben hätte machen können, obwohl nach dem Akteninhalt (laut dem Vermerk im Verwaltungsakt vom ) die beantragte Zeugin am Tag der Überprüfung in der Betriebsstätte anwesend war. Entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichtes erweist sich die Vernehmung der beantragten Zeugin als unerlässlich, weil nicht ausgeschlossen werden kann, dass sie Angaben über den Ablauf der Ausstellung des Wettscheines machen kann. Insofern ist mit Blick auf die oben dargestellten Tatbestandsvoraussetzungen des § 20 Abs. 1 Wiener Wettengesetz nicht erkennbar, dass die revisionswerbenden Parteien das Beweisthema nicht konkret umschrieben hätten. Zudem ist hinzuzufügen, dass die revisionswerbenden Parteien dementsprechend eine Sachverhaltsabweichung behaupten und aus diesem Grund auch nicht von einem geklärten Sachverhalt ausgegangen werden kann. 20 Deshalb ist nicht ausgeschlossen, dass die Aussage der beantragten Zeugin zu einer anderen Entscheidung des Verwaltungsgerichtes hätte führen können.
21 Letztlich sei noch angemerkt, dass die revisionswerbenden Parteien - laut dem Verhandlungsprotokoll - entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichtes den gegenständlichen Beweisantrag in der mündlichen Verhandlung vor der Verkündung des Schlusses der Beweisaufnahme gestellt haben und nicht wie das Verwaltungsgericht vermeint "erst nach Durchführung der Verhandlung".
22 Das angefochtene Erkenntnis war daher bereits aus den dargelegten Gründen gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
23 Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht auf den § 47 ff VwGG, insbesondere § 53 Abs. 1 VwGG, in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.
Wien, am
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ECLI: | ECLI:AT:VWGH:2020:RA2019020181.L00 |
Schlagworte: | Auslegung Anwendung der Auslegungsmethoden Bindung an den Wortlaut des Gesetzes VwRallg3/2/1 Auslegung Anwendung der Auslegungsmethoden Verhältnis der wörtlichen Auslegung zur teleologischen und historischen Auslegung Bedeutung der Gesetzesmaterialien VwRallg3/2/2 Besondere Rechtsgebiete Verfahrensbestimmungen Beweiswürdigung Antrag |
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