VwGH vom 29.02.2012, 2010/21/0195

VwGH vom 29.02.2012, 2010/21/0195

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Novak und die Hofräte Dr. Pelant, Dr. Sulzbacher und Dr. Pfiel sowie die Hofrätin Dr. Julcher als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Dobner, über die Beschwerde des M in G, vertreten durch die Weh Rechtsanwalt GmbH in 6900 Bregenz, Wolfeggstraße 1, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates des Landes Vorarlberg vom , Zl. UVS-410-016/E2-2008, betreffend Sicherstellung eines Reisepasses nach dem Fremdenpolizeigesetz 2005 (weitere Partei: Bundesministerin für Inneres), zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von EUR 57,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, ein nigerianischer Staatsangehöriger, wurde mit Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Vorarlberg vom gemäß § 53 Abs. 1 Fremdenpolizeigesetz 2005 - FPG aus dem Bundesgebiet ausgewiesen. Dagegen erhob er die zur hg. Zl. 2008/22/0702 protokollierte Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof, der mit Beschluss vom , Zl. AW 2008/22/0054, die aufschiebende Wirkung zuerkannt wurde. Die Beschwerde wurde mit Erkenntnis vom als unbegründet abgewiesen.

Am hatte der Beschwerdeführer eine österreichische Staatsbürgerin geheiratet. Unmittelbar vor der standesamtlichen Trauung wurde gemäß § 38 FPG der Reisepass des Beschwerdeführers sichergestellt.

Die gegen diese Maßnahme erhobene Administrativbeschwerde wies die belangte Behörde mit dem angefochtenen Bescheid kostenpflichtig als unbegründet ab.

Begründend führte sie im Wesentlichen aus, die Sicherstellung des Reisepasses habe der "Verfahrenssicherung wie auch einer möglichen Abschiebung" des Beschwerdeführers gedient. Vom Verwaltungsgerichtshof sei zwar der gegen die Ausweisung gerichteten Beschwerde die aufschiebende Wirkung zuerkannt worden, eine höchstgerichtliche Entscheidung über die Beschwerde sei aber (zum Zeitpunkt der Sicherstellung) noch nicht vorgelegen. Insoweit bestünden gegen die Einschätzung der Fremdenpolizeibehörde, dass der Reisepass zum Zweck der Verfahrenssicherung und der Abschiebung benötigt werde, keine Bedenken. Es sei offensichtlich, dass der Reisepass eines Fremden bei der Kontaktaufnahme mit seinem Heimatstaat für eine Abschiebung vorliegen müsse. Es sei zwar zutreffend, dass der Beschwerdeführer auf Grund der Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung durch den Verwaltungsgerichtshof "faktischen Abschiebeschutz" genieße. Dies ändere aber nichts daran, dass die Fremdenpolizeibehörde berechtigt sei, den Reisepass "bis zur Beendigung des Ausweisungsverfahrens vor dem Gerichtshof" einzubehalten. Das Vorbringen, wonach die Ausweisung noch nicht durchsetzbar und infolge der Eheschließung mit einer österreichischen Staatsbürgerin obsolet sei und die Vorgangsweise der Behörde europarechtlichen Rechtsschutzgarantien widerspreche, gehe daher ins Leere. Die Sicherstellung des Reisepasses verletze auch, wenngleich damit die Dispositionsfreiheit des Beschwerdeführers eingeschränkt werde, nicht sein Eigentumsrecht, zumal die Behörde verpflichtet sei, den Reisepass nach § 38 Abs. 3 FPG zurückzustellen, wenn er für das Ausweisungsverfahren und für eine Abschiebung nicht mehr benötigt werde. Dass dieser Fall infolge "geänderter persönlicher Beurteilungsgrundlagen" der Ausweisung eintreten könnte, könne zutreffen, sei aber im Verfahren zur Prüfung eines verfahrensfreien Verwaltungsaktes ohne rechtliche Bedeutung. Insgesamt sei die Vorgehensweise der Fremdenpolizeibehörde nicht rechtswidrig und unverhältnismäßig. Es sei auch nicht zu erkennen, dass dem Beschwerdeführer durch die Einbehaltung des Reisepasses Nachteile entstehen könnten.

Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer zunächst Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, der ihre Behandlung mit Beschluss vom , B 58/09, ablehnte und sie über nachträglichen Antrag dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abtrat. Dieser hat über die auftragsgemäß ergänzte Beschwerde nach Aktenvorlage durch die belangte Behörde erwogen:

Gemäß § 38 Abs. 1 FPG (in der hier noch maßgeblichen Stammfassung) sind die Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes ermächtigt, Gegenstände und Dokumente, die für ein Verfahren oder für eine Abschiebung, Durchbeförderung, Zurückschiebung oder Zurückweisung nach diesem Bundesgesetz als Beweismittel benötigt werden, vorläufig sicherzustellen. Gemäß Abs. 2 dieser Bestimmung gelten als Beweismittel auch Gegenstände oder Dokumente, die im Zuge der Vollziehung einer Ausweisung oder eines Aufenthaltsverbotes, insbesondere zur Erlangung eines Ersatzreisedokuments für die Abschiebung, benötigt werden.

Im Beschwerdefall kam - entgegen der Begründung des angefochtenen Bescheides - eine Sicherstellung nur zum Zweck der Durchführung einer Abschiebung und nicht auch für ein "Verfahren" nach dem FPG in Betracht, weil ein solches nach den Feststellungen der belangten Behörde nicht anhängig war.

Der Beschwerdeführer macht geltend, dass seine Abschiebung zum Zeitpunkt der Sicherstellung des Reisepasses unzulässig gewesen sei, weil seiner Beschwerde gegen die Ausweisung vom Verwaltungsgerichtshof die aufschiebende Wirkung zuerkannt worden sei. Außerdem liege in der Eheschließung mit einer österreichischen Staatsbürgerin eine wesentliche Sachverhaltsänderung seit der rechtskräftigen Ausweisung, sodass diese als "obsolet" anzusehen sei. Auch aus der Richtlinie 2004/38/EG folge, dass die Ausweisung des Beschwerdeführers nicht mehr vollzogen werden dürfe.

Darauf ist zunächst zu erwidern, dass aus der genannten Richtlinie nichts für den Beschwerdeführer zu gewinnen ist, weil sie mangels Verwirklichung eines Freizügigkeitssachverhaltes durch seine Ehefrau nicht anwendbar war (vgl. dazu die Urteile des Gerichtshofes der Europäischen Union vom , C-34/09 - Zambrano, Randnr. 39, und vom , C-256/11 - Dereci, Randnr. 52 ff).

Auch die mangelnde Durchsetzbarkeit einer Ausweisung auf Grund der Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung durch den Verwaltungsgerichtshof hindert noch nicht die Sicherstellung eines für die Vollziehung der Ausweisung benötigten Dokuments gemäß § 38 FPG. Die aufschiebende Wirkung verwehrt es den Behörden nämlich nicht generell, Schritte zur Vorbereitung der Abschiebung zu setzen, auch wenn im Hinblick auf das anhängige Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof noch nicht feststeht, ob diese tatsächlich zulässig sein wird. Unzulässig wäre die Sicherstellung nur dann, wenn sie sich im Einzelfall als unverhältnismäßig erwiese (vgl. § 13 Abs. 2 letzter Satz FPG). Umstände, insbesondere konkret drohende Nachteile, die eine Unverhältnismäßigkeit der Sicherstellung des Reisepasses begründen könnten, hat der Beschwerdeführer aber mit dem bloßen Vorbringen, er werde als "Mensch schwarzer Hautfarbe" vermehrt Polizeikontrollen unterworfen und könne sich dort nicht mehr ausweisen, nicht dargelegt.

Ähnliches gilt im Hinblick auf die Behauptung, die Ausweisung sei mittlerweile "obsolet" geworden:

Die als Sachverhaltsänderung nach Erlassung der Ausweisung geltend gemachte Eheschließung des Beschwerdeführers mit einer Österreicherin stand der Sicherstellung des Reisepasses nämlich solange nicht entgegen, als die Fremdenpolizeibehörde weiterhin davon ausgehen durfte, dass die Vollziehung der Ausweisung trotzdem möglich sein werde. Diese Möglichkeit hätte aber in der vorliegenden Konstellation erst dann ausgeschlossen werden müssen, wenn dem Beschwerdeführer ein Aufenthaltstitel erteilt worden wäre. Das ist hier nicht der Fall, sodass auch unter diesem Gesichtspunkt eine Unverhältnismäßigkeit der Sicherstellung des Reisepasses des Beschwerdeführers nicht zu erkennen ist.

Da sich die Beschwerde somit insgesamt als unbegründet erweist, war sie gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen.

Von der beantragten Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 6 VwGG abgesehen werden.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.

Wien, am