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VwGH 26.01.2012, 2010/21/0180

VwGH 26.01.2012, 2010/21/0180

Entscheidungsart: Erkenntnis

Rechtssätze


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Normen
FremdenrechtsNov 2009;
FrPolG 2005 §31 Abs1 Z4;
FrPolG 2005 §31;
NAG 2005 §44 Abs4 idF 2009/I/029;
NAG 2005 §44 Abs4 Z2 idF 2009/I/029;
VwGG §30 Abs2;
VwGG §42 Abs2 Z1;
VwRallg;
RS 1
Der vom Fremden gegen einen Bescheid des UBAS an den VwGH erhobenen Beschwerde wurde die aufschiebende Wirkung zuerkannt, sodass dem Fremden die Rechtsstellung zukam, die er als Asylwerber vor Erlassung des angefochtenen Bescheides gehabt hatte. In weiterer Folge lehnte der VwGH die Behandlung der Beschwerde ab. Die Gesetzesmaterialien zum mit der Novelle BGBl. I Nr. 29/2009 neu geschaffenen § 44 Abs. 4 NAG 2005 (ErläutRV 88 BlgNR 24. GP 11) weisen darauf hin, dass die Rechtmäßigkeit des Aufenthalts an Hand des § 31 FrPolG 2005 zu beurteilen ist, wobei insbesondere auch ein asylrechtliches Aufenthaltsrecht für Asylwerber (§ 31 Abs. 1 Z. 4 FrPolG 2005) in Betracht kommt. Eine derartige Rechtsstellung wurde dem Fremden mit dem hg. AW - Beschluss wiederum eingeräumt, sodass sein Aufenthalt in Österreich bis zur Zustellung der ablehnenden Entscheidung des VwGH als rechtmäßig iSd § 44 Abs. 4 Z 2 NAG 2005 anzusehen ist.
Normen
MRK Art8;
NAG 2005 §44 Abs4 idF 2009/I/029;
VwGG §42 Abs2 Z1;
RS 2
Telefonische Kontakte zum minderjährigen Sohn bewirken keine "tiefgründigen" Bindungen zum Heimatstaat.
Normen
NAG 2005 §44 Abs4 idF 2009/I/029;
NAG 2005 §44 Abs4 Z2 idF 2009/I/029;
VwGG §42 Abs2 Z1;
RS 3
Bei der Entscheidung der Frage, ob ein "besonders berücksichtigungswürdiger Fall" iSd § 44 Abs. 4 NAG 2005 vorliegt, hat die Behörde den exakten insbesondere zeitlichen Umfang der vom Fremden während seines Aufenthalts in Österreich insgesamt ausgeübten Berufstätigkeit (hier als Zeitungskolporteur) darzustellen, da diesem für seine Selbsterhaltungsfähigkeit und damit auch für das Maß der von ihm erreichten Integration wesentliche Bedeutung zukommt (Hinweis E , 2010/21/0382).

Entscheidungstext

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Novak und die Hofräte Dr. Pelant, Dr. Sulzbacher und Dr. Pfiel sowie die Hofrätin Dr. Julcher als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Dobner, über die Beschwerde des M in G, vertreten durch Mag. Dr. Martin Enthofer, Rechtsanwalt in 4020 Linz, Promenade 16/II, gegen den Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Steyr-Land vom , Zl. Sich40- 160-2002, betreffend Aufenthaltstitel, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.326,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem angefochtenen Bescheid vom wies die belangte Behörde den Antrag des Beschwerdeführers, eines indischen Staatsangehörigen, auf Erteilung einer "Niederlassungsbewilligung - beschränkt" gemäß § 44 Abs. 4 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz - NAG ab.

Begründend führte sie - auf das im vorliegenden Zusammenhang Wesentliche zusammengefasst - aus, der Beschwerdeführer sei am illegal nach Österreich eingereist und habe sogleich einen Asylantrag gestellt, der mit Bescheid des Bundesasylamtes vom abgewiesen worden sei. Eine dagegen erhobene Berufung sei mit Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom abgewiesen worden. Dieser Bescheid sei rechtskräftig, "seit diesem Zeitpunkt" halte sich der Beschwerdeführer unrechtmäßig in Österreich auf. Insgesamt befinde er sich "seit ca. 3266 Tagen" in Österreich. Auf den rechtmäßigen Aufenthalt während des erwähnten Asylverfahrens entfielen "1437 Tage". Seither sei er "1832 Tage" rechtswidrig in Österreich verblieben. Mehr als die Hälfte seines Aufenthaltes sei daher nicht rechtmäßig.

Der 1963 geborene Beschwerdeführer, der in Österreich keine Verwandten habe, lebe von seiner (gemeinsam mit dem 11-jährigen Sohn R. in Indien verbliebenen) Ehefrau getrennt und pflege telefonische Kontakte mit R. Auf Grund der somit nach wie vor vorhandenen "Verbindung" in das Herkunftsland sei davon auszugehen, dass die Bindungen zur Heimat so tiefgründig seien, dass "eine tatsächliche Integration in Österreich zum jetzigen Zeitpunkt nicht möglich" sei.

Seinem Vorbringen, aktiv am Gesellschafts- und Vereinsleben teilzunehmen, gute soziale Kontakte sowie eine Unmenge von Freunden und Bekannten zu haben, sei zu entgegnen, dass diese sozialen Komponenten - also sein Privatleben - zu einem Zeitpunkt "gegründet" worden seien, als dem Beschwerdeführer die Unrechtmäßigkeit seines Aufenthalts bekannt und überdies bewusst gewesen sei, dass die Legalisierung seines Aufenthaltes nicht gesichert erscheine. Auch das Fehlen jeder Straffälligkeit könne seine persönlichen Interessen nicht relevant verstärken. Der Beschwerdeführer weise Kenntnisse der deutschen Sprache auf, jedoch sei eine Unterhaltung ohne Beiziehung einer Vertrauensperson, die auch als Dolmetscher agiere, nur schwer möglich.

Zur Selbsterhaltungsfähigkeit habe der Beschwerdeführer angeführt, einer regelmäßigen Tätigkeit nachzugehen und "auch noch nie straffällig geworden" zu sein. "Solche Umstände" stellten jedoch keine relevante Verstärkung der persönlichen Interessen dar. Vom Beschwerdeführer vorgelegte Einkommens- und Vermögensnachweise könnten "nicht die sonstigen gesetzlichen Voraussetzungen für die Erteilung der Niederlassungsbewilligung gereichen".

Weitere besonders berücksichtigungswürdige Gründe lägen nicht vor. Selbst bei Prüfung seines Gesundheitszustandes sei anzumerken, dass das Gutachten des Amtssachverständigen ergeben habe, dass sowohl "die Stoffwechselkrankheit" als auch "die Beschwerden" wegen eines vom Beschwerdeführer erlittenen Autounfalls grundsätzlich von jedem Arzt für Allgemeinmedizin behandelbar seien. "Spezielle Gerätschaften" seien für diese Behandlung nicht notwendig, weshalb eine solche nicht zwingend in Österreich stattfinden müsse.

Über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof nach Aktenvorlage und Erstattung einer Gegenschrift durch die belangte Behörde erwogen:

Gemäß § 44 Abs. 4 NAG (in der hier noch maßgeblichen Fassung des FrÄG 2009) kann im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen trotz Vorliegens eines Erteilungshindernisses gemäß § 11 Abs. 1 Z. 3, 5 oder 6 NAG in besonders berücksichtigungswürdigen Fällen auf begründeten Antrag, der bei der örtlich zuständigen Behörde im Inland einzubringen ist, eine quotenfreie "Niederlassungsbewilligung - beschränkt" erteilt werden, wenn

1. der Drittstaatsangehörige nachweislich seit dem durchgehend im Bundesgebiet aufhältig ist und

2. mindestens die Hälfte des Zeitraumes des festgestellten durchgehenden Aufenthalts im Bundesgebiet rechtmäßig gewesen ist.

Die Behörde hat dabei den Grad der Integration des Drittstaatsangehörigen, insbesondere die Selbsterhaltungsfähigkeit, die schulische und berufliche Ausbildung, die Beschäftigung und die Kenntnisse der Deutschen Sprache, zu berücksichtigen. Der Nachweis einer oder mehrerer Voraussetzungen des § 11 Abs. 2 Z. 2 bis 4 NAG kann auch durch Vorlage einer Patenschaftserklärung (§ 2 Abs. 1 Z. 18 NAG) erbracht werden.

Die belangte Behörde ist zunächst offenkundig davon ausgegangen, dass der Beschwerdeführer schon die zeitlichen Voraussetzungen des § 44 Abs. 4 NAG nicht erfülle. Dabei hat sie aber unberücksichtigt gelassen, dass der Beschwerdeführer gegen den erwähnten Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom im Juni 2005 Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof erhoben hat. Dieser wurde mit Beschluss vom , Zl. AW 2005/20/0295, die aufschiebende Wirkung zuerkannt, sodass dem Beschwerdeführer die Rechtsstellung zukam, die er als Asylwerber vor Erlassung des angefochtenen Bescheides gehabt hatte. Die Behandlung der Beschwerde wurde mit Beschluss vom , Zl. 2006/19/0199, abgelehnt.

Die Gesetzesmaterialien zum mit der Novelle BGBl. I Nr. 29/2009 neu geschaffenen § 44 Abs. 4 NAG (ErläutRV 88 BlgNR 24. GP 11) weisen darauf hin, dass die Rechtmäßigkeit des Aufenthalts an Hand des § 31 FPG zu beurteilen sei, wobei insbesondere auch ein asylrechtliches Aufenthaltsrecht für Asylwerber (§ 31 Abs. 1 Z. 4 FPG) in Betracht komme. Eine derartige Rechtsstellung wurde dem Beschwerdeführer mit dem erwähnten hg. Beschluss vom wiederum eingeräumt, sodass sein Aufenthalt in Österreich bis zur Zustellung der ablehnenden Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofes vom als rechtmäßig im Sinn der genannten Bestimmungen anzusehen ist. Davon ausgehend erweist sich die Ansicht der belangten Behörde, es wäre bereits die Einstiegsvoraussetzung des § 44 Abs. 4 Z. 2 NAG zu verneinen, als verfehlt.

Die belangte Behörde hat den gegenständlichen Antrag aber auch deshalb abgewiesen, weil sie das Vorliegen eines besonders berücksichtigungswürdigen Falles verneinte. Ihre dazu angestellten Erwägungen erweisen sich jedoch als nicht tragfähig:

Zunächst ist ihr zu entgegnen, dass telefonische Kontakte zum minderjährigen Sohn R. keine "tiefgründigen" Bindungen zum Heimatstaat bewirken. Selbst wenn solche vorlägen, sprächen sie im Übrigen nicht zwingend gegen eine Integration in Österreich, auf die es im Hinblick auf den klaren Gesetzeszweck der Bereinigung von "Altfällen" unter isolierter Bewertung des faktischen (zum Teil rechtmäßigen) Aufenthalts sowie des Integrationsgrades im Bundesgebiet ankommt (vgl. dazu etwa das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2010/21/0522, mwN).

Auch der Umstand, dass dem Beschwerdeführer sein unsicherer Aufenthaltsstatus im Bundesgebiet bewusst sein musste, hat keine unmittelbare Auswirkung auf seine Integration im Inland und spielt im vorliegenden Zusammenhang daher keine Rolle.

Dem gegenüber hätte die belangte Behörde im angefochtenen Bescheid den exakten (bereits in den Stellungnahmen der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Oberösterreich vom 21. Juli und offen gelassenen) insbesondere zeitlichen Umfang der vom Beschwerdeführer während seines Aufenthalts in Österreich insgesamt ausgeübten Berufstätigkeit als Zeitungskolporteur, der für seine Selbsterhaltungsfähigkeit und damit auch für das Maß der von ihm erreichten Integration wesentliche Bedeutung zukommt (vgl. zuletzt etwa das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2010/21/0382), darzustellen gehabt.

Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit aufzuheben.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.

Wien, am

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Normen
FremdenrechtsNov 2009;
FrPolG 2005 §31 Abs1 Z4;
FrPolG 2005 §31;
MRK Art8;
NAG 2005 §44 Abs4 idF 2009/I/029;
NAG 2005 §44 Abs4 Z2 idF 2009/I/029;
VwGG §30 Abs2;
VwGG §42 Abs2 Z1;
VwRallg;
Schlagworte
Besondere Rechtsgebiete
Auslegung Anwendung der Auslegungsmethoden Verhältnis der
wörtlichen Auslegung zur teleologischen und historischen Auslegung
Bedeutung der Gesetzesmaterialien VwRallg3/2/2
Verwaltungsrecht allgemein Ausgliederung Privatisierung
ECLI
ECLI:AT:VWGH:2012:2010210180.X00
Datenquelle

Fundstelle(n):
YAAAE-81127